Erinnerung an Modeikone und Künstlerlegende Tamás Király
Modepapst im Ludwig-Museum
Als einer der wenigen aus dem Ostblock gelang ihm noch vor der Wende eine internationale Karriere in der Modewelt. Gemeinsam mit Stardesignern wie Vivienne Westwood oder Jean-Paul Gaultier präsentierte er seine Arbeiten bereits in den 80er Jahren in New York, London und Westberlin.
Dabei verlief sein Leben in Budapest jedoch jenseits von luxuriösem Glamour und sein Werk reicht weit über High Fashion hinaus. Királys Karriere begann Anfang der 80er Jahre und man konnte ihn fast jeden Abend an einem der wenigen Orte des Budapester Untergrunds, wie beispielsweise im Balletcipő oder dem Fiatal Művészek Klubja (Klub junger Künstler) im VI. Bezirk treffen. Bis zu seinem tragischen und plötzlichen Tod 2013 blieb er, und auch seine Wohnung, ein Epizentrum des Budapester Kulturlebens und der freien Kunstszene. Auch heute haben die meisten Budapester Künstler noch eine Anekdote über eine persönliche Begegnung mit dem das Nachtleben und die Untergrundkunst zelebrierenden Tamás Király parat.
Királys Traumwelten vor einem sozialistisch grauen Himmel
Gemeinsam mit Nóra Kováts prägte er ab Beginn der 80er Jahre den Stil des „New Art Studio“ einem Treffpunkt der Alternativkultur in der Budapester Innenstadt, der von Gizella Koppány betrieben wurde. Er arbeitete dort mit lebenden Schaufenstermodellen und veranstaltete Aufsehen erregende, spontane Modespaziergänge über die Váci utca.
In der damals populären Konzerthalle Petőfi Csarnok (Petőfi-Halle) im Budapester Stadtwäldchen präsentierte er von 1985 bis 1989 vier große Shows namens Baby’s Dreams, Boy’s Dreams, Animal’s Dreams und Király’s Dreams, die von mehreren tausend Zuschauern besucht wurden und deren Titel Programm war. Diese Shows erzeugten bizarre Traumwelten, in denen die exzentrischen Outfits in einer Mischung aus Performance, Fashion Walk und Konzert gezeigt wurden.
Paprika-Dalí in Westberlin
1988 gelang ihm bei der Show Dressater im Hamburger Bahnhof in Westberlin der internationale Durchbruch. Auf Einladung der Mode-Designerin Claudia Skoda entwarf er seine Outfits zum Thema Open Doors, und öffnete neben internationalen Größen als einziger Vertreter des Ostblocks die Türen zum Modeschaffen hinter dem Eisernen Vorhang. Skoda taufte ihn aufgrund seiner surrealen Outfits „Paprika-Dalí“.
Seine Kollektion beeindruckte das Publikum mit ihren konstruktivistisch anmutenden Entwürfen, die in ihrer Geometrie an Oskar Schlemmers Triadisches Ballett der 20er Jahre erinnerten. Gleichzeitig freundete er sich mit der Modeikone Vivienne Westwood an.
Da seine Bewerbung für die Kunstakademie abgelehnt wurde und sein Werk sich den Kategorien der üblichen, konventionellen Kunst- und Designgenres entzog, wurde er zu Lebenszeiten kaum von staatlichen, ungarischen Kunstinstitutionen anerkannt oder gar finanziell unterstützt. Selbst nach der Wende bekam er kaum die Gelegenheit, seine Werke einem größeren Publikum in Ungarn zu präsentieren.
Mangel macht erfinderisch
Tamás Király ist trotz seiner Besonderheit auch Teil einer typischen Ostkultur. Bei der Berlinale 2009 konnte man in dem Dokumentarfilm „Ein Traum in Erdbeerfolie – Comrade Couture“ von Marco Wilms erleben, wie in Ostberlin Ende der 80er Jahre Untergrundkünstlerinnen ihre eigenwillige Mode aus schwarz-weißen DDR-Duschvorhängen schneiderten und auf ihren Untergrund-Catwalks, die aus zusammengeschobenen Tischen in Ostberliner Wohnungen bestanden, performten. Genauso lebt auch Királys Kunst vom erfinderischen Umgang mit verschiedensten Ressourcen.
