Wing Couture
„Wer empfänglich dafür ist, der fühlt sich sofort anders, wenn er eine so bedeutungsschwangere Requisite wie ein Paar Flügel anzieht.“

Wing-Couture-Gründerin Eszter Kovács

Diese Frau verleiht Flügel

Eszter Kovács zu beschreiben, ist eine echte Herausforderung: Sie ist Akrobatin, Feuer-Jongleurin, Kostümbildnerin, Event-Managerin und Herstellerin von Engelsflügeln. Dabei ist sie so voller Energie, dass jeder, der auch nur in ihre Nähe kommt, fast schon ein leichtes Kribbeln auf der Haut spürt.

Schon von Kindesbeinen an zog es Eszter in die Welt der Unterhaltung: „Ich war Mitglied im Kinderensemble des Ungarischen Radios und bekam damals sogar die Hauptrolle in einem Hörspiel.” Auch im Film „Az én XX. századom” (dt.: „Mein 20. Jahrhundert“), der erfolgreiche Erstlingsfilm der ungarischen Filmregisseurin Ildikó Enyedi, spielte sie mit. Doch dann schien es so, als würde sie die künstlerische Laufbahn für immer verlassen. Erst mit 30 Jahren fand sie schließlich ihren Weg zurück.

Zu spät? Genau richtig!

Bereits erwachsen beschloss Eszter, sich im professionellen Tanz zu versuchen. Das Schicksal wollte es, dass eben zu jener Zeit auch die Budapester Artistenschule neue Schüler aufnahm. Kurz entschlossen schrieb sich Eszter dort ein. „Alle hielten mich für verrückt. Mit dreißig noch an die Artistenschule!” Doch schnell stellte sie fest, wie viel spannender als Tanz die Zirkusakrobatik ist. „Die Zirkuskunst ist für mich die höchste Form der darstellenden Künste, das Maximum des menschlich Machbaren wird durch die Darsteller erreicht. Bis heute ist es für mich einfach umwerfend, wie viel eine solche Vorstellung dem Zuschauer gibt.”

In der Zirkusschule fand Eszter nicht nur eine neue Leidenschaft, sondern auch Gleichgesinnte: „Ich traf auf Menschen, die die gleiche Sicht auf die Zirkuskunst und ähnliche Vorlieben haben. Wir gründeten damals das Zirkusensemble Taurin, mit dem wir bis heute aktiv sind.”

Die Liebe zum Zirkus war jedoch keinesfalls neu für Eszter: „Schon immer gefielen mir sowohl im Theater, aber vor allem im Zirkus die aufregenden Charaktere, die tollen Kostüme und das interessante Make-up. Meine Lieblingscharaktere waren immer die nicht-menschlichen Figuren.”

Daher hat sich Eszter im Theater und Zirkus immer jenen Projekten angeschlossen, in denen sie ihre Vorliebe für ausgefallene Kostüme ausleben konnte. „Irgendwann kam dadurch auch ‚Wing Couture‘ ins Bild”, erzählt sie.

Flügel für jeden Anlass

Doch noch bevor sich Eszter hauptberuflich mit der Fertigung und dem Verleih von Flügeln beschäftigte, denn dafür steht „Wing Couture“, startete sie das Kunstprojekt „Wandering Wonders”. Die wandelnden Wunder sind Fantasiefiguren auf Stelzen. „Während ich immer neue Charaktere entwarf, stellte ich fest, dass ich nirgends Flügel bekommen kann, höchstens diese Plastikmonstrositäten aus Asien.” Dabei ist gerade der Engel mit Flügeln, so Eszter, eine omnipräsente und starke Figur in unserer Kultur: „Seien wir ehrlich, viele Frauen träumen sich manchmal selbst als Engel.”

Aber auch andere mythologische Figuren mit Flügeln üben, so erzählt sie, eine besondere Faszination auf den Menschen aus. „Wir fanden einfach keine vernünftigen Flügel, also beschlossen ich und meine Freundin Zsuzsanna Bossányi, selbst Flügel herzustellen.” Zsu­zsanna brachte dabei das handwerkliche Geschick und Fachwissen mit, welches sie sich an der Budapester Designschule KREA und als Kostümbildnerin bei zahlreichen ausländischen Events wie dem namhaften belgischen Festival Tomorrowland erwarb.

Im November 2019 starteten die beiden Freundinnen dann den Kostümverleih Wing Couture – und waren selbst von ihrem Erfolg überrascht. „So kurz vor Weihnachten ergab es sich fast von selbst, dass wir mit Engelsflügeln anfangen”, erklärt Eszter. Obwohl der Anfang vor allem finanziell eine Herausforderung war – die beiden Maximalistinnen geben sich mit nicht weniger als dem Besten zufrieden und importieren ihre Federn aus dem Ausland –, zeigte sich schnell, dass es für dieses absolut einzigartige Produkt durchaus einen Markt gibt: „Vor allem Fotostudios mieten unsere Flügel, aber auch bei Events werden sie genutzt”, erzählt Eszter.

