Winzerin Tünde Szabó. Fotos: WGSD

Zu Besuch beim Weingut Napsárkán

Der Drachenwein vom Balaton

Winzerin Tünde Szabó produziert auf dem von der Familie geerbten Weinberg im Balaton-Oberland kleine Mengen Wein in hervorragender Qualität und gibt dabei der Natur in jeder Hinsicht den Vorzug.

Überall im Weinbaugebiet Badacsony hat die Weinernte begonnen, beim Wandern durch die Weinberge ist geschäftiges Treiben zu sehen.

Ein besonderes Weingut auf dem Berg des Heiligen Georg

Ich bin nicht zum ersten Mal auf dem Berg des Heiligen Georg (Szent György hegy), aber das erste Mal treffe ich persönlich eine echte Rarität unter den Winzern. Aufgefallen ist mir zuallererst das Logo des Weingutes „Napsárkán“ (was so viel wie Sonnendrache heißt) schon im Juni, als die dortigen Weinkeller bis in die frühen Morgenstunden geöffnet hatten. Der Drache (sárkán, alte Schreibweise von sárkány, dt.: Drache), der die Sonne (nap) verschlingt, findet sich auf einigen Flaschenetiketten wieder. Drachen in allen möglichen stilisierten Formen begegnet man auf dem Weingut auch an verschiedenen Stellen. Das hat mich neugierig gemacht und so treffe ich Mirtill und Tünde Szabó auf der Terrasse des Weingutes.

„Wir ernten hier quasi pure Sonne. Weintrauben nehmen mehr Sonne auf als Weizen. Und diese Sonne verwandeln wir in unserem Weinkeller in flüssiges Gold“, so lauten Tündes erste Sätze, nachdem wir unsere Plätze unter den Sonnensegeln eingenommen haben.

Ein sich perfekt ergänzendes Duo: Tünde und Mirtill Szabó.

NAPSÁRKÁN-TERASZ

8284 Kisapáti, hrsz: 1118
Mobil: +36 20 385 2200 (Mirtill Szabó) für Informationen und Reservierungen
sarkanyterasz@gmail.com
GPS Koordinaten: 46.837315; 17.453694

Sonne ist wichtigste Zutat

Was es mit dem Namen „Sonnendrachen“ auf sich hat, möchte ich wissen und erfahre, dass sich in früherer Zeit die Menschen erzählten, die Sonne würde jeden Abend von einem Drachen verschlungen und am Morgen wiedergeboren. „Für unseren Wein ist die Sonne die wichtigste Zutat“, fügt Mirtill hinzu. Einer Statistik zufolge bekommt das Balaton-Oberland im Durchschnitt 2.100 Stunden Sonne im Jahr, eine ideale Bedingung für hervorragende Weine, die sogar schon die Römer zu schätzen wussten.

Die Tatsache, dass der Berg, auf dem wir uns befinden, nach dem Drachentöter Georg benannt ist, spielt ebenfalls eine Rolle. Tünde ist davon überzeugt, dass in jeder Legende auch ein Fünkchen Wahrheit steckt und der Heilige Georg dem Berg und seinen Bewohnern in irgendeiner Form Unterstützung und Schutz gewährt.

Die Aussicht ist imposant, die Ruhe herrlich. Meine beiden Gesprächspartnerinnen sind zwei lebenslustige, überaus sympathische Frauen Mitte 40, die sich ganz der Herstellung und dem Verkauf qualitativ hochwertiger Weine verschrieben haben.

Jeder Handgriff muss sitzen!

Tünde verfügt neben ihrem Abschluss als Landschaftsgarten-Ingenieurin auch über einen Abschluss als Sozialpädagogin und nicht zu vergessen als Fachingenieurin für Weinbau und Önologie. Sie ist diejenige, die sich um alles Praktische kümmert, was mit den Trauben und dem Wein zu tun hat. Vom Rebschnitt im Januar-Februar über das anschließende Biegen und Binden der Ruten, die folgende Bodenbearbeitung, das Pflegen und Kontrollieren der Reben bis hin zur Ernte – sämtliche Arbeiten erledigt Tünde allein, mit einem altgedienten Traktor. In Ausnahmefällen hat sie Tagelöhner auf dem fast fünf Hektar großen Gut, manchmal hilft ihre Schwester Mirtill mit.

Auf der Sonnen-Drachen-Terrasse können unter anderem die gleichnamigen Weine verkostet werden.

