Ministerpräsident Viktor Orbán: „In Straßburg haben sie versucht, uns ans Kreuz zu nageln.“ Fotos: Ministerpräsidentenamt/ Vivien Cher Benko

Orbán im Kossuth-Radio:

„Straßburg war für mich ein Kulturschock“

„Ursula von der Leyen und Manfred Weber wollen unsere Regierung stürzen und durch eine Brüssel-hörige Regierung ersetzen.“ Diese Erkenntnis gewann Viktor Orbán während der Debatte im Europaparlament, die sich überhaupt nicht um die Belange der EU und Ungarns Programm des Ratsvorsitzes drehte.
„Wir nehmen von Ost und West nur das, was gut für uns Ungarn ist. Was unseren Interessen schadet, weisen wir zurück.“

In seinem üblichen Freitag-Interview für das Kossuth-Radio sagte der Ministerpräsident in einer Rückschau auf die denkwürdige Debatte in Straßburg, die dort vorgetragenen faktenresistenten, hasserfüllten Anfeindungen seiner Regierung hätten keinen Bezug zu Europa und seinen Bürgern gehabt. Die EU-Kommissionspräsidentin und der Chef der EVP gaben unverfroren den Kurs vor, die Orbán-Regierung zu stürzen und durch Klára Dobrev von Seiten der europäischen Sozialisten sowie Péter Magyar für die Volkspartei zu ersetzen.

„Ich hatte schon lange den Eindruck, dass man in Brüssel dieses Ziel verfolgt. Aber dass sie es so offen auszusprechen wagen, ist doch sehr ungewöhnlich.“ DK und Tisza-Partei würden nach Darstellung von Orbán eine Koalition schließen, die ganz nach dem Willen der EU-Führung Ungarn in die Ukraine-Kriegskoalition führt und den Migrationspakt unterstützt, das Kinderschutzgesetz außer Kraft setzt und das Land am globalen Handelskrieg beteiligt.

„Da wollte man Ungarn für dumm verkaufen.“

Im Übrigen wollte er in Straßburg ein Programm der Ratspräsidentschaft vorstellen, das von einem fachlichen Stab um EU-Minister János Bóka professionell und auf höchstem Niveau zusammengestellt worden war. Man hätte eine anspruchsvolle Debatte im Europaparlament führen können, etwa zu der Frage, woran Europas Wirtschaft kranke, warum die USA und China die EU abhängen. Aber an Stelle einer sachlichen Diskussion über akute Probleme wie unkontrollierte Zuwanderung und die Nebenwirkungen des Green Deal wurde ein primitiver Streit vom Zaun gebrochen.

Orbán konnte sich angesichts der konzertierten Attacken des Eindrucks nicht erwehren, diese Leute würden die Ungarn für dumm verkaufen. „Bisher dachten wir ja, Europa sei ein Hort intelligenter Menschen. Selbst wenn es manche dubiose Gestalten im Europaparlament gibt, glaubten wir doch an ein gewisses europäisches Niveau.“ Was aber dann im Europaparlament ablief, war für ihn ein „Kulturschock“.

Orbán
„Brüssel hat uns nicht zu diktieren und seine Söldner herzuschicken, um die Befehle aus der Zentrale zu vollstrecken.“

Orbán: „Brüssel hat uns nicht zu diktieren!“

Selbstverständlich werden die Ungarn auch in Zukunft frei und eigenständig entscheiden, welcher Regierung sie ihr Vertrauen aussprechen. „Brüssel hat uns nicht zu diktieren und seine Söldner herzuschicken, um die Befehle aus der Zentrale zu vollstrecken.“ Von einem solchen Diktat habe sich Ungarn gerade erst vor gut 30 Jahren befreit. Der Ministerpräsident warnte die Kommissionspräsidentin, wenn sie nicht zu einer normalen Politik zurückkehrt und die Mitgliedstaaten nicht in Ruhe lässt, werde er die Öffentlichkeit mit unangenehmen Fakten konfrontieren, z. B. offenlegen, „wie diese Pharisäer weiter mit den Russen Handel treiben“.

Dann warf Orbán ein, die Schengen-Staaten müssten sich – zunächst informell, später in einer institutionalisierten Form – zusammenfinden, um die Frage des effizienten Grenzschutzes und der unkontrollierten Zuwanderung zu lösen. „Dieses Forum würde ohne die EU-Kommission entscheiden, wie der Grenzschutz auszusehen hat, wie wir Migranten in die Gemeinschaft lassen bzw. den Zustrom kontrollieren wollen. Natürlich würde die Frontex, die heute wie eine Tourismusagentur agiert, diesem Forum unterstellt.“

Demján-Programm kommt

Da Ungarn nicht länger auf die EU unter dieser Brüsseler Führungsriege zählen könne, müsse es sein Wachstum aus eigener Kraft ankurbeln. Orbán wiederholte die These, wonach die Volkswirtschaft zu 3-6% Wachstum im Jahr fähig sei. Er kündigte ein neues Konjunkturprogramm an, das nach dem Erfolgsunternehmer Sándor Demján benannt werde. Dabei sollen kleinen und mittleren Betrieben Kapital und zinsgünstige Kredite bereitgestellt werden. Für die neue Wirtschaftspolitik brauche es eine breite Übereinkunft der Gesellschaft; der anstehende mehrjährige Tarifabschluss zur Anhebung des Mindestlohns sei ein gewichtiges Element.

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20. Mai 2025 10:10 Uhr