Orbán
Ministerpräsident Viktor Orbán: „Brüssel hat entschieden, Europa von den russischen Energiequellen abzutrennen. Ich denke, das widerspricht den Interessen Europas und Ungarns.“ Foto: MTI/ Zoltán Máthé

Parlament

Orbán: „Wir sagen nicht bei jedem Anruf Jawohl!“

Ungarn ist politisch stabil, seine Wirtschaft stark genug, um die Inflation zurückzudrängen, Renten und Arbeitsplätze zu schützen. Mit dieser Einschätzung des Ministerpräsidenten ging das Parlament am Montag in seine Herbstsitzung.

Ministerpräsident Viktor Orbán begann seine Rede zum Auftakt der Herbstsitzung mit einem Rückblick auf die Leichtathletik-WM. Diese war nicht nur ungemein erfolgreich für das Land, sie spielte obendrein Einnahmen ein, die das Doppelte der Ausgaben erreichten.

Dann wechselte der Premier zu schwereren Themen. „Brüssel hat entschieden, Europa von den russischen Energiequellen abzutrennen. Ich denke, das widerspricht den Interessen Europas und Ungarns, aber wir haben momentan nicht die Kraft, das zu verhindern.“ Zur Stärkung der eigenen Energiesicherheit dienten jedoch jene Übereinkünfte, die das Land im Sommer mit der Türkei, Aserbaidschan und Katar schließen konnte. Die neuen Freundschaftsbande mit Mittelasien hätten Ungarn nach der Sprengung der Gaspipeline Nord Stream vor unlösbaren Aufgaben bewahrt. Orbán erklärte, er sei bereit, Ungarn mit dem AKW Paks, Solarenergie, Gasspeichern und Reservekraftwerken unabhängig zu machen und in den „Klub der Klima-Champions“ zu führen.

Beim Getreide mal wieder betrogen

Zum ukrainischen Getreidedumping merkte der Ministerpräsident an, Ungarn sei mal wieder betrogen worden. „Es war die Rede davon, das Getreide im Transit nach Afrika zu bringen.“ In Wirklichkeit aber verdränge der Billigimport die Ware der einheimischen Landwirte vom Markt. Das von den Mittelosteuropäern erstrittene, vorübergehende Einfuhrverbot wurde von der EU-Kommission Mitte September aufgehoben, woraufhin Ungarn ähnlich wie Polen und die Slowakei auf nationaler Ebene Schutzmaßnahmen gegen zwei Dutzend Agrarprodukte aus der Ukraine ergriff. Während sich Kiew in der Folge an die WTO wandte, „erwarten wir weiterhin von der EU-Kommission, sich für die Mitteleuropäer einzusetzen und auch Ungarn nicht zu verraten“.

Zu den Beziehungen mit der Ukraine stellte Orbán klar, der Nachbar werde von Ungarn auf keinem einzigen Gebiet unterstützt, solange nicht jene Gesetze reaktiviert werden, die einst die Rechte der ungarischen Minderheit in Transkarpatien sicherten. Den mehreren zehntausend Flüchtlingen aus der Ukraine, die in Ungarn ein sicheres, neues Zuhause fanden, stärkte der Ministerpräsident zur gleichen Zeit den Rücken: „Unsere Regierung wird keine Forderungen aus Kiew erfüllen und Menschen aus der Ukraine mit Gewalt zurückschicken.“

Orbán: „Brüssel schuldet uns 3 Mrd. Euro.“

Zur Inflationsproblematik meinte der Ministerpräsident, die Teuerung habe Dimensionen erreicht, mit denen die Notenbank nicht mehr alleine fertig werden konnte. „Deshalb hat die Regierung die Sache in die eigenen Hände genommen und entsprechende Maßnahmen getroffen.“ Sollten die Händler den Anstieg der Kraftstoffpreise nicht eindämmen können, sei die Regierung entschlossen, neuerlich an den Tankstellen einzugreifen. Orbán versprach eine Rentenerhöhung für November (als nachträglichen Inflationsausgleich), das Festhalten an den niedrigen Energiepreisen für die privaten Haushalte sowie am Zinsstopp.

Das Eintreten für Elektromobilität und die Batteriefabriken rechtfertigte der Ministerpräsident mit dem Hinweis: „Die EU hat entschieden, dass unsere Automobilwerke ab 2035 in der heutigen Form nicht mehr produzieren dürfen. Ihr Schicksal lautet also: Schließung oder technologischer Wandel. Mit einer nebengelagerten Batteriezellfertigung können wir diese Werke retten. Es ist im Interesse Ungarns, die bestehenden Kapazitäten zu erhalten, natürlich unter Einhaltung der strengsten Umweltnormen.“ Orbán sprach von 500.000 Menschen, deren Familien ihre Existenz der Automobilindustrie verdanken.

Ungarn könnte sein Defizitziel (von 3,9%) mühelos halten, würden die EU-Gelder fließen. „Doch während wir unsere Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 1 Mrd. Euro erbrachten, schuldet uns Brüssel 3 Mrd. Euro.“ Warum es für Ungarn im Herbst besonders schwer werde, umschrieb der Ministerpräsident mit den Worten: „Wir gehören nicht zum Klub jener Länder, die bei jedem Anruf aus Brüssel „Jawohl“ sagen.“ – wobei er dieses Wort bewusst auf Deutsch verwendete.

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