Die Überreste des einstigen Stadtzentrums der römischen Provinzhauptstadt Aquincum können heute im gleichnamigen Museum in Óbuda besichtigt werden. Foto: Aquincum Museum / Olivér Kovács

Von Aquincum nach Rom – Kaiser Hadrian

Die Grenzen der römischen Welt

107 n. Chr. war er Statthalter Roms in Niederpannonien, zehn Jahre später römischer Kaiser: Hadrian drückte der antiken römischen Welt stärker als alle Vorgänger seit Augustus seinen Stempel auf. Er setzte dem Imperium Grenzen – und ließ es gerade dadurch über sich hinauswachsen.

„Als nächstes wurde er als prätorischer Statthalter nach Niederpannonien geschickt, wo er die Sarmaten in Schach hielt, für Disziplin unter den Soldaten sorgte und die Prokuratoren zurückhielt, welche die Grenzen ihrer Macht bei weitem überschritten hatten. Als Dank für diese Dienste wurde er zum Konsul ernannt.“ Wir schreiben das Jahr 107 n. Chr. Der Mann, um den es in diesem kurzen Auszug aus einer spätantiken Biographie geht, ist Hadrian (lat. Hadrianus), zu diesem Zeitpunkt hoher römischer Beamter unter dem Kaiser Trajan, seinem entfernten Verwandten, und künftiger Beherrscher der römischen Welt. Hadrian wurde 117 n. Chr. selbst Kaiser und blieb es bis zu seinem Tod, 138 n. Chr.

Hadrian sorgt für Zucht und Ordnung

Niederpannonien ist das heutige West­ungarn: eine exponierte Provinz an der Donau, die Rom gut 100 Jahre vor Ha­drian erobert hatte. Jenseits des Flusses siedelten die Barbaren, darunter sarmatische Stämme, die immer wieder Roms Grenze bedrohten, zum Teil aber auch als Hilfstruppen in Diensten des Imperiums standen. Die Grenzregion war in Unruhe geraten, seitdem Trajan von 101 bis 106 n. Chr. in zwei Anläufen das benachbarte Dakien (ungefähr identisch mit dem heutigen Rumänien) unterworfen und die Stämme dort teilweise gefügig gemacht und teilweise – wie die ebenfalls sarmatischen Jazygen – vertrieben hatte.

Büste von Kaiser Hadrian in einem der Kapitolinischen Museen von Rom. Foto: Musei Capitolini / Marie-Lan Nguyen

Als Statthalter war es Hadrians Aufgabe, die Provinz unter Kontrolle zu halten. Dazu gehörte die Sicherung nach außen, aber auch die Befriedung nach innen: Von Disziplinlosigkeit und Meutereien unter römischen Soldaten hören wir immer wieder. Die Durchsetzung von Zucht und Ordnung im Militär gehörte also zu den Herausforderungen, denen sich Statthalter immer wieder zu stellen hatten. Doch offensichtlich litt Niederpannonien noch unter einem anderen Misstand: Die kaiserlichen Finanzbeamten, procuratores, hatten ihre Kompetenzen überschritten und möglicherweise der Provinz Abgaben abgepresst, die den Rahmen der Legalität sprengten. Hadrian brachte sie zur Räson.

Der Statthalter regierte von seinem Palast in Aquincum (Óbuda) aus. Ha­drian schlug sein Quartier jedoch auf der Donauinsel vor Óbuda, der heutigen Werftinsel, auf. Zu seinen Pflichten gehörte es, die Provinz zu bereisen, Gericht zu halten und sich die Sorgen und Nöte der Provinzbewohner anzuhören. Hadrian scheint diese Aufgaben gewissenhaft und mit dem von Trajan gewünschten Erfolg versehen zu haben. Auch militärisch reüssierte er: Er schlug Einfälle der Jazygen im Banat und in der Wallachei zurück. Der Kaiser war zufrieden. Deshalb stieg Hadrian auf der Karriereleiter weiter empor: Im April 108 n. Chr. wurde er Konsul und avancierte so in den engsten Kreis um den Kaiser.

