Rezension: Spaces of Intensity, ein Bildband von 3h architects
Vom Rand in die Mitte
Das Buch zeigt nicht nur das gebaute Werk des Büros 3h architects, sondern auch, was zur Entstehung von Architektur gedacht und gespürt werden kann, und wird damit zu weit mehr, als einer reinen Monografie.
Spaces of Intensity – Orte der Intensität, so der Titel des fast 300 Seiten umfassenden Prachtbandes des in der dicht bebauten Ferencváros ansässigen Büros 3h architects. Katalin Csillag und Zsolt Gunther, Gründer und Inhaber des Büros, starteten ihre berufliche Laufbahn beide in Österreich – sie in Graz, er in Wien –, von wo aus sie erst einmal ins grenznahe Győr heimkehrten. Ihr dritter Wirkungsort sollte dann das große, dichte und intensive Budapest werden. Der Schritt in die Hauptstadt liegt mittlerweile 15 Jahre zurück, die Gründung von 3h, noch in Győr, mehr als 25 Jahre.
Nach einem Vierteljahrhundert könnte man an der Mitte seines Schaffens angelangt sein und Zwischenbilanz ziehen. In zweieinhalb Jahrzehnten wurden nicht nur zahlreiche Projekte steinerne Wirklichkeit, sondern auch Eindrücke, Ideen und Gedanken zu den Orten und Bauten geboren, die, so Zsolt Gunther, nicht in Vergessenheit geraten sollten. Die Absicht zu einer Art Selbstreflexion in Form einer Monografie hatte das Büro schon länger, aber erst mit dem bekannten Berliner Architekturkritiker Claus Käpplinger als Herausgeber ergab sich die Chance, Bauwerke und Gedanken des Büros in einem Buch festzuhalten. Dass dies mit dem traditionsreichen Birkhäuser Verlag gelang, kommt einer kleinen Sensation in der hiesigen Szene gleich, denn es passiert zum ersten Mal überhaupt, dass ein Architekturbüro sein Werk so ausführlich und so aktuell einem internationalen Publikum präsentiert.
Baugedanken
Wichtiger für Katalin Csillag und Zsolt Gunther war aber der Rückblick und die Rückbesinnung auf all das Gebaute und Gedachte der vergangenen Zeit. So findet sich in der Monografie neben neun verwirklichten und fünf bislang nur geplanten Bauten auch ihre Gedankenwelt. „Architektur ist das Produkt eines intensiven Dialogs“, schreibt Käpplinger in seinem ausführlichen Essay, welches nach langen Gesprächen und einem Interview mit den Gründern – ebenfalls im Buch – zustande kam und die „erste Halbzeit“ von 3h detailliert beschreibt. So erfährt der Leser zum Beispiel, woher der Name des Büros stammt.
Neben Käpplinger widmet sich auch Ákos Moravánszky, der wohl bedeutendste ungarische Architekturkritiker im Ausland, unter dem Titel „Zwischen Zentrum und Peripherie“ dem Weg von 3h. Er zeichnet ihn von Ungarns Westgrenze bis in die Landesmitte nach und wiederholt Gunthers Hinweis, dass die Provinz nicht der Rand, nicht die Peripherie, sondern der Ort für Experimente, ein Architekturlabor sein sollte. Moravánszky zieht Parallelen zu großen Namen, wie Robert Venturi oder Álvaro Siza, die sich ebenfalls vom Rand in die Mitte bewegten.
Haltung und Arbeitsweise von 3h beschreibt Moravánszky klar: Csillag und Gunther verstanden regionale Architektur nie als Betonung der Unterschiede einer gemeinsamen Vergangenheit, hier der österreich-ungarischen. Vielmehr ist ihre Herangehensweise bis heute klassisch architektonisch: vom Bauort zum Bautyp, von der Typologie zur Konstrukion, von der Konstruktion zur Form. Zwei Beiträge der deutschen Architekten Holger Kleine und Olaf Bartels runden den Außenblick ab, Zsolt Gunther selbst geht in seinem Essay „Den neuen Kontext finden“ der architektonischen Urfrage nach, welche Typologie wann und wo möglich sei. Die ersten zwölf Jahre ihres Schaffens plante 3h vor allem im ländlichen Raum Westungarns. Die hier gesammelten Erfahrungen des Suchens und Findens der bestmöglichen Typologie prägen auch ihr heutiges Werk in der Metropole: „Obwohl unser Büro nach Budapest ging, hat es seine Wurzeln nicht vergessen“, schreibt Gunther.
Die Atmosphäre des Ortes
Vier architektonische Grundthemen ordnen das Buch: Kontext, Zwischenräume, Ornamentik sowie Raum und Licht versammeln jeweils drei oder vier Projekte, die das Thema veranschaulichen sollen. Aber der Leser wird erst am Ende der Kapitel zu den Neubauten geführt, zu Beginn taucht er ein in die Atmosphäre atemberaubender Bilder, wegen der allein schon der Kauf des Buches absolut lohnenswert ist.
Balázs Danyi, der mit 35 Jahren jüngste Mitautor des Bildbandes, schafft es mit seinen Farbfotografien, ein Bild Ungarns und Budapests zu zaubern, das man selten so gesehen hat. Gleich das erste größere Farbfoto zeigt Budapest nicht postkartengerecht und dennoch in seiner ganzen einmaligen Schönheit und Vielschichtigkeit. Die Donau ist nicht zu sehen und verläuft dennoch horizontal durch die Mitte des Bildes, genau wie die Silhouette der Budaer Berge. Die Matthias-Kirche thront zwar in der Bildmitte, aber auch das moderne, runde Hotel Budapest ist am Bildrand gut zu erkennen. Und natürlich all die Schornsteine, Dächer und Brandwände der Stadt: ein intensiver, vieldeutiger und dichter Ort. Blättert man auf die nächste Seite, könnte der Kontrast kaum größer sein, denn eine verschneite flache Schneelandschaft in Westungarn liegt still auf der Doppelseite – da sind sie wieder, die Wurzeln, die man nicht vergisst.
