Gespräch mit Jerome P. Schaefer, Autor von „Der Dschungel von Budapest“
Die schönste Stadt meiner Kindheit
Das Attentat gilt Tamás Boros, einem Unternehmer mit Kontakten zur sogenannten Ölmafia, die in diesen Jahren ein Vermögen damit macht, Heizöl, das für die Verwendung als Treibstoff unbrauchbar gemacht worden war, durch einen chemischen Prozess in handelsübliches Diesel umzuwandeln. Im Ungarn der 90er Jahre war das ein Milliardengeschäft. Das Attentat in der Aranykéz utca zählt zu den bekanntesten Attentaten des Mafiakrieges jener Jahre. Und er ist das erste, bei dem auch Unschuldige ums Leben kommen. „Unter den Opfern war auch ein Freund meines Vaters“, erzählt Jerome P. Schaefer.
In seinem Debütroman „Der Dschungel von Budapest“ macht Schaefer diese Jahre wieder lebendig. In der fiktiven Geschichte gerät der Detektiv Tamás Livermore in einen mörderischen Konflikt zwischen der lokalen Ölmafia und einem korrupten Staatsapparat. Mit seinem Buch füllt der 1985 geborene Autor eine Lücke. Im Gegensatz zu Skandinavien oder auch südeuropäischen Ländern wie Italien ist der europäische Osten bei Kriminalliteratur und Thrillern bisher kaum präsent.
Kindheit in den Budaer Bergen
Dass sein Debütroman in Budapest spielen würde, war für Schaefer von Anfang an klar. Als Sohn eines Filmemachers wuchs er in verschiedenen Städten auf. Neben Budapest auch in München, St. Gallen und London. „Aber Budapest war in meiner Kindheit einfach die schönste Stadt“, so Schaefer.
Anfang der 90er-Jahre besuchte er dort die Deutsche Schule in Buda. In den Budaer Bergen bewohnte die Familie eine Villa. Als Wohnort des halbseidenen Anwalts Béla Doi findet sie auch im Buch Erwähnung. „Es war eine Zeit, in der noch pures Chaos herrschte, eine Stadt in der Findungsphase“, so Schaefer heute. „Die Stadt wirkte baufällig, es herrschte eine Noir-Stimmung wie im Paris der Nachkriegszeit.“
Der Vergleich kommt nicht von ungefähr. Schaefer arbeitet als Lektor für den Bereich Film in einem Münchner Fachbuchverlag. Seine Leidenschaft gilt dem französischen Neo-Noir der späten 60er-Jahre, Filmen wie „Der eiskalte Engel“ mit Alain Delon. Als er sein Debüt plante, war ihm klar, dass es eine Noir-Geschichte mit Schauplatz Budapest sein sollte.
„Von der Geschichte mitreißen lassen“
Die Geschichte beginnt – angelehnt an das Attentat in der Aranykéz utca – mit einem Anschlag in der Budapester Innenstadt. Mittendrin: Der Detektiv Tamás Livermore, ein Amerikaner mit ungarischen Wurzeln, eine Figur an der Schwelle, nie wirklich Teil der Gesellschaft. Als Vorbild diente dem Hobbyboxer Schaefer sein Trainer im Gym. Der ist zwar Ire, hat dem fiktiven Detektiv aber seine Eigenschaften verliehen – „ein Mensch mit Street Credibility, anpackend, aber auch äußerst respektvoll und ein wenig melancholisch“, so der Autor.
Von dieser Anfangsszene aus spinnt Schaefer die Geschichte. Durchgeplant hat er sie nicht, von einigen Eckpunkten abgesehen. „Ich habe mich einfach von der Geschichte mitreißen lassen“, erzählt er. Und die endet nicht in einem Happy End, denn, so Schaefer: „Ich habe mich gefragt: Was ist das Bitterste, was passieren kann?“
Nächstes Buch bereits in Arbeit
Zwei Jahre hat der Autor an seinem Debüt gearbeitet. Für die Recherche zog er vor allem zeitgenössische Presseberichte aus den 90er Jahren zu Rate. Mit der Verlagssuche hatte er erst eine renommierte Agentur beauftragt. Die hat sich an 30 Häusern die Zähne ausgebissen, zumal der Buchmarkt in dieser Phase der Corona-Pandemie ins Stocken geraten war.
Schließlich nahm Schaefer das Heft selbst in die Hand und suchte Kontakte zu kleineren Verlagen. Die Absagen schätzt er auf ebenfalls 20 bis 30. „Ein politischer Noir-Krimi ist für keinen Verlag in Deutschland ein Selbstläufer“, so Schaefer, „Das Politische und das Düstere haben es in Amerika und Frankreich einfach leichter.“
Letztendlich konnte er den Berliner Transit-Verlag für das Buchprojekt gewinnen. Ende August dieses Jahres kam das Buch auf den Markt. Schaefer arbeitet nun bereits an einer Fortsetzung. Sein nächstes Buch spielt Ende der 90er Jahre, ebenfalls in Budapest.