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Rezension: David Engels „Was tun?“

An die letzten Abendländer

David Engels blickt auf eine Zivilisation im freien Fall. Schon in seinem Buch „Auf dem Weg ins Imperium“ berichtete er ausführlich über den bevorstehenden „Untergang des Abendlandes“.

Das heutige Europa befinde sich – ähnlich wie die Römische Republik – an einem Punkt seiner Geschichte, da es sich über seine unmittelbar bevorstehende Zukunft keine allzu großen Hoffnungen machen dürfe. In „Was tun?“ geht es nun darum, dem langsamen Niedergang der abendländischen Gesellschaft auch auf persönlicher Ebene zu begegnen.

„Heute haben wir seit langem den Punkt überschritten“, schreibt Engels, „an dem noch eine Umkehr möglich gewesen wäre“. In Trauer über unser kollektives Versagen bliebe uns nichts anderes übrig, als auf den Zusammenbruch zu warten, der jeden Tag durch Phänomene wie Arbeitslosigkeit, vermeintlich alternativloses „gutmenschliches“ Denken, die Diktatur der Märkte, den Abbau demokratischer Strukturen zugunsten undurchsichtiger internationaler Institutionen und „die Ersetzung der alternden Bevölkerung des Westens durch den systematischen Import von Menschen aus fremden Kulturräumen“ beschleunigt werde.

Als europäischer Patriot warnt Engels vor einer Kettenreaktion, die den Teufelskreis von Rezension, Austerität, Verarmung, städtischer Gewalt, interethnischen Ressentiments, Populismus und Abbau der europäischen Solidarität in Gang setzen und ein Zeitalter allgemeiner Misere einleiten könnte.

„Wie kann man angesichts des Niedergangs das Überleben und die Würde der eigenen Person, Familie und Werte sichern?“, fragt der Autor. Während er sich in „Auf dem Weg ins Imperium“ auf Oswald Spengler und dessen Sicht auf einen zyklischen Verlauf der Zivilisationen berief, erweist sich Engels in „Was tun?“ als ein später Schüler Friedrich Nietzsches und dessen bedingungslosem „Ja“ zu sich selbst.

Werde, der du bist!

In einer Zeit, da im Westen der Druck immer stärker wird, sich einem linksliberalen Konformismus zu beugen, rät Engels dazu, sich auf den Weg zu sich selbst zu begeben – „selbst wenn die Versöhnung mit dem eignen echten Ich bedeutet, sich mit dem Rest der Menschheit zu überwerfen“.

Ganz offensichtlich weiß der Autor ganz genau, wovon er spricht. In seinem Nachwort berichtet der belgische Althistoriker, wie er durch die unerschrockene Veröffentlichung seines ursprünglich auf Französisch veröffentlichten Buches über den zu erwartenden Niedergang Europas „in die Mitte einer vergifteten politischen Debatte“ geschleudert worden sei. Die Art seiner Analysen sei nicht nur auf Widerstand und Feindseligkeiten gestoßen, er habe in seinem unmittelbaren beruflichen Umfeld „mit teilweise sehr schmerzhaften Konsequenzen leben müssen“ – für sich selbst ebenso wie für diejenigen, die mit ihm zusammenarbeiteten.

In Wikipedia liest man lediglich, dass er von seinem Brüsseler Lehrstuhl freigestellt worden sei. In „Was tun?“ schreibt er: „Ich wollte, nein, ich musste zunächst eine Lösung finden, um mich selbst aus dem vergifteten Umfeld zivilisatorischen Niedergangs und bewusster Selbstzerstörung unserer Kultur zu befreien.“

„Welchen Wert kann ein Leben schon haben, das dauerhaft auf der herab­lassenden Duldung und der Angst vor dem scheelen Blick der anderen beruht?“, fragt er. So begibt er sich auf den Weg zu sich selbst, auch wenn er dafür einen hohen Preis zahlen muss.

Ist es das wirklich wert, wird man sich fragen? Wie sehr muss man sich selbst achten, dass man gewillt ist, bittere Einsamkeit zu erdulden? Was hat es mit diesem Ich auf sich, dem Engels auf Gedeih und Verderb die Treue geschworen hat?

