Zum 200. Geburtstag von Sándor Petőfi
Dichter und Revolutionär
Sein dichterisches Werk steht für die Erneuerung der ungarischen Lyrik. Petőfi war der erste, dem es vergönnt war, seinen Lebensunterhalt aus seinem dichterischen Schaffen zu bestreiten. Mindestens einmal im Jahr, am Nationalfeiertag vom 15. März, wird sein Name und sein Schaffen in die Erinnerung gerufen und eines seiner bekanntesten Gedichte, das Nemzeti dal (Nationallied), in breiter Öffentlichkeit vorgetragen.
Leben ohne richtigen Abschluss
Sándor Petőfi war vielleicht die fesselndste Dichtergestalt des neunzehnten Jahrhunderts. Niemand kennt sein Ende: 1849 verschwindet er im Alter von 26 Jahren bei den Kämpfen in Schäßburg (Segesvár, heute Rumänien) und wird weder tot noch lebendig jemals wiedergesehen. Die Volkseinbildung spinnt Märchen um ihn wie um andere große Männer, deren Leben ohne richtigen Abschluss plötzlich endet. Er soll nicht gestorben sein, sondern in unbegreiflich gewollter Dunkelheit irgendwo in Ungarn oder im Ausland die ungarische Revolution noch um Jahrzehnte überlebt haben. Bis in die 1880er Jahre haben sich Hochstapler und Verrückte gelegentlich für ihn ausgegeben. Wundergläubige behaupteten hartnäckig, ihm da und dort begegnet zu sein. Es wurde auch das Gerücht in die Welt gesetzt, Petőfi würde in russischer Gefangenschaft in Sibirien leben.
Das kurze Leben von Sándor Petőfi
1. Januar 1823: Geburt in Kiskőrös
1828–1839: Schulbesuch in Kecskemét, Pest und Aszód
1839–1841: Soldat
1841–1844: Schauspieler in Pápa und Debrecen
1842: Erstes Gedicht
1844: Literarischer Durchbruch in Pest / Hilfsredakteur bei der Zeitschrift Pesti Divatlap (Pester Modeblatt) / Die erzählende Dichtung „Held János“ entsteht in nur sechs Tagen.
1845: Rundreise durch Oberungarn, überall begeistert empfangen
1847: Vermählung mit Júlia Szendrey
1848: Geburt des gemeinsamen Sohnes Zoltán (mit 22 Jahren gestorben) / Petőfi wird an der Spitze der „Pester Jungen” zu einem der geistigen Führer der Märzrevolution / Mitverfasser der „Zwölf Punkte” / Vortrag seines Gedichts Nemzeti dal (Nationallied), das noch am selben Tag gedruckt erschien
1849: In der Schlacht bei Segesvár am 31. Juli gefallen.
Was man von seinem Leben weiß, liegt zwischen der Silvesternacht von 1822, wo er genau um Mitternacht in Kiskőrös zur Welt kam, und dem 31. Juli 1849, seinem spurlosen Verschwinden bei Schäßburg. Sein Vater war ein wohlhabender Metzger, der mit der Zeit immer mehr verarmte. Er bemühte sich nach Kräften, seinem Sohn eine gute Ausbildung zu sichern. So schickte er den Neunjährigen nach Pest zu den Piaristen. Bereits in diesem zarten Alter interessierte sich Petőfi viel mehr für das Theater, als für die Schule. So wurde er aus der verführerischen Hauptstadt in die Kleinstadt Aszód geschickt, allerdings konnte er auch dort die Prüfungen nur mit Müh und Not bestehen. Die Entscheidung des fürsorglichen Vaters erwies sich aber schicksalsträchtig, denn der Jüngling schloss sich dort einer wandernden Schauspieltruppe an, woraufhin der strenge Vater mit ihm brach und ihn ganz sich selbst überließ.