„Den Rebschnitt kann ich keinen fremden Händen überlassen, da bin ich sehr eigen; höchstens meine Schwester darf im Notfall aushelfen“, sagt Tünde lachend. „Die Qualität unseres Weines wird durch diesen ersten Schnitt im Jahr bestimmt. Da muss einfach jeder Handgriff sitzen. Ich kenne meine Reben inzwischen sehr genau und weiß, wo ich helfend eingreifen muss oder wo ich der Natur freien Lauf lassen kann.“

Die vollkommenste Pflanze der Welt

Tünde Szabó glaubt an die Natürlichkeit der Trauben und des Weins, die spirituelle, allumfassende Kraft der Sonne und ihren positiven Einfluss auf das Leben. In diesem Sinne produziert die Kellerei vor allem Weine aus den Rebsorten Welschriesling, Müller-Thurgau, Grauburgunder, Rheinischer Riesling und Pinot Noir.

Für Tünde ist die Weintraube die vollkommenste Pflanze der Welt. Und was so perfekt ist, sollte in seiner natürlichen Entwicklung nicht vom Menschen beeinflusst werden. Die Trauben und der daraus gewonnene Wein werden so natürlich wie möglich behandelt, damit sie nicht von künstlichen Geschmacks-, Aroma- und Farbstoffen beeinflusst werden, sondern ausschließlich durch den einzigartigen Charakter der Frucht und des Ortes, an dem sie angebaut werden.

Die Frau im Hintergrund

Mirtill Szabó ist von Beruf Maschinenbauingenieurin der Bekleidungsindustrie und Ingenieurin für Qualitätssicherung. In ihrer Hand befinden sich der gesamte administrative Bereich des Weingutes, die Vermarktung des Weins und das Marketing der erst in diesem Jahr angelegten Terrasse.

„Jetzt, da wir endlich die Möglichkeit haben, Gäste bewirten zu können, möchten wir Weinliebhaber von unseren Qualitätsweinen überzeugen und ihnen eine Zeit der Ruhe und Entspannung bieten.“ Die meisten, die hier die grandiose Aussicht und die Stille auf dem Berg genossen haben, kommen wieder. Nicht nur wegen des Weines, sondern auch wegen der bodenständigen Gastgeberinnen, wie mir mehrere Gäste berichteten. Die beiden Damen bemühen sich um eine familiäre Atmosphäre, abgehobenen kulinarischen Schnickschnack wird man hier vergeblich suchen. Zum Wein werden Schmalzbrote und Pogatschen serviert, ganz wie es früher in den Familien üblich war.

Natürlich prangt der Namensgeber des Weingutes auch auf den Etiketten.

Ein perfektes Duo

Für mich als Außenstehende vermitteln die beiden den Eindruck, dass sie sich hervorragend ergänzen. Tünde scheint vor Energie zu sprühen, und so fällt es mir nicht schwer, sie als agile Weinbäuerin singend bei der Ernte zwischen ihren Reben zu sehen. Mirtill dagegen strahlt Ruhe und Zufriedenheit aus. Dennoch macht sie auf mich einen zielstrebigen Eindruck. Nicht zuletzt hängt das finanzielle Überleben des Weingutes von ihr ab.

„Dass ich als Frau quasi alleine die 4,8 Hektar Weinhügel bewirtschafte, wird in den meisten Fällen mit völligem Unglauben aufgenommen“, erzählt Tünde. In mehr als einem Fall wandte sich ein Käufer an Mirtill mit der Bitte, den Winzer sprechen zu wollen und reagierte nicht etwa freudig überrascht, sondern so, als wolle man ihn auf den Arm nehmen, wenn Tünde in ihrer legeren, farbenfrohen Kleidung, von der Sonne gebräunt und mit einem neugierigen Lächeln erschien.

Bei dieser Beschreibung kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Heute trägt Tünde ein pinkfarbenes Oberteil, eine Art Pluderhose in der gleichen Farbe und eine Strähne ihres herrlich gelockten, irgendwie aufgesteckten Haares ist ebenfalls dezent pink eingefärbt. Um den Hals liegt ein filigran gearbeitetes Schmuckstück – wenig überraschend – in Form eines Drachen. Mag sein, dass es keine typische Kleidung für einen Weinbauern ist, aber wer sagt denn, dass ein Winzer uniformgleiche Landarbeiterkleidung tragen und bierernst auftreten muss?

Manche der Winzerkollegen bezweifeln gar, dass zwei Frauen im Alleingang ein Weingut wie dieses bewirtschaften können. Auch der natürliche Umgang mit den Reben wird belächelt. Völlig ohne künstliche Unkrautvernichter und Schädlingsbekämpfungsmittel kann es nach deren Meinung gar nicht funktionieren.

Natürlichen Problemen wird natürlich begegnet

Doch zum Konzept gehört auch, dass natürliche Helfer in den Plantagen gewünscht und gern gesehen sind. Zahlreiche Insekten, Vögel, Katzen, Hunde und Füchse sind häufige Gäste. Gelegentlich statten auch andere wilde Tiere einen Besuch ab. Das heißt nicht, dass es keine Probleme mit Mehltau oder anderen Krankheiten gibt. Daher kommt beispielsweise Brennnesseljauche auf dem Gut zum Einsatz, um nur ein Beispiel für den natürlichen Umgang mit den Trauben zu nennen.

