Skandal
Der politische Direktor des Ministerpräsidenten, Balázs Orbán (l.), äußerte sich in diesem Interview für Mandiner widersprüchlich zu Ukraine-Krieg und 1956. Foto: Screenshot/ youtube-Mandiner

Skandal um Regierungspolitiker

Missglückter historischer Vergleich

„Ungarn verteidigt sich zu jeder Zeit! Unsere Helden von 1956 sind heilig und unantastbar!“ Mit diesen Worten versuchte der Ministerpräsident am Freitag geradezubiegen, was sein politischer Direktor in einem Live-Interview mit einer missverständlichen Erklärung zum Ukraine-Krieg angerichtet hatte. Die Opposition fordert derweil den Rücktritt von Balázs Orbán.
Balázs Orbán sorgte mit diesen Worten für Verwirrung und Aufruhr: „Eben wegen 1956 hätten wir uns vermutlich anders verhalten, als Präsident Selenskyj vor zweieinhalb Jahren.“ Foto: Screenshot/ youtube-Mandiner

Ministerpräsident Viktor Orbán bezeichnete es als „Fehler“, dass sein politischer Direktor, (Namensvetter) Balázs Orbán in einem Interview unklar formulierte, wie sich Ungarn 1956 (und heute) gegenüber Russland hätte verhalten sollen. Im Kossuth-Radio, das den Ministerpräsidenten zur Gemeinsamen Regierungssitzung mit Nord-Mazedonien nach Ohrid begleitete, stellte Viktor Orbán klar: „Ungarn verteidigt sich zu jeder Zeit, so wie es dies immer getan hat und auch in Zukunft tun wird, und wie es im Übrigen die ungarische Verfassung für jeden einzelnen Ungarn verpflichtend vorschreibt!“

Ministerpräsident Viktor Orbán im Kossuth-Radio: „Ohne die Helden von 1956 gäbe es unsere politische Gemeinschaft nicht.“ Foto: Ministerpräsidentenamt/ Vivien Cher Benko

Den Fehler eingestanden

Bis zu den Präsidentschaftswahlen in den USA im November werde der Schlagabtausch zwischen den Lagern der Kriegsbefürworter und der Friedensanhänger in Ungarn und global weiter an Schärfe zunehmen. So lässt sich erklären, dass die Linksliberalen in diese Debatte die Frage der Revolution und des Freiheitskampfes von 1956 hineinzumengen versuchen. Sein politischer Direktor habe einen Fehler begangen, dass er in diesen heiklen Fragen nicht exakte Worte fand.

„Wir, die wir als politische Gemeinschaft auf dem Boden von 1956 stehen, dürfen keine Zweifel an unserer Position zulassen. Ohne die Helden von 1956 gäbe es uns nicht“, stellte der Ministerpräsident klar, der nicht möchte, dass sich der Schatten des ukrainisch-russischen Krieges auf das Gedenken der Freiheitskämpfer von 1956 legt.

Aber was hat Balázs Orbán denn gesagt?

Der politische Direktor des Ministerpräsidenten sagte in einem Podcast mit dem konservativen Wochenblatt Mandiner über den Ukraine-Krieg, dieser hätte erst gar nicht anfangen dürfen bzw. auf diplomatischem Wege so schnell wie möglich beendet werden müssen. Balázs Orbán zufolge sei der Standpunkt Ungarns klar und eindeutig: Man sieht keinen Sinn in dem seit mehr als zweieinhalb Jahren tobenden ukrainisch-russischen Krieg, in dem mehrere hunderttausend Menschen umgekommen sind, während die Ukraine mehrere 100.000 Quadratkilometer  ihres Territoriums verlor und das Land zerstört wurde. „Wofür das alles?“ – stellte er im Podcast die Frage und gab sogleich die Antwort: „Für nichts und wieder nichts.“

In dem Interview ging es um Kritiken von Seiten der USA (und ihres Botschafters David Pressman) an Ungarns Friedenshaltung im Ukraine-Krieg, die man gerade im Kontext von 1956 nicht verstehen könne. Diese Position erläuternd sagte Balázs Orbán: „Eben wegen 1956 hätten wir uns vermutlich anders verhalten, als sich Präsident Wolodymyr Selenskyj vor zweieinhalb Jahren verhielt. Das war unverantwortlich, denn er drängte sein Land in einen Krieg zur Verteidigung seines Landes, mit so vielen Toten und Gebietsverlusten… Wir hätten ihm wegen unserer Erfahrungen aus 1956 wahrscheinlich geraten, vorsichtiger umzugehen mit den Menschenleben.“

Breitseiten von der Opposition

Diese Sätze sorgten für einen Sturm der Entrüstung, praktisch alle Oppositionsparteien bezogen Stellung. Allgemein machte die Deutung die Runde, Ungarn würde sich nicht gegen eine russische Aggression verteidigen bzw. hätte dies an Stelle der Ukraine nicht getan. Die Sozialisten bezeichneten Balázs Orbán sogleich als „Landesverräter“ und forderten seinen Rücktritt, was die grüne LMP mit vorsichtiger gewählten Worten ebenfalls vorschlug. Die MSZP wollte wissen, wenn der Fidesz das Land der „Putin-Armee“ kampflos überlässt, warum müssen dann schwere Milliardenbeträge in die Modernisierung der Armee fließen? LMP-Chef Péter Ungár fragte provokant, wie viele Städte und Komitate man den Russen denn anbieten wolle?!

