Rezension: „Love Story in Budapest“ von Nelu B. Ebinger
Eine verbotene Liebe
„Love Story in Budapest“ ist die Geschichte einer verbotenen Liebe zwischen zwei autonomen Menschen unterschiedlicher Herkunft, für deren Beziehung die vielfältigen Gefahren jener Epoche kein wirkliches Hindernis darstellten. Erzählt wird die bewegte Geschichte aus Sicht des am 27. März 1946 von einem ungarischen Volksgericht zum Tode verurteilten Franz Anton Basch, der in seiner letzten Nacht kurz vor der Hinrichtung die Bilanz seines ereignisreichen Lebens zieht. Es sind die letzten Stunden im Leben eines Mannes, dessen Schicksal und Werdegang vom ewigen Hin und Her zwischen zwei grundverschiedenen Welten gekennzeichnet waren – seinem Engagement für das deutsche Volkstum in Ungarn, das ihn auch immer mehr in Konflikt mit den reichsdeutschen Behörden bringen sollte, und seiner Liebe zu Klara, die jeden Tag mehr um ihr Leben bangen musste.
Eine deutsch-jüdische Liebe im Herzen Europas
Klara Spieler kam 1906 als Tochter einer jüdischen Bürgerfamilie in Budapest zur Welt, der auch kulturell aufblühenden Hauptstadt des ungarischen Königreiches, „die von vielen Zuwanderern verschiedener Nationalität und Religion bewohnt wurde, wo, ähnlich wie in dem von sozialen Konflikten heimgesuchten Wien, die Wehen des bevorstehenden Ersten Weltkrieges schon zu spüren waren“.
Franz Anton Basch sah das Licht der Welt am 13. Juli 1901 in Zürich als Sohn eines Banater Handwerkers aus Hatzfeld (ung. Zsombolya, rum. Jimbola) und einer Schweizer Bürgertochter. Seine Kindheit verbrachte er in der kleinen Heimatstadt seines Vaters im damals zum Ungarischen Königreich der k.u.k. Monarchie gehörenden, von verschiedenen Volksgruppen bewohnten Banat.
„Eine Nationalität ist hervorzuheben, und zwar die jüdische, die Mitteleuropa in allen Lebensbereichen ihren Stempel aufgeprägt hat.“
„Anfang des 20. Jahrhunderts wohnten dort Deutsche, Ungarn, Rumänen, Juden und Serben in friedlicher Eintracht nebeneinander, oft auch miteinander, selten aber gegeneinander“, schreibt Ebinger. Er beschreibt ein multiethnisches Milieu, in dem der „kleine Toni Basch“ zweisprachig aufwuchs: mit der Familiensprache Deutsch und der Schul- und Staatssprache Ungarisch. Das Ungarische war 1907 durch den Erlass des Kultusministers Graf Apponyi im ganzen Land als Schulsprache eingeführt worden.
Von Anfang an zeugt „Love Story in Budapest“ von jener kulturellen Vielfalt Mitteleuropas, das in seiner über 2000 Jahren alten Geschichte Heimat zahlreicher Völker wurde. „Dabei lebt jedes Volk zusammen mit anderen Volksgruppen, meistens Minderheiten, die im Nachbarland das Mehrheitsvolk bilden, so dass eine Reihe von Sprachinseln entstanden ist, die an die ehemalige offizielle Vielsprachigkeit Mitteleuropas erinnern“, schreibt Ebinger in seinem Essay „Bekenntnisse eines Mitteleuropäers“. In den nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Nationalstaaten leben überall mehrere Nationalitäten. „Eine davon ist hervorzuheben“, so Ebinger, „und zwar die jüdische, die Mitteleuropa in allen Lebensbereichen ihren Stempel aufgeprägt hat“. Außer den Juden sind es noch die Deutschen und Ungarn, die heute als Minderheiten in allen Ländern Mitteleuropas leben, ergänzt er.
