Opera Gin
Wacholderschnaps made in Hungary
Eine Cocktailkarte ohne Gin Tonic ist nicht nur heute unvorstellbar. Seit es Cocktailbars gibt, gehört das Mischgetränk aus Wacholderschnaps und chininhaltiger Limonade zu den beliebten Klassikern. Seine Geschichte geht bis in die Kolonialzeit des British Empire zurück, als es sich zur Vorbeugung von Malaria großer Beliebtheit unter britischen Soldaten erfreute.
Die Geschichte des Gin selbst ist jedoch noch viel älter und bis ins 17. Jahrhundert zurückzuverfolgen.
Eine kurze Geschichte des Gin
Auch wenn viele in England die Heimat des Gins vermuten, hat die Spirituose ihre Ursprünge in den Niederlanden. Der dort übliche Genever, niederländisch für Wacholder, gilt als Vorläufer des Gins. Nach England brachte die Spirituose der niederländische Adlige Wilhelm III. von Oranien-Nassau, der 1689 den englischen Thron bestieg. Bei den Inselbewohnern, die den Genever kurz Gin nannten, erfreute sich das günstig herzustellende alkoholische Getränk einer solchen Beliebtheit, dass für einige Zeit ein regelrechter „Gin Craze“ ausbrach – Zeitzeugen beschrieben ganze Gesellschaftsschichten im Dauerrausch. Der Konsum stieg so stark an, dass sich letztendlich die Regierung gezwungen sah, einzuschreiten. Zahlreiche Beschränkungen sowie verschärfte Qualitätskontrollen führten zu einem moderateren Umgang mit dem geistigen Getränk und machten die nunmehr auch in ihrer Herstellung sophistizierte Spirituose in den oberen Gesellschaftsschichten salonfähig.
Lange blieb die Beliebtheit des Getränks ungebrochen. Erst die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Prohibition, dem Ersten Weltkrieg und den Wirren der Nachkriegszeit bereitete der Gin-Ära ein Ende. Ab da fristete der Wacholderschnaps, für den die Engländer einst bereit waren, ihr letztes Hemd zu verkaufen, ein Schattendasein als Lieblingsgetränk alter Damen.
In den 90ern ging es jedoch wieder bergauf und zu Beginn der 2010er erfasste die Welt eine regelrechte Wiederbelebungswelle der alten Trinksitten, die „Gin-Naissance“.
Die 2009 in London gegründete Sipsmith-Destillerie machte den Anfang. Im Schwarzwald begann Alexander Stein 2010 mit dem Destillieren seines Monkey 47, der heute als einer der besten Dry Gins weltweit gefeiert wird. In den USA nahmen im selben Jahr die Hersteller von Brooklyn Gin die Arbeit auf. Und auch in zahlreichen anderen Ländern wurde das vergessene Handwerk der Gin-Herstellung in den darauffolgenden Jahren wiederentdeckt.
Mittlerweile gibt es über 4.000 unterschiedliche Gins am Markt, die meisten nicht älter als zehn Jahre. Sie alle bringen Eigenarten mit und spielen häufig mit landestypischen Aromanoten.
Budapests einzige Gin-Destillerie
Mit dem Opera Gin ist 2019 nun sogar ein echt ungarischer Wacholderschnaps auf den Markt gekommen. Gebrannt wird er in einem Lagerhaus im 4. Bezirk von Budapest. Es ist die einzige Mikrodestillerie auf dem Gebiet der ungarischen Hauptstadt.
Von außen unscheinbar, erwartet einen im Inneren ein hochklassiges Speakeasy mit schickem Bartresen, gemütlichem Loungebereich und begehbarer Destillerie. Laut Geschäftsführer Bálint Dámosy ist hier seit der Eröffnung vor gut anderthalb Jahren – von Corona-Zeiten abgesehen – „fast immer die Hölle los“. Und das, obwohl der Ort nur geladenen Gästen offen steht. Vor allem für Teambuildings und Events aller Art schätzen Veranstalter die verruchte Atmosphäre der Destille. Getrunken wird hier neben internationalen Spezialitätengins vor allem der hausgemachte Opera Gin. Die Rezeptur für diesen haben Dámosy und sein Team in monatelanger Arbeit selbst entwickelt. Wie er auf die wortwörtliche „Schnapsidee“ gekommen ist, mit der Herstellung seines eigenen Gins zu beginnen, erzählt er der Budapester Zeitung am Tresen vor einer Wand von Spirituosenflaschen aus aller Welt.
