Virtuózok
Mariann Peller zusammen mit den jungen Virtuosen Teo und Misi: „Wäre es nicht schön, wenn sich mehr junge Leute für klassische Musik begeistern würden?“ Foto: Marianna Sárközy

Talentshow Virtuózok

Ungarisches TV-Format begeistert für klassische Musik

Topmodels, Sänger, Akrobaten, Tänzer – es gibt kaum ein Talent, das nicht schon im Rahmen einer Castingshow ermittelt wurde. In Ungarn gibt es mit Virtuózok (dt.: Virtuosen) sogar eine Show, die Talente im Bereich der klassischen Musik präsentiert. Wie das beim Publikum ankommt, was die Show von anderen unterscheidet und warum wir sie vielleicht auch schon bald im deutschen Fernsehen schauen können, erzählte Produzentin und Schöpferin Mariann Peller im Gespräch mit der Budapester Zeitung.

Sie sind Erfolgsgaranten für hohe Einschaltquoten: Talent- und Castingshows wie Popstars, Germany’s Next Topmodel oder „Das Supertalent“ erfreuen sich seit der Jahrtausendwende ungebrochener Beliebtheit. Und das nicht nur in Deutschland: Ob in Afghanistan, Russland oder der Türkei – fast jedes Land hat sich an dem Castingboom beteiligt. So auch Ungarn. Doch mit der Sendung Virtuózok konnte sich hierzulande nicht nur ein selbst entwickeltes, sondern auch ein besonders hochwertiges Format durchsetzen.

Eine Talentshow für klassische Musiker

Während sich bei anderen Shows quasi jedermann bewerben kann, um – so machen es die Formate zumindest ihren Zuschauern glauben – mit ein bisschen Glück und Hilfe eines Teams aus Trainern, Coaches und Make-up-Artists zum Superstar gemacht zu werden, sucht Virtuózok unter jungen, aber bereits ausgebildeten Musikern und Sängern nach den vollendeten Talenten.

„Ich hatte natürlich auch Angst. Ich dachte: Oh Gott, was ist, wenn das niemand anschauen wird.“ Foto: Virtuózok

Natürlich hat auch Virtuózok das Rad nicht neu erfunden, und so ähnelt das Showprinzip in seinen Grundzügen vergleichbaren Formaten: Es wird zum Casting aufgerufen, für das sich meist Tausende Bewerber aus freien Stücken melden. Die ausgewählten Teilnehmer präsentieren sich und ihr Können vor laufender Kamera einer meist mit prominenten Mitgliedern besetzten Jury und werden dann entweder für die nächste Runde eingeladen oder eben auch nicht. Von Episode zu Episode scheiden so immer mehr Teilnehmer aus, bis letztlich die Allerbesten im Finale um den Sieg kämpfen.

Soweit die Gemeinsamkeiten. Doch es ist nicht nur das Musikgenre, durch das sich Virtuózok von anderen unterscheidet, es ist vor allem die Herangehensweise. Denn jenseits kommerzieller Erfolgskriterien verfolgt die Show eine Mission: Hier soll zum einen echte, teils über Jahre durch harte Arbeit hervorgebrachte Leistung belohnt und gefördert werden. Zum anderen will Virtuózok die Schönheit klassischer Musik und die Freude am Musizieren aufzeigen.

Schöpferin Mariann Peller sagt dazu: „Als ich 2013 die Idee für das Format entwickelte, arbeitete ich hier in Ungarn und Europa als Eventmanagerin im Bereich der klassischen Musik.“ Dabei fiel ihr auf, dass sowohl das Publikum bei solchen Events als auch die Orchestermusiker immer älter werden. Peller dachte sich daher: „Wäre es nicht schön, wenn sich mehr junge Leute für die klassische Musik begeistern würden?“ Dass das jedoch nicht unbedingt so einfach ist, wusste die dreifache Mutter bereits von ihren Bemühungen, ihre eigenen Kinder für das Erlernen eines klassischen Instrumentes zu gewinnen: „Meine Söhne haben gesagt, Mama, das ist nicht cool, es ist nicht in, klassische Musik zu lernen.“

