Onyx
Beim Filmdreh … Foto: Onyx

Onyx im V. Bezirk

Holt den Vorschlaghammer!

Mit zwei Sternen im Guide Michelin gilt das Budapester Onyx als Ungarns absolutes Spitzenrestaurant. Doch seit Samstagabend ist das Luxuslokal am Vörösmarty tér etwas lädiert. Schuld sind nicht etwa nächtliche Vandalen: In einer spektakulären Marketingaktion schlugen Eigentümer, Pressevertreter und ausgewählte Gäste das Fine-Dining-Restaurant vor laufenden Kameras kurz und klein – zumindest ein bisschen.

Davor wurde aber natürlich erstmal hochherrschaftlich diniert. Was es mit diesem „Letzten Abendmahl“ im Onyx auf sich hatte, erklären wir Ihnen hier.

Ein Treffen von mehr als zehn Personen, in einem Restaurant und das auch noch nach Zapfenstreich – Pál Győrfi, Chef des Nationalen Rettungsdienstes und Ungarns personifiziertes Corona-Gewissen, kann darüber sicherlich nur den Kopf schütteln. Und auch die Behörden genehmigten das bereits im Oktober angekündigte Event nur deshalb, weil es offiziell als Dreharbeiten angemeldet wurde. Diese dürfen in Ungarn auch in Hochzeiten der Pandemie unter bestimmten Auflagen stattfinden.

Nur wenig war zuvor über die mysteriöse Veranstaltung, die tatsächlich als „Letztes Abendmahl“ beworben wurde, bekannt geworden. Die Teilnahme selbst sollte kostenlos sein, aber zu den ausgewählten Gästen konnte sich nur zählen, wer in einem Online-Casting mit einer einminütigen Videobotschaft zu der Frage „Warum willst du dabei sein“ überzeugen konnte. Bis Ende Oktober wurden Einsendungen entgegengenommen. Zu den glücklichen Gewinnern zählten acht Personen, darunter ein 13-jähriger Feinschmecker sowie der unter dem Namen Világevő (dt.: Weltesser) bekannte Foodblogger András Jókuti.

Ein Corona-Test zum Amuse-Bouche

Der Abend selbst dürfte wohl als Kuriosum in die ungarische Gastrogeschichte eingehen. Orsolya Haranghy, die dem Event als Vertreterin des Gastromagazins Dining Guide beiwohnte, fasst ihre Eindrücke so zusammen: „2020 war bisher schon absurd und destruktiv genug, aber das Onyx-Team hat es geschafft, dem noch die Krone aufzusetzen.“

Während die Gäste in der barock anmutenden Kulisse des Onyx, welches sich im selben Haus wie die legendäre Konditorei Gerbaud befindet, ein Sieben-Gänge-Menü inklusive ausgewählter Weine genießen durften, waren sie umgeben von Kameras, Stativen und Scheinwerfern, die das Essen anständig in Szene setzten. Denn tatsächlich handelte es sich bei den „Dreharbeiten“ nicht nur um eine Ausrede, um auch zu Corona-Zeiten das Restaurant öffnen zu können. Das Event wurde vollständig filmisch dokumentiert und soll später Teil einer Art Dokumentarfilm über das Traditionsrestaurant werden.

Um der Sicherheit Genüge zu tun, wurden alle Anwesenden, noch bevor das Amuse-Bouche serviert wurde, einem Corona-Schnelltest unterzogen.

Die Gerichte führten durch die 13-jährige Geschichte des Onyx von den Anfängen im Jahr 2007 bis ins Heute. Verkostet wurde beispielsweise eine Entenleberkreation, serviert auf feinstem Herender Porzellan, und die von Chefkoch Ádám Mészáros erträumte Fischsuppe mit Störfilet und klassischen hausgemachten Streichholznudeln.

Begleitet wurden die kulinarischen Extravaganzen von Erzählungen der Geschäftsführerin Anna Niszkács und ihrer Mutter Katalin Pintér, Eigentümerin sowohl des Onyx als auch des Gerbeaud, die den Gästen nicht nur Einblicke in die glorreiche Vergangenheit dieser Urgesteine des Gastgewerbes gaben, sondern auch ein Licht auf die Gegenwart und Zukunft selbiger warfen.

Enthüllungen über die Zukunft des Onyx

Wie wohl die gesamte Gastronomie-­Szene wurde natürlich auch das Onyx im Zuge der Corona-Krise vom Ausbleiben der Touristen und den mal mehr, mal weniger scharfen Beschränkungen des öffentlichen Lebens hart getroffen.

Schon im März schloss das Sternerestaurant seine Türen, ein Lieferangebot kam aufgrund des unauflöslich mit dem Fine-Dining-Konzept verbundenen Eventcharakters des Essens nicht infrage.