Opera Gin gewinnt Gold
Erst Anfang Juli wurde der ungarische Gin erstmals mit einem großen internationalen Preis geadelt. Bei den Gin Masters 2020, einem Wettbewerb der britischen Fachzeitschrift The Spirits Business, gewann die Spirituose eine Goldmedaille und setzte sich dabei gegen fast 200 Konkurrenten aus der ganzen Welt durch. Opera Gin ist der erste Gin aus der Region Mittel- und Osteuropa, der mit dieser Auszeichnung geehrt wurde. Zudem ist der Marke das seltene Kunststück gelungen, schon bei der ersten Teilnahme am Wettbewerb den ersten Platz zu erringen.
Dámosys Gin-Geschichte begann vor rund sechs bis sieben Jahren mit einer Weiterbildung zum Weinkenner. „Anwälte trinken ja bekanntlich gerne Wein“, gesteht Dámosy schmunzelnd. In Ungarn, Österreich und Italien besuchte der Hobby-Sommelier daher Schulungen des renommierten Wine and Spirit Education Trust. Zeitweise überlegte er sogar, ein Weingut zu kaufen, doch es kam ganz anders.
„Bei den Kursen ist mir aufgefallen, dass die Weinkenner und auch die Lehrer abends in der Bar nicht Wein, sondern immer Gin Tonic oder Gin Dry Martini getrunken haben. Da merkte ich, dass Gin eine spannende Geschichte ist. Ich hab dann ein bisschen recherchiert und mir wurde schnell klar: Dieser Gin-Boom entwickelt sich jetzt so langsam“, erinnert sich Dámosy. Er kaufte sich zahlreiche Bücher zum Thema, verkostete, so viel er konnte, und besichtigte sogar einige Brennereien.
Damals wurde in Ungarns Bars zwar schon fleißig Gin Tonic getrunken, einen Gin Made in Hungary gab es bis dahin aber noch nicht. Dabei scheint sich die Gin-Herstellung hierzulande geradezu anzubieten. Denn Ungarn ist, wie Dámosy erklärt, ein regelrechtes Wacholderland: „Wir haben hier ganz viel Wacholder sowohl im Alföld als auch im Bükk-Gebirge. Unser Wacholder kommt jedoch aus der Kiskunság, einem Nationalpark südlich von Budapest.“
Eine komplexe Rezeptur aus zwölf Zutaten
Und was macht den Opera Gin so besonders? Das sind zu allererst natürlich seine Zutaten – angefangen vom Ausgangsalkohol bis hin zu den sogenannten Botanicals, die zur Aromatisierung genutzt werden. „Wir verwenden Alkohol aus Mais“, erklärt Dámosy zunächst die Grundlagen. „Die meisten Gin-Produzenten nehmen aus Weizen oder Roggen hergestellten Alkohol.“
Der Gin-Liebhaber zeigt auf einige Schälchen. Zwölf verschiedene Kräuter, Beeren und Wurzeln machen den Geschmack des Opera Gins aus.
Anders als etwa bei Bier gibt es beim Gin kein Reinheitsgebot. „Laut einer EU-Verordnung aus dem Jahr 2008 ist Gin ein alkoholisches Getränk mit einem Alkoholgehalt von über 37,5 Volumenprozent, das hauptsächlich nach Wacholder schmeckt“, erklärt Dámosy.
Doch neben Wacholder enthalten die meisten Gins noch ein, zwei oder auch Dutzende weitere Geschmacksstoffe. Wie fast jeder Gin enthält der Opera Gin Koriander. Dieser verleiht eine zitrusartige Note. Daneben gehören auch drei Wurzeln, darunter das vom Unicum bekannte Angelikawurz, zur Rezeptur. Anis, Zitronenmelisse, Grapefruitschalen, Kubebenpfeffer – nach und nach präsentiert uns der Gin-Hersteller die verschiedenen Botanicals in kleinen Holzschälchen.
Doch wie entscheidet man eigentlich, was rein soll und wie viel davon, oder kurz, wie entwickle ich einen Gin? „Man weiß ja grob, was in einen Gin gehört. Ich habe zudem in London einen Kurs besucht“, erklärt Dámosy. Doch auf dem Weg zur perfekten Rezeptur erlebte er auch zahlreiche Rückschläge. „Wir wollten Lavendel als unsere besondere ungarische Zutat haben, wir wussten nur nicht, wie viel wir davon reintun müssen. Beim ersten Mal haben wir eine ganze Schaufel voll genommen.“ Dámosy lacht: „Ich glaube, den Lavendel konnte man hinterher bis zur nächsten Metro-Station riechen. Danach wussten wir, ein kleiner Löffel reicht.“
Für ein landestypisches Aroma soll auch der Mohn sorgen, der dem Gin beim Destillieren zugesetzt wird: „Es gibt unseres Wissens nach keinen anderen Gin, der Mohn enthält. Ungarn ist ein großer Mohnkonsument, deshalb macht auch Mohn unseren Gin etwas ungarisch“, erklärt Dámosy.