Doch Peller erkannte eine Möglichkeit, dieses Imageproblem zu beheben: „Alle diese Schauspieler, die Fußballspieler, die Topmusiker haben die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Sie werden von den Medien gefeiert. Nur die klassischen Musiker nicht, die wirklich hart für ihren Erfolg arbeiten müssen und oft fünf bis sechs Stunden am Tag üben. Und das von klein auf: Ich kenne Kinder, die manchmal vor einem Konzert bis zu zehn Stunden lang nur proben. Und die haben vorher keinen richtigen Platz gehabt, wo sie ihr Talent und sich selbst zeigen konnten. Da habe ich gedacht, da muss ich etwas machen.“

„Ich habe alles in die Produktion gesteckt. Es war am Anfang finanziell wirklich schwierig.“

Schon die erste Staffel ein Riesenerfolg

Mit viel Arbeit, Überzeugungskraft und unter Einsatz ihrer persönlichen finanziellen Ressourcen entwickelte Peller ein eigenes Format für klassische Musik. Zwischen dem 17. Oktober und dem 19. Dezember 2014 wurde die TV-Sendung unter dem Titel Virtuózok erstmals auf dem ungarischen Fernsehsender M1 ausgestrahlt.

„Ich habe alles in die Produktion gesteckt. Es war am Anfang finanziell wirklich schwierig“, erzählt Peller. „Ich hatte natürlich auch Angst. Ich dachte: Oh Gott, was ist, wenn das niemand anschauen wird.“ Doch die Ungarn schauten. Und bereits die erste Staffel von Virtuózok erzielte Erfolge, auf die Peller in ihren kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt hätte. Die Show erreichte in Ungarn 3,1 Millionen Menschen, rund ein Drittel der ungarischen Bevölkerung also. „Das war für hiesige Verhältnisse wirklich super“, sagt Peller bescheiden. Das große Finale der Show schaffte es über alle ungarischen TV-Kanäle hinweg sogar in die Top10 der meist gesehenen Sendungen.

Und das alles schaffte Virtuózok, obwohl es auf einige Unterhaltungselemente verzichtet, die sich bei anderen Formaten sonst großer Beliebtheit erfreuen. So gibt es etwa keine billigen Lacher auf Kosten weniger talentierter oder in irgendeiner Form von der Norm abweichender Teilnehmer. Stattdessen will die Show in einfühlsamer Weise interessante Lebensgeschichten darstellen und Talent anpreisen. Dabei sei wichtig, versichert uns Peller, dass eine professionelle Jury die Gewinner der Show auswählt. Davon gibt es bei Virtuózok immerhin drei, denn aufgrund der großen Altersspanne der Bewerber treten die Musiker in Klassen von den ganz Kleinen ab 6 Jahren über die Teenies bis hin zu den jungen Erwachsenen bis 24 Jahre im Casting an. Daneben wird mittels Publikumsvoting zudem der Zuschauerliebling ermittelt.

Eine weitere Besonderheit ist, dass die Show die von ihr entdeckten Talente nach dem Ende des Medienrummels nicht aus den Augen verliert. Der Abspann der letzten Sendung bedeutet für die jungen Musiker meist den Beginn einer professionellen Karriere mit Auftrittsmöglichkeiten in den berühmtesten Konzertsälen der Welt, Stipendien für bedeutende Musikinstitutionen und professionelles Mentoring durch namhafte Musikgrößen. „Gleich zu Anfang haben wir zudem die Kis-Virtuózok-Stiftung gegründet, die unseren Talenten noch weitere Entwicklungschancen bietet, beispielsweise durch Workshops oder Hilfe bei der Pressearbeit. 15 Kinder erhalten derzeit zudem ein monatliches Stipendium“, erzählt Mariann Peller, die sich heute voll und ganz ihrer Arbeit rund um Virtuózok verschrieben hat.

„Mit unserer Kis-Virtuózok-Stiftung bieten wir unseren Talenten noch weitere Entwicklungschancen.“

Virtuózok über Ländergrenzen hinweg

An diesem Freitag geht die nunmehr sechste Staffel der beliebten Talentshow an den Start, und das unter einem ganz besonderen Vorzeichen: Als Virtuózok V4+ überschreitet das Format diesmal sogar Ländergrenzen. Im Rahmen einer einzigartigen europäischen Kultur­kooperation wird der Wettbewerb gleichzeitig in fünf Ländern ausgetragen: den zum Visegrád-Verbund gehörenden Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn sowie Serbien. Am Ende der vierten Episode kürt jedes Land seinen eigenen Gewinner. Diese dürfen dann an der Seite weltbekannter Stars erneut bei einem Galakonzert im Palast der Künste in Budapest ihr Können unter Beweis stellen.