Statist, Soldat und Student
Bald begab er sich zum Pester Nationaltheater, wo er jedoch lediglich eine Statistenstelle bekam. Petőfi fasste nun den Entschluss, Soldat zu werden. Da er aber häufig kränkelte, wurde er im Februar 1841 aus dem Heer entlassen. Petőfi studierte in den Folgejahren Jura, war als Advokatenschreiber tätig, vervielfältigte handgeschriebene Landtagsberichte in Preßburg, verdingte sich als Wanderkomödiant, Übersetzer ausländischer Romane und nicht zuletzt als Hilfsredakteur. In seinen Mußestunden verfasste er Gedichte.
Seine erste Sammlung erschien 1844. Er erhielt für den Band von einer Gesellschaft von Literaturfreunden 150 Gulden an Honorar, es wurden 700 Exemplare abgesetzt. Der Erfolg blieb nicht aus: Petőfi trat in den Kreis der damals führenden ungarischen Schriftsteller als Gleichberechtigter ein, schrieb für Zeitungen und fand für den nächsten Band seiner Gedichte einen gut zahlenden Verleger. Im Herbst 1847 heiratete er gegen den Willen ihres Vaters Júlia Szendrey, die Tochter eines Schlossverwalters.
Freiheitskämpfer
Nach dem Ausbruch des Märzaufstandes von 1848 stürzte sich Petőfi voller Elan in die Bewegung. Die Umwälzungen fanden ihren poetischen Niederschlag in seinen Schlachtenliedern. Er wollte seinem leidenschaftlichen Freiheitsdrang aber nicht nur dichterisch freien Lauf lassen, sondern bewarb sich auch um einen Abgeordnetensitz, scheiterte jedoch brachial.
Während sein Volk zu den Waffen griff, war ihm aber nicht nach seinem Schreibtisch zumute, so eilte er in das Lager des polnischen Generals Josef Bem, der an der Spitze der ungarischen Streitkräfte in Siebenbürgen stand, und stellte sich ihm zur Verfügung. Bem ernannte den Dichter zum Hauptmann, hielt ihn aber vom Schlachtfeld fern. So erledigte er Botengänge.
Bem wollte Petőfi auch am 31. Juli 1849 aus dem Kampfgeschehen heraushalten. Er hatte damit jedoch keinen Erfolg. Der Dichter mischte sich unter die Kämpfenden, wurde zuletzt noch in Schäßburg gesehen und verschwand dann spurlos.
Seine Frau Júlia heiratete noch vor Ablauf des Trauerjahres einen anderen Mann. 1868 starb sie, fast gleichzeitig mit dem einzigen gemeinsamen Sohn, Zoltán.
Petőfis Weg in die Weltliteratur
Petőfis Ruf drang schon früh über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus. Gleich beim Erscheinen der ersten Sammlung seiner Gedichte machten Karl Beck, Adolf Dux sowie andere Deutschungarn in Wiener und reichsdeutschen Blättern auf ihn aufmerksam. So wurde sein Name schon bald auch im Ausland bekannt. Sein internationaler Durchbruch aber beginnt mit der ungarischen Revolution, deren Dichter er war und deren Schlüsselfigur er wurde.
Sein rätselhaftes Ende umgab ihn mit einem mythischen Zauber. Die ungarischen Emigranten, die nach der Niederwerfung des Aufstandes ins Ausland flohen, machten seinen Namen auch international bekannt. Ignaz Schnitzer, Gyula Szekula und Adolf Silberstein lieferten den deutschsprachigen Lesern die ersten künstlerisch hochwertigen Übertragungen von Petőfis Gedichten.
Um Petőfis Platz innerhalb der gesamteuropäischen Dichtung des neunzehnten Jahrhunderts zu bestimmen, hat man ihn oft mit anderen Dichtern seiner Zeit verglichen, u. a. mit Heinrich Heine. Sowohl bei Heine als auch bei Petőfi ist die Ironie eine Gefühlsform, aber die Heinesche ist subtil, die Pefőfische eher derb. Beim Dichter vom Rhein mischt sie sich in die poetisch gesteigerten Stimmungen, bei dem der Puszta bleibt sie selbstständig. Auch der Inhalt der beiden Dichter ist völlig unterschiedlicher Natur. Heines Gedankenwelt umfasst hellenisch klassische, mittelalterlich romantische und modern skeptische Elemente. Die von Petőfi konzentriert sich hingegen ganz auf die Gegenwart. Er will für sich betrachtet werden und aus sich heraus verstanden sein.