„Tief im Innern wünscht sich jeder Flügel”

Seit 2019 hat sich das Angebot von Wing Couture stark erweitert: „Mittlerweile haben wir auch Flügel aus Stoff und sind dabei, Flügel für weitere Fabelwesen zu entwerfen.”

Wie schon bei den Engelsaccessoires setzen Eszter und Zsuzsanna hier auf besonders hochwertige Materialien. So wird jedes Paar Flügel zu einem einzigartigen Kunstwerk – dessen Transport manchmal zu witzigen Situationen führt: „Ganz ehrlich, am einfachsten lassen sich die Flügel auf dem Rücken transportieren. Auseinandernehmen kann man sie nämlich nicht”, gesteht Eszter. Schon mehrmals wurde sie auf dem Weg zu einem Event mit Flügeln auf dem Rücken von Passanten angesprochen.

Besonders gerne erinnert sie sich an eine Begegnung: „Ich war auf dem Heimweg von einem Event und hatte Flügel bei mir. Ein großer tätowierter Glatzkopf sprach mich darauf an. Er zog sie sogar selbst einmal über und sah einfach umwerfend damit aus.” Der von seiner neuen Erscheinung überraschte Flügelträger habe ihr gestanden, dass er fühle, mit den Flügeln sein wahres Ich auch nach außen hin sichtbar zu machen. Flügel, meint die vielseitige Künstlerin, geben jedem Menschen ein ganz besonderes Gefühl. „Tief im Innern wünscht sich jeder Flügel“, ist sie sich sicher.

Gerade bei Fototerminen werde dies sichtbar: „Klar, Kinder mit Flügeln sehen immer hinreißend aus, da muss man eher darauf achten, dass die Eltern die Bilder ihrer Kinder nicht mit weiteren Requisiten überladen, sonst wird es schnell kitschig.”

Kitsch ist das Letzte

Und Kitsch ist das Letzte, was Eszter mit ihren Flügeln in Verbindung bringen möchte. Viel eher sollen ihre Flügel dem Träger oder der Trägerin selbst auch von der inneren Haltung her „Flügel verleihen”. Als Beispiel nennt Eszter ein Erlebnis bei einem Mutter-Tochter-Shooting: „Die beiden standen sich ohnehin nah, aber als sie die Flügel anzogen, passierte etwas mit ihnen, sie verwandelten sich.”

Flügel, so ist sich die Künstlerin sicher, verzaubern Träger und Zuschauer gleichermaßen – und Eszter nutzt diesen Effekt ganz bewusst: „Mir ist es wichtig, dass alle meine Charaktere immer etwas Positives, etwas Starkes in sich tragen.” Daher missfalle ihr auch der zeitgenössische Tanz, da dort oft Trauer, Schockmomente oder gar Aggression die Produktionen bestimmen. Eszter hingegen möchte, dass ihre Zuschauer und Flügelträger eine ganz neue und vor allem positive Erfahrung machen: „Wer empfänglich dafür ist, der fühlt sich sofort anders, wenn er eine so bedeutungsschwangere Requisite wie ein Paar Flügel anzieht. Dann wird man ein Stück weit zum Charakter selbst.”

Die Federn sprechen lassen

Doch auch als Zuschauer kann sich niemand der Wirkung der Flügel entziehen. „Ich habe eine Engelsfigur in meinem Artistikrepertoire, bei der ich mit einem Kontaktball, in diesem Fall eine Glaskugel, jongliere. Zur Nummer gehört, dass ich den Menschen sage, sie sollen sich etwas wünschen. Oft kann ich sehen, dass sie sich dem Zauber wirklich hingeben und sich tatsächlich etwas wünschen.“ Manchmal hat Eszter das Glück, dass Zuschauer ihr Feedback geben: „Wir haben einmal eine Feuershow veranstaltet, und danach kam eine alte Dame zu uns und bedankte sich für die Vorstellung. Sie sagte, dass wir sie ‚80 Jahre Kummer und Sorgen’ haben vergessen lassen.”

Diese Art von Positivität erhofft sich Eszter bei allen ihren Projekten. Dabei baut sie auf die Wirkung ihrer edlen Requisiten: „Wenn ich eins nicht leiden kann, dann ist es Kitsch. Ich mag Minimalismus.” Den scheinbaren Widerspruch zwischen den pompösen Flügeln und ihrer Vorliebe für eine Beschränkung auf das Nötigste löst Eszter bei Fotoshootings gekonnt auf. Statt den Hintergrund zu überladen, lässt sie lieber die Federn sprechen.

Sie geht sogar noch darüber hinaus: „Ich mag Hässliches”, gesteht sie, und gerade dieser Gegensatz zwischen zarten, edlen Flügeln und rohem Hintergrund ist vielleicht der Grund dafür, warum ihre Flügel so beliebt sind. „Wir leben in Zeiten, in denen so viel Schlimmes um uns herum geschieht und es so viel Negativität gibt. Da brauchen wir positive Figuren.”

Weitere Informationen zu den Kreativprojekten von Eszter Kovács finden Sie auf www.facebook.com/wingcouturebudapest und www.facebook.com/wanderingwonder.

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