Im Gespräch mit Columbo, Frontmann der Band Irie Maffia
Musik in der Quarantänezeit
Keine Konzerte, kein stundenlanges Musizieren mit den vertrauten Kollegen und keine sommerliche Festivalsaison. Die Corona-Krise trifft selbstverständlich auch die Musikindustrie. „Ich nutze die Zeit sinnvoll und kreativ. Ich vermisse die Bühne, aber ich freue mich über die Zeit, die ich mit meiner Familie verbringen kann. Ich versuche, die positiven Dinge zu sehen“, antwortet Columbo auf die Frage, wie er die Quarantänezeit erlebt.
Bis auf weiteres keine Konzerte
Columbo, der mit bürgerlichem Namen András Kéri heißt, spielt neben Irie Maffia auch in der Drum & Bass-Band Brains. „Da ich in zwei Bands spiele, besuche ich jedes Festival und jede Stadt zweimal. Wir würden uns normalerweise schon auf die Konzerte im Frühling und die Festivalsaison vorbereiten. Da wir aber keine Konzerte geben können, schreiben wir neue Lieder“, erzählt Kéri.
Die letzten Konzerte der beiden Bands sind schon eine Weile her. Brains hatte ihr letztes Konzert im Dezember, Irie Maffia stand im September das letzte Mal auf einer Bühne. „Also was die Konzerte angeht, haben wir als Irie Maffia schon ziemliche Entzugserscheinungen. Aber wir versuchen, uns gegenseitig zu unterstützen.“
Auf die Frage, wie die aktuellen Lieder in der Quarantänezeit entstehen, antwortet Columbo entspannt: „Da jeder das nötige Equipment zu Hause hat, entstehen die Songs meist nicht in einer klassischen Studiosession. Unsere Produzenten erschaffen das Grundgerüst, zu dem wir unsere Texte schreiben.“ Laut Kéri ist der Erfolg eines Songs nicht von der Dauer der Entstehungsphase abhängig: „Bei einem Song geht es um die Aussage, um den Moment und um die Stimmung.“
Ein Sänger und zwei Bands
Irie Maffia gehört in Ungarn zu den erfolgreichsten Bands der heutigen Generation. Sie sind auf jedem großen Festival anzutreffen. Ihre Konzerte sind stets ausverkauft. Doch ihre Anfänge begannen 2005 im Underground. „Ich kenne die anderen schon seit fast 20 Jahren. Wir haben uns damals gedacht, dass es eine gute Idee wäre, eine Liveband zu gründen.“ Columbo kam schon in jungen Jahren in Berührung mit der jamaikanischen Sprache, dem sogenannten Patwa. In dieser Sprache bedeutet „irie“ so viel wie lächelnd und glücklich.
„Von den anderen Bandmitgliedern habe ich damals ein official dancehall dictionary bekommen. Das sind etwa 500 Wörter im jamaikanischen Dialekt. Ich habe mich in die Sprache verliebt.“ Seine Begeisterung für die elektronische Musik blieb bestehen. Brains wurde 1994 gegründet, doch Kéri wurde erst 2006 ein fester Bestandteil der Band. „2005 habe ich bei Brains auf einer Tour ausgeholfen. Sie brauchten einen neuen Sänger und die Tour verlief so gut, dass ich in der Band geblieben bin“, erläutert Columbo.
„Irie Maffia Style“
In zwei der größten ungarischen Bands zu spielen, ist sowohl mental aber auch körperlich anstrengend. Doch für Columbo ist es ein Wettbewerb, den er mit sich selbst führt: „Wenn ich merke, dass es bei der einen Band besser läuft, versuch ich bei der anderen Band aufzuholen.“
Laut Kéri ist es wichtig, nicht in ein Loch der Monotonie zu fallen. Deswegen spielt er in zwei stilistisch unterschiedlichen Bands. Doch eine Band, die seit 15 Jahren aktiv ist, entwickelt sich im Laufe der Zeit weiter. Die elfköpfige Gruppe Irie Maffia kommt aus den Tiefen des Reggaes, deckt aber heutzutage verschiedene Musikrichtungen ab. Neben Reggae sind auch Hiphop, Funk, Rock und Pop wichtige Bestandteile. „Reggae ist die Grundlage. Zu Beginn waren wir nur zu sechst, aber je größer die Band wurde, umso mehr hat sich unser Stil verändert. Es entstand der Irie Maffia Style.“
Inzwischen auch ungarische Texte
Anfang der 2000er war die von Bob Marley geprägte Musikrichtung in Ungarn noch kaum verbreitet. Dennoch gewann sie im Laufe des Jahrzehntes an Beliebtheit. Auf die Frage, warum Reggae und Dancehall in Ungarn so schnell Fuß fassen konnten, antwortet Columbo bescheiden: „Reggae selbst wurde auf der Welt immer populärer und oft mit der Popmusik verbunden.“
Was die Sprache der Songs angeht, legt sich Irie Maffia nicht fest. Eine lange Zeit veröffentlichte die Band nur Lieder auf Englisch. Das änderte sich in den letzten Jahren und es erschienen immer mehr ungarische Songs. „Es war keine bewusste Entscheidung, dass wir plötzlich auch ungarische Lieder rausbrachten“, erläutert Kéri.