Aus banalen Alltagsstoffen schneiderte, klebte, schnitt er seine Fantasien zusammen, die der grauen Tristesse des sowjetischen Realsozialismus intensive, glitzernde und mit Konventionen brechende Szenarien entgegensetzten, wobei diese Träume nicht aus den Stoffen schillernder, westlicher Konsumwelten gemacht waren, sondern sich der vorhandenen, sozialistischen Baumaterie und auch banalster Alltagsgegenstände bediente. So sind Királys Kostüme nicht einfach Verschwendung teurer Materialien, wie man dies oft in der High Fashion-Szene erlebt, sondern vielmehr ästhetische und oft auch ironische Gedankenspiele, die wie ein Befreiungsschlag vom beklemmenden System wirken und den Betrachter dazu verführen, leichthändig mit dem Ernst des Lebens zu spielen.
Rote Rosen und Parlamentskronen vom Modepapst
Der Stern-Journalist Joachim Kromschröder betitelte ihn in seiner Reportage aus dem Jahr 1990 als ungarischen „Modepapst“ oder auch als „Jean-Paul Gaultier des Ostens“. Tamás Király gehört zu diesen postmodernen Avantgarde-Modedesignern, die in ihrer Arbeit die verschiedensten Elemente kombinierten. Ein Spiel mit Formen, Materialien, die gleichzeitig den Körper transformieren und entgrenzen. Seine Entwürfe sind häufig fast untragbare Entwürfe und auch ironische Kommentare zu den herrschenden Ordnungen.
In seiner letzten Show für ELLE im Februar 2013 in Budapest ziehen Models in leuchtend roten Scherenschnitt-Kleidern über den Laufsteg. Fragil sehen diese Überwürfe aus dickem Papier aus und wie eine Mischung aus ungarischen Blumenmotiven und riesigen Spitzentischdeckchen. Auch die Verarbeitung von Elementen aus der ungarischen Volkskunst mit einem Do-It-Yourself-Stil der Punkbewegung zeichnete sein Werk aus. Ebenso benutzte er politische Symbole wie beispielsweise ein Kostüm in Form eines roten Sterns für einen Kurzfilm oder die Parlamentskrone mit rotem Stern. Seine Outfits, wie ein Oberteil aus Zollstöcken, können auch als poetische Momentaufnahme der bestehenden Lebensbedingungen gelten.
Keine Kompromisse, keine Kommerzialisierung
Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen der Modewelt widersetzte sich Tamás Király der Kommerzialisierung seiner Kunst und trat nie in die Produktionszirkel der Massenanfertigung ein. Laut seiner Vorstellung stirbt die Mode in dem Moment, wo sie zum Trend wird. Er feierte die Originalität als höchsten Wert. Király las keine Modezeitungen und sah sich keine Shows im Fernsehen an, denn er wollte seine eigene Originalität bewahren und weder bewusst noch unbewusst irgendwelchen Trends folgen. „Ich bin mir selbst der Trend“, sagt er einmal in einem Interview.
Laut eigener Aussagen ging er auch keine Kompromisse ein, nahm nur Arbeiten an, auf die er wirklich Lust hatte. Er verweigerte sich der modernen Managerkultur des Kunstbusiness, blieb autonomer Außenseiter und wie er selbst sagt, „lieber ein König im achten Bezirk als ein x-Beliebiger auf dem Budapester Rosenhügel“. Sein kleines Unternehmen blieb „ein finanzielles Desaster“, von den Einnahmen konnte er meist gerade die Ausgaben decken.
So widersetzte er sich durch seine exzessiven, nicht-funktionalen Designträume nicht nur dem Grau des Sozialismus und der realsozialistischen Funktionalität des Vorwendealltags, sondern blieb anschließend auch im darauffolgenden System des Neoliberalismus mit seiner Nicht-Vermarktung und den mühsamen Handanfertigungen widerständig und eigenwillig.
Seine Wohnung war ein Treffpunkt der Kunst. Auch für das TV-Kulturmagazin Abszolut öffnet er 2007 seine Türen, um den Moderator Ferenc Sebő (späterer „Propagandaminister“ der satirischen „Zweischwänzigen Hundepartei“) einzuladen, sich eine Nagelschere zu schnappen und ihm beim Ausschneiden seiner High Fashion Scherenschnitt-Outfits zu helfen. Diese Offenheit zeichnete Tamás Király aus und wurde ihm schließlich zum Verhängnis, als er 2013 bei einem Raubüberfall in seinen eigenen vier Wänden durch einen Bekannten ums Leben kam.
