Ungarisches Kreativprojekt
Die Vermessung der Balatoner Gastrolandschaft
Mit ihren niedlichen, stark vereinfachten Darstellungen erinnert die Balatoner Gastrolandkarte, die dieser Tage kostenlos in vielen Budapester Lokalen zirkuliert, ja ein bisschen an Kunstprojekte aus Kindheitstagen. In der Mitte prangt das lang gezogene Blau des „ungarischen Meeres“, auf ihm kleine Boote, sogar ein Paar Schwäne und ringsherum: Ortsschilder, Zeichnungen von kleinen Häuschen, von Hamburgern, Schinken, Weingläsern und noch viele weitere süße Details. Doch anders als bei kindlichen Krakeleien entspricht jedes der hier skizzierten Häuschen tatsächlich einer Gastwirtschaft am Balaton. Insgesamt sind es 64 Stück. Über die Angebote und genauen Adressen der durchnummerierten Lokale informiert die Rückseite der Karte. Dabei sind unter anderem Cafés, Weinkeller, Csárdas, Edelrestaurants, Streetfood-Stände aber auch Hotels und Pensionen, mit einem besonderen kulinarischen Angebot. Selbst Sonderlinge wie das Autobahnrestaurant M7 Bistro sind auf der Karte verzeichnet. Allen gemeinsam ist, dass es sich bei ihnen quasi um kulinarische Geheimtipps handelt.
Faszination Balaton
Bereits seit 2015 gibt es das Kreativprojekt, das über die kulinarische Vielfalt rund um den liebsten Badesee der Ungarn informieren will. Initiatorin ist Judit Szauer. Sie kennt die Lokale auf der Karte – ebenso die Umgebung – wie ihre Westentasche. „Mein Herz gehörte schon immer dem Balaton“, erklärt sie im Interview mit der Budapester Zeitung. Bereits als Kind habe sie die Ferien an den Ufern des größten ungarischen Binnensees verbracht. Zunächst vor allem am Südufer, später im Norden in Balatonfüred, wo ihre Eltern ein Haus kauften. Und auch als Erwachsene hat der Plattensee, wie wir Deutschen ihn nennen, für sie nicht an Faszination verloren.
Dass sich Szauer hier insbesondere für alles Kulinarische interessiert, kommt nicht von ungefähr: „Die Liebe für gute Gastronomie, für Wein und alles, was das Leben zum Genuss macht, habe ich von meinen Eltern. Sie haben mich und meinen Bruder überall mit hingenommen. Wir sind viel verreist, haben andere Kulturen entdeckt und eben auch andere Küchen.“ Folgerichtig zog es Szauer, die zunächst Journalismus studierte und auch einige Jahre Erfahrungen im nüchternen Nachrichtengeschäft machte, auch beruflich in die Gastronomie. Seit 2010 arbeitet sie im Bereich der Gastro-PR, seit 2014 sogar als selbstständige PR-Expertin.
Neben bekannten Restaurants in Budapest baute sich Szauer dabei vor allem am Balaton einen festen Kundenstamm auf. Dort braucht man die Öffentlichkeitsarbeit besonders, ist sich die Expertin sicher, denn obwohl es mittlerweile eine reiche Auswahl an hochwertigen Restaurants gibt, – „Das war nicht immer so“, wirft Szauer ein – bringt die Region doch ein Problem mit sich: Die Gastronomen sind an die extrem kurze Saison gebunden. Die beginnt erst Ende Juni und ist in der Regel nach dem ungarischen Nationalfeiertag am 20. August schon wieder vorbei. Den Rest des Jahres ist die Region wie ausgestorben, sehr zum Leid der Gastronomen.
Teufelskreis Saisontourismus
„Eines Tages sagte einer meiner Kunden am Balaton zu mir: ‚Judit, du musst dir was einfallen lassen! Wir haben hier dieses wunderschöne Restaurant, aber die Saison ist vorbei und die Leute kommen einfach nicht mehr.‘“, erinnert sich Szauer. Tatsächlich gebe es ein verheerendes Missverständnis hinsichtlich des Balatons: Weil die Leute wegbleiben, müssten viele Restaurants außerhalb der Saison schließen, doch weil die Leute wüssten, dass die Lokale zu sind, kommen sie auch nicht. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen und die gastronomischen Angebote etwas bekannter zu machen, hat sich Szauer vorgenommen, als sie vor gut drei Jahren gemeinsam mit Dóra Budavári begann, eine Gastrolandkarte für den Balaton zu entwickeln.
Budavári ist ebenfalls in der Öffentlichkeitsarbeit tätig und wie Szauer hat auch sie eine persönliche Bindung zum Balaton. Von verschiedenen Events kannten sich beide bereits seit 2014.
„Die Idee war, eine Karte zu machen, die den Leuten hilft, die Gastrolandschaft des Balaton auch außerhalb der Saison zu frequentieren und ihnen zeigt, es gibt einen Grund, die Region zu besuchen“, so Szauer. Die beiden waren sich aber einig, dass sie vor allem jene Plätze auf ihrer Karte versammeln wollten, die eine etwas erlesenere Qualität als der durchschnittliche Balatonimbiss bieten. „In der Vergangenheit konnte man am Balaton wirklich viel Geld für schlechtes Essen ausgeben“, erinnert sich Szauer, „insbesondere in den 80ern und 90ern gab es unter den hiesigen Restaurants fast nur Touristenfallen.“
Dies habe sich in den letzten Jahren geändert, es gibt heute eine zunehmende Zahl an Lokalen, so die Beobachtung der Gastroexpertin, die auf qualitativ hochwertige, regionale und vor allem frische Zutaten setzen. Grund genug diesen Lokalen auch außerhalb der Badesaison mal einen Besuch abzustatten, finden Szauer und Budavári.
