Im Gespräch mit den Kinderbuch-Herausgeberinnen Anne-Kristin Kastens und Arabell Watzlawik
Erfrischend bunt, erfrischend anders
Die Corona-Pandemie hat viele von uns gezwungen, im Berufs- und Privatleben zwei bis drei Gänge zurückzuschalten. Und während einige auch nach über einem Jahr im Ausnahmezustand noch immer nicht so ganz in ihrem neuen Alltag angekommen sind, gibt es andere, die die erzwungene Entschleunigung angespornt hat, zu kreativen Höchstleistungen aufzulaufen. Zu letzteren gehören Anne-Kristin Kastens und Arabell Watzlawik.
Am Ende einer intensiven dreimonatigen Arbeitsperiode, in der die beiden deutschen Wahlbudapesterinnen ihr Herzensprojekt zum Vollzeitjob machten, stand ein fertiges Buch mit dem wunderbar schrulligen Titel: „Herr Manfried und der Papadu“: Ein Kinderbuch über die Großartigkeit des Andersseins. Geschrieben von Anne-Kristin Kastens und illustriert von Arabell Watzlawik.
Eine Liebeserklärung an komische Vögel
Das Vorlesebuch für Kinder zwischen vier und zehn Jahren schildert auf 64 Seiten die Begegnung des Papadus – ein im wahrsten Sinne des Wortes komischer Vogel – mit den nicht minder einzigartigen Charakteren Herr Manfried – ein Jagdterrier, der nicht jagen will – und Frau Fuchs – eine Füchsin, die eigentlich lieber ein Hund sein möchte. Gemeinsam gehen sie auf eine Reise, an deren Ende die drei mehr verbindet als nur, dass sie alle irgendwie aus der Reihe fallen.

Es ist einerseits eine Geschichte darüber, wie sehr Ausgrenzung verletzen und die persönliche Entfaltung beschränken kann, andererseits darüber, welch heilende Wirkung Akzeptanz sich selbst und anderen gegenüber besitzt. Gleichzeitig geht es um Mut und um den Wert wahrer Freundschaft.
Aber vor allem ist „Herr Manfried und der Papadu“ ein Loblied auf die Großartigkeit des Andersseins, das nicht nur mit herrlich markanten Protagonisten, sondern auch mit viel Witz überzeugt.
Anne und Arabell wollten darin zeigen, dass anders sein doch eigentlich ganz normal ist. „Das ist ein Thema, das mich mein Leben lang beschäftigt hat“, erklärt Anne, für die der Papadu nicht das erste Buch, wenn auch das erste für Kinder ist: „Ich wurde in der Schule gemobbt und habe eigentlich erst mit Mitte zwanzig richtig zu mir selbst gefunden und gelernt: Ich kann so sein, wie ich will, solange ich damit niemandem Schaden zufüge.“
Eine Erkenntnis, die die Autorin ihren Lesern gerne schon im frühen Kindesalter mitgeben möchte. „Ich wollte speziell ein Vorlesebuch machen, das schon jüngeren Kindern suggeriert, dass es okay ist, anders zu sein.“ Laut Anne ist Diversität in Kinderbüchern noch immer unterpräsentiert und wird oft als Nischenthema abgehandelt. Dabei sollten solche Bücher ihrer Meinung nach die Masse darstellen. Ein Argument, welches angesichts einer immer facettenreicher werdenden Gesellschaft eigentlich kaum anzufechten ist.

Doch Dispute wie über das in Ungarn erschienene Kinderbuch „Märchenland ist für alle da“ zeigen, dass von klassischen Rollenbildern abweichende Charaktere in Kinderbüchern nicht überall auf Zustimmung treffen. Das ist auch den beiden Autorinnen des „Papadus“ bewusst, aber wie Arabell es formuliert: „Die Frage ist, in was für einer Welt möchte man leben. Ich möchte in einer Welt leben, in der es egal ist, ob man groß, klein oder irgendwie anders ist. Es ist auch so schon schwer genug, zu sich selbst zu finden. Wenn man dann noch in eine gesellschaftliche Norm gepresst wird, in die man nicht reinpasst, dann ist das unerträglich.“
Zudem sind es in den Augen der beiden Autorinnen gerade die komischen Vögel, die unsere Welt so wunderbar bunt machen.
Eine vielfarbige Buchwelt, die verzaubert
Bunt ist auch das Buch selbst: Die Illustrationen sind so ausdrucksstark, dass es auch kleinen Buchanguckern und Geschichtenzuhörern nicht schwerfallen dürfte, sich auf die wunderbare Reise der tierischen Protagonisten mitnehmen zu lassen. Die detailreichen Szenen halten die Aufmerksamkeit, und auch beim dritten oder vierten Vorlesen bleiben die Augen immer noch an neuen wundervollen Kleinigkeiten hängen. Auch Erstleser werden hier ihren Spaß haben, denn der Verzicht auf Worttrennungen sowie eine große Schriftgröße und Zeilenabstände machen Anfängern das Erkennen der Wörter leicht.

