Otto von Habsburg-Biographin Eva Demmerle: „Otto von Habsburg hatte als aufmerksamer Beobachter schon sehr früh erkannt, dass der Kommunismus fallen wird, und seine ganze politische Arbeit darauf ausgerichtet.“

Interview mit Otto von Habsburg-Biographin Eva Demmerle

Eine europäische Zukunft im Geiste von Otto von Habsburg

Der Nachlass von Kaisersohn Otto Habsburg-Lothringen wird seit drei Jahren in Budapest verwaltet. Zuvor hatte es Überlegungen gegeben, das Archiv im Stift Klosterneuburg in Österreich aufzubewahren.

Doch die Verhandlungen diesbezüglich mit dem Land Niederösterreich zogen sich über zwei Jahre hin, ohne zu einem konkreten Ergebnis zu kommen. Anfang des Jahres 2016 bot der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban der Familie von Habsburg Ungarn als Standort an. Inzwischen verwaltet die Otto von Habsburg-Stiftung unter der Leitung von Gergely Pröhle den Nachlass. Nun hat diese Stiftung zum 30. Jahrestag der Maueröffnung unter dem Motto „Otto von Habsburg und die politische Wende“ ein erstes Symposium veranstaltet, zu dem auch Mag. Eva Demmerle, die langjährige enge Mitarbeiterin, Pressesprecherin und Biographin von Otto von Habsburg, geladen war. Für sie ist Ungarn ein prädestinierter Platz für den Nachlass, denn Otto von Habsburg betrachtete Ungarn immer als seine Heimat.

Die Person Otto von Habsburg stand in diesen Tagen im Mittelpunkt der Erinnerung an das Paneuropäische Picknick, das am 19. August 1989 zu einer ersten Grenzöffnung zwischen Österreich und Ungarn geführt hat, bei der rund 600 DDR-Bürger in den Westen fliehen konnten. Was hatte dieses Picknick konkret mit der Paneuropa-Union und mit Otto von Habsburg zu tun?

Helmut Kohl hatte einmal gesagt, dass der Boden unter dem Brandenburger Tor ungarisch sei. In der Tat haben die Deutschen den Ungarn unendlich viel zu verdanken, weil sich hier auch schon relativ früh ein gewisser Reformkommunismus abgezeichnet und die Ungarn schließlich am 11. September 1989 die Grenze geöffnet haben. Otto von Habsburg hatte als aufmerksamer Beobachter schon sehr früh erkannt, dass der Kommunismus fallen wird und seine ganze politische Arbeit daraufhin ausgerichtet. Dazu gibt es eine ganz interessante Anekdote. Otto von Habsburg hatte im Zuge eines Europawahlkampfs 1979 eine Zeitungsredaktion besucht und der Redakteur fragte ihn: „Glauben Sie eigentlich, dass die Mauer jemals fallen wird und wenn ja, wann?“ Und dann sagte Otto von Habsburg: „Ja, in ungefähr in zehn Jahren.“ Aufgrund dieser Vorahnung war er ja ständig mit Ungarn verbunden und durfte schon 1988 wieder nach Ungarn einreisen. Er war zu dieser Zeit Mitglied der Verhandlungsdelegation der EU mit Ungarn gewesen, und viele Ungarn haben ihn auch als ihren ersten Vertreter im Europäischen Parlament betrachtet. Die Idee des Paneuropäischen Picknicks ist dann bei einem Abendessen in Debrecen entstanden. Dort trafen sich das MDF (Magyar Demokrata Fórum) und Otto von Habsburg. Es war im Wesentlichen das MDF, das dieses Picknick organisiert hat. Ursprünglich sollten Imre Pozsgay und Otto von Habsburg als Schirmherren dieses Picknicks auch vor Ort sein, doch man fürchtete, dass bei der Grenzöffnung etwas passieren könnte. So schickten beide nur Vertreter. Sicherlich hatte Moskau zuvor bereits zugesagt, dass es kein zweites 1956 geben würde, doch man wusste nicht, inwieweit man den Russen vertrauen konnte. Am Abend des 19. August hat man in Ungarn im Zentralkomitee wohl darauf gewartet, dass das Telefon klingelt. Aber es klingelte kein Telefon.

Und weshalb bezeichnete man dieses Picknick als „paneuropäisch?“

Paneuropäisch wohl im Sinne eines geeinten Europas. Aber da müssen Sie bitte die Vertreter des MDF fragen, weil sie sich für diese Bezeichnung entschieden haben.