Im Bewusstsein der geistigen Individualität

Engels verweist völlig zurecht dar­auf, dass sich der westliche Mensch nur noch über seinen Körper definiere und somit jegliche transzendente Perspektive verloren habe, eine Konsequenz der allgemein vorherrschenden materialistischen Weltsicht. Engels selbst betrachtet den Körper dagegen „als ein bloßes Werkzeug unseres höheren Selbst“. Der Körper habe dem Geist „zur Verwirklichung der Lebensaufgabe dessen zu dienen, was gemeinhin als Seele bezeichnet wird“ – also jenes unsterblichen Teils unseres Wesens, „das nur ein Funke, ein Abbild jener höheren Entität ist, welche in den verschiedensten Religionen und Philosophien mit den unterschiedlichsten Namen bezeichnet wurde“.

Der Körper ist also kein Selbstzweck, dessen sinnlicher Natur wir uns unbewusst hingeben sollten. Engels zufolge erfüllt er nur dann seine Aufgabe, wenn er dem Menschen den „Weg zur Entfaltung seines transzendenten Selbst ermöglicht“. Man wird also die Schriften und den Lebensweg von David Engels nur dann richtig einschätzen können, wenn man sich dessen Selbstverständnis als eines Menschen vor Augen führt, der sich seiner eigenen seelisch-geistigen Natur bewusst wird.

Wer aber in sich selbst zur geistigen Individualität findet, unseren ewigen, schöpferischen Wesenskern, der erkennt diesen auch in seinen Mitmenschen. So ist es nur folgerichtig, wenn Engels die zwischenmenschlichen Beziehungen auf Basis des Respekts für die Individualität des anderen neubegründen möchte. Er ist sich dessen bewusst, dass eigentlich nur „die fundamentale Achtung vor sich selbst ebenso wie vor den Grenzen, welche die Wirklichkeit uns setzt, auch die Achtung anderer garantieren kann“.

Es handelt sich um einen Individualismus, der weder mit Egozentrismus noch mit Narzissmus etwa zu tun hat, weil er auf der „Bewunderung für den eigenen inneren Reichtum gründet“, der uns eben diesen Reichtum, der auf der geistigen Natur des Menschen beruht, bei jedem einzelnen Menschen erleben lässt.

Es zeigt den fundamentalen Unterschied zur Hegemonie des heutigen Materialismus, der das Abendland seinem Untergang entgegenführt. Sollte Europa wie einst Rom nach dem Untergang der Republik wiederauferstehen, so wird es wohl nur geschehen, weil die Europäer ihr spirituelles Erbe neu entdecken – „auch die innere Vielfalt unserer tausendjährigen europäischen Kultur“, wie Engels schreibt – und immer mehr Menschen zum Bewusstsein ihres wahren Selbsts zurückfinden.

Eine Familie gründen

„Was tun?“ ist nun für jene Menschen geschrieben, die er – wie es im Vorwort von Simon Wunder, dem Leiter des Renovatio-Instituts steht – „die letzten Abendländer“ nennt. „Diese“, so Wunder, „werden die Aufgabe haben, das abendländische Erbe während der Zeit der bevorstehenden Verwerfungen zu bewahren, damit es sich zu gegebener Zeit neu entfalten kann“. Menschen, die sich selbst als „Teil der fortlaufenden Kette von Geben und Entgegennehmen sehen“ und aus Liebe und Verantwortung für wertvolle Güter handeln, die allzu leicht verloren gehen oder zerstört werden könnten.

Was rät Engels nun diesen letzten Wächtern des europäischen Erbes ganz konkret? Unter anderem zur Gründung einer Familie. „Zu einer Zeit, in der wir überall nur von der historischen ‚Schuld‘ des abendländischen Menschen reden hören, viele Bürger sich dafür entscheiden, lieber Kinder zu adoptieren als zu zeugen, und die demographische Selbstzerstörung des Westens die Ausmaße eines kollektiven Selbstmordes erreicht hat“, so Engels, „bedeutet die Gründung einer Familie fast schon einen Akt des Widerstands, der ebenso rebellisch und revolutionär ist, wie es die „freie“ Liebe einst gewesen sein mochte.