Peller betont: „Das ist fast wie ein Mini-Eurovision – und ähnlich herausfordernd waren auch die Dreharbeiten. Wir mussten Castingfolgen in allen diesen Ländern organisieren, und für die darauffolgenden Shows haben wir natürlich die Aufnahmen in all diesen verschiedenen Sprachen machen müssen.“

Aufgrund der Corona-Krise gab es diesmal – wie in anderen Jahren sonst üblich – keine Live-Shows. Die gesamte Staffel wurde bereits bis Mitte September vorproduziert. „Zum Glück hatten wir da einen guten Riecher, dass das notwendig sein würde“, erklärt Peller. Doch auch so stellten die besonderen Produktionsbedingungen das Virtuózok-Team vor einige Herausforderungen: „Wir haben das Studio in Zonen einteilen müssen, damit es möglichst wenig Kontakt zwischen den Kindern, den Moderatoren und den Juroren sowie unseren Kameramännern und dem technischen Personal gibt“, schildert Peller. Gedreht wurde in den Budapester Origo-Studios. „Außerdem mussten sich alle auf Corona testen lassen, was bei über 5.000 Leuten kein unerheblicher Aufwand war. Aber zum Glück hatten wir hier Unterstützung durch eine international erfahrene Firma.“

Aus allen vier Gastländern reisten Jurymitglieder, Teilnehmer, aber auch Eltern und Musiklehrer an. Sie alle unter einen Hut zu bekommen, war laut Peller nicht immer einfach: „Auch wenn man das den Shows von außen nicht ansieht, gehört dazu sehr viel Arbeit im Backstage. Wir mussten alles bis ins letzte Detail vorbereiten.“

Thomas Gottschalk führt durchs Programm

Zum Glück ist nun alles im Kasten und der Postproduktion fiel auch noch die letzte durch Synchronübersetzung entstandene Sprechpause zum Opfer, sodass der Fernsehausstrahlung nichts mehr im Weg steht.

„Die Kinder waren alle wahnsinnig gut, und wir konnten wieder einige weltbekannte Persönlichkeiten für unsere Jury gewinnen“, macht Peller bereits jetzt Lust auf mehr.

„Es ist unglaublich, wie gut Thomas Gottschalk mit den Kindern umgegangen ist und wie viel er von klassischer Musik versteht.“ Foto: Judit Marjai

Unter den diesjährigen Juroren befinden sich nicht nur Maestro Plácido Domingo und dessen Sohn Plácido Domingo Jr., der auch die Titelmusik der Show komponiert hat, sondern auch der weltbekannte chinesische Pianist Lang Lang, der russisch-britische Komponist Gabriel Prokofiev, Enkel des berühmten Sergei Prokofiev, der Geiger Maxim Vengerov, die ungarisch-österreichische Schauspielerin Coco König und noch viele weitere.

Neben Ungarisch, Slowakisch, Tschechisch, Polnisch und Serbisch wird es die Show in diesem Jahr auch auf Spanisch und Deutsch geben. Letzteres ist unter anderem der prominenten Moderation durch Showmann Thomas Gottschalk zu verdanken, der neben der Polin Ida Nowakowska durchs Programm führt. Der Deutsche stieß unter anderem auf Vermittlung Domingos zu den Virtuózok.