Im Sinne des Umweltbewusstseins versuchen die Frauen, alles von lokalen Erzeugern zu beziehen, damit ihre täglichen Aktivitäten einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Die Natur geht vor!

Wie alles begann

Die Wurzeln des Weinguts gehen auf das Jahr 1928 zurück, als der Urgroßvater István Bajnócy das Land an den Südosthängen des Berges kaufte. Eine gut erhaltene Urkunde aus dem Jahr 1928 bezeugt den Erwerb, der damals ganze 800 Pengő (Forint-Vorgänger) kostete. Seither wurde das Gebiet mit Weinreben bebaut, Trauben und der produzierte Wein wurden von der Großfamilie, Nachbarn und Freunden verzehrt, manches ging auch in den Verkauf, als kleiner Nebenerwerb.

Von 1968 bis 1972 bepflanzten die Großmutter und der Vater die Hänge mit neuen Weinreben. „Die Weinstöcke, an denen heute unsere Trauben für den Riesling wachsen, sind in ihren 50er Jahren, im besten Alter also“, sagt Tünde Szabó schmunzelnd.

Das Jahr 2018 war ein sehr guter Jahrgang und so wurde zum 90jährigen Bestehen des Weingutes ein besonderer Wein abgefüllt. Ein Familienfoto, auf dem Vater István Szabó als Kleinkind auf dem Schoß des Großvaters sitzt, ziert das am Flaschenhals angebrachte Kärtchen des Weines mit dem Namen „Sárkántangó“, also Drachentango.

Viel Arbeit – aber auch viel Freude

Es bedeutet viel Arbeit, dieses Weingut zu bewirtschaften, und Tünde räumt ein, dass sie gelegentlich am Ende ihrer Kräfte ist. „Manchmal fehlt einfach eine helfende Hand, um nicht zu sagen, die physische Kraft eines Mannes“, flüstert mir Mirtill mit einem Zwinkern zu. Zum Glück sind im Hintergrund Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder, die mit Hand anlegen, wenn Tünde oder Mirtill Hilfe brauchen, nur sind die nicht regelmäßig vor Ort.

Und als ob der ganz normale Alltag nicht ausreichend wäre, kommen dann auch noch die Behörden mit Vorschriften aus der EU. Erst kürzlich wurden Weinhändler dazu verpflichtet, auf den Flaschenetiketten QR-Codes anzubringen. Das heißt, die in liebevoller Kleinarbeit erstellten Etiketten, die nicht wenig Zeitaufwand bedeuteten, mussten komplett umgestellt werden, damit genügend Platz für die Codes bleibt.

Der Umgang mit der Natur gibt Tünde viel Kraft und die Freude an dem, was sie tut. Diese strahlt sie auch unzweifelhaft aus. Vor allem, wenn sie erzählt, wie alles begann, wie sie „ihre“ Reben behandelt, für sie singt, die Ernte mit der Hand nach den Mondphasen ausrichtet, die Fässer im Keller mit klassischer Musik beschallt, dann leuchten ihre Augen. Wenn Besucher sich für einen Nachmittag oder Abend zum Verkosten einfinden, werden sie persönlich von Tünde begrüßt. Ohne sich zu wiederholen oder zu stocken redet sie mit den Besuchern eloquent über ihre Weine und alles, was damit zu tun hat.

Begeisternde Perspektiven

Für die Zukunft sind auf der Terrasse regelmäßige Weinverkostungen geplant, kulinarisch-kulturelle Veranstaltungen wie beispielsweise literarische Lesungen mit Themen, die zum Wein passen, „Musik und Wein“ sowie Blindverkostungen. Mirtill hat jede Menge Ideen, von denen sich Besucher anziehen lassen und die Tünde die Möglichkeit geben, ihre Leidenschaft für qualitativ hochwertigen Wein weiter zu tragen.

Die Weinterrasse neben dem Napsárkán-Keller möchte ihren Gästen einen Ort bieten, an dem sie Eindrücke gewinnen können, die im alltäglichen Trubel nicht möglich sind. Mit hauptsächlich lokalen Produkten und den Qualitätsweinen aus dem eigenen Keller können die Besucher entschleunigen, die Landschaft genießen, geistreiche Gespräche führen und neue Energie tanken.

Der Panoramablick von der Napsárkán-Terrasse auf den Balaton und die herrliche Aussicht auf den Szent-György-Berg bilden die perfekte Kulisse für einen unvergesslichen Abend. Der Duft von frisch geernteten Trauben und der Natur schwingt in der Luft mit, während die Sonne langsam hinter den Hügeln versinkt und die Terrasse in goldenes Licht taucht.

Von der Terrasse bietet sich ein unverstellter Blick auf den Balaton.

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