mAd mArch Store
Schwarz-weiß war noch nie so vielfältig
Von außen sieht das ehemalige Fabrikgebäude an der Bogdáni út eher unwirtlich aus: Nackte Backsteine und Stahltreppen dominieren das Bild. Das Schweigen der Maschinen hängt schwer in der Luft. Schon lange werden hier aber keine Nylonstrümpfe mehr produziert.
Die erste schmale Stahltür links der Hofeinfahrt ist der Eingang zum Treppenhaus, das zur neuen Loftboutique von Andrea Kerekes und Maik Biermann führt. Trotz seines rauen, industriellen Aussehens ist der Verkaufsraum mit so viel Liebe und Hingabe erfüllt, dass man gar nicht anders kann, als dem Konzept des mAd mArch Stores heillos zu verfallen.

Angeboten werden hier vor allem zwei Dinge: individuelle italienische Mode und eine Beratung, die nicht verkaufen, sondern Mut machen will.
Aus Italien über Szombathely nach Budapest
Auf den ersten Blick mag dem ungeübten Auge das Sortiment eintönig monochrom erscheinen. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Kleidungsstücke schwarz, weiß oder grau. In anderer Hinsicht könnte die Auswahl jedoch kaum „bunter“ sein: Von extravagant bis sportlich-bequem sind die einzelnen Jacken, Hosen, Röcke, Blusen und Blazer die perfekte Grundlage, um seinen persönlichen Stil auszudrücken oder gar neu zu definieren. Dabei steht Andrea Kerekes stets hilfreich zur Seite.
Mit ihren stahlblauen Augen, den kurzen, grau-weißen Haaren und dem roten Lippenstift ist die Inhaberin des mAd mArch Stores eine einprägsame Erscheinung. In ihrer lockeren, weißen Hemdbluse, den schwarzen, weit geschnittenen Hosen und den schwarzen Plateau-Stiefeln ist sie ein Aushängeschild für ihr eigenes Geschäft. Lächelnd gesteht sie: „Alles, was hier angeboten wird, habe ich selbst ausgesucht. Natürlich folge ich dabei meinem eigenen Geschmack.”
Mit rund 150 Händlern in Italien steht Andrea in persönlichem Kontakt, denn der ist ihr nicht nur bei ihren Kundinnen, sondern auch bei ihren Lieferanten wichtig. Dafür fahren Andrea und ihr Mann Maik auch regelmäßig nach Italien. Vor Ort überzeugen sie sich von der Qualität und der Passform ihrer neuen Kollektionen. Die geschäftigen Inhaber legen Wert auf eine kuratierte Auswahl. Sie möchten ihren Kundinnen die Möglichkeit geben, im mAd mArch Store etwas zu finden, das ihnen nicht an jeder Straßenecke entgegenkommt.

Diese Herangehensweise ist jedoch nicht neu: Obwohl der mAd mArch Store in Budapest ein Novum ist, kennen und schätzen Kundinnen im Großraum Szombathely die Marke bereits seit sieben Jahren.
Zeit, sich umzuschauen
Begonnen hatte alles auf 27 Quadratmetern. Von Anfang an wussten Andrea und Maik, dass sie ein Geschäft aufbauen wollen, in dem man sich wohlfühlt. Ihre Kundinnen sollen Zeit haben, sich umzusehen, Kleidungsstücke anzuprobieren und Verschiedenes zu kombinieren. Ihren Mitarbeiterinnen schärfte das Paar ein, den Ladenbesuchern Raum zu geben, um sich wirklich umzusehen. Gleichzeitig sollen sie jederzeit bereitstehen, um zu helfen. Andrea bringt es so auf den Punkt: „Wer bei uns in den Laden kommt, wird mit den Worten begrüßt: ‚Schauen Sie sich in Ruhe um und lassen Sie mich bitte wissen, falls ich behilflich sein kann.‘”
Ihrer Meinung nach gibt es kaum etwas Schlimmeres, als überambitioniertes Verkaufspersonal: „Wir nehmen uns gerne Zeit für unsere Kundinnen. Und wenn ich eine halbe Ewigkeit mit einer Kundin verbringe, sie berate, ihr beim Aussuchen helfe, ihr Kombinationen zeige und sie am Ende doch nichts kauft, dann stört mich das nicht. Ich freue mich, dass sie mir die Gelegenheit gegeben hat, ihr mein Angebot zu präsentieren. Und vielleicht ist doch das eine Stück dabei, das sie nicht loslässt und für das sie zurückkommt.”
Wie einzigartig dieses Konzept ist, wird schnell klar, wenn man einen Besuch im mAd mArch Store mit einem typischen Einkaufserlebnis im Einzelhandel vergleicht. Über ihre Zeit in Szombathely erzählt Andrea: „Wir haben unser Schaufenster wöchentlich von Kopf bis Fuß neu gestaltet. Unser Dachboden quillt schon über vor Dekomaterial. Und natürlich war es uns immer eine Freude, ein Stück für eine Interessentin aus dem Schaufenster zu holen.”
Die design-affine Ladenbesitzerin schüttelt voller Unverständnis den Kopf über den Bericht einer Kundin aus Szombathely: „Sie erzählte mir, dass sie im Geschäft schräg gegenüber einmal nach einem Stück aus dem Schaufenster gefragt habe und die Antwort bekam, doch bitte in einem Dreivierteljahr noch einmal vorbeizukommen, dann würde man die Auslage umgestalten.” Dem mAd mArch Store gelingt es dagegen mit Leichtigkeit, die Balance zwischen zwei Extremen – einem zu drängenden Verkaufspersonal auf der einen und Verkäufern, die den Kunden komplett ignorieren, auf der anderen Seite – zu finden.
Der Laden war gerade dabei, sich mit seinem überzeugenden Konzept im Zentrum von Szombathely zu etablieren, als die Corona-Krise zuschlug: „Wir hatten gerade alles fertiggestellt, hatten unsere ersten Stammkundinnen im neuen Geschäft begrüßt, waren gerade dabei, uns wirklich heimisch zu fühlen, da kam Corona.”

