Autorenlesung mit Ernst Gelegs
„Aus dem Leben eines Soldaten“
Am 10. April lud das Österreichische Kulturforum zur Buchpräsentation von „Liebe Mama, ich lebe noch!“ ins Magvető Café in der Dohány utca ein. Autor ist der ORF-Korrespondent für Osteuropa, Ernst Gelegs. Im Gespräch mit Prof. Dr. Georg Kastner stellte er sein Buch dem zahlreich erschienenen Publikum vor.
Das Werk behandelt das Leben eines Wiener Soldaten, der seiner Mutter und Schwester Briefe über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg schreibt. Dabei skizziert Ernst Gelegs die Schriftdokumente in einem spannenden und informativen zeitgeschichtlichen Kontext. Professor Kastner hat das Buch bereits zweimal gelesen. „Wer sich fragt, wie der Krieg war, muss nur dieses Buch lesen“, warb er vor dem Publikum.
Ein Stück Zeitgeschichte
100 Briefe und Postkarten von 1933 bis 1944 hat der Soldat Leonhard Wohlschläger an seine Mutter Käthe Mahr und seine Schwester Johanna „Jetty“ Wohlschläger verfasst und damit ein Stück Zeitgeschichte geschaffen. 2005 hat Gelegs die Dokumente auf dem Dachboden der verstorbenen „Jetty“ – ihm als „Tante Hansi“ bekannt – entdeckt. Diese hatte der Mutter des Autors ihre Hinterlassenschaften vermacht, darunter die Briefe ihres Bruders, die sie in einer Kiste aufbewahrte. Jahre sollten jedoch vergehen, bis Ernst Gelegs die Zeitdokumente zu „Liebe Mama, ich lebe noch!“ aufgearbeitet hatte.
Zu Beginn der Buchpräsentation stellte sich Ernst Gelegs scherzhaft als „Auslandskorrespondent des ehemaligen Habsburger Reiches“ vor. Denn Gelegs berichtet seit 1999 aus dem ORF-Büro in Budapest über Ungarn, die Slowakei, Tschechien, Polen, Rumänien, Moldawien und Griechenland. Im gemütlichen und trotzdem schicken Magvető Café erzählte Gelegs vom Leben des Lebemanns und Soldaten, Leonhard Wohlschläger. Professor Georg Kastner vom Lehrstuhl für Mitteleuropäische Geschichte der Andrássy Universität Budapest moderierte die Buchlesung.
Das Buch ist hochwertig aufgemacht. So ist der Titel in der Originalhandschrift des Soldaten gehalten, außerdem sind Originalbriefe und Postkarten abgedruckt. Man merkt, dass dieses Buch ein Herzensprojekt des Autors ist. Dieser dankte in der Buchlesung seiner Frau für die Buchidee und die stundenlange Transkription der Schriftstücke. Gelegs war es wichtig, die Briefe in einen allgemeinen Bezug zu stellen. So besticht das Buch mit Wissen, wie es auch in Geschichtsbüchern über den Zweiten Weltkrieg zu finden ist, sowie den subjektiven Einblicken und Gefühlen eines Frontsoldaten.
Vom Hallodri zum Mann
Spannender als die geschilderten Kriegserlebnisse ist die Tatsache, dass das Buch eine Art „Coming of Age“-Geschichte ist. Leonhard Wohlschläger ist zu Beginn der Briefe Ende Zwanzig und ein Lebemann, wie er im Buche steht. Er genießt sein Leben in vollen Zügen und hat dabei keine Probleme, das Geld anderer Leute auszugeben. Mit seiner adretten Art und dem guten Ruf seines Vaters – Jakob Wohlschläger war ein bedeutender Wiener Baumeister – ist es ihm ein Leichtes, Menschen von sich zu überzeugen und auszunutzen.
„Der Krieg hat ihn erwachsen gemacht“, bemerkt Ernst Gelegs. Den Einsatz an der Westfront bezeichnet Leonhard in einem Brief noch als „Urlaub, bezahlt durch das Reich“. Doch die Ostfront ist für ihn ein „riesen Schock“. Wahrscheinlich um das eigene Töten zu rechtfertigen und zu verarbeiten, lässt sich der junge Soldat von der Nazi-Propaganda einnehmen. Das geht aus einigen Briefen deutlich hervor. „Sei stolz, dass auch du deinen Sohn im Osten hast!“, schreibt er seiner Mutter, als hätte es ihm Reichspropagandaminister Joseph Goebbels diktiert.
Besonders interessant sind die zeitgeschichtlichen Nebenstränge des Buches. Gelegs erwähnt das „Mitläufer“ Leonhard Wohlschläger in der gleichen Kaserne stationiert wurde wie Franz Jägerstetter. Dieser wurde kurze Zeit später wegen Kriegsverweigerung gehängt und 2007 von Papst Benedikt XVI. seliggesprochen. Gelegs fasst diesen Umstand so zusammen: „Nicht jeder kann ein Held sein!“
„Leonhard ist ein Glückskind!“
Das Glück und Geschick eines Schlawiners sollte ihn meist auch zu Kriegszeiten ereilen. „Leonhard weiß seine Ellbogen einzusetzen“, sagte der Autor bei der Buchvorstellung. Verwundet wird er nie, glückliche „Fronturlaubsplanung“ rettet ihn 1942 vor dem Tod an der russischen Ostfront. Verändert hat ihn die Kriegszeit aber allemal. Ernst Gelegs schreibt über seinen Protagonisten: „Leonhard war ein Kind seiner Zeit.“ Gelegs selbst war der „Hallodri“ Leonhard zunächst recht unsympathisch. Doch durch den persönlichen Einblick konnte der ORF-Korrespondent nicht anders, als sich in den Soldaten hineinzuversetzen.
In der Diskussionsrunde wich Gelegs der einen oder anderen gestellten Frage aus, um nicht zu viel über die Erlebnisse des Leonhard Wohlschlägers zu verraten. Wer wissen will, wie es „dem Leonhard ergeht“, muss die 208 Seiten des Buches selber lesen. Einige nutzten die Möglichkeit, das Buch nach der Präsentation zu kaufen und vom Autor signieren zu lassen.
„Liebe Mama, ich lebe noch! – Die Briefe des Frontsoldaten Leonhard Wohlschläger“
Von Ernst Gelegs
Wiener Verlag Kremayr & Scheriau
ISBN 978-3-218-01161-7
Hardcover mit Schutzumschlag: 22 Euro