Wenn es die Temperaturen gestatten, kann der Kaffee auch auf der Terrasse des Cafés genossen werden. Foto: Café Collis

Besuch im Café Collis in Győr

Entspannen und helfen

Was haben ein Café, ein Hügel und Wohltätigkeit gemeinsam?

Ein Spaziergang durch die historische Altstadt von Győr lohnt sich auf jeden Fall, vor allem wenn man dem Trubel der überlaufenen Einkaufsstraßen entkommen will und die touristischen Hotspots hinter sich lässt.

Ein Spaziergang auf den Kapitelhügel

Steigt man vom Wiener Torplatz (Bécsi­kapu tér) den Kapitelhügel (Káptalandomb) hinauf, kommt man direkt zur Kathedrale der Heiligen Jungfrau Maria, die derzeit umfassend renoviert wird – übrigens wird hier die Herme des Heiligen László aufbewahrt.

Ein besonderes Erlebnis hält der Turm der Bischöflichen Burg bereit: Von der Aussichtsplattform aus bietet sich ein herrlicher Rundblick über die barocke Altstadt. Möchte man mit dem atemberaubenden Panorama belohnt werden, muss man allerdings einen beschwerlichen Aufstieg auf sich nehmen.

Blick auf den Kapitelhügel, wo sich das Café Collis befindet. Foto: László Tóth

Läuft man auf der anderen Seite des Hügels Richtung Donau Torplatz (Dunakapu tér) wieder hinunter, so kommt man zu einem offen stehenden Tor, das einerseits die Aufschrift Besucherzen­trum, andererseits „Kávéház”, also Kaffeehaus, trägt.

Tritt man in den von zwei Gebäudeflügeln umrahmten kleinen Hof, lockt rechts ein hübscher Laden mit Geschenkartikeln, Devotionalien und Souvenirs zum Einkaufen. Hier befindet sich auch die Rezeption des Besucherzentrums. Auf der linken Seite lädt hingegen das Café Collis zum Ausruhen und Verweilen ein, gerade das Richtige nach oder während einer Stadtbesichtigung.

„Jó napot kívánok!”

Ich komme hier natürlich nicht zufällig vorbei, das Café Collis kenne ich schon von einigen früheren Besuchen, anlässlich derer ich jedes Mal mit einem freundlichen „Jó napot kívánok!” empfangen, rundum aufmerksam bedient und mit einem herzlichen „Viszontlátásra!” verabschiedet wurde. „Auf Wiedersehen!“ wird hier nicht nur so dahingesagt, sondern durch und durch gegenüber den Kunden gelebt. So komme ich immer wieder gerne vorbei, mal alleine, mal mit Freunden oder der Familie.

Hier geht alles ein wenig langsamer zu, es herrscht eine wohltuende Ruhe. In unserer schnelllebigen Zeit ist es vielleicht gar nicht so verkehrt, die Hektik für eine Weile draußen zu lassen und die Gelassenheit an diesem entschleunigten Ort zu genießen.

Auch heute werde ich freundlich begrüßt, trotzdem wirkt die Stimmung etwas angespannter als sonst, denn ich hatte mich und den Grund meines Kommens angekündigt.

Ein besonderes Café

Dieses Café ist nicht irgendein Kaffeehaus im herkömmlichen Sinne, dies ist ein besonderer Ort, hier arbeiten junge Menschen mit Behinderung. Wenn hier jemand unvorbereitet einkehrt und auf dem Schild am Eingang den Hinweis nicht gelesen hat, so mag er im ersten Moment erstaunt sein, dass die Gäste hier von Servicekräften mit Behinderung bedient werden. Falls man sich darauf einstellen kann und den Draht zu den jungen Leuten findet, wird man sich aber bestimmt wohl fühlen.

Ich bin mit Szimonetta Nagy, einer der beiden Mentorinnen der jungen Menschen verabredet. Sie begrüßt mich herzlich, stellt mir die Mädchen der Vormittagsschicht vor und bietet mir einen Platz für unser Gespräch an. Um die anfängliche Scheu der jungen Damen zu zerstreuen, zeige ich ihnen ein älteres Exemplar des BZ-Magazins – niemand kann Deutsch, aber ich erkläre ihnen, worum es in meinen Artikeln geht. Interessiert blättern die jungen Frauen das Magazin durch, sie sind sichtlich beeindruckt, zumindest von den vielen schönen Fotos in einem meiner Berichte.

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Zunächst möchte ich etwas über die Geschichte des Cafés wissen, wann und aus welcher Überlegung ist es entstanden?