Inwiefern war die Paneuropa-Union für Otto von Habsburg politisch richtungsweisend? Er war ja bis 2004 ihr Präsident gewesen?

Ja, Otto von Habsburg war der direkte Nachfolger von Richard Coudenhove-Kalergi gewesen. Dieser hatte die Paneuropa-Union in den frühen 20er Jahren gegründet mit der einmaligen Vision der Einigung Europas. Otto von Habsburg hat Coudenhove-Kalergi bereits vor dem Zweiten Weltkrieg kennengelernt und in den USA dann noch mehr, sie haben immer mehr zusammengearbeitet. Otto von Habsburg hat nach dem Ende des Krieges sein Leben immer mehr in den Dienst dieser paneuropäischen Vision gestellt. Europa muss groß sein, muss frei sein und muss geeint sein. Allein ist keines der EU-Länder fähig, innerhalb der Globalisierung zu bestehen. Und es gibt europäische Werte, die einfach ein Erfolgsmodell für diesen Kontinent sind. Egal, was man uns im Westen heute darüber sagt. Es sind diese Werte, die diesen Kontinent groß gemacht haben.

Wenn Sie von europäischen Werten sprechen, was meinen Sie damit? Können Sie konkret einen solchen Wert nennen?

Ein wichtiges Beispiel dafür ist: Menschenrechte entstehen nicht einfach nur im luftleeren Raum. Diese Menschenrechte haben eine theologische und philosophische Begründung. Und diese Begründungen sind in und über Religionen entstanden, die den Menschen als Ebenbild Gottes anerkennen. Selbst Europa brauchte dann noch rund 1200 Jahre um von dieser theologischen Sicht bis zu den Menschenrechten zu kommen. Eben darum können wir nicht davon ausgehen, dass andere Religionen und andere Kulturen den gleichen Weg gehen werden. Es können natürlich auch Atheisten diesem Weltbild folgen, die im Laufe der Jahrhunderte von diesem Prinzip ausgehend eine andere Idee entwickelt haben, nämlich die des Naturrechts. Der Mensch ist auch hier der Träger von unveräußerlichen Rechten. Und das war die philosophische Idee von Otto von Habsburg.

„Wir haben im Westen eine zunehmend religionsfeindliche Atmosphäre, die mich bedenklich stimmt.“

Nun hatte Richard Coudenhove-Kalergi doch ein paar Ansichten, die heute merkwürdig klingen, von der zukünftigen Mischlingsrasse in Europa etwa. Wie stand Otto von Habsburg dazu?

Das interessierte Otto von Habsburg nicht. Man muss ja auch untereinander nicht immer einer Meinung sein oder zu allem Stellung nehmen, nur weil man in Bezug auf eine wichtige Idee zusammenarbeitet. Richard Coudenhove-Kalergi hat im Laufe seines Lebens sehr viel geschrieben, auch sehr vieles, was auch heute noch herausragend und visionär ist. Und manche Dinge sind vielleicht eher im Kontext der Zeit zu beurteilen. Es wird ja auch vielfach behauptet Coudenhove-Kalergi war Freimaurer gewesen. Das stimmte, er war es für eine kurze Zeit gewesen, ist aber dann wieder ausgetreten, weil er gesehen hat, dass die Freimaurer für seine Ideen vom geeinten Europa wenig empfänglich waren.

Sie haben von den Menschenrechten und deren Ursprung im theologischen Denken des Christentums gesprochen. Welche konkreten politischen Forderungen können denn von einem solchen europäischen Wert ausgehen?

Nun, wenn ich von diesem ersten Wert ausgehe, komme ich zum Konzept, dass der Mensch vor dem Staat da war, auch die Familie war vor dem Staat da. Und somit soll ein Staat dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Heute ist aber leider das Gegenteil der Fall. Denn ich sehe, dass es Steuersysteme gibt, die den Mittelstand auspressen oder eine Familienpolitik, die im Westen Europas keineswegs die Familien stärkt, sondern die Wirtschaft. Es erinnert mich auch an eine gewisse DDR-Rhetorik, wenn gesagt wird, Frauen müssen nach der Geburt ihres Kindes so schnell wie möglich wieder arbeiten. Das klingt so wie: „Frauen in die Produktion“. Wir wissen heute doch, dass die frühkindliche Betreuung etwa in Krippen für Kinder nicht das Beste ist. Nicht die Krippen sind das Original, sondern die Familie ist das Original. Mit ungeheurem Geld wird die Krippenerziehung gefördert, statt den Frauen die Möglichkeit zu geben, die ersten drei Jahre zu Hause zu bleiben, und sich um ihre Kinder zu kümmern, was ja nachweislich aus medizinischer und psychologischer Sicht das Beste für ein Kind ist. Bei uns ist jeder Maikäfer und jeder Frosch besser geschützt als ein Kleinkind.