Die liberale Momentum wandte sich an den Verteidigungsminister, der erklären sollte, ob die bewaffneten Kräfte des Landes bereit wären, Ungarn gegen einen Angriff der Russen zu verteidigen. Der Parteivorsitzende Márton Tompos sieht das Gedenken an sämtliche ungarischen Freiheitskämpfer erniedrigt, seien es die 1848er oder die von 1956. Obendrein nehme der politische Direktor die Vorstöße der russischen Aggression als „Resultat“ zur Kenntnis.

Die rechte Mi Hazánk warf dem politischen Direktor ein „wirres“ Reden vor. Parteichef László Toroczkai schrieb in einer offiziellen Stellungnahme: „Gerade die Helden von 1956 haben uns gelehrt, Ungarns Unabhängigkeit gegen jeden Angriff von außen zu verteidigen! Es steht auf einem anderen Blatt Papier, dass unsere Souveränität heute nicht von Russland, sondern von Seiten der USA und Brüssels bedroht wird.“

Für Péter Magyar von der Tisza-Partei habe Balázs Orbán mit seinen empörenden Formulierungen alle Grenzen überschritten. Der politische Direktor des Ministerpräsidenten habe die Grundfesten der ungarischen Verfassungsmäßigkeit und Unabhängigkeit mit Füßen getreten – noch vor dem Revolutionsfeiertag des 23. Oktober müsse er aus dem öffentlichen Leben verschwinden.

Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány zeigte sich als Analytiker, der die Sätze des Fidesz-Politikers gleich dahingehend deutete, die Orbán-Regierung wolle Ungarn den Russen ohne jeden Widerstand übergeben. „Demnach betrachtet die Orbán-Regierung Ungarn seelisch und nunmehr auch physisch als Satellitenstaat Russlands. Diese Regierung hat Ungarn verkauft, verraten.“ Alle Patrioten hätten nun nicht nur die Möglichkeit, sie hätten die verdammte Pflicht, diese Politik zur Hölle zu schicken.

Beobachter sehen kapitales Eigentor

Mehrere Politologen nahmen Balázs Orbán in Schutz, der einfach die falschen Worte gewählt habe. Niemand könne ernsthaft glauben wollen, Ungarn ergebe sich den Russen kampflos und propagiere das auch noch. Nun aber verteidige sich der politische Direktor vergeblich mit dem Hinweis, sein Kernsatz handelte davon, dass dieser Krieg (in der Ukraine) 2022 erst gar nicht hätte ausbrechen dürfen. Und dass die Ukrainer mit einer diplomatischen Lösung, die gleich zu Beginn durchaus machbar schien, viel besser gefahren wären.

Der Politologe Gábor Török sprach derweil von einem kapitalen Fehler und einem Eigentor. „Profi-Politiker begehen nur selten dermaßen krasse Fehler.“ Török erinnerte an den Spitzenkandidaten des breiten Oppositionsbündnisses, der im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen 2022 erklärte, wenn die NATO rufe, würde Ungarn seine Soldaten zur Unterstützung der Ukraine in den Krieg schicken. Selbst wenn man Argumente finden kann, sich mit ungleich stärkeren Rivalen nicht anzulegen, sei die jetzige Aussage von Balázs Orbán ein politisches Unding. Das treffe potenziert für jenes politische Lager zu, das seine Identität aus der nationalen Souveränität und den Freiheitskämpfen der Ungarn ableite.

Ein Gedanke zu “Missglückter historischer Vergleich

  1. Orban hat sich nicht DRUCKFREI ausgedrückt.
    Was man aus diesen Interview gemacht wird, ist unter aller Sau.
    Schon westliche Zeitungen schreiben, dass die ukrainische Soldaten Durchschnittalter über 45 Jahre ist, die Rekruten überleben nur noch einige Tagen. Es gibt etwa 30.000.000 Ukrainer, nach der Auflösung der SU gab es über 51.000.000. In 2022 war die Ukrainische Armee die 18. in der Welt, jetzt 15. (Deutschland 20.) Also trotz immense Hilfe stark zurückgefallen.
    Die USA hatten Ungarn in 1956 NICHT geholfen. Sogar sie wollten weder die SU nicht die Kadar Regierung zu Mäßigung gegen die Revolutionäre “zwingen”. Ukraine wird auch, wie Afghanistan, wie einen heißen Kartoffeln weggeworfen, wenn sie gegen China wenden.
    Biden ” so lange, wie nötig” bedeutet nicht anders, als so lange bis nötig für die USA.

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