Das Café Collis entstand auf Initiative des Bistums Győr und wurde im Sommer 2021 eröffnet. Der erste Gedanke hierbei war, den Familien, die ein Kind mit Behinderung großziehen, zu zeigen, dass es auch für ihre Kinder Möglichkeiten gibt, einer geregelten Arbeit nachzugehen und ein selbständiges Leben zu führen.

Das Ziel war außerdem, das Lebensgefühl rund um den Kaffeegenuss mit einer guten Tat zu kombinieren. Wer hier einen Kaffee trinkt und einen Kuchen isst, tut Gutes. Alle unsere Gäste leisten mit ihrer Bestellung einen Beitrag zu diesem wichtigen Projekt.

Mentorin Szimonetta Nagy mit zwei Kollegen: „Wer hier einen Kaffee trinkt und einen Kuchen isst, tut Gutes.“ Foto: Café Collis

Wieviele Beschäftigte hat das Café?

Insgesamt haben wir zehn Angestellte mit mittelschwerer geistiger Beeinträchtigung, acht von ihnen arbeiten an der Theke bzw. im Service, eine ist als Putzkraft eingesetzt. Lőrinc, der seit einem Arbeitsunfall querschnittsgelähmt ist und im Rollstuhl sitzt, erledigt Aufgaben im administrativen und IT-Bereich. Darüber hinaus haben wir zwei leitende, sogenannte gesunde Angestellte, die Erfahrung aus dem Gaststättengewerbe mitbringen. Sie bedienen die große Kaffeemaschine und die Kasse, außerdem unterstützen sie die jungen Kollegen bei fachlichen Fragen und Problemen.

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Szimonetta bietet mir einen Capuccino an, den ich natürlich dankend annehme. Eines der Mädchen bringt ihn mir, mit einem Herzchen auf dem Milchschaum, liebevoll auf einem kleinen Tablett serviert. Schmeckt toll, wie immer.

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Haben die jungen Leute eine Gastronomieausbildung?

Nein, sie kommen ja überwiegend aus einer speziellen Bildungseinrichtung für Kinder mit Behinderung, wo sie je nach ihren persönlichen Fähigkeiten bestimmte Tätigkeitsmodule absolvieren. Eine berufliche Ausbildung erhalten sie dort nicht.

Aber wir können uns glücklich schätzen, denn hilfsbereite Lehrkräfte aus der Győrer Fachmittelschule für das Gaststättengewerbe haben sich spontan und unentgeltlich bereit erklärt, unseren Schützlingen die grundlegenden Praktiken beizubringen. Wir sind unendlich dankbar dafür, sie haben das mit so viel Engagement gemacht und den jungen Leuten nicht nur das rein Fachliche näher gebracht, sondern ihnen Motivation und die Liebe zu ihrer Tätigkeit mitgegeben. Von großer Bedeutung ist es für uns, dass die Fachlehrkräfte ihre Schützlinge in regelmäßigen Zeitabständen besuchen. Dabei können sie das Potenzial ihrer Schüler im Auge behalten und sie jeweils ihren Möglichkeiten entsprechend fördern. Das bedeutet, dass sie auch mit komplexeren Aufgaben betraut und auf diese Weise in ihrer individuellen Entwicklung unterstützt werden.

Sie sind eine der beiden Mentorinnen der hier beschäftigten jungen Menschen mit Behinderung, was beinhaltet das Mentoring?

An oberster Stelle steht die Anleitung zu selbständigem Leben, dabei ist eine geregelte Arbeit mit eigenem Einkommen vielleicht der wichtigste Faktor. Auf dem Weg in die Unabhängigkeit begleiten wir unsere jungen Mitarbeiter in allen Belangen: Wir bieten Hilfe bei Behördengängen, geben Tipps im Bereich Lebensführung, kümmern uns um psychologische Betreuung, falls notwendig. Wir stehen ihnen praktisch rund um die Uhr zur Seite, dadurch besteht ein vorbehaltloses Vertrauensverhältnis. Wir achten stets darauf, dass wir ihnen das Gefühl geben, nützlich zu sein, dabei ist es wichtig, sie immer wieder zu loben, ihnen unsere Anerkennung zu zeigen.

Außerdem helfen wir bei der Ausarbeitung der Dienstpläne, wobei wir versuchen, auf eventuelle Wünsche Rücksicht zu nehmen. Bei der Aufgabenverteilung halten wir immer die Fähigkeiten und die Belastbarkeit der einzelnen Jugendlichen im Fokus.

