Ungarn als internationales Debattenforum
Auf dem Weg zum Zentrum konservativen europäischen Denkens
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Am 8. Juli findet eine von der ungarischen Regierung organisierte Konferenz zur Zukunft Europas statt: „Europe uncensored“, also „unzensiert“. Nicht in Budapest, sondern in den Zeiten der Coronavirus-Krise gezwungenermaßen online. Teilnehmer: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic, Sloweniens Ministerpräsident Janez Jansa, Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und der junge französische, konservative Philosoph und Europapolitiker Francois-Xavier Bellamy. Begründung für den Titel der Konferenz: Diese Politiker betrachten es als fast unmöglich, ihre Standpunkte „ungefiltert“ über die traditionellen Medien an die Öffentlichkeit zu tragen.
Traditionelle ungarische Präsenz in der Region
Es ist eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Veranstaltung. Zum einen ist sie Ausdruck der engen Bündnisse, die die Regierung von Viktor Orbán in den letzten Jahren mit den Regierungsparteien in Serbien und Slowenien aufgebaut hat. In dieser Region Präsenz zu zeigen, ist eine Tradition der ungarischen Politik bereits seit dem Mittelalter. Mit Jansa und seiner Partei, der SDS, geht die Freundschaft sogar so weit, dass die SDS wohl gemeinsam mit Ungarns Regierungspartei Fidesz aus der europäischen Parteienfamilie EVP austreten würde, wenn die EVP ihre Beziehungen mit dem Fidesz nicht wieder normalisiert. Ungarn unterstützt massiv den EU-Beitrittswunsch Serbiens und überhaupt des Westbalkans.
Mit der Teilnahme von Bellamy demonstriert Ungarn zugleich aber auch seine Verbundenheit mit Frankreichs Konservativen, den Republikanern – und diese ihre Verbundenheit mit dem Fidesz. Das kann in der europäischen Politik bald sehr wichtig werden, wenn sich der Popularitätsverlust des liberalen französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und das Erstarken der Republikaner fortsetzt. Macron hat gerade bei den Kommunalwahlen eine schwere Schlappe erlitten.
Aber Bellamy ist eben auch Philosoph, und hier, an der Schnittstelle zwischen Intellekt und Politik, versucht Orbán schon seit Jahren den Hebel anzusetzen, und Ungarn zu einem Debattenforum zu machen für die Zukunft Europas und des Westens. Er hat verstanden, dass die gegenwärtige Dominanz liberalen Denkens in Europa nicht in der Politik begann, sondern im vorpolitischen Raum, in den Debatten an den Universitäten, in den Medien sowie in den Schulen. Diesen vorpolitischen Raum will er für das konservative Denken in Europa zurückerobern. Oder zumindest dazu beitragen.
Sicherer Hafen für konservatives Denken
Und so arbeitet Ungarns Regierung schon seit einigen Jahren daran, eine Art „sicheren Hafen” für konservatives Denken zu schaffen, eine Plattform, auf der konservative Denker und Politiker unbehelligt ihre Ideen in die Welt tragen können. Dazu gehören Konferenzen wie der jährliche „Demografie-Gipfel“ (seit drei Jahren), um auszuführen, dass mehr Kinder und nicht mehr Migranten die Antwort auf das drängendste Problem der europäischen Zivilisation sind.
Da sollen Pflöcke eingeschlagen werden in der Debatte um die Werte des Westens: Stärkung der klassischen Familie, Klimaschutz als konservatives Ur-Anliegen, die Bedeutung gesellschaftlichen Zusammenhalts statt liberalem Individualismus, eine lenkende Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik statt reinem Wirtschaftsliberalismus.
Zentrales Element dieser Denkschule ist nicht etwa ein „osteuropäisches“ oder ostmitteleuropäisches Narrativ. Orbáns intellektuelle Inspiration stammt nicht von autoritären Figuren aus der ungarischen Geschichte, wie es die Opposition oft suggeriert, also nicht von Horthy oder Kádár, sondern von Helmut Kohl, Margaret Thatcher, Ronald Reagan und allgemein westlichen, vor allem angelsächsischen konservativen Intellektuellen.
„Moderne Retraditionalisierung“
So sprach auf der Demografie-Konferenz 2019 der einstige Berater des britischen Ex-Premiers David Cameron, Philip Blond. Er machte „liberale Werte“ für die Geburtenkrise des Westens verantwortlich und empfahl eine „moderne Retraditionalisierung“ der Gesellschaft: „Das „unliberalste“, was man tun kann, ist, ein Kind in die Welt zu setzen. Denn das ist etwas, was man nicht aus Egoismus tut.“ Das liberale Wertesystem setze hingegen eine egoistische Selbstoptimierung des Individuums über alles. Eine konservative Werte-Revolution sei daher nötig, um aus der Krise zu kommen.