Über die Dauer eines Jahres haben Bálint Dámosy und sein Team, zu dem auch ein gelernter Pálinka-Brenner gehört, fast 50 verschiedene Zutatenkombinationen und Mischungsverhältnisse ausprobiert, bevor die Rezeptur für den heutigen Opera Gin stand.
Einige dieser Versuche produzierten sie sogar auf einer Anlage für den Heimgebrauch. „Ich habe in Schottland eine kleine Brennanlage gekauft. Mit der haben wir damals in der Küche getestet“, verrät der Experte.
Aufgrund des dominierenden Wacholders würde Dámosy seinen Opera Gin der Kategorie der klassischen London Dry Gins zuordnen.
Viele Herausforderungen auf dem Weg zum Ziel
Doch nicht nur die Herausforderung der Rezeptentwicklung musste der Opera Gin auf seinem Weg zur Marktreife meistern. Wirklich möglich wurde das Projekt nämlich erst durch eine Gesetzesänderung. Vor etwas mehr als zwei Jahren passte Ungarn sein Brenngesetz an EU-Richtlinien an, dadurch wurde eine Brennlizenz auch für kleine Hersteller erschwinglich. Statt 40 Millionen mussten künftig nur noch 2 Millionen beim Steueramt hinterlegt werden. „Das war für uns damals der ausschlaggebende Punkt, das Projekt in die Tat umzusetzen“, so Dámosy.
Schwer war jedoch auch die Suche nach einer geeigneten Immobilie für die Gin-Destillerie. Denn neben dem Finanzamt werden Spirituosenhersteller in Ungarn auch von der Nahrungsmittelsicherheit und dem Katastrophenschutz streng überwacht. Dies geht mit zahlreichen Anforderungen und Beschränkungen einher, die es Dámosy beinahe unmöglich machten, das Projekt in der Innenstadt zu verwirklichen. „Potentielle Vermieter waren natürlich auch nicht sehr begeistert, wenn sie hörten, was wir machen wollen. Nicht nur, dass wir Alkohol herstellen, aber dann noch eine Bar …“, erinnert sich der Gin-Hersteller schmunzelnd. Dabei ist von der Produktion vor dem Gebäude meist rein gar nichts wahrzunehmen, und selbst wenn der Brennprozess auf Hochtouren läuft, kommt es nur zu einer geringen Geruchsbelästigung. Im Inneren dagegen riecht es auch zu Ruhezeiten angenehm würzig.
Letztendlich hat es fast zwei Jahre gedauert, bis neben der perfekten Rezeptur auch die richtige Immobilie gefunden sowie eine passende Brennanlage aufgebaut war, und auch die Behörden ihr grünes Licht gaben. Mit dem Verkauf begann Opera Gin dann im Februar 2019.
Der Gin aus dem Pálinka-Brenner
Eine Besonderheit des Opera Gins ist aber auch der Herstellungsprozess: Mit Stolz zeigt uns Bálint Dámosy das kupfern glänzende Herz seiner Mikrobrennerei. Auf den ersten Blick erscheint diese, wie ein Accessoire aus einem Steampunk-Film anmutende Konstruktion aus Kupferrohr und Kesseln überraschend klein. Laut Dámosy können sie darin rund 240 Liter destillieren. Die Anlage stammt aus der Werkstatt des ungarischen Herstellers Hagyó Spirit. „Das ist eigentlich eine Pálinka-Anlage, die aber speziell für unsere Bedürfnisse umgebaut wurde. Bei Gin muss man viel hochprozentigeren Alkohol verwenden, der ist leicht entflammbar, deshalb müssen Ventile etc. mit Luftdruck statt mit Elektrizität geschaltet werden“, erklärt Dámosy und zeigt uns, wo im ersten Schritt hochprozentiger Alkohol, Kräuter, Beeren und Gewürze eingefüllt werden: „Das muss im Kessel erstmal ein paar Stunden ziehen – wie Tee. Und erst dann wird es gebrannt.“
Dazu wird das Ganze auf 80 Grad erhitzt, wobei der Alkohol aufgrund seiner niedrigeren Siedetemperatur verdampft, das Wasser jedoch nicht. Der heiße Alkoholdampf, der zu diesem Zeitpunkt bereits alle Aromen aufgenommen hat, wird dann über Leitungen in Bewegung gehalten, wobei er in der Anlage immer wieder abkühlt und erneut erwärmt wird.