Wieviele Stunden pro Tag arbeiten die jungen Leute?

Das Café ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, auch am Wochenende. Unsere jungen Mitarbeiter sind in zwei vierstündige Schichten eingeteilt, aufgrund ihrer Beeinträchtigung sind mehr als vier Stunden pro Tag nicht zumutbar. Zudem haben einige eine lange Anfahrt, da müssen wir auch auf Ankunfts- und Abfahrtszeiten der öffentlichen Verkehrsmittel Rücksicht nehmen.

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Inzwischen sind auch die Mitarbeiter der Nachmittagsschicht eingetroffen, die Mädchen und Jungen begrüßen einander mit großem Hallo, sofort ist das Café mit fröhlichen Gesprächen und Lachen erfüllt.

Selbstverständlich möchte ich alle zu Wort kommen lassen und frage in die Runde, warum sie gerne hier arbeiten. Aus den vielen Antworten kann ich als Fazit ableiten, dass für sie alle die Gemeinschaft, der Austausch und das gegenseitige Vertrauen am wichtigsten sind. Sie kommen jeden Tag gerne zur Arbeit, da sie Freude daran haben. Natürlich sind sie auch stolz, eine verantwortungsvolle Aufgabe zu haben und eigenes Geld zu verdienen.

Ich spreche mit Nóri, einer der nicht mehr ganz jungen Mitarbeiter – sie ist Ende 30 und erzählt, dass sie schon mehrere Arbeitsstellen hatte, wo sie leider auch negative Erfahrungen machen musste. Hier sei das ganz anders, denn hier seien die Kollegen eine eingeschworene Gemeinschaft. „Wir alle nehmen Rücksicht aufeinander und respektieren uns gegenseitig.”

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Wie reagieren Ihre Gäste auf die Mitarbeiter mit Behinderung? – möchte ich von Szimonetta wissen.

Eigentlich haben wir fast ausschließlich positive Erfahrungen gemacht. Unsere Gäste stellen sich auf die speziellen Bedürfnisse unserer Mitarbeiter ein, sprechen deutlicher, formulieren einfacher, sind insgesamt sehr empathisch und geduldig. Selbst wenn es Missverständnisse bei einer Bestellung gibt, sind sie bereit, mit der Situation flexibel umzugehen. Zu unserer großen Freude haben wir zunehmend mehr Stammgäste, das bestätigt, dass unser Café sich gut entwickelt und eine gewisse Attraktivität besitzt.

Seit einiger Zeit kommen ab und zu Lehrer mit ihrer Schulklasse ins Café, um die Kinder gegenüber Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren, ihnen den Umgang mit der Andersartigkeit näher zu bringen. Wir unterstützen diese Initiative gerne, bitten aber um vorherige Anmeldung und um eine Mindestbestellung von einem Getränk pro Person. Diese Besuche sind immer spannend, denn manche unserer Schützlinge haben traumatische Situationen erlebt, wodurch sie zum Beispiel auf größere Gruppen von Kindern ängstlich reagieren. Das müssen wir als Mentoren beobachten und entsprechen kanalisieren.

Tamás Cser (r.): „Es wäre in jeder Hinsicht wünschenswert, wenn es mehr solcher Gastronomiebetriebe gäbe.“ Foto: Café Collis

Ich konstatiere, dass außer mir nur ein Gast anwesend ist und erkundige mich nach dem üblichen Besucheraufkommen.

Das ist ganz unterschiedlich und von vielen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel Witterung, Jahreszeit, Wochentag usw. Heute ist Montag, da ist kein großer Andrang zu erwarten. Nachdem unser Café nicht direkt in der Fußgängerzone gelegen ist, ist es von vornherein weniger frequentiert. Von Frühling bis Herbst, also während der Touristensaison, können wir aber schon sehr schöne Besucherzahlen verzeichnen. Hier auf dem Kapitelhügel gibt es zahlreiche Sehenswürdigkeiten, die auswärtige Besucher anziehen. Im Sommer ist unsere lauschige Terrasse ein beliebter Ort, um eine Pause einzulegen.

Sehr beliebt ist auch unsere „Lounge”, die wir gezielt als Ruheraum eingerichtet haben, hier können sich Gäste bei einem Kaffee oder Tee erholen, in Ruhe ein Buch oder die Zeitung lesen.

Hier treffen sich ab und zu Damen eines Handarbeitszirkels zu einem Plausch und zum Erfahrungsaustausch. Da die flinken Finger während der Gespräche nicht untätig sind, ist das für unsere jungen Mitarbeiterinnen eine willkommene Gelegenheit, den Damen etwas abzuschauen und sich Inspiration zu holen.