Das letzte Bild des ersten Themenkapitals zeigt die vielfotografierte Freiheitsbrücke, aber nicht bei Sonnenschein und nicht mit dem Gellértberg im Hintergrund und auch nicht mit Straßenbahn. Nur schwach zeichnet sich auf Budaer Seite mit dem Zentralbau der TU der Ort ab, an dem Katalin Csillag und Zsolt Gunther ihr Handwerk erlernt hatten, und auf Pester Seite etwas zeitgenössische Architektur. Zusammengehalten werden die Fotografien ganz verschiedener Orte und Inhalte von einer reduzierten Farbigkeit und einem ungewohnten, aber detaillierten Blick und bilden so Merkmale der Architektur von 3h ab. Die vier einleitenden Fotoessays sind ein brillanter Blick auf die versteckte Schönheit des Landes und der Stadt, und zugleich Inspirationsquelle für etwas Neues.
14 Projekte
Erst nach den Foto- und Textessays gelangt der Leser zu den Projekten, zu den steinernen Ergebnissen all der Gedanken, neun von ihnen gebaut, fünf bislang nur auf Papier. In zweieinhalb Jahrzehnten wurden freilich weit mehr, als diese 14 Bauten erdacht und errichtet, und so ist die Annahme vollkommen richtig, dass hier nur die wichtigsten Stationen des Berufslebens von Csillag und Gunther versammelt sind.
Ist es nicht erstaunlich, dass im ersten Themenkapitel „Kontext“ drei der vier vorgestellten Bauten für Menschen mit Behinderungen errichtet wurden? 2003 entstand auf einem Waldgrundstück südwestlich von Győr eine Unterkunft für Menschen mit geistiger Behinderung, die in einem rationalen Baukörper und umhüllt von einer leichten hölzernen Architektur ein einzigartiges Zuhause mitten in der Natur gefunden haben. Typologisch ähnelt die Spezialschule in Csorna – gelegen zwischen Győr und Neusiedler See und im selben Jahr fertiggestellt – dieser Unterkunft: auch dem rational organisierten Schulbau setzt 3h ein Satteldach auf, das durch seinen Überstand spannende Zwischenräume schafft. Die 2010 eingeweihte Grundschule für Kinder mit körperlicher Behinderung in Budapest markiert einen Maßstabssprung für das Planerduo, gleichzeitig aber die Kontinuität, von der stets die Rede ist: mit der dorfartigen Typologie des Schulbaus und Schülerwohnheims erbrachten Csillag und Gunther den Nachweis, dass ländliche, ruhige und langsame Strukturen auch mitten in einer lauten Metropole Bestand haben können.
Im zweiten Kapitel „Zwischenräume“ legen ein Mehrfamilienhaus im 8. Bezirk, das Bürohaus K4 und der gerade erst fertiggestellte MOME Campus Zeugnis ab von der Breite an Aufträgen, die 3h heute bedient. Die Kreuzung Váci út – Dózsa György út zum Beispiel, an der das Bürohaus K4 steht, ist in ihrer Geometrie und ihrem sich stets wandelnden Umfeld ein Zwischenraum per se. Der Büroneubau von 2014 thematisiert und übersteigert diese Zwischenraumsituation, indem er, statt eine stumpfe Ecke mit einem Eckbau zu schließen, drei auf die Kreuzung schießende Riegel unterschiedlicher Höhe exakt platziert. Jeder der drei Riegel hat seinen eigenen städtebaulichen Kontext und erzeugt doch etwas Gemeinsames. Budapest könnte mehr solch frischer, überraschender Lösungen vertragen.
Häuser mit Punkten und Bögen
Ist der Kreis, der Bogen, das Geschwungene „das“ Ornament von 3h? Blättert man zumindest das Fotoessay zu Beginn des Kapitels „Wahrnehmung des Ornaments“ durch, ist die Antwort eindeutig. Von den hier gelisteten drei Projekten vermag die noch in Planung befindliche Erweiterung des Király-Thermalbades eine Antwort zu geben: Die halbkugelförmige Kuppel des osmanischen Bauteils und ihre runden Luft- und Lichtöffnungen scheinen beim neugeplanten Schwimmbecken mit seinem Rundbogengang wiederzukehren.
Auch das Bürohaus Geometria in der Medve utca – übrigens nur ein paar Schritte vom Királybad entfernt – oder der Wettbewerbsbeitrag von 3h für das Haus der Ungarischen Musik operieren mit dem Kreisornament. Mit zwei weiteren Projekten aus Pécs und Győr bildet diese Gruppe den vierten Themenkomplex „Raum und Licht“. Das Atrium des Bürohauses Geometria, bei seiner Fertigstellung 2013 ebenfalls ein visueller Überraschungscoup, ist nach den Worten von Katalin Csillag ein Raum- und Lichtspiel, das seinen Nutzern verschiedenste Optionen zur Nutzung ihrer Umgebung anbietet. Die Architektin ist fest davon überzeugt, dass wir Menschen zuallererst physisch, und nicht digital existieren. Wir brauchen heute diese Räume, in denen wir einfach nur sitzen, sehen, hören und fühlen können.
3h architects hat mit seinem bisherigen Werk gezeigt, dass wir genau solche Orte brauchen.
Büro und Buch
Alle Projekte von 3h architects finden Sie auf 3h.hu. Infos zum Buch und wo Sie es kaufen oder bestellen können finden Sie hier: 3h.hu/book.