Eine Landkarte zum Verlieben
„Zunächst haben wir also damit begonnen, nach Restaurants in der Region zu suchen, die auch das ganze Jahr über oder zumindest für eine verlängerte Saison von März bis Oktober geöffnet haben“, erläutert Szauer den langwierigen Start des Kreativprojekts. Durch ihre Arbeit hält sie zu vielen Gastronomen am Balaton persönlichen Kontakt. „Ich habe ihnen von der Idee erzählt und die meisten waren begeistert.“
Für die Gestaltung der Karte holten sich die beiden dann die Grafikerin Kata Kerekes ins Boot. Und auch wenn Szauer und Budavári ihr dabei viel künstlerische Freiheit ließen, schwebte ihnen doch ein ganz bestimmtes Design vor. „Dóra und ich haben 2015 am Neusiedler See Urlaub gemacht. In unserer Unterkunft gab es eine mit Hand angefertigte Zeichnung, die zeigte, wo in der Region man ein Boot leihen, Fahrrad fahren oder ein schönes Picknick machen kann. Dass es wie eine Kinderzeichnung aussah, machte es besonders sympathisch. So was wollten wir auch für unsere Balatonkarte. Die Leute sollten sich einfach auf den ersten Blick verlieben können“
Die erste Gastrolandkarte brachte das kleine Team schließlich Ende des Sommers 2015 heraus. Damals kartografierten sie zunächst nur einen kleinen Teil der Gastrolandschaft rund um den Balaton: „Die erste Landkarte stellte 17 Lokale rund um die Städte Balatonfüred, Csopak, Paloznak und Alsóörs vor.“ Dank der PR-Erfahrung von Szauer und Budavári und der liebenswerten Gestaltung wurde die Karte schnell zum Erfolg. „Wir haben viel positives Feedback erhalten, Leute haben uns angeschrieben, um sich zu bedanken, weil sie durch die Karte auf Restaurants gestoßen sind, die sie sonst vielleicht nie besucht hätten“, erzählt Judit Szauer. Viele würden sogar Bilder von ihren Restauranterfahrungen schicken. „Es gab schon Leute, die alle von uns empfohlenen Restaurants besuchen wollten und sie dann nach und nach auf der Karte abgehakt haben.“ Das Konzept der Karte scheint einfach aufzugehen.
Von 10.000 auf 250.000 Exemplare in nur einem Jahr
„Bald kontaktierten uns auch Restaurants aus anderen Regionen des Balatons, etwa aus dem Káler Becken, aus Badacsony, Keszthely oder vom Südufer des Sees und fragten, ob wir nicht auch sie in unsere Karte einschließen könnten“, erzählt Szauer. So entstand nur wenige Monate später eine Karte für das westliche Nordufer des Balatons und im Januar 2017 sogar eine für das Balaton-Südufer.
Im Sommer 2017 folgte dann der erste große Meilenstein für das Projekt. Zum ersten Mal zeigte die Gastrolandkarte die gesamte Balatonregion. Die Auflage stieg sprunghaft. Sie wuchs von 10.000 gedruckten Exemplaren für die bis dato erschienenen Karten auf eine Viertelmillion. Den Ausschlag dafür gab unter anderem, dass der Veranstalter Nagyon Balaton als Sponsor eingestiegen war.
In diesem Jahr konnten Szauer und Budavári zudem BMW als Sponsor gewinnen. Und obwohl 2018 nur 100.000 Balatoner Gastrolandkarten gedruckt wurden, sieht das kleine Kreativteam dies nicht als Rückschritt, denn im Gegenzug kam die Gastrolandkarte nun erstmals als App fürs Mobiltelefon heraus. Über sie kann man durch alle Restaurants browsen, aber auch nach bestimmten Suchkriterien – etwa vegetarisch oder hundefreundlich – filtern. Zudem ist es möglich, von hier aus auch auf die Webseiten der einzelnen Lokale zuzugreifen, eine Reservierung zu machen oder sich den Weg anzeigen zu lassen. Insofern man den Zugriff auf den eigenen Standort erlaubt, zeigt die App darüber hinaus die Lokale an, die am nächsten liegen. Und das ist nur der Anfang: „Wir wollen in Zukunft noch viele weitere nützliche, aber auch lustige Funktionen für die digitale Gastrolandkarte entwickeln“, so Szauer.
Obwohl die Restaurants natürliche eine Servicegebühr entrichten, um auf der Karte zu erscheinen, geht es Szauer nicht primär ums Geld. Wer mit ihr spricht, bekommt schnell das Gefühl, es ist die ehrliche Leidenschaft für den Landstrich, die sie antreibt.
Für die kommenden Monate und Jahre haben Judit Szauer und Dóra Budavári Karten für weitere Regionen in Ungarn, wie das Mátragebirge oder Weingebiete wie Eger oder Tokaj, in Planung. „Auch wenn der Balaton meine wahre Liebe ist“, so Szauer, „gibt es doch – gerade kulinarisch – in Ungarn viele tolle Orte zu entdecken!“
Wenn Sie sich selbst von der Qualität der Gastrolandkarte überzeugen wollen, finden Sie sie in rund 180 Lokalen rund um den Balaton sowie mehr als 60 Plätzen in der ungarischen Hauptstadt. Zudem liegen die Karten auch an MOL-Tankstellen in der Balatonregion aus. Sie können sie aber auch auf der Webseite des Kreativprojektes unter gasztroterkepek.hu online einsehen oder als PDF herunterladen. Hier finden Sie weiterhin ein Archiv mit allen bisherigen Versionen. Und natürlich finden Sie die Gastrolandkarte auch in Apples App Store oder auf Google Play.