Schlicht, wahr und leidenschaftlich
Stets hat er an seiner Bildung gearbeitet, zum Teil autodidaktisch, er konnte in mehreren Sprachen lesen. Die Dichter, die in seinem Zeitalter Europa begeisterten, prägten auch ihn. Doch nicht sehr tief. In seinem Wesen blieb er immer ganz Petőfi, eine tief und stark fühlende lyrische Persönlichkeit.
Seinen Hauptreiz macht seine Echtheit, seine Aufrichtigkeit aus. Alle seine guten Gedichte sind Bekenntnisse, ja fast schon Beichten. Sie bilden eine fortlaufende Autobiografie, die Geschichte seines Lebens, von innen angesehen und empfunden. Pefőfis Gedichte sind schlicht, wahr, leidenschaftlich, oft zerfahren, maßlos in der Freude, aber auch im Schmerz.
Petőfi hat auch Versuche unternommen, sich über die Grenzen seines lyrischen Genies, seiner Subjektivität zu erheben und objektive Kunstwerke zu schaffen. Das volksmärchenhafte Werk „Held János“ ist die ansehnlichste Probe dieses Versuchs, bereits die zeitgenössische Literaturkritik hat ihn hoch eingeschätzt.
Keiner weiß, wie Petőfi sich entwickelt hätte, wenn ihm mehr Leben, Glück und Muße beschieden gewesen wären. Was von ihm real geblieben ist, sind seine über 800 Gedichte und Lieder.
Paradox, aber wahr: Der große Ungar Petőfi hatte wahrscheinlich keinen Tropfen magyarischen Blutes in seinen Adern. Sein Vater hieß Petrovics, war serbischer Abstammung und selbst in einer slowakischen Gegend geboren. Petőfis Mutter war Tochter slowakischer Bauern.
Aber Petőfi, der seinen Familiennamen im 21. Lebensjahr magyarisierte, verbrachte seine Kindheit und frühe Jugend in der Ungarischen Tiefebene, in rein magyarischer Umgebung. Dies wurde für sein Denken und Fühlen entscheidend. Der Vollblutslawe konnte so zur dichterischen Verkörperung des ihm ethnisch völlig fremden Magyarentums werden. Das lyrische Genie ist nun mal eine rein individuelle Gabe, deren allgemeine Bedingungen nicht von der ethnischen Zugehörigkeit, sondern von der Persönlichkeit, und deren konkreter Inhalt einzig von der Umwelt, den subjektiven Eindrücken und Erfahrungen geliefert werden.
Rezeption und Nachwirkung
Petőfis Dichterfreunde, unter anderem János Arany und Mór Jókai, gedachten ihrem viel zu früh von ihnen gegangenen Freund auch literarisch. Der Lyriker Arany beanstandet in seiner Ballade „Die Witwe des Soldaten“ die schnelle Wiederheirat der Witwe, Júlia Szendrey.
Auch Jókai widmete seinem engen Freund eine Ballade, „Des toten Dichters Liebe“. Der unermüdliche Tote findet auch im Grab keine Ruhe und lässt seinen Lieben keine Ruhe. Das Werk wurde später von Franz Liszt vertont. Unter den ungarischen Komponisten wusste vor allem Zoltán Kodály, der neben Musik auch ein Studium in Hungarologie und Germanistik abschloss, die Lyrik und Musikalität von Petőfi zu schätzen und vertonte mehrere seiner Gedichte.
Die Autorin ist Literatur- und Pressehistorikerin mit dem Schwerpunkt deutsch-ungarische Kulturbeziehungen im 19. Jahrhundert.