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Von Seiten des Trägers, also des Bistums, spreche ich – leider nur telefonisch – mit Herrn Dr. Sándor Cseh, der als Leiter der bischöflichen Vermögensverwaltung auch für das Café verantwortlich zeichnet. Er erklärt mir, dass das Café durch die Trägerschaft des Bistums keinen Druck hat, profitabel zu arbeiten, denn die Löhne der jungen Mitarbeiter mit Behinderung werden staatlich bezuschusst, so wie das auch bei anderen Arbeitgebern der Fall ist, die Menschen mit Behinderung beschäftigen.

Ich erfahre, dass das Bistum mit Bischof Dr. András Veres an der Spitze es auch als seine Mission betrachtet, den benachteiligten Jugendlichen eine Möglichkeit zu bieten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Zu diesem Zweck besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Bárczi-Förderschule, die geeignete Schüler für die Positionen im Café empfiehlt. Diese bekommen dann die Chance, während einer mehrwöchigen Probezeit, ihren potentiellen Arbeitsplatz kennenzulernen und sich auszuprobieren. Zum Glück besteht keine große Fluktuation und mittlerweile gibt es schon eine Warteliste von Bewerbern, was sehr erfreulich und beruhigend ist. Insgesamt kann das Projekt Café Collis als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden.

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In einem Café ist der qualitativ hochwertige Kaffee das Aushängeschild. Woher beziehen Sie den Kaffee, möchte ich vom leitenden Angestellten Tamás Cser wissen.

Der Kaffee kommt aus einer Rösterei in Sopron. Bei der Auswahl der Kaffeesorte war sogar der Bischof maßgeblich beteiligt, so dass der Kaffee auch seinen Geschmack widerspiegelt. Auch die Teesorten und die heiße Schokolade – natürlich auch in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen – werden über die Rösterei bezogen. Kuchen und Torten stammen aus einer Győrer Konditorei. Die Säfte kaufen wir stets aus verlässlicher Quelle, nach Möglichkeit von regionalen Erzeugern. Dabei bemühen wir uns immer, Qualität und Nachhaltigkeit im Auge zu behalten.

Kennen Sie andernorts Cafés, die ebenfalls Mitarbeiter mit Behinderung beschäftigen?

Wir wissen von je einem Café in Budapest und Székesfehérvár, außerdem soll es in Szekszárd ein Restaurant geben, wo junge Menschen mit Behinderung arbeiten.

Foto: Café Collis

Es wäre in jeder Hinsicht wünschenswert, wenn es mehr solcher Gastronomiebetriebe gäbe. Unser Beispiel hier zeigt, dass Interesse und Bedarf von Seiten der Beschäftigten besteht, und die Gäste gerne bereit sind, die etwas andere Atmosphäre dieses Cafés zu akzeptieren, ja diese sogar mögen.

Zum Schluss frage ich Szimonetta, was sie sich für die Zukunft des Cafés und dessen Mitarbeiter wünscht.

Es wäre so wichtig, dass wir ab und zu gemeinsam etwas unternehmen, damit unsere jungen Mitarbeiter auch außerhalb der Arbeit, also privat Zeit miteinander verbringen können. Leider ist das bei den Öffnungszeiten des Cafés schwer zu verwirklichen. Seit der Eröffnung waren wir einmal gemeinsam im Kino und hatten eine Menge Spaß – einer unserer jungen Mitarbeiter erzählte, er sei noch nie im Kino gewesen, das hat mich tief berührt. Ein tolles Erlebnis war auch eine Kajaktour auf der kleinen Donau – alle saßen buchstäblich im gleichen Boot und zogen bildlich am gleichen Strang. Das schweißte sie noch mehr zusammen. Solche Unternehmungen wünsche ich mir mehr.

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Und hier nun die Antwort auf meine Frage vom Anfang, was ein Café, ein Hügel und Wohltätigkeit gemeinsam haben:

Im Café Collis (collis Lateinisch Hügel) arbeiten junge Menschen mit Behinderung. Alle Gäste, die hier einkehren und einen Kaffee trinken, tun etwas Gutes, denn sie leisten einen Beitrag zum Erhalt der Arbeitsplätze dieser bewundernswerten Jugendlichen. Ein hervorragendes Beispiel gelebter Inklusion.

Kontakt und weitere Informationen: facebook.com/cafecollis

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