Arabells Bilder und Ausschmückungen sprechen eine eigene, unverwechselbare Sprache. Dass liebevolle Tierfiguren wohl so etwas wie ihr Steckenpferd sind, merkt man, wenn man sich das Portfolio der professionellen Illustratorin anschaut. 2019 gestaltete und veröffentlichte Arabell bereits ein Freundebuch, auf dessen Seiten sich aparte Tier- und Fabelwesen durch farbenprächtige Landschaften tummeln. Den Anstoß zu diesem Projekt gab ihr Sohn: „Er besucht in Budapest einen internationalen Kindergarten, seine Freunde kommen aus aller Welt. Ich wollte, dass er etwas hat, um sich später an diese ersten Freundschaften zu erinnern. Ich habe das Buch dann selbst drucken lassen und verkaufe es auch heute noch über meine Webseite.“
In Budapest gesucht und gefunden
Als Anne-Kristin Kastens 2018 gemeinsam mit ihrem Mann nach Budapest zog, da war der Wunsch, ein Kinderbuch zu schreiben, schon da: „Die Grundidee dazu hatte ich schon länger im Kopf“, erzählt die gebürtige Braunschweigerin. Doch fehlte ihr die richtige Kooperationspartnerin für das Projekt.
Ende 2019 lernte sie bei den Deutschen Mamas Budapest – ein loser Zusammenschluss deutscher Expats – Arabell Watzlawik kennen. Zu behaupten, da hätten sich zwei gesucht und gefunden, scheint beinahe schon untertrieben, hört man Anne zu: „Wir wurden einander vorgestellt mit den Worten: Das ist Anne, die würde gern ein Kinderbuch schreiben, und das ist Arabell, die kann ein Kinderbuch illustrieren.“

Ziemlich schnell stand für beide fest, dass sie sich eine Zusammenarbeit sehr gut vorstellen können. Doch vorerst fehlte ihnen die Zeit zur Umsetzung des Projektes. Als freie Autorin und Redakteurin konnte sich Anne selbst aus Budapest nicht über fehlende Aufträge beschweren, und auch Arabell, die damals bereits seit rund fünf Jahren in Budapest lebte und sich erst kurz zuvor selbstständig gemacht hatte, war mit ihrer Arbeit als freie Illustratorin voll ausgelastet.
Lockdown, fertig, los
„Und dann kam Corona“, erinnert sich Anne. „Nach und nach waren alle Aufträge weg.“ Als der anfängliche Schock über den neuen Status quo überwunden war, entschieden sich die beiden Damen im Herbst 2020, ihr pandemiebedingtes Plus an Freizeit dazu zu nutzen, die lange gehegte Kinderbuchidee endlich Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Rohfassung und einen groben Handlungsstrang ihrer Geschichte hatten Anne und Arabell zu diesem Zeitpunkt schon, aber der Löwenanteil der Arbeit lag noch vor ihnen.
„Wir haben dann angefangen, die Geschichte zu überarbeiten und die Charaktere zu entwickeln, Arabell hat erste Skizzen gemacht“, schildert Anne den Einstieg in den Entstehungsprozess. Die lebhaften Charakterbeschreibungen der Autorin ließen bei der erfahrenen Illustratorin Arabell die Kreativität sprießen: „Ich hatte sofort Bilder im Kopf“, erzählt sie.

Von der gemeinsamen Arbeit schwärmen beide Frauen. „Vor allem bei der Motivation hat das sehr geholfen“, findet Arabell. „Aber auch wenn ich mal nicht weitergekommen bin oder mit einer Grafik nicht richtig zufrieden war: Dann habe ich es Anne geschickt, wir haben es diskutiert und dadurch wieder neue Ideen entwickelt.“ Die Illustratorin ergänzt: „Da unsere persönliche Chemie gut funktioniert, war die Zusammenarbeit einfach.“
Auch Anne kann sich noch gut an einen Moment erinnern, in dem das Köpfezusammenstecken zum Durchbruch einer Schreibblockade führte: „Mit dem Anfang habe ich mich sehr schwer getan. Ich saß schon seit drei Stunden da und habe geschrieben und wieder gelöscht, geschrieben und wieder gelöscht. Ich bin einfach nicht weitergekommen. Da habe ich Arabell angerufen. Sie hat sich mein Problem angehört und gesagt: Schreib doch einfach die Mitte. So habe ich es dann gemacht. Und siehe da, auf einmal war der Anfang komplett klar. Es war für mich schön, dass sie so eine ganz andere Sichtweise eingebracht hat.“ Dass es anders herum genauso war, bestätigt auch Arabell.
Die Crowd macht’s möglich
Den „Papadu“ haben Anne und Arabell im Selbstverlag veröffentlicht. Ein klassischer Verlag kam für sie nicht infrage. Ausschlaggebend dafür war, dass sich beide volle Autonomie bei allen Entscheidungen wünschten. Etwas, das Verlage ihren Autoren, wie Anne aus eigener Erfahrung berichtet, nicht unbedingt gewähren. Einen weiteren Ausschlag gab der zeitliche Rahmen: „Um ein Buch an einen Verlag zu bringen, nur mit einem Manuskript, muss man sechs bis zwölf Monate einrechnen, bis man eine Antwort erhält“, so Anne. Da aber beiden bereits vor Schaffensdrang die Finger kribbelten, entschieden sie sich gegen das Abwarten und für den Selbstverlag.
Natürlich ist das Veröffentlichen auf eigene Faust kein Pappenstiel: Neben dem Schreiben und Illustrieren trugen beide auch die Verantwortung für das Layout, das Marketing und den Vertrieb. Lediglich für das Lektorat holten sie sich zusätzliche Hilfe ins Boot.
Doch die wohl größte Hürde erwartete das „Papadu“-Team gleich zu Beginn: Wie ein Buch finanzieren ohne zahlungskräftigen Verlag im Hintergrund? „Wir haben uns relativ früh dazu entschlossen, das Buch über eine Crowdfunding-Kampagne zu finanzieren“, verrät Anne. Beim Crowdfunding geben viele Menschen – die Crowd – einen kleinen oder größeren Geldbetrag, um die Umsetzung einer Idee oder eines Projektes zu unterstützen.