Der einstige Thatcher-Berater John O’Sullivan ist mit dem von ihm geführten „Danube Institute“ die zentrale Anlaufstelle für interessante Debatten mit konservativen Persönlichkeiten aus der angelsächsischen Welt. Dass es so etwas überhaupt gibt – ein zutiefst britisches Institut für politische Debatten in Budapest –, sagt viel über Orbáns Hochachtung für die intellektuellen Traditionen insbesondere Englands.
Auch der britische Historiker und Thatcher-Berater Norman Stone verbrachte seine letzten Jahre (bis zu seinem Tod am 18. Juni vergangenen Jahres) in Budapest. Er sprach dort auf zahlreichen Konferenzen und Podiumsdiskussionen und schrieb sogar ein Buch über Ungarn. Der Gedenkgottesdienst für ihn in der reformierten Kirche am Deák tér wurde zu einem Who’s Who der britischen Geschichtsschreibung, mit Würdigungen unter anderem von Neill Ferguson (ebenfalls ein immer hochgeschätzter Gast in Budapest). Orbán persönlich gab Stone das letzte Geleit. Als junger Mann war er für eine kurze Zeit Stone’s Student in Oxford gewesen. Auch der britische Historiker Michael O’Sullivan und Australiens Ex-Botschafter und ehemaliger konservativer australischer Politikberater Mark Higgie gehören zum Mikrokosmos angelsächsischer Persönlichkeiten, die dauerhaft in Budapest ihre Zelte aufgeschlagen haben.
Neben dem Danube Institute hat mittlerweile auch das Matthias Corvinus Collegium angefangen, Konferenzen mit Denkern vor allem aus der englischsprachigen Welt zu organisieren, die MCC Budapest Lectures. Etwa zu Themen wie „Was ist christlich an der Christdemokratie“ oder die „Zukunft der Demokratie”. Zu letzterem Thema beispielsweise waren unter anderen der US-Forscher Shawn Rosenberg (seine These: Der Mensch ist nicht gemacht für liberale Demokratie) und der Journalist Rick Shenkman eingeladen.
Ein anderer Nexus für solche Konferenzen ist das von Mária Schmidt geleitete Institut des 21. Jahrhunderts, wo unter anderen der in England tätige, ungarisch-stämmige Soziologe Frank Füredi zuweilen spricht und schreibt.
Kraftvektor der Politik ändern
Das MCC und das Danube Institute sollen in den nächsten Jahren ihre Aktivitäten noch deutlich ausweiten. Für Orbán, der viel liest, ist der „Geist“ ein integraler Bestandteil des politischen Schlachtfeldes. „Der Geist steht links“ – diesen Spruch über die Dominanz linken und liberalen Denkens in der westlichen Kultur erkennt er als einen wesentlichen Kraftvektor der Politik, den es zu ändern gilt. Jürgen Habermas hat er einmal „gefährlich“ genannt.
Kultur ist für ihn aber auch die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft. „Die Kultur ist die schaffende und erhaltende Kraft, ohne die nicht nur ein Überleben, sondern das Leben selbst unmöglich ist”, sagte er am 23. Juni auf der Beerdigung von György Fekete, dem Ehrenpräsidenten der Ungarischen Kunstakademie.
Noch eine Geistesgröße, der Orbán das letzte Geleit gab. Auf wie vielen Beerdigungen großer Denker oder Künstler sind westliche Regierungschefs zugegen?
“Der Geist steht links.” Ich würde sagen, er liegt, stehen wäre zu anstrengend, vor allem, wenn er links wäre.
Die Dominanz linken Denkens muss erst mal bewiesen werden. Ich kenne das hohle Narrativ. Linke bauen nix auf, habe linke Hände und Füße. Sie haben ein ideologisches Korsett und sind beleidigt, wenn Sozialismus und was danach kommt zum Gulag wird. Echte Linke sind illiberal, antiliberal.
Der Linke Furor hat Millionen Tote produziert und ganze Staaten verwüstet. 1990 war für Ungarn der Moment, wo sie den linken Geist verfluchen durften und mussten dabei feststellen, dass sie vier Jahrzehnte verloren hatten. Wie hohl Linke sind, kann man in Berlin heute erleben.
Besser steht man über Linken und Rechten.
Über intellektuelle Diskussionen gibt es in Deutschland kein Forum. Die wenige aus Politik, Journalismus oder Wissenschaftler die fundierte WISSEN haben und ihre unabhängige Meinung vertreten, wurden entweder in die NAZIECKE gestellt, aus ihren Posten entfernt oder sie sich selbst in innere Exil gegangen.
Die deutsche Christdemokraten ( zugespitzt) sind mittelweile weder Christen, noch Demokraten.
Ich glaube schon – ob man Orban persönlich mag oder nicht – unter den EU Staatschefs er ist wohl intellektuell er hat am meisten Substanz, fundiertes Wissen und feste Überzeugung.
Herzlichen Dank, dass die BZ über Kongresse und Diskussionen über Konservatismus berichtet.
Falls öffentliche Podiumsdiskussionen oder Kongresse gibt, ich schicke die LINKS alle meine deutsche Freunde und bekannten.