Rezension: „Ungarn ist anders“ von Bence Bauer

Selbstbehauptung als Leitmotiv der ungarischen Politik

Mit dem Band „Ungarn ist anders“ eröffnet das Deutsch-Ungarische Institut für europäische Zusammenarbeit unter dem Dach des Mathias Corvinus Collegiums (MCC) eine eigene Buchreihe. Deren Informationsangebote sollen sich in erster Linie an ein deutsches Leserpublikum richten.

In der Einleitung beklagt Frank-Lothar Kroll als Herausgeber der Buchreihe die unterschiedlichen Wahrnehmungen zwischen den beiden Ländern. Schon die in Ungarn vorherrschende Betonung von Familie und Heimat, Staat und Nation, Geschichte und Tradition, Christentum und Kultur wirke angesichts der woken, von den Grünen und einem politisch-medialen Komplex in Deutschland vorangetriebenen Gesinnungsethik wie aus der Zeit gefallen. Mehr noch werden die ungarische Politik als freiheitsfeindlich und Ministerpräsident Viktor Orban als autoritär und sogar als Diktator verleumdet.

Mit Aufklärung gegen grobe Verzerrungen

Insofern war es notwendig, dieser Negativpropaganda ein realistischeres Bild entgegenzustellen. Der Buchautor Bence Bauer ist beiden Ländern schon von seiner Biographie her eng verbunden und als Leiter des Deutsch-Ungarischen Instituts der ideale Vermittler zwischen den sich gerade auseinanderentwickelnden Ländern. In zahlreichen Beiträgen tritt er immer wieder aufklärend und abklärend groben Verzerrungen entgegen. Im vorliegenden Band werden sie zusammengefasst und geben bündige Überblicke über Nation und Geschichte Ungarns und die wichtigsten ungarischen Positionen. Sodann konzentriert sich das Buch auf ungarische Blicke auf Deutschland und deutsche Blicke auf Ungarn. Die umstrittene Rolle des ungarischen Wegs in Europa wird beschrieben und bewertet.

Im Gegensatz zu den von deutschen Leitmedien erhobenen Vorwürfen einer Abwendung Ungarns von der liberalen Demokratie stellt der Autor den unbändigen Freiheitswillen der Ungarn heraus. Sie haben sich in Geschichte und Gegenwart allen Besatzungen, aber auch Einmischungen von außen entgegenstellt und sind auch heute entschlossen, die Souveränität des Landes gegen Übergriffe einer zentralistisch agierenden EU-Kommission zu verteidigen. Der Glaube der Mitteleuropäer an das gute Leben beruhe auf einfachen Grundannahmen: Heimat, Familie, ein gutes Auskommen mit Arbeit und Anerkennung, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, aber auch von Staat und Gesellschaft, sowie Bewahrung von Recht und Ordnung.

Souveränität ist kein Selbstzweck

Die Behauptung der nationalen Souveränität sei wiederum kein Selbstzweck, sondern diene dem übergeordneten Ziel der Selbstbehauptung Ungarns in Europa und zugleich der Selbstbehauptung Europas und des Westens in der multipolaren Welt. Diese Ebenen bauen aufeinander auf. Aus ihnen ergibt sich zugleich ein gemeinsamer Rahmen für unterschiedliche Politikfelder von der Bildungs- bis hin zur Außenpolitik.

Deren Ausgestaltung erwächst aus teils heftigen Diskussionen. Die ungarische Demokratie wird im Gegensatz zu den gesinnungsethischen Verengungen in Deutschland von lebhaften und kontroversen öffentlichen Diskursen geprägt. Das Land verfügt über eine vielfältige, oft regierungskritische Presse. An den Hochschulen sind Kontaktschuld, Cancel Culture und Genderideologie unbekannt.

In Ungarn findet sich noch jene „offene Gesellschaft“, die der demokratische Westen in erschreckender Weise preiszugeben scheint. Ungarn bildet heute auch einen Gegenentwurf zur Identitätspolitik, in der sich das nationale Gemeinwohl in Minderheitenpolitik auflöst. Die Vertretung eigener Interessen steht den in Deutschland verfochtenen globalen Visionen von Klimaneutralität oder einer weltweiten Gleichheit der Kulturen entgegen.

Der Autor betont die notwendige Pflege der kulturellen Voraussetzungen von Politik. Ungarns Regierung bekenne sich zu einer christdemokratisch-konservativen Politik, ohne die eine liberale Demokratie schnell in Beliebigkeit und Relativismus abzugleiten droht. Der im Westen vorherrschenden masochistischen Lust an Selbstauflösung werde in Ungarn eine Absage erteilt.

Offene Grenzen erodieren den Westen

Zur Nagelprobe der Selbstbehauptung kam es 2015 beim Schutz der nationalen Grenzen Ungarns gegenüber einer Massenmigration aus der islamischen Welt. Unterdessen beginnen viele andere Europäer zu bemerken, wie ihre offenen Grenzen ihre öffentliche Infrastruktur von den Kitas bis zum Schul- und Wohnungswesen überlasten und schließlich die innere Sicherheit erodieren lassen.

Der Autor hebt auch die Erfolge der Sozial- und Familienpolitik Ungarns hervor. Die Sozialpolitik sei zugleich auf die Förderung des Arbeitsmarktes ausgerichtet. Sozial ist, was Arbeit schafft. Ungarns Familienpolitik kann als weltweit beispielhaft angesehen werden. Mit zahlreichen, auch kostspieligen Maßnahmen wie massiven Steuervorteilen für Mütter wird die Geburtenrate gefördert, mit messbarem Erfolg.

Von Ungarn lernen

Selbstbehauptung, auch das könnten die Westeuropäer von Ungarn lernen, erfordert aber auch Selbstbegrenzung nach außen. Vermutlich hätte die militärische Neutralität der Ukraine ausgereicht, um den schrecklichen Krieg zu verhindern. Während sich die Westeuropäer im Gefolge der US-Außenpolitik die Integration der Ukraine in den Westen auf die Fahne geschrieben haben, wissen die Ungarn um die Grenzen Europas und des Westens. Sie verweigern sich daher auch einer Waffenlieferungspolitik, die den militärisch nicht gewinnbaren Krieg nur immer neu anzufachen hilft. Der Kriegsverlauf gibt Ungarn Recht.

Über die Erfolge Ungarns in der Innen- wie in der Außenpolitik beginnt sich der Blick auf das Land langsam zu ändern. Dies ist auch ein Verdienst des Deutsch-Ungarischen Instituts und seines Direktors. Mit einer übersichtlichen und bestens lesbaren Darstellung leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Missverständnissen und Verleumdungen. Mehr noch, es bietet viele Hinweise für die jetzt in Europa anstehende Wiederkehr des gesunden Menschenverstandes. Ungarn könnte zu einem Modell für den geistigen und strukturellen Wiederaufbau Europas werden.

Bence Bauer: „Ungarn ist anders“
Beiträge zur deutsch-ungarischen Verständigung, Band 1, Herausgegeben von Frank-Lothar Kroll
Verlag: MCC Press, Budapest 2023.
Das Buch ist für 4.760 Ft im MCC-Shop (mccpress.hu) oder am 5. Februar bei einer Buchpräsentation im Scruton MCC erhältlich. Weitere Informationen hier.

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