Zeitgleich verkündete es seinen Abschied von Chefkoch Ádám Mészáros. Unter der Ägide der Nachfolger, also des Erfolgsduos aus Szabina Szulló und Tamás Széll, die dem Onyx seinen ersten Michelin-Stern einbrachten, gelang dem Lokal 2018 das Meisterstück: Es wurde Ungarns erstes Zwei-Sterne-Restaurant. Mészáros, der 2020 vom Dining Guide noch zum Chefkoch des Jahres gekürt worden war, setzt seine Karriere seit März als Chefkoch des Fine-Dining-Bistros Felix fort.

Wie die Eigentümer im Verlauf des Abends enthüllten, wird es jedoch keine unmittelbare Nachfolge an der Spitze der Onyx-Küche geben. Das Luxuslokal will mit der klassischen Küchenhierarchie brechen, stattdessen soll es in Zukunft eine Art demokratische Küchenleitung geben, in der die Mitarbeiter sich gemeinsam über die wichtigsten Themen abstimmen. Statt eines übergeordneten Chefkochs, der in Manier autokratischer Führer in allen Bereichen von der Entwicklung neuer Rezepte über die ästhetische Präsentation bis hin zum Einkauf und der Kalkulation die Richtung vorgibt, werden die Verantwortlichkeiten zukünftig auf mehrere Personen aufgeteilt. Ein revolutionäres Konzept für den Fine-Dining-Sektor, das in vielerlei Hinsicht jedoch mehr dem aktuellen Zeitgeist entsprechen dürfte.

Nach dem Dessert ging es ans Demolieren

Eine besondere Überraschung erwartete die nichts ahnenden Gäste des „Letzen Abendmahles“, als nach dem Dessert noch ein letzter Gang serviert wurde. Dessen Bedeutung wurde deutlich, als die Servierglocken gelüftet wurden und darunter Hämmer und Spachtel zum Vorschein kamen.

Kreative Zerstörung: Geschäftsführerinnen Katalin Pintér (M.) und Anna Niszkács griffen nach dem letzten Abendmahl selber zum Abbruchwerkzeug. Foto: Onyx

Denn mit diesem Abend ging das Onyx offiziell in die Umbauphase, und dabei soll in dem eleganten Restaurant kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Die schweren Samtvorhänge, die edlen Damasttapeten, die zeitlosen Teppiche, ja sogar das Geschirr – alles soll weg.

Ausgerüstet mit Helmen, Schutzbrillen und Werkzeug legten Anna Niszkács und Katalin Pintér gemeinsam mit ihren Gästen sogleich mit dem Abriss los. Es wurde zerdeppert, zerhauen und zerrissen. Wie Augenzeugin Orsolya Haranghy berichtet, hätten sich dabei surreale Szenen abgespielt. Gut, dass der spektakuläre Abend von Kameras festgehalten wurde. Schon bald soll auch die Öffentlichkeit einen Einblick in das Material erhalten.

Wie Anna Niszkács gegenüber dem Nachrichtenportal 444.hu verriet, sei der jetzige Umbau nicht etwa aus der Opportunität geboren – das Onyx wäre nicht das erste Lokal, das die erzwungene Schließung in der Pandemie für Renovierungen nutzt –, man habe schon vor Beginn der Corona-Krise, genauer gesagt seit dem Frühjahr 2019, über eine Rundumerneuerung des alteingesessenen Luxuslokals nachgedacht.

Nach Messer und Gabel wurde zu Hammer und Spachtel gegriffen. Foto: Onyx

Bis spätestens Mai 2021 will das Restaurant wieder geöffnet sein, doch schon im Januar, so die Eigentümerinnen, wolle man sich mit einer ähnlich spektakulären Aktion ins Gedächtnis der ungarischen Feinschmecker rufen.

Schon jetzt ist klar, dass das Onyx mit seinem Event vom Samstag alle Grundsteine dafür gelegt hat, das es nicht so schnell ins Vergessen gerät. Denn bei dem „Letzten Abendmahl“ handelt es sich ohne Frage um eine der spektakulärsten Werbekampagnen, die die ungarische Gastronomie je gesehen hat.

Natürlich bleiben aber noch viele offene Fragen: Wie wird etwa der Guide Michelin auf die radikalen Veränderungen reagieren? Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass diese Metamorphose das Onyx einen oder gar beide Sterne kosten könnte.

Vorerst bleibt aber nur abzuwarten. Wir sind schon jetzt darauf gespannt, zu erfahren, welche weiteren kulinarischen, aber auch konzeptuellen Überraschungen das Onyx für uns bereithalten wird.

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