Eine römische Karriere

Wer war der Mann, der als gut Dreißigjähriger nach Niederpannonien kam, die Provinz gegen Barbaren verteidigte und auch sonst sichtbare Spuren im Karpatenbecken hinterließ? Was leistete Hadrian in 21 Jahren als Kaiser und welche Rolle könnten seine Erfahrungen an der Donau für sein Handeln im Chefsessel der römischen Politik gespielt haben?

Titus Aelius Hadrianus hatte am 24. Januar 76 n. Chr. in Spanien das Licht der Welt erblickt, vermutlich in der römischen Kolonie Italica. Bereits sein Vater und Großvater sowie weitere Vorfahren väterlicherseits waren römische Senatoren gewesen. Hadrian senior starb, als der Sohn gerade zehn Jahre alt war. Der Knabe wurde in die Obhut seines Onkels zweiten Grades gegeben: des späteren Kaisers Trajan. Er leistete Militärdienst und erreichte 101 n. Chr. – Trajan war bereits Kaiser – mit der Quästur die erste Stufe der senatorischen Ämterlaufbahn, auf der er sich zielstrebig emporarbeitete.

Der junge Hadrian bereiste Griechenland und nahm den Reichtum der griechischen Kultur in sich auf. In Athen hinterließ er solch bleibenden Eindruck, dass die dankbaren Bewohner ihm eine Statue mit Inschrift errichteten. Er nahm allerdings auch an den Feldzügen seines Onkels teil: Er begleitete ihn in militärisch herausgehobener Position während der Dakerkriege und führte ein Kommando in Trajans großem, letztlich aber katastrophal scheiternden Krieg gegen das östliche Nachbarimperium: das Partherreich (113–117 n. Chr.).

Nachdem sich ernste Misserfolge in diesem Krieg eingestellt hatten, wurde Trajan plötzlich krank und starb wenig später in der kleinasiatischen Stadt Selinus. Auf dem Totenbett adop­tierte er im Beisein seiner Frau Plotina Hadrian und machte ihn so zu seinem Nachfolger. Man munkelte später, die Adoption sei ein Komplott Plotinas und Hadrians gewesen.

Tatsache ist, dass der neue Kaiser, kaum war er im Amt, harte Entscheidungen traf. Er zog sich aus den von Trajan eroberten Provinzen im Osten zurück und schloss mit den Parthern einen Friedensvertrag. Weil die militärische Führung, allesamt Leute aus Trajans nächster Umgebung, angesichts des Kurswechsels zu murren begann, veranstaltete Hadrian eine Nacht der langen Messer. Er ließ fünf ranghohe Generäle hinrichten. Seitdem saß er fest im Sattel, aber das vergossene Blut klebte an seiner ansonsten weißen Toga.

Reisekaiser und Neuerer

Zehn von seinen insgesamt 21 Jahren als Kaiser verbrachte Hadrian fern von Rom. Er bereiste Gallien, Germanien und Britannien – wo er den Bau des Hadrianswalls veranlasste, des bis dahin aufwendigsten Grenzbefestigungssystems der römischen Welt. Er besuchte die Legionen in Nordafrika und im Nahen Osten. Er hielt sich in Ägypten und – immer wieder und besonders gerne – in Griechenland auf. Nur die Donauprovinzen sparte er bei seiner intensiven Reisetätigkeit aus. Er glaubte wohl, die Region aus der Zeit seiner Tätigkeit als Statthalter gut genug zu kennen. Hadrian „erfuhr“ also im Wortsinn sein vom Atlantik bis tief nach Mesopotamien reichendes Imperium: bei den trotz aller Investitionen in die Infrastruktur herrschenden Wegeverhältnissen und bei den Transportmitteln der Zeit sicher keine Kleinigkeit.