„Thomas war ganz begeistert vom Konzept der Show, auch wenn er sich bis zum Ende nicht richtig vorstellen konnte, wie das in so vielen Sprachen funktionieren kann. Ich habe ihm bereits das erste Halbfinale geschickt, und er war überglücklich über das Endergebnis“, erzählt Peller. Die Produzentin schwärmt von der tollen Arbeit des Moderators: „So etwas habe ich noch nie gesehen, es ist unglaublich, wie gut er mit den Kindern umgegangen ist und wie viel auch er selbst von klassischer Musik versteht. Er hat sich die Auftritte aller Kinder immer ganz genau angesehen und einfach immer gewusst, was zu sagen ist. Wenn man eine Talentshow anschaut, dann sind natürlich die meisten auf die Kinder neugierig. Ich war aber auch immer neugierig darauf, was Thomas in seinen Moderationen sagen würde. Er hat geholfen, unsere Show auf ein ganz neues Niveau zu heben.“ Die Zusammenarbeit verlief für beide Seiten derart positiv, dass Gottschalk sich bereits dazu verpflichtet haben soll, im nächsten Jahr erneut bei Virtuózok mitzuwirken.

Der berühmte Tenor jetzt als Jury-Mitglied: Maestro Plácido Domingo. Foto: Judit Marjai

Bereit für den internationalen Fernsehmarkt

Rechnet man die prognostizierten Zuschauerzahlen aus allen Sprachräumen zusammen, dann könnte die aktuelle Staffel von Virtuózok locker 100 Millionen Menschen erreichen. Doch auch hier sieht Mariann Peller ihre Mission – klassische Musik einem möglichst breiten Publikum näherzubringen – noch nicht als beendet an. Sie will den Virtuózok-Effekt, der in Ungarn bereits nach Ausstrahlung der ersten Staffel zu einer Zunahme der Musikschulanmeldungen um 14 Prozent führte, in die ganze Welt tragen.

Das polnisch-deutsche Moderatoren-Team: Ida Nowakowska und Thomas Gottschalk. Foto: Judit Marjai

Im März 2018 gründete sie deshalb die VIRTUOSOS Holding Ltd., die sich um die internationale Vermarktung und Lizenzierung des Showformats kümmert. Shareholder an dieser Unternehmung sind unter anderem Berühmtheiten wie Maestro Plácido Domingo, Benjamin Lakatos, die Deneb Algedi Invest AG, Schweiz, die mehrfach ausgezeichnete Koloratursopranistin Erika Miklósa, Entertainmentpionier Frank Taubert, der von Sir John Hegarty und Tom Teichman gegründete Investmentfonds The Garage Soho sowie die in Ungarn geborene venezolanische Philanthropin Contessa Mária Bárdossy und András Batta, der frühere Rektor der Franz Liszt-Musikakademie.

Die Venezolanerin plant, das Format nach Südamerika zu bringen. Unter den ersten Lizenznehmern findet sich unter anderem das Produktionsunternehmen Fulwell 73 mit Sitz in London und Los Angeles, welches das Format auch in den USA und dem Vereinigten Königreich groß herausbringen möchte. Seit Beginn des Jahres ist Virtuózok zudem international urheberrechtlich geschützt, sodass einer Expansion auf weitere nationale Märkte nichts mehr im Wege steht.

Mit Hilfe von Thomas Gottschalk könnte die Talentshow auch nach Deutschland kommen. Foto: Judit Marjai

Auch in Deutschland sei man, wie Peller erzählt, bereits im Gespräch über eine Kooperation. „Da hilft uns jetzt vielleicht Thomas Gottschalk zum ganz großen Zug. In den Niederlanden sind die Besprechungen dicht vor dem Vertragsabschluss. Aber bis es in diesem oder einem anderen Land zur Ausstrahlung kommt, kann es schon mal drei bis vier Jahre dauern“, erklärt die Produzentin die internationalen Perspektiven von Virtuózok.

„Ich glaube, Virtuózok ist ein besonders hochwertiges Fernsehprogramm, das den Zuschauern etwas mehr Kultur bringt, als wir es sonst im Fernsehen gewohnt sind. Hier können die Leute wunderbare Komponisten und echte Talente kennenlernen. Deshalb und wegen der Freude, die es den Kindern bereitet, werden wir unserer Arbeit nie müde. Auch dann nicht, wenn wir mal wieder 20 Stunden im Studio arbeiten müssen“, gesteht Mariann Peller mit einem Lachen.

Hier können Sie sich die englischsprachige Version dieser Show anschauen.

Die Fortsetzung gibt es an den drei kommenden Freitagen auf Duna TV, jeweils um 20.30 Uhr. Parallel dazu wird die Sendung in den anderen vier Ländern ausgestrahlt.

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