NELU BRADEAN-EBINGER wurde 1952 in Arad (Banat) geboren. Er wuchs im banatschwäbischen Bogarosch (Bogáros, Bulgarus) auf. Nach dem Besuch des deutschen Lyzeums in Hatzfeld (Zsombolya, Jimbolia) studierte er in Budapest Finno-Ugristik, Hungarologie und allgemeine Germanistik (Skandinavistik). Seit 1972 lebt er im Budapester Vorort Budaörs. Er ist Professor am Institut für internationale Beziehungen der Corvinus-Universität, ungarndeutscher Autor (Lyrik, Kurzprosa, historische Romane) und Mitglied des Verbandes Ungarndeutscher Autoren und Künstler (VUDAK).
Es ist im weitesten Sinne dieses Mitteleuropa und seine faszinierende Vielfalt, in der sich die Liebe und das Leben von Klara und Toni abspielen – in einer Zeit, da das mitteleuropäische Miteinander im Zuge eines völkisch-rassistischen Denkens und die Identitätsbildung staatlicher Einheit durch ethnische Herkunft zu einem zerstörerischen Gegeneinander führte.
Aufkeimendes Nationalitätenbewusstsein
Ebinger schreibt, wie Franz Anton Basch, der zuhause in „volksdeutscher Gesinnung“ aufwuchs, durch die ungarischsprachige Schule zu einem „begeisterten Verfechter der ungarischen Sache“, der „Nationalidee“ wurde, sodass er sich nichts sehnlichster wünschte, als ungarischer Schriftsteller zu werden. Nach seiner Reifeprüfung in Temesvár, dem historischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des Temescher Banats, begibt sich Basch nach Pest ans Eötvös-Kolleg, um auf Lehramt zu studieren. Zu dieser Zeit bekennt er sich noch einzig und allein zur ungarischen Nationalität.
Als sich jedoch erste Anzeichen einer Lungenblutung bemerkbar machen, verbringt er den Sommer 1922 bei seinen Schweizer Verwandten, um sich auszukurieren. In der Schweiz beobachtet er, „wie vier verschiedene Völker auf allen Ebenen des Lebens völlig reibungslos miteinander auskamen und dennoch ein jedes sein eigenes völkisches Leben führte“. Daraufhin besinnt er sich darauf, „dass auch das heimische Deutschtum sein Volkstum bewahren könnte“. Gerade indem es dazu in der Lage wäre, würde das „Ungarnländische Deutschtum“ ein Stützpfeiler des Vaterlands bleiben.
Der Ungarnländische Deutsche Volksbildungsverein
1924 lernt Basch erstmals Studenten kennen, die zum Kreis Jakob Bleyers gehören. Bleyer war Universitätsprofessor und Gründer des Ungarnländischen Deutschen Volksbildungsverein (UDV). Bestrebt, sein „deutsches Volk in Ungarn“ für ein Überleben zu wappnen, war er von 1919 bis 1920 auch ungarischer Minister für nationale Minderheiten. Auf Bitte der Studenten hin besucht Basch ihren Studentenzirkel, die sogenannte Suevia, wo er Vorträge über das Banat und Nikolaus Lenau hält, den Basch als den „größten deutschsprachigen Dichter unseres Vaterlandes“ betrachtet.
Nachdem Basch gleichzeitig sein Lehrdiplom und seinen Doktortitel gemacht hat, beginnt er auf Anfrage Prof. Bleyers, als Kultursekretär für den Deutschen Volksbildungsverein zu arbeiten. Beim Besuch der Ortsgruppen auf dem flachen Lande findet er heraus, „dass das heimische Deutschtum in sehr vielen Gegenden nicht einmal mehr die reine Mundart spricht, dass sein Gefühl für Kultur völlig versiegt ist.“ Das hindert Basch nicht daran, seine „kleine heimische deutsche Nationalität von Herzen lieb zu gewinnen“. Er hält Vorträge über die deutsche Kultur, über das spezifische besondere Mixtum der deutsch-ungarischen Kultur und ist bestrebt, dies noch mit religiösen Themen zu vertiefen.
