Nobelpreis für Literatur
Der zweite Ungar
Wie die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm bekanntgab, erfolgt die Auszeichnung für sein fesselndes und visionäres Werk, das inmitten apokalyptischen Schreckens die Kraft der Kunst bekräftigt.
Der 1954 in Gyula geborene Autor galt bereits in den Vorjahren wiederholt als Anwärter auf die prestigeträchtige Auszeichnung. Die Jury ordnet Krasznahorkai in die mitteleuropäische Literaturtradition ein, die von Franz Kafka bis Thomas Bernhard reicht und durch Absurdismus sowie groteske Übertreibungen charakterisiert wird. Sein kontemplativer, fein abgestimmter Ton wird seiner Ausrichtung nach Osten zugeschrieben. Die Akademie würdigte insbesondere seine außergewöhnliche sprachliche Vitalität und die große lyrische Schönheit seiner Werke. Wegen seines unverwechselbaren Schreibstils mit langen Sätzen und ununterbrochenen Absätzen, die sich über mehrere Seiten erstrecken, vergleichen ihn Kritiker mit Franz Kafka, Herman Melville und Nikolai Gogol.
Alles begann mit dem „Satanstango“
Sein 1985 erschienener Debütroman „Satanstango“ porträtiert eine Gemeinschaft in einem verfallenden ungarischen Dorf kurz vor dem Zusammenbruch des Systems. Die Gruppe wird von Irimiás geführt, einem charismatischen Mann, der unter mysteriösen Umständen zurückkehrt, nachdem er lange Zeit für tot gehalten wurde. 1994 verfilmte der ungarische Regisseur Béla Tarr das Werk als siebenstündigen Film, der heute als Meisterwerk des Arthouse-Kinos gilt.

Reisen und literarisches Schaffen
Der Autor studierte zunächst Jura in Szeged, später dann Hungaristik und Philosophie in Budapest. Heute lebt er überwiegend in Wien und Triest. Krasznahorkais Schreiben wurde durch seine Reisen in Europa und Ostasien geprägt. Seine Aufenthalte in der Mongolei und China inspirierten Werke wie „Der Gefangene von Urga“ (1992) und „Zerstörung und Trauer unter dem Himmel“ (2004). Zu seinen bedeutenden Werken zählt auch „Die Melancholie des Widerstands“, ein Roman, der wenige Tage in einer ungarischen Provinzstadt schildert, wo apokalyptische Ereignisse parallel zu großen Unruhen im Ostblock stattfinden.
Sein 1999 erschienener Roman „Krieg und Krieg“ handelt von einem Ungarn, der ein antikes Manuskript findet, das die epische Geschichte mehrerer Soldaten erzählt, die versuchen, einem katastrophalen Konflikt zu entkommen. „Seiobo kam herab“ (2008) schildert die Göttin Seiobo, die in die sterblichen Sphären zurückkehrt auf der Suche nach vollkommener Perfektion. Seine jüngste Erzählsammlung „Im Wahn der Anderen“ (2023) widmet sich einem besessenen New Yorker Bibliothekar.
Auf den Spuren von Imre Kertész
Krasznahorkai, den Susan Sontag einst als „Meister der Apokalypse“ bezeichnete, erhielt bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2015 den Man Booker International Prize und 2019 den National Book Award für übersetzte Literatur. Er ist nach Imre Kertész, der 2002 ausgezeichnet wurde, der zweite ungarische Literaturnobelpreisträger.
Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an die südkoreanische Autorin Han Kang, 2023 an den norwegischen Schriftsteller Jon Fosse. Zu den Favoriten für den diesjährigen Preis zählten Haruki Murakami, Margaret Atwood, Salman Rushdie und Can Xue. Krasznahorkai wird die Auszeichnung im Dezember bei der feierlichen Nobelpreis-Zeremonie in Stockholm entgegennehmen.