Von vorne macht die Destille einen sehr traditionellen Eindruck, doch von hinten ist es Hightech pur: „Das ist eine smarte Anlage, die Wartung funktioniert aus der Ferne. Wenn etwas nicht klappt, rufen wir bei Hagyó an. Die können sich das dann online anschauen und beispielsweise sagen, ob hier etwas undicht ist oder dort etwas verstopft.“
Am Ende des Brennvorgangs wird der Alkoholdampf soweit abgekühlt, dass er sich wieder verflüssigt. Nun kann er abgelassen werden. „Zu diesem Zeitpunkt ist das Ganze aber noch 90-prozentiger Alkohol. Erst anschließend verdünnen wir ihn auf ein trinkbares Maß. Unser Gin hat 44 Volumenprozent“, erläutert Dámosy. Acht bis neun Stunden Arbeit stecken in nur einem Brennvorgang.
Noch echtes Handwerk
Im Anschluss wird der fertige Gin von Hand in die Flaschen gefüllt. Diese kommen in den Ausführungen 1 Liter, 0,7 Liter sowie in der Bargröße von 0,05 Litern und stammen aus französischer Produktion. „Wir haben eigentlich einen sehr kleinen Carbon Footprint, fast alle unsere Zutaten stammen aus der Region, aber hier müssen wir aus dem Ausland beziehen, da in Ungarn leider keine Flaschen hergestellt werden, die unseren Vorgaben entsprechen“, erklärt Dámosy.
Mit geringem technischen Aufwand werden die Flaschen schließlich mit dem ikonischen Label der Marke versehen. Dieses zeigt auf dunkelblauem Hintergrund die ägyptische Sphinx von Alajos Stróbl. Das Original steht – gleich in doppelter Ausführung – vor den Seitenaufgängen der ungarischen Staatsoper. Dámosys Familie lebt seit Generationen in unmittelbarer Nachbarschaft dieser Budapester Sehenswürdigkeit. Mit dem Namen Opera Gin wollte er dem Tribut zollen.
Zum Schluss wird jeder Flasche noch eine Banderole mit Steuermarke verpasst, denn das Brennen von Gin und anderen Spirituosen wird in Ungarn strengstens kontrolliert. Mit rund 80 Plomben steht die Destillerie vollständig unter zollbehördlichem Verschluss, kein Tropfen fließt ohne das Wissen der ungarischen Steuerbehörden.
Danach geht der Opera Gin ab in die Verpackung und von hier aus in die Spezialitätenläden und Bars der Stadt. Unter anderem in der Bar des Four Seasons, dem Kollázs, wird der White Negroni, erzählt Dámosy, mit Opera Gin serviert. Und auch in Giannis Trattoria Pomo d’Oro steht ein Sommeraperitif aus dem Wacholderschnaps made in Hungary auf dem Menü. Wer sein Heim nicht verlassen möchte, kann sich den Opera Gin zudem über den Online-Shop des Unternehmens nach Hause liefern lassen.
Die Produktion dieses ungarischen Gins ist noch echtes Handwerk, und das hat natürlich seinen Preis: 12.900 Forint bezahlt man für eine 0,7-Liter-Flasche Opera Gin.
Geheimtipp: So schmeckt der Gin Tonic besonders gut
Und wie sollte man den Opera Gin genießen? „Am besten natürlich als Gin Tonic“, findet Hersteller Dámosy. Das Rezept dafür ist denkbar einfach: Man fülle ein Glas mit Eiswürfeln, schütte vier bis sechs Zentiliter Gin darüber und fülle es dann mit Tonic auf. Geschickt garniert ist dieses einfache Mixgetränk bei den aktuell warmen Temperaturen der Hingucker auf jeder Sommerparty.
Nur eines gilt es doch noch zu beachten, mahnt Dámosy an, nicht jede Tonic-Sorte eignet sich zum Mischen. So sollte man etwa vom Kinley Tonic, den man oft im Getränkeregal des Supermarktes findet, lieber die Hände lassen. Dann doch lieber Schweppes. Empfehlen würde Dámosy zu seinem Opera Gin aber J.Gasco Dry Bitter Tonic. Die Bitterlimonade eines italienischen Herstellers eigne sich besonders gut für das spezielle Geschmacksprofil seines Gins. Doch auch das klassische Tonic-Wasser von Thomas Henry aus Berlin ist laut Dámosy eine Empfehlung wert.
Und einen Geheimtipp hat der Gin-Experte noch: „Bei einer unserer Blindverkostungen hat sich tatsächlich gezeigt, dass auch die Eigenmarke von Lidl ganz gut schmeckt.“ Diese kann zwar rein äußerlich nicht mit den stylischen kleinen Flaschen anderer Hersteller mithalten, ist aber doch eine den Geldbeutel schonende Alternative für den Hausgebrauch.
Weitere Informationen zum Opera Gin sowie Bestellmöglichkeiten finden Sie auf operagin.com
Einmal im Monat findet in der Destillerie ein „Abend der offenen Tür“ statt, wo neben hausgemachten Cocktails auch eine Führung durch die Anlage angeboten wird. Interessierte können sich über Facebook anmelden:
www.facebook.com/operaginbudapest