Dieses Foto zeigt den Anwalt im Oktober 2023. Foto: Facebook/ Dániel Karsai

Nachruf

Sein Kampf war nicht umsonst

Der Rechtsanwalt und Verfassungsjurist Dániel Karsai ist im Alter von 48 Jahren nach langer und schwerer Krankheit gestorben. Vor einem Jahr wandte er sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, da das vollständige Verbot Ungarns, Entscheidungen über das Lebensende zu treffen, seiner Meinung nach grundlegende Menschenrechte verletze.
30. September 2024 11:05

Dániel Karsai wurde am 28. März 1977 in Budapest geboren. Er erlangte 2001 einen Abschluss in Rechtswissenschaften an der Fakultät der ELTE in Győr. Nach dem Studium arbeitete er am Verfassungsgericht, im Justizministerium sowie vier Jahre lang am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. 2009 kehrte er in seine Heimat zurück und setzte seine juristische Laufbahn in einer internationalen Anwaltskanzlei fort. 2011 gründete er seine eigene Kanzlei. Das Wirtschaftsblatt „Haszon” zählte ihn 2016 zu den 100 besten ungarischen Anwälten. Er hatte eine Leidenschaft für Wandern und Bergsteigen. Außerdem spielte er Fußball und praktizierte Jujutsu.

Die ersten leichten Symptome seiner Krankheit bemerkte er im Juli 2021, ernsthafte Anzeichen traten im April 2022 auf. Im August 2022 wurde bei Karsai ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) diagnostiziert. ALS ist eine sogenannte Motoneuron-Erkrankung, bei der die Nervenzellen, die die Muskeln bewegen, verkümmern, die geistigen Fähigkeiten werden nicht beeinträchtigt, Patienten erleben eine vollständige Lähmung bei klarem Bewusstsein. Der Jurist Karsai empfand, ALS führe zu einer äußerst demütigenden Lebenssituation, die einen zunehmend seiner Unabhängigkeit beraubt. Das letzte Stadium der Krankheit ist praktisch ein vegetatives Dasein ohne jegliche Möglichkeit bewusster Aktivität oder Kommunikation. Seiner Meinung nach verstößt das vollständige Verbot von Entscheidungen über das Lebensende in Ungarn gegen grundlegende Menschenrechte, insbesondere gegen das auf der Menschenwürde beruhende Selbstbestimmungsrecht, das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und das Recht auf freie Wahl der eigenen Weltanschauung.

Da es in Ungarn keine rechtliche Möglichkeit gibt, den Verstoß zu beheben, wandte er sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Das Gericht in Straßburg verhandelte seinen Fall im November 2023. In der Zwischenzeit verschlechterte sich sein Zustand rapide und er beschloss, im Frühjahr 2024 seine Tätigkeit als Anwalt aufzugeben und aus der Budapester Anwaltskammer auszutreten.

Im Juni dieses Jahres urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Kläger habe kein Recht auf einen durch Ärzte herbeigeführten Tod. Bei einer Berufungsverhandlung im September 2024 wurde der Antrag von Dániel Karsai gegen den Staat Ungarn erneut abgelehnt. Der Verfassungsrechtler erklärte, er sei sehr enttäuscht von dieser „feigen Entscheidung“ des Gerichts. Er bereue jedoch nicht, das Verfahren eingeleitet zu haben, denn damit konnte er einen beispiellosen Dialog zu diesem Thema lostreten. Die Fragen von Tod, Vergänglichkeit und Leiden sind nicht länger Tabuthemen, und das ist an sich schon ein großer Erfolg.

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