Und was wären in diesem Sinne die Grundsätze einer freien Gesellschaft?

In diesem Sinne wäre das Respekt und Schutz der Familie, Respekt und Schutz des Privateigentums und das Thema der freien Religionsausübung. Das sind die drei Grundlagen, die in Westeuropa gefährdet erscheinen. In punkto religiöse Verfolgung: Wir haben das in Europa glücklicherweise nicht. Aber jede Woche brennt in Frankreich eine Kirche. Irgendwann wird sich das auch direkt gegen die Gläubigen richten. Und die Verursacher sind keineswegs Migranten. Wir haben im Westen eine zunehmend religionsfeindliche Atmosphäre, die mich bedenklich stimmt.

Gilt Ihre Forderung nach freier Religionsausübung auch für den Islam?

Ja, natürlich. Jeder soll seine Religion frei leben und praktizieren können. Problematisch wird es aber, wenn sich Religionen politisieren und sich nicht an unsere gesetzlichen Standards anpassen. Einige Strömungen des Islam haben in Bezug auf die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte, in Bezug auf Frauenrechte noch einigen Nachholbedarf. Ich finde es auch sehr merkwürdig, dass auf einmal das Kopftuch als Zeichen feministischen Selbstbewusstseins gelten soll. Vor dem drängenden Problem der Zwangsheirat verschließen leider viele Feministinnen die Augen.

Was macht man mit diesem muslimischen Erbe, das sich zurzeit in Europa niederlässt? Man kann die Menschen doch nicht einfach vertreiben.

Zunächst einmal müssen wir alle Integrationswilligen unterstützen. Und wenn sich jemand nicht an unsere Gesetze, nun, da muss sich der Rechtsstaat durchsetzen. Wir haben doch alles, was wir brauchen. Bestimmte Kreise müssen wissen: wenn sie sich gegen unsere Gesetze verhalten, dann müssen sie mit rechtsstaatlichen Konsequenzen rechnen.

Zurück zum Europa-Konzept von Otto von Habsburg. Sie fühlen sich als langjährige Mitarbeiterin von Otto von Habsburg in gewisser Weise verpflichtet, seine Politik und seine Vision des christlichen Europas weiterhin lebendig zu halten. Worum geht es da hauptsächlich?

Was mich immer besonders fasziniert hat an dieser paneuropäischen Idee und an Otto von Habsburg, der ja innerhalb der Geschichte lange Bögen zog: Es ging ihm um den Kampf gegen den Materialismus, den materialistischen Nationalismus und um eine Übernationalität, die aber jeder Nation erlaubt, sie selbst zu bleiben. Seine Idee des Übernationalen kam von der Idee des Heiligen Römischen Reiches, von dem Zusammenleben verschiedener Nationen, auch in Österreich-Ungarn, also von einem Europa, so wie es vor 1918 existiert hat. Und er war gegen jede Form von Zentralismus innerhalb der EU. Zentralismus ist aber auch ein Problem innerhalb der Nationalstaaten. Auch Berlin zieht viel zu viel an sich ran, was man in den einzelnen Bundesländern vor Ort besser organisieren könnte.

Und es geht dabei auch nicht um die Frage Demokratie oder Monarchie. Die ist völlig falsch gestellt. Sieben europäische Staaten sind Monarchien, denen geht es demokratisch gut. Es geht um die traditionellen Strukturen und Werte, die bei aller Übernationalität erhalten bleiben müssen. Ich war zum Beispiel entsetzt, als vor zwei Jahren in Frankreich die Departements und Regionen in einer Regionalreform neu definiert wurden, als Elsass, Lothringen und die Champagne einfach zusammengeworfen wurden und seither le „Grand Est“, also der „große Osten“ heißen. Das ist für mich das Paradebeispiel eines identitätszerstörenden Zentralismus. Wenn ich etwas vernichten möchte, ändere ich dessen Namen, nicht wahr? Dabei hat Lothringen eine Geschichte, die älter ist als die Geschichte Frankreichs. Dieses Zentralisieren halte ich für skandalös und für respektlos den Menschen gegenüber. Ein solcher Zentralismus hat in der heutigen Zeit in Europa nichts mehr zu suchen.

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