Sein erster ungarischer Song war „Bajnok“ (dt. Champion). „Wir wollten einen Song für die Olympischen Spiele machen. Ich habe auf Englisch angefangen zu schreiben, fand jedoch das Wort ‚Champion‘ zu abgedroschen. So schrieb ich auf Ungarisch weiter.“
Obwohl es gegenüber anderen großen ungarischen Bands ein Nachteil ist, dass sie Lieder auf Englisch veröffentlichten, wollten sie den Sprachwechsel nicht erzwingen: „Wir wussten, dass es schwieriger ist, die Leute in Ungarn mit englischen Liedern zu erreichen. Die Sprache zu wechseln, sahen wir eher als Herausforderung, dass wir es auch auf Ungarisch schaffen können.“
Das Reggae und die ungarische Sprache Hand in Hand gehen können, sieht Columbo kritisch: „Die authentischen Reggae-Lieder werden bei uns natürlich auch auf Englisch geschrieben. Die Beats geben vor, in welcher Sprache die Texte entstehen.“
Kritik im eigenen Land
Eine Band, die die Reggae-Musik in Ungarn populär gemacht hat, sich aber heutzutage auch in der Popmusik bewegt, wird von vielen kritisch betrachtet. Ältere Hörer weinen oft dem anfänglichen Stil von Irie Maffia nach. Der Band ist das bewusst: „Natürlich fällt uns das auf und wir versuchen das auch immer zu berücksichtigen. Für uns ist es wichtig, dass wir unsere treuen Fans beibehalten, aber auch neue Hörer dazugewinnen.“
Laut Kéri ist es für sie eine Art Passion, Reggae Musik der jüngeren Generation näher zu bringen, aber sich selbst auch weiterzuentwickeln. „Wenn wir immer noch die gleiche Musik wie früher machen würden, wäre es keine Entwicklung. Für eine Band, die älter als zehn Jahre ist, ist es wichtig, dass sie sich selber treu bleibt, aber auch neue Hörer dazugewinnt.“
Kéri spricht auch von dem veränderten Konsumverhalten der Menschen. Die Geduld, ein komplettes Album und längere Songs anzuhören, ist nicht mehr vorhanden: „Die jungen Leute nehmen sich nicht mehr die Zeit, ganze Alben am Stück anzuhören. Deswegen liegt der Fokus auf einzelnen Singles. Auch die Lieder selbst sind kürzer geworden.“
Musik als demokratischer Prozess
Nach 15 Jahren ist die elfköpfige Band sowohl bei den Konzerten als auch bei der Entstehungsphase eines Liedes ein eingeschweißtes Team. Obwohl sie so eine große Band sind, gibt es laut Kéri nur selten Unstimmigkeiten. „Für die Ideenentwicklung ist es sehr gut, dass wir viele Meinungen haben. Trotz allem sollte die Endphase eines Songs immer in die Hände eines Produzenten fallen, der die letzten Entscheidungen trifft.“
Mit vier Frontsängern schafft die Band eine einzigartige Energie. Auf die Frage, wie es ihnen gelingt, dass bei so einer großen Band jeder seinen Spot bekommt, antwortet Kéri schmunzelnd: „Bei uns ist jeder eine Rampensau, dadurch entsteht auch diese Energie auf der Bühne. Bei Irie Maffia geht es nicht um die einzelnen Sänger, sondern um das Kollektiv.“
Die Band hatte schon zahlreiche Auftritte im Ausland. Sie gastierten unter anderem in London, Paris und New York. Ob ihr Weg nach der Corona-Krise auch einmal nach Deutschland führt, bleibt abzuwarten. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es uns in der Zukunft auch nach Deutschland verschlägt“, schließt Columbo nicht aus.
Eine Mischung aus allem
„Wir sind sehr zufrieden und sehr stolz darauf, wo wir grad sind und was wir alles erreicht haben. Wir sind noch nicht ganz oben angekommen, aber wir geben unser Bestes“, resümiert Kéri. Nach fast 20 Jahren im ungarischen Musikgeschäft blickt Columbo teils kritisch auf die Industrie zurück: „Leider wird die Schlucht zwischen dem Mainstream und dem Underground-Bereich immer größer.“ Doch Kéri spricht auch von einer positiven Weiterentwicklung im Musikgeschäft. „Sowohl die Bühnenshow als auch die Musiker sind sehr professionell geworden.“
Es wird noch ein wenig Zeit vergehen müssen, bis wir die erfolgreichste Reggae-Band Ungarns wieder auf den großen Bühnen zu sehen bekommen. Aufgrund der Corona-Krise mussten sie ihr großes Konzert im Budapest Park absagen und ihr Album von April auf September verschieben. Die Hörer bleiben aber bis dahin nicht ohne Musik. „Bis zum Albumrelease werden wir alle drei Wochen neue Lieder veröffentlichen. Sowohl ungarische als auch englischsprachige Songs.“
Laut Columbo wird die neue Platte eine Mischung aus der alten und der neuen Irie Maffia sein. Es werden rockige, poppige, reggae- und hiphop-lastige Lieder darauf zu finden sein. Auf die Frage, wo für den gebürtigen Ungar die musikalische Grenze liegt, antwortet er laut lachend: „Es gibt kaum Musik, die ich ungern höre. Aber wenn mein Schwager laut Heavy Metal hört, dann bitte ich ihn manchmal, etwas leiser zu stellen.“