Rückwanderin Nadin Arts: „Wer sich in Ungarn anstrengt und arbeitet, der kann viel erreichen.“ Fotos: Privat

Nach Ungarn ausgewandert: Pflegefachkraft Nadin Arts

Keine Perspektive mehr in Deutschland gesehen

Die gebürtige Ungarin Nadin Arts lebt zusammen mit ihrem Mann seit Anfang 2023 in Ungarn.

Im Eiltempo hat die 44-Jährige ihr Unternehmen, einen Pflegedienst, den sie seit 2017 in Deutschland betrieben hat, in Ungarn angemeldet und startet seitdem durch. Mit der wachsenden Zahl an Einwanderern steigt in Ungarn auch der Bedarf an deutschsprachigen Pflegeexperten. Die gelernte Pflegefachkraft und studierte Betriebswirtin hat einen klaren Blick auf die Welt. Sie ist der Prototyp einer Macherin, die gerne kritische Fragen stellt, gewohnt ist, Selbstverantwortung zu übernehmen, klare Entscheidungen trifft und unbeirrt ihren Weg geht.

NADIN ARTS, 44, ist ausgebildete Pflegefachkraft und Betriebswirtin. Seit April 2023 lebt sie zusammen mit ihrem Mann in Ungarn. In Kaposvár betreibt sie ihr Unternehmen amica curae („freundliche Pflege“) und berät ihre Kunden und Patienten zu allen Pflege- und gesundheitsrelevanten Themen. Dazu zählen Pflegeberatungen nach § 37 Abs. 3 SGB XI sowie die Administration und Übersetzung bei Patientenverfügungen und Testamenten. Darüber hinaus begleitet sie zu allen Ämtern, administriert die dazugehörigen Vorgänge, hilft sprachlich und koordiniert auch die Zusammenarbeit mit anderen pflegerelevanten Dienstleistungen (u.a. Hilfsmittel) oder auch Beerdigungsinstituten. Aktuell ist sie in Weiterbildung zur Pflegesachverständigen.

Lass Dir nichts gefallen!

„Du bist nicht auf der Welt, um anderen zu gefallen oder Dir von anderen etwas gefallen zu lassen“, war der Leitsatz ihrer Großmutter, bei der Nadin Arts nach dem tragischen, frühen Tod ihres Vaters den Großteil ihrer Kindheit verbracht hat. Es scheint, als wäre dies auch der Leitsatz ihres Lebens. Der Vater Ungar, die Mutter Serbin mit ungarischen Wurzeln – eine hochenergetische Verbindung, die sich auch auf das Temperament der Tochter ausgewirkt hat.

Die ersten Jahre ihres Lebens verbringt Nadin Arts in Bolhás, – ein kleiner, beschaulicher Ort in der Nähe von Nagyatád im Komitat Somogy, wo ihre Großeltern ein einfaches Bauernhaus bewohnen. „Da gab es keinen Luxus, kein fließendes Wasser, und das Plumpsklo war hinterm Schweinestall“, erklärt Nadin Arts.

Es ist die Zeit des politischen Umbruchs. Reformkommunistische Kräfte setzen sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zwar mehr und mehr gegenüber der alten Elite durch und leiten wirtschaftliche und politische Reformen ein. Doch noch sind weite Teile des Landes geprägt von typischen sozialistischen Strukturen – eine marode Infrastruktur, Armut und Ressourcenmangel.

Um nach dem Tod ihres Mannes nicht mittellos dazustehen, arbeitet ihre Mutter in Deutschland als Krankenschwester und sