Szemrevaló Fesztivál / Sehenswert-Festival 2020
Filmfestival in den eigenen vier Wänden
Die Filmindustrie gehört zu den Branchen, die durch die Corona-Krise besonders hart getroffen wurden, Filmpremieren und Drehs mussten verschoben werden und viele der hochrangigen Festivals fielen in diesem Jahr gleich ganz ins Wasser, darunter Cannes, Karlovy Vary und Sarajevo. Auch Ungarns größtes internationales Filmfestival, das Jameson CineFest in Miskolc, wurde abgesagt. Filmliebhaber dürften sich daher umso mehr freuen, dass es sich das Goethe Institut, die Schweizerische Botschaft und das Österreichische Kulturforum trotz der Krise nicht haben nehmen lassen, mit dem jährlichen Sehenswert- oder Szemrevaló Fesztivál, wie der ungarische Titel lautet, in die nunmehr neunte Runde zu gehen.
Sehenswert-Festival: Vier Filme, die es in sich haben
Aufgrund der diesjährigen Ausnahmesituation beschränkt sich das bei Ungarn wie Expats gleichermaßen beliebte Sehenswert-Festival auf eine kleine, aber feine Auswahl an deutschsprachigen Filmen.
Zur Eröffnung am 1. Oktober in Budapest wird das deutsche Filmdrama „Berlin Alexanderplatz“ gezeigt, dessen Handlung sich, wie der Name vermuten lässt, an Alfred Döblins 1929 erschienenen gleichnamigen Roman orientiert. Doch statt des Ex-Zuchthäuslers Franz Biberkopf begleitet diese filmische Adaption den Flüchtling Francis dabei, wie er versucht, in der deutschen Gesellschaft Fuß zu fassen, und trotz bester Vorsätze immer wieder scheitert. Regisseur Burhan Qurbani, selbst Kind afghanischer Flüchtlinge, wurde für sein Werk 2020 unter anderem mit dem Filmpreis in Silber als Bester Spielfilm ausgezeichnet.
Ebenfalls in Deutschland spielt die deutsch-österreichische Filmproduktion „Gipsy Queen“ von Hüseyin Tabak. Darin wird das Leben einer alleinerziehenden Romni aus Rumänien beleuchtet, die sich in Hamburg als Boxerin – im wahrsten Sinne des Wortes – durchschlägt. Hauptdarstellerin Alina Serban wurde für ihre authentische Darstellung der boxenden Ali erst kürzlich mit dem Deutschen Schauspielpreis geehrt.

Wer sich in diesen bewegten Zeiten nach etwas Humorvollem sehnt, der sollte die Vorführung von „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ nicht verpassen. Die Schweizer Filmkomödie aus dem Jahr 2018 erzählt die Geschichte des jungen orthodoxen Juden Mordechai – Motti – Wolkenbruch, der bei dem Versuch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, mit den Traditionen seines streng religiösen Elternhauses brechen muss. Der Film zieht viele seiner Lacher aus dem Spiel mit wohl vertrauten Klischees, wie etwa dem der dominanten jüdischen Mame, die erst dann Ruhe gibt, wenn die Kinder unter der Haube sind. Das will und kann man Regisseur Michael Steiner aber nicht so richtig übel nehmen. Als einer der ersten Schweizer Filme überhaupt wurde „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ sogar in die Programmauswahl des großen amerikanischen Streaming-Dienstes Netflix aufgenommen.
Zu guter Letzt gehört auch das deutsche Filmdrama „Mein Ende. Dein Anfang“ erwähnt. Inszeniert von Regisseurin Mariko Monoguchi dürfen sich die Zuschauer hier auf eine tragisch schöne Geschichte über die Liebe freuen. Monoguchi geht zugleich der Frage nach, was letztlich unser Leben vorantreibt: die Vorbestimmung oder doch der Zufall. Das Debütwerk glänzt durch seine klug gesetzten Akzente und webt ein kompliziertes Handlungsnetz, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Protagonisten miteinander verbindet.
Live- und Online-Vorführungen
Gezeigt werden die Filme, wie bereits in den Vorjahren, in vier ungarischen Großstädten: Neben Budapest, wo das Sehenswert-Festival vom 1. bis zum 4. Oktober läuft, kommen auch die Bewohner von Debrecen (2. bis 5. Oktober), Szeged (6. bis 9. Oktober) und Pécs (14. bis 17. Oktober) in den Genuss dieser vier herausragenden deutschsprachigen Produktionen.
Wie schon in den vergangenen Jahren, wird es auch diesmal wieder Publikumsgespräche mit beteiligten Filmschaffenden geben. Aufgrund der aktuellen Sicherheitsmaßnahmen finden diese jedoch online statt. Ausgestrahlt werden sie auf der Facebook-Seite des Festivals.
Der Kartenvorverkauf für die Vorstellungen in Budapest hat diese Woche begonnen. Mit 1.200 Forint pro Ticket ist man dabei. Veranstaltungsort ist das Művész-Kino am Teréz körút. Aufgrund der Coronavirus-Epidemie sollten sich Zuschauer darauf einstellen, dass im gesamten Kinogebäude Maskenpflicht gilt und auch die üblichen Abstandsregeln eingehalten werden müssen.
2020 ist der Gedanke an einen voll besetzten Kinosaal jedoch vielen ein Graus. Auch deshalb haben sich die Veranstalter in diesem Jahr dazu entschlossen, die Filmvorführungen auch online anzubieten. Bei der Umsetzung hilft das vom Filmverleih Budapest Film ins Leben gerufene Távmozi (dt.: Fernkino), welches Kinofilme ins Web bringt. Was Távmozi von den üblichen Streaming-Diensten unterscheidet, ist, dass es versucht, ein echtes Kinoerlebnis zu simulieren.
Távmozi versucht richtiges Kino zu simulieren
Tickets müssen vorab oder unmittelbar vor der Vorstellung gekauft werden und kommen in Form einer E-Mail. Der darin enthaltene Link führt zum Online-Kino. Sobald sich im richtigen Kinosaal die Filmrolle im Projekt drehen würde, geht es auch an den heimischen Bildschirmen los. Mit vielen liebenswürdigen Hinweisen im kinotypischen Jargon und der Chatfunktion, die es Teilnehmern erlaubt, unter den Decknamen berühmter Regisseure miteinander zu kommunizieren, bietet das Távmozi eine stimmungsvolle Alternative zum Kinobesuch. Der einzige Nachteil: Man muss es wie im richtigen Kino auch pünktlich mit dem Popcorn auf seinen Platz schaffen – der größte Vorteil einer Online-Version, die Flexibilität, wurde hier etwas verspielt.
Das Online-Kinoerlebnis können Sie zwischen dem 5. und 8. Oktober nutzen. Der Zugang kostet genau so viel wie ein richtiges Ticket, kann dafür aber von so vielen Menschen genutzt werden, wie vor den Bildschirm passen.
Das vollständige Sehenswert-Festivalprogramm sowie weitere Informationen finden Sie unter www.szemrevalofesztival.hu.