Wie alle anderen Geschäfte stand auch der mAd mArch Store plötzlich vor der Frage: Wie weiter? Während andere Shops schon vor der Pandemie stark auf den Onlineversand setzten, konzentrierten sich Andrea und Maik bis dahin stets auf ihre Kundinnen vor Ort: „Wir haben Samstagabend den Laden zugesperrt, sind heim, haben unser Köfferchen gepackt und sind am kommenden Morgen in aller Früh nach Italien aufgebrochen, um dort am Sonntag neue Kollektionen zu durchstöbern und am Montagmorgen wieder rechtzeitig im Laden zu stehen.” Kein Wunder, dass dem Onlineverkauf bisher kaum Priorität eingeräumt wurde.
Noch während des ersten Lockdowns wurde der mAd mArch Store jedoch gezwungen, die frisch bezogenen Räumlichkeiten in Szombathely zu verlassen: „Es gab immer mehr Berichte darüber, dass in Läden eingebrochen wurde. Wir beschlossen also, unser Geschäft am Marktplatz aufzugeben und alles, was wir noch in unserem kleinen 27-Quadratmeter-Laden auf Lager hatten, online zu verkaufen.”
Der Sommer brachte eine kurze Verschnaufpause, bevor die gebürtige Ungarin Andrea und das Rostocker Nordlicht Maik beschlossen – „entgegen jeder Logik”, so Andrea lachend –, den Umzug nach Budapest zu wagen: „Wir hatten keine Ware, wir hatten keinen Laden, was wir hatten, war der Wunsch, unser Geschäft in die Hauptstadt zu bringen.”

Durch Zufall erfuhren sie von einem leerstehenden Loft in einem alten Fabrikgebäude. Das ehemalige Fotostudio wurde binnen weniger Wochen zum neuen Zuhause des mAd mArch Store umgebaut.
Neue individuelle Weiblichkeit
Obwohl nur wenige Wochen seit dem Umzug vergangen sind, ist die Loftboutique so perfekt, wie es nur ein Projekt sein kann, in dem echte Leidenschaft steckt.
Das Interieur des Ladens ist beinahe gänzlich die Arbeit von Maik Biermann. Der ehemalige Volksmarine-Angehörige hat von den Sitzmöbeln bis hin zu den Umkleidekabinen alles selbst gebaut. Vieles ist aus Metall. Das wirkt aber keineswegs ungastlich. Viel eher gibt das minimalistische Design dem Warenangebot den nötigen Raum, um seine Wirkung zu entfalten. Die individuelle Gestaltung des Ladens geht über den normalen Stil herkömmlicher Verkaufsräume hinaus. Kleinigkeiten, wie etwa mobile Kleiderständer mit Tafeln, sind keine Designelemente, sondern einfallsreiche Helfer, um das Einkaufserlebnis im mAd mArch Store noch besser zu machen.
„Auf die Tafel schreiben wir den Namen der Kundin, zu der der Ständer gehört. So kann sie sich in Ruhe umschauen, ohne die Hände voll zu haben.” Doch dies ist nur der erste Schritt.
Schon auf dem Weg zur Umkleidekabine hilft Andrea bei der Auswahl, berät und ermutigt, auch mal etwas Neues auszuprobieren: „Ich habe Damen erlebt, die sich zu Anfang kaum an das eine oder andere Stück herantrauten, sei es ein Tüllrock oder ein Oversize-Pullover. Aber mit ein wenig gutem Zureden sind sie dann doch hineingeschlüpft und haben plötzlich gesehen, dass ihnen das Stück sehr wohl steht.”

Andrea ist sichtlich stolz auf solche Erlebnisse, denn sie liebt es, Frauen dabei zu helfen, ihre ganz persönliche Form der Weiblichkeit in ihrer modischen Auswahl wiederzufinden. „Ich habe auch erlebt, dass Kundinnen sich über die Jahre von Frauen, die erstmal ihren Mann fragen mussten, was der davon hält, zu selbstständigen, selbstbestimmten Frauen entwickelt haben, die ihr Selbstbewusstsein auch mit ihrer Kleidung unterstreichen.”
Dabei sind die wenigsten Stücke im mAd mArch Store klassisch sexy, denn es geht nicht vorrangig darum, den Herren der Schöpfung zu gefallen. Stattdessen werden hier all jene Damen fündig, denen es nichts ausmacht, dass sich alle Köpfe nach ihnen umdrehen, wenn sie einen Raum betreten, und die es sogar darauf anlegen. Frauen, wie Andrea eine ist – und von denen Ungarn und die Welt noch mehr braucht.
mAd mArch Store
Budapest, III. Bezirk, Bogdáni út 1
Weitere Informationen finden Sie auf www.facebook.com/madmarchstore oder www.madmarchstore.com.