Klara Spieler
Klara lernte Toni 1928 im Kino kennen. Über Basch und ihre Beziehung zu ihm sagt sie am 19. Oktober 1945 im Prozess gegen ihn Folgendes aus: „Meine jüdische Abstammung hatte ich ihm schon bei unserem ersten Gespräch mitgeteilt; ich hatte nämlich an seiner Aussprache einen fremdländischen Akzent wahrgenommen, und auf meine diesbezügliche Frage erklärte mir Basch, er sei Sekretär des Deutschen Volksbildungsvereins und gebrauche mehr die deutsche Sprache, infolge dessen ein gewisser Akzent wohl spürbar sei. Ich habe ihm darauf angeboten, uns auf Deutsch zu unterhalten, da ich die deutsche Sprache beherrsche. Auf Baschs Frage habe ich ihm dann erzählt, dass ich meine Deutschkenntnisse meiner jüdischen Herkunft und dem Studium der Sprache verdanke.“
Der heraufziehende Nationalsozialismus wird bald nicht nur Klara Spieler bedrohen, sondern auch Franz Basch. „Man wusste, dass das Schwabenvolk auch ihn liebte und auf ihn hörte, und das war ein wichtiges Moment“, sagt Klara während des Prozesses aus. „Von da an wurde sein Leben zur Hölle. Er lebte ständig in Furcht und Schrecken und hatte dazu auch durchaus Grund. Er war ständig in Furcht vor Gestapo-Spionen, die ihn seiner Unzuverlässigkeit wegen beschatteten. Er schob die deutschen Wünsche auf die lange Bank, um sie dann nach Möglichkeit nicht zu erfüllen. So bezog er beispielsweise keine Stellung zur Judenfrage, obwohl er dazu ziemlich häufig von mehreren Seiten gedrängt wurde. Unsere seriöse, von tiefem Gefühl getragene Beziehung währte 15 Jahre lang“, führte Klara weiter aus. „Und diese ganze Zeit hindurch hielt Franz Basch treu und redlich zu mir, obwohl dies – angesichts meiner jüdischen Abstammung – in den letzten Jahren für ihn eine immer größere Gefahr bedeutete.“
Zwangsminderheiten
Als die Liebesbeziehung zwischen Toni und Klara begann, lebte Budapest noch in der Atmosphäre der „goldenen Zwanziger Jahre“. Doch am politischen Himmel Mitteleuropas brauten sich dunkle Wolken zusammen: „Radikale Kräfte gewannen immer mehr an Boden, Nationalismus und Antisemitismus beherrschten den Zeitgeist“.
Bei einem ihrer Rendez-vous saßen beide festlich gekleidet im noblen Café New York, wo sie „dem regen Leben der Großstadt lauschten“. „An einem der Nachbartische saßen junge Journalisten einer meinungsführenden liberalen Wirtschaftszeitung und debattierten laut über die Theorie des ehemaligen und künftigen Ministerpräsidenten Graf Pál Teleki, demzufolge ausschließlich „Zwangsminderheiten“, also die „ungarischen Minderheiten der Nachbarstaaten“ Anspruch auf Minderheitenschutz hätten.
Traditionelle Minderheiten, die mit einem Mehrheitsvolk mehrere Jahrhunderte zusammenlebten, oder „freiwillige“ Minderheiten, die wie die Schwaben in kleineren Gruppen oder größeren Massen eingewandert seien, würden keinen solchen Anspruch haben. Diese Idee wurde als Legitimation der Suprematie der Magyaren umgedeutet und die „notwendige Assimilation“ fremder Ethnien betont.
Unter diesen Umständen setzte sich Basch immer intensiver für die Rechte der deutschen Volksgruppe in Ungarn ein, die damals rund eine halbe Million, also rund sieben Prozent der Gesamtbevölkerung Ungarns, ausmachte. Dabei bekannte er sich zu einer Taktik der kleinen Schritte in der Nationalitätenpolitik. „Er identifizierte sich nicht nur mit der Minderheiten-, sondern auch mit der Außenpolitik der ungarischen Regierung; er unterstützte den sogenannten „irredentistischen Gedanken“, also die Revision der Grenzen von Trianon, um einst „mit unseren so kräftig sich entwickelnden deutschen Brüdern in den Nachbarländern eine deutsche Volksgemeinschaft zu bilden.“
Das Ende naht
Die Machtergreifung des Nationalsozialismus führt auch im deutschen Volksbildungsverein zu einer tiefen Krise. Schon 1934 soll der Verein zu einer „effektiven Organisation“ ausgebaut werden. In diesem Rahmen übt auch die „von der nationalsozialistischen Weltanschauung infizierte Jugend“ einen erheblichen Druck auf die Verantwortlichen aus. Seit 1941 begann der „Nazi-Geist“ schließlich, den Volksbund mehr und mehr zu durchdringen. Dabei spielte die Frage der Einziehung der ungarnländischen Volksdeutschen zur deutschen Wehrmacht eine große Rolle, was Basch vehement ablehnte, weil er das Deutsche Reich „als ein anderes Land betrachtete“.
