Dr. Katarina Bader: „Wir brauchen Menschen, die Wissenschaftserklärer für uns sind.“ (Foto: Goethe-Institut)

Online-Veranstaltung zur „Woche der Meinungsfreiheit“

Krise macht informationshungrig

In der Coronavirus-Krise geraten die freie Rede und unabhängige Medien weltweit unter Druck. Das befindet zumindest die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen. Kann und darf man also in einer Ausnahmesituation wie der Coronavirus-Krise überhaupt noch debattieren? Was sind die Vorteile und die Nachteile?

Darüber sprach die ungarische Journalistin Edit Inotai in einem durch das Goethe-Institut Budapest organisierten Online-Gespräch mit zwei Experten: Die digitale Runde füllte zum einen Dr. Katarina Bader, Professorin für Online-Journalismus an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Sie forscht zu Wechselwirkungen zwischen Medien und Politik im Zeitalter des Internets sowie Desinformation im Netz. Ihr gegenüber saß – wenn auch Hunderte Kilometer entfernt – Dr. Gábor Polyák von der Universität Pécs. Als Forschungsleiter der NGO Mérték Médiaelemző Műhely beschäftigt er sich vor allem mit der Medienpolitik der ungarischen Regierung.

Wie Bader gleich zu Beginn betonte, sei die Frage nach der Notwendigkeit umfangreicher Debatten zu Zeiten einer Pandemie nicht einfach zu beantworten. Denn wie es scheint, ist Meinungsäußerung nicht gleich Meinungsäußerung. Während echte Debatten einen konstruktiven Beitrag in der Krise leisten können, stellen Fake-News, wie Bader die Verbreitung von Falschinformationen nennt, derzeit eine nicht zu unterschätzende Gefahr da. „Es gibt immer mehr Fake-News“, konstatierte die Medienforscherin und lieferte auch gleich einen Erklärungsansatz dafür: „Das liegt auch daran, dass die Leute verunsichert sind. Die Krise macht informationshungrig, und es ist menschlich, dass wir eine spannende, neue Information immer gleich teilen wollen. Aber so teilen wir eben auch Informationen, die unbestätigt sind, unwahr und mitunter auch gefährlich.“ Bader mahnt dahingehend zu einem größeren kritischen Hinterfragen von Informationen und den dahinter stehenden Quellen. Ein Verbot der Verbreitung von vermuteten Fake-News, wie es aktuell etwa in Ungarn versucht wird, hält sie jedoch nicht für zielführend. Vielmehr konstatiert sie: „Das muss die Demokratie einfach aushalten können.“

Auch Polyák ist sich sicher: „Demokratie braucht Debatten. Denn ohne lassen sich gerade in solchen Krisensituationen Entscheidungen nur schwer demokratisch legitimieren.“ Seiner Ansicht nach sei es in dieser Situation besonders wichtig, dass die Regierungen ehrlich kommunizieren und ihr Handeln transparent machen. Darin, dass die ungarische Regierung nun die Verbreitung von Fake-News im Zusammenhang mit der Corona-Krise unter Strafe stellt, sieht er eine Gefahr für den ungarischen Journalismus. Doch nicht etwa, weil Medien nicht mehr bestimmte Meinungen veröffentlichen dürfen, sondern „weil Journalisten nun vor dem Problem stehen, dass niemand mehr mit ihnen reden will“, so Polyák. Fachleute wollten sich durch eine Meinungsäußerung in der Presse nicht angreifbar machen.

Dabei könne gerade die aktuelle Krise zu einer Aufwertung des klassischen Journalismus – als zuverlässige Quelle seriöser Informationen – führen. Ähnlich sieht es auch Bader: „Ich glaube, im Moment wird vielen Menschen klar, was das Problem von algorithmusgesteuerten Informationen ist. Da werden Ihnen auf Facebook, auf Google-News, auf Ihrem iPhone nur die reißerischsten Meldungen reingespült. Wenn Sie nur das lesen, werden Sie hinterher nicht gut informiert sein und wahrscheinlich Angst haben.“ Die Stuttgarter Professorin empfiehlt dagegen, sich als Leser auf wenige seriöse Informationsquellen zu beschränken. In Richtung der Medien mahnte sie: „Wir brauchen Menschen, die Wissenschaftserklärer für uns sind, die Studien lesen, verstehen und für uns verständlich machen, ohne sie zu vereinfachen. Wir brauchen Menschen, die international vergleichend unterwegs sind. Wir brauchen ein Korrespondentennetz, das sich umsieht, welche Maßnahmen wo funktionieren. All das ist notwendig, damit wir als mündige Bürger agieren können.“

Anlass für das Gespräch bot die „Woche der Meinungsfreiheit“, eine Initiative des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Vom 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, bis zum Tag der Bücherverbrennung am 10. Mai wurden unter dem Motto „Meinungsfreiheit ist mehr als eine Meinung“ zahlreiche Veranstaltungen abgehalten.

Wer sich die Aufzeichnung der Online-Veranstaltung in voller Länge anschauen möchte, findet diese auf der Facebook-Seite des Goethe-Instituts Budapest.

Schreibe einen Kommentar

Weitere Artikel