Hadrian tat aber nicht nur das. Er setzte dem römischen Imperium buchstäblich Grenzen: einem Reich, das sich seit den Tagen des Augustus als imperium sine fine verstanden hatte, als politisches Gebilde, das weder in der Zeit noch im Raum eine Grenze kannte. Sein Frieden mit den Parthern und der Rückzug aus den eroberten Provinzen war wegweisend: Hadrian erkannte, dass die Zukunft Roms nicht der Beherrschung immer größerer Räume gehörte, sondern der Konsolidierung dieser Herrschaft und ihrer Sicherung gegen äußere Feinde.

Im Gegensatz zu anderen pannonischen Statthaltern regierte Hadrian nicht von Aquincum (Foto), sondern von der heutigen Óbudaer Werftinsel aus. Foto: Aquincum Museum / Olivér Kovács

Deshalb brachte er die Expansion zum Stehen, deshalb investierte er in Grenzbefestigungssysteme wie den Hadrianswall und deshalb schuf er Symbole, die den Bewohnern der römischen Welt ein Identifikationsangebot unterbreiteten. Er selbst war das wichtigste Symbol. Indem seine kaiserliche Person das Reich kreuz und quer bereiste, demonstrierte er den Menschen von Britannien bis Ägypten, von Mauretanien bis Syrien seine Nähe. Der Kaiser selbst war ein Wahrzeichen für die Verflechtung der römischen Welt.

Ein Symbol war auch der Hadrianswall: Er machte erstmals sichtbar, dass die römische Welt ein Innen und ein Außen hatte. Innerhalb der markierten Linie verdichtete sich das Imperium zu einem Identitätsraum, einer Schicksalsgemeinschaft. Noch immer war es multikulturell, polyethnisch, sprachlich vielfältig: keine Nation, ein Imperium eben, aber eines, das im Begriff war, die imperialen Begrenztheiten ausgerechnet mit dem Setzen von Grenzen abzustreifen.

Dem Imperium eine Grenze

Hadrians frühe Erfahrungen mit dem Grenzraum an der Donau mögen bei dieser grundlegenden Neukonzeption des Imperiums durchaus eine Rolle gespielt haben. Hier war zu besichtigen, dass das Reich an Räume gestoßen war, deren Eroberung nur zu einem inakzeptabel hohen Preis zu haben war. Hadrian konnte die disruptiven Folgen, die Trajans Eroberungen in Dakien auch für die römischen Provinzen und ihre Bewohner hatten, hautnah miterleben. Er lernte während seiner Statthalterschaft eine Landschaft kennen, die sich rasant romanisierte, ohne dass es irgendwelchen Drucks von oben bedurft hätte: Das Imperium und seine Zivilisation unterbreiteten den Provinzbewohnern ein Angebot, das sie kaum ablehnen konnten, so attraktiv war es. Denkbar also, dass der spätere Kaiser in Aquincum, am äußersten Rand der römischen Welt, zum visionären Staatsmann reifte, der seinem Imperium einen neuen Horizont weisen konnte.

Persönlich dankte ihm das Schicksal seinen politischen Weitblick schlecht. Hadrian starb am 10. Juli 138 in Baiae unter unsäglichen Qualen nach langer Krankheit. Möglicherweise wurde das Leiden ausgelöst durch Herzinsuffizienz und eine Erkrankung der Koronargefäße. Nach seinem Tod soll der Senat erbittert über die Frage gestritten haben, ob Hadrian vergöttlicht oder seine Statuen gestürzt werden sollten. Vielleicht sind solche Berichte Fake News: Eine Erfindung der römischen Geschichtsschreibung. Tatsache war, dass viele Senatoren Hadrian die Hinrichtung von Trajans Generälen nachtrugen. Am Ende soll sein Nachfolger Antoninus Pius ein Machtwort gesprochen und die Vergöttlichung Hadrians erzwungen haben. Wie immer es sich damit verhalten mag: Mit Hadrian war der Mann von der Bühne getreten, der das römische Imperium neu erfunden hatte.

Der Autor ist Professor am Institut für Geschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Derzeit ist er als Gastprofessor am Deutsch-Ungarischen Institut in Budapest tätig.

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