Als die Situation 1943 immer brenzliger wurde, wandte sich Basch mit den folgenden Worten an Klara: „Man hat mich wegen meiner Beziehung zu dir an den Pranger gestellt.“
„Das war schon längst zu erwarten.“
„Du weißt, ich habe immer zu Dir gestanden und werde unsere Liebe nie aufgeben. Ohne Dich wäre ich schon im Irrenhaus oder im Friedhof gelandet.“
„Dafür bleibe ich Dir ewig dankbar“, antwortete sie. „Man wird uns auf Schritt und Tritt beobachten und verfolgen. Ich schlage vor, wir treffen uns nur noch heimlich bei guten ungarischen Freunden von mir, die mich als Jüdin notfalls auch verstecken trotz höchster Lebensgefahr für sie und ihre Familie.“
„Du hast recht“, erwiderte er. „Obwohl mir das Herz blutet bei dem Gedanken, Dich nur noch selten in Deinem Versteck zu sehen. Ich werde Dir jedenfalls alles Nötige zum Überleben zukommen lassen, indem ich Dir Lebensmittelpakete mitbringe oder heimlich schicke.“
„Wir werden auch diese schrecklichen Zeiten überleben, denn unsere Liebe besiegt alle Hindernisse, die uns diese unmenschliche Politik in den Weg legt“, sagte sie. Die beiden Liebenden umarmten sich zum Abschied innig in der Hoffnung, sich bald wiederzusehen. Aber die politischen Umstände sollten es nicht mehr dazu kommen lassen.
Die letzten Stunden
Am 17. Mai 1945 wurde Basch von den amerikanischen Behörden verhaftet, die ihn an die ungarischen Behörden auslieferten. Am letzten Verhandlungstag ergriff er ein letztes Mal das Wort: „Ich bin jetzt ein vom Baum gefallenes Blatt, nichts anderes. Gefallenes Laub unter dem Besen des Schicksals. Ich weiß, dass mein kleines Volk, für das ich fast ein Leben lang gekämpft habe, von hier weggebracht wird. Jetzt werden Hundertausende und abermals Hundertausende sich in langen Kolonnen auf den Weg machen in das Land der großen Buße und der großen Sünde, die dieses kleine Volk – wie ich glaube – nicht verdient hat. Ich stand ehrlich meinen Mann, trat für die Ehre meines Vaterlandes, für meine eigene Ehre und auch für die Ehre meines Volkes ein.“
Am nächsten Morgen, dem 26. April 1946, wurde in aller Herrgottsfrühe das Todesurteil an Franz Anton Basch vollstreckt. Es war das Jahr, so Ebinger, „der Vertreibung der deutschen Volksgruppe aus Ungarn“. Im eiskalten Januar hatte bereits die erste Deportation von fast 200.000 Ungarndeutschen begonnen.
„Love Story in Budapest“ von Nelu B. Ebinger gedenkt dieser deutschen Minderheit in Ungarn und generell in Mitteleuropa. Das Buch stellt – auf wahren Begebenheiten basierend – das Leben eines Ungarndeutschen dar, in dessen Herzen die Liebe zu seinem ungarischen Vaterland Seite an Seite mit derjenigen zu seiner deutschen Muttersprache und Kultur lebte. Vor allem aber liebte er als freier Mensch seine Klara, die bei allen Gefahren bis zum Ende zu ihm hielt.
Nelu B. Ebinger: Das Licht, das erlosch – „Love Story in Budapest“
101 Seiten, Budapest 2014
Das Buch kann zum Preis von 2.800 Ft bei www.bookline.hu erworben werden.