Rezension: „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“

Politisierung der Wissenschaft als Mittel zur Macht

Schon 2008 wies der Erlanger Soziologe Richard Münch darauf hin, dass „Bildung und Wissenschaft unter [das] Regime von PISA, McKinsey & Co.“ geraten seien.

Die Rhetorik der Managementelite sei ubiquitär geworden; Worte wie „Exzellenz“, „Kernkompetenz“ und „Qualitätssicherung“ seien überall zu hören.

Diese Politik nannte Münch „akademischen Kapitalismus“: Investitionen in Forschung gingen nur noch von kurzfristigen Nutzenerwartungen aus (Stichwort: angewandte Forschung), aktuelle Themen seien überrepräsentiert (Stichwort: Modetrends).

Schwindende Wissenschaftsfreiheit

Schon damit war die Wissenschaft nicht mehr frei, sondern zunehmend von den Geldgebern der Wirtschaft und deren Interessen abhängig (Drittmittel). Wer zum Beispiel einen Antrag auf finanzielle Unterstützung für eine Studie stellte, die die Ursachen des Klimawandels ergebnisoffen erforschen wollte, dürfte schon vor Jahren kaum eine Bewilligung erfahren haben. Politische Erwartungen kamen demnach, in einer Art von Verflechtung, zu wirtschaftlichen Interessen hinzu.

Die sogenannte „Cancel Culture“ ist nur ein weiterer Baustein in dem Bestreben, die Wissenschaft zu politisieren. Der Sammelband der Herausgeber Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ untersucht in einem Vorwort, zehn Beiträgen und einem Interview die aktuellen Bedrohungen, denen Wissenschaftler ausgesetzt sind.

Das Neue bei der „Cancel Culture“ besteht in direkten Angriffen auf Personen (Ad-Personam-Strategie), die sich nicht konform – also nicht „politisch korrekt“ – zur Mehrheitsmeinung oder der Meinung besonders lauter Aktivistengruppen geäußert haben. Sie werden durch Rufmord von öffentlichen Vorträgen, Diskussionen oder dem Lehrbetrieb ausgeschlossen, also gewissermaßen „unmöglich“ gemacht.

Einer der theoretischen Vordenker dieses denunziatorischen Verfahrens war der kommunistische Philosoph Michel Foucault, der nicht mehr nur nach dem Inhalt dessen fragte, was jemand äußerte, sondern die früher verpönte Frage nach dem „Wer spricht?“ salonfähig machte.

Machtinteressen von Politikern

Hauptthemenfelder des Buches sind die Debatten zur sogenannten Corona-Pandemie, dem Klimawandel, der Migration und der Geschlechterforschung. Die Autoren sind Wissenschaftler, die zum Teil selbst Erfahrungen mit der „Cancel Culture“ gemacht haben. Der Philosoph Michael Esfeld, der von der FAZ wegen coronamaßnahmenkritischer Fragen an die Leopoldina, deren Mitglied er ist, als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet wurde, warnt vor „Wissenschaftlern, die von der Idee besessen sind, sie hätten ein Wissen zur Steuerung der Gesellschaft. Und wir dürfen uns nicht von Politikern verführen lassen, die aus durchsichtigen Machtinteressen dieses angebliche Wissen aufgreifen.“ Hier zeigen sich die giftigen Früchte der beschriebenen Verflechtung von Wissenschaft und Politik.

Der Sozialwissenschaftler Hartmut Krauss demonstriert, wie die wissenschaftliche Religionskritik unter dem Vorwand eines angeblichen „Rassismus“ ausgehebelt wird, aber nur im Umgang mit dem Islam. Der Historiker David Engels betrachtet den wissenschaftlichen Umgang mit der (meist illegalen) Migration, der besonders deutlich macht, wie politische Vorgaben als „alternativlos“ hingestellt werden (was sie nie sind), sodass jemand, der jene kritisch sieht, öffentlich als bestenfalls irrational, schlimmstenfalls als „Nazi“ bezeichnet werden darf. Der Sprachwissenschaftler Heinz-Dieter Pohl beleuchtet die Gendersprache, die das Sagbare schon rein sprachlich vorgeben will.

Positives Beispiel Ungarn

Diese und die anderen Beiträge sind tiefschürfend genug, um die Schlussfolgerung zuzulassen, dass die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland bedroht ist. Was kann dagegen getan werden? „Von dem, was man heute an den Universitäten denkt, hängt ab, was morgen auf den Plätzen und Straßen gelebt wird“, sagte der Philosoph Ortega y Gasset.

„Cancel Culture“ und „politische Korrektheit“ sind linksliberale Mittel zur Erlangung und zum Erhalt der Macht; die Linke hat das erkannt und wendet deshalb diese Mittel mit äußerster Konsequenz an. Auch hier ist Foucault mit seiner Diskurstheorie, die sich Diskurs nur unter dem Gesichtspunkt der Macht vorstellen konnte, entscheidend.

Nur eine Gegenmacht, also nichtstaatliches Geld für unabhängige Institute und Universitäten, besser aber staatliche Maßnahmen einer nicht-linksliberalen Regierung können demnach eine Änderung bewirken. Dass das geht, wird zum Beispiel in Ungarn demonstriert.

Harald Schulze-Eisentraut, Alexander Ulfig (Hrsg.): Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Wie die Cancel Culture den Fortschritt bedroht und was wir alle für eine freie Debattenkultur tun können.

FBV, München, 2022,
265 Seiten, 25 Euro.

Schreibe einen Kommentar

Weitere Artikel

Rezension: „aus meinen schenkeln entfaltet sich dein duft“ von Melinda Varga

Lust auf Erotik?