Von Mitte November bis Mitte Dezember lief die Kampagne für den „Papadu“ auf der Plattform Startnext und zeitigte schon früh Erfolge: „Wir sind weit über das hinausgeschossen, was wir uns vorgestellt hatten, und waren überrascht, wie viele Leute uns unterstützen wollten“, freut sich Arabell. Insgesamt 164 Unterstützer und Unterstützerinnen fand das Buchprojekt – auch dank intensivem Marketing in den sozialen Medien. 5.500 Euro wollten die beiden im Rahmen der Kampagne einnehmen, am Ende waren es weit mehr als 8.000 Euro. Wie Anne betont, handelt es sich nicht um Spenden, sondern um Vorverkäufe. Neben dem Buch konnten Unterstützer der Kampagne sich je nach Geldbetrag auch noch diverse Merchandise-Artikel wie Tassen, Beutel und Postkarten mit lustigen Motiven aus dem Buch sichern.
Ein Buch, das die Welt besser machen will
Mit dem Erlös des Vorverkaufs gingen Anne und Arabell schließlich in den Druck. Dabei war es ihnen wichtig, das Buch klimaneutral und nachhaltig produzieren zu lassen. So wurde es beispielsweise auf Recyclingpapier gedruckt – und zwar in Deutschland. Dazu sagt Arabell: „Wir hätten natürlich anderswo günstiger drucken können. Da das Buch aber momentan hauptsächlich in Deutschland gelesen und verkauft wird, wollten wir die Transportwege kurz halten und so auch CO2 sparen.“ Die erste Auflage umfasst 1.000 Exemplare, von denen rund ein Viertel bereits vor der Veröffentlichung verkauft war.
Warum sie beim Thema Nachhaltigkeit keine Einsparungen machen wollten, erklären die beiden so: „Wenn man Sachen für Kinder macht, dann muss man die in einer Art und Weise machen, dass man ihnen einmal eine schöne Welt übergeben kann und nicht noch mehr kaputt macht. Das Buch ist auch ein Versuch zu zeigen, dass man nachhaltig wirtschaften kann. Das kostet natürlich Geld, aber das ist es auch wert.“
„Herr Manfried und der Papadu“ ist am 15. März erschienen. In der ersten Runde durften sich zunächst alle Crowdfunding-Unterstützer über das fertige Buch freuen. Seitdem kann es aber auch ganz offiziell bestellt und erworben werden. Neben dem Onlinevertrieb ist das Herzensprojekt von Anne und Arabell auch schon in einzelnen Buchhandlungen, beispielsweise in Annes Heimatstadt Braunschweig, erhältlich.
„Wir haben Läden angeschrieben, uns aber auch in das Verzeichnis lieferbarer Bücher eintragen lassen, sodass auch Geschäfte, die wir nicht kontaktiert oder die uns noch nicht im Sortiment gelistet haben, unser Buch bestellen können“, erläutert Anne den Vertrieb. Für die Zukunft planen sie, auch an ungarische Buchhandlungen heranzutreten, sodass die Budapester in absehbarer Zeit im Verkaufsregal vielleicht ebenfalls vom renitenten Papadu und seinen unkonventionellen Freunden begrüßt werden können. In Zeiten, in denen Toleranz nicht selten eine leere Worthülse bleibt, wäre es ein willkommener Anblick.
„Herr Manfried und der Papadu“: Ein Kinderbuch über die Großartigkeit des Andersseins
Von Anne-Kristin Kastens & Arabell Watzlawik
Erschienen im Selbstverlag im März 2021
ISBN: 978-3-948581-02-2
16,90 Euro (D)
Bestellmöglichkeiten unter
www.annekristinkastens.com und www.arabellvirtuell.de