„Wie kann man angesichts des Niedergangs das Überleben und die Würde der eigenen Person, Familie und Werte sichern?“

Dabei sei die Gründung einer Familie auch ein politisches Symbol, das klar besagt: „Wir haben das Recht zu leben; wir beanspruchen den Boden unserer Vorfahren als den unseren; wir glauben an unsere Zukunft; wir geben den Kampf um unsere Rechte und das Fortbestehen unserer Art zu leben, zu denken und zu fühlen nicht auf!“

Gründung einer neuen Zivilgesellschaft

Während sich Europa zunehmend „von einem gesellschaftlich wie kulturell weitgehend homogenen Ganzen in die bloße Summe unzähliger, einander immer häufiger feindlich gegenüberstehender religiöser, ethnischer oder weltanschaulicher Gruppen wandelt“, während wir, zumindest im Westen, die traurige Realität akzeptieren müssten, in unserer eigenen Heimat zur Minderheit geworden zu sein, müssten wir auf unserem Recht bestehen, „gemäß unserer eigenen Traditionen, unserer eigenen Geschichte, unseres eigenen Glaubens zu leben“, so Engels. Dazu sollten wir verstärkt unsere eigenen Netzwerke schaffen, „um mit den anderen konkurrieren zu können“.

Solidarität, Treue, Ehrlichkeit und Ehrfurcht vor dem geistigen wie materiellen Erbe, das unsere Geschichte uns zur Pflege hinterlassen hat, sind dabei die Grundpfeiler von Zellen einer neu zu begründenden Zivilgesellschaft.

Ex oriente lux

Es geht Engels also nicht darum, ein weiteres Museum zu gründen, hier sollen keine Gemälde oder Bücher gerettet werden, sondern die Bedingungen für den Geist, der sie hervorgebracht hat. Es geht ihm also um den Erhalt einer bestimmten Lebensweise, um das Überleben des abendländischen Geistes, der europäischen Zivilisation als solche, um sie in eine Zeit zu retten, da sie zu neuem Leben erblühen wird. In 24 Kapiteln weist er den Weg zu diesem Ziele – 24 Kapitel mit Titeln wie „Sich mit Schönheit umgeben“, „Tolerant sein – aber nicht selbstmörderisch“ oder „Europa zurückerobern“.

Das Nachwort zu „Was tun?“ hat Engels in Polen geschrieben. 2018 folgte er dem Ruf auf eine Forschungsprofessur am Instytut Zachodni in Posen, wo er verantwortlich ist für Fragen abendländischer Geistesgeschichte, europäischer Identität und polnisch-westeuropäischer Beziehungen.

In Gedanken an seine neue mitteleuropäische Heimat, „dieser letzten Bastion des traditionellen Abendlandes“, schreibt er: „Wenn die Flamme nicht hier im Osten, wo sie mit ihrem letzten Schein lodert, um jeden Preis verteidigt wird, wird sie wohl bald endgültig verlöschen. Doch wer weiß, ob nach dem rasch nahenden inneren Zusammensturz der abendländischen Gesellschaft der Westen nicht aus dem Osten die Anregung erhalten wird, erneut an seine Vergangenheit anzuknüpfen?“

Von hier aus ruft er seine Leser dazu auf, „ihrem Glauben an die Ehre, die Familie, das Göttliche – und ihrer Liebe zum Abendland treu zu bleiben“.

„Was tun?“ ist eine sehr gelungene und äußerst persönlich verfasste „Handreichung für die letzten Abendländer“, die sich – allen Widerständen zum Trotz – individuell auf den Weg begeben und sich, aus Liebe zum gemeinsamen Erbe, finden und zusammentun, um diese wunderbare Zivilisation in eine neue Zeit hinüberzuretten.

David Engels: „Was tun? Leben mit dem Niedergang Europas“
gebunden, Renovamen Verlag, 4. Auflage (31. Oktober 2020), 248 Seiten, 16 Euro

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