Ludwigs Puppen, die nicht tanzen
Die Ausstellung im Ludwig-Museum wurde auch dank des Engagements seines Sohnes Ilias Király geschaffen und konzentriert sich auf die noch erhalten gebliebenen und teilweise mühevoll restaurierten Modedesigns der letzten 30 Jahre seines Schaffens. Die verschiedenen Kollektionen wurden auf die Räumlichkeiten der Ausstellung verteilt. Eines der wenigen weiteren Medien in der Ausstellung sind einige Flachbildschirme, auf denen Fotoslideshows von Momentaufnahmen aus seinem Leben und Werk zu sehen sind. Alle Gegner von zu viel Text im Museum können erleichtert aufatmen, denn außer einem allgemeinen Konzepttext am Eingang, ein paar originalen Ankündigungsplakaten seiner Shows, einem dänischen Zeitungsartikel und dem Ausschnitt des deutschen Stern-Artikels gibt es in der ganzen Ausstellung nichts zu lesen.
Leider gehen damit auch sämtliche Referenzen sowie eine Kontextualisierung und Reflexion zu Királys Werk verloren. Seine Kunst lebt von ironischer Kritik und dem Spiel mit Symbolen. Ohne die Sichtbarmachung dieses Kontexts und durch das Fehlen der für ihn so charakteristischen Verschmelzung verschiedener Kunstgenres verkommt sein Werk zur puren Oberfläche, deren Hintergrund sich nur den Personen erschließt, die ohnehin schon mit seinem Werk vertraut sind.
Seine spezifische Ästhetik, die sich an einem System reibt, sich im öffentlichen Raum präsentierte und seine private Wohnung zum öffentlichen Schaffensort machte, ist in der Ausstellung kaum erlebbar. Einzig das Interview mit ihm selbst im Eingangsraum gibt Aufschluss über diesen Kontext. Auch konkrete Informationen wie die Angabe von Daten, Orten für die ziemlich unübersichtlichen Fotoeindrücke wären eine wünschenswerte Ergänzung gewesen.
Wer mehr über Királys Schaffen wissen will, dem ist die Publikation „Tamás Király ‘80s“ des jungen Kuratoren-Teams Andrea Soós und Gyula Muskovics zu empfehlen, die sich seit 2014 der Forschung über das bisher sehr schlecht dokumentierte Werk des Künstlers verschrieben haben und momentan auch an einer Promotion über ihn arbeiten. Leider scheinen sie nicht am Konzept der Ludwig-Ausstellung beteiligt gewesen zu sein, denn ihre Ausstellung Open Doors im Tranzit-Kulturverein im Jahr 2014 scheint dank eines performativen Rahmenprogramms und einer konzeptionelleren Ausstellungsgestaltung, die sich selbst an die Ästhetik Királys annäherte, einen gelungeneren Zugang zu Királys Werk gefunden zu haben.
Doch auch wenn ein großer Teil von Királys Schaffen im Ludwig-Museum verborgen bleibt, lohnt sich die Besichtigung der kuriosen Kostümen trotzdem, denn sie sind nicht für die Ewigkeit geschaffen. Für mehr Informationen kann man auch an einer Führung teilnehmen. Und noch ein Extra-Tip: Wem ein kleinerer Einblick genügt, der kann sich bis Ende August im Streetfood-Laden Pizzica in der Nagymező út auch kostenlos die jüngst eröffnete, kleine Király-Ausstellung anschauen, und dabei ein Stück original italienische Pizza genießen und eventuell einen Plausch mit dem italienischen Besitzer und New Wave-DJ „Sir Weirdo“ halten, der wie so viele andere Tamás Király persönlich kannte und in den letzten Jahren auch regelmäßig mit seinem Sohn in Szenekneipen Budapests Musik auflegte.
Ausstellung „Tamás Király. Out of the Box“ im Budapester Ludwig-Museum.
Noch bis zum 15. September 2019
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr.
Nächste Führungen auf Englisch: 11. August, 1. und 15. September.
Alle weiteren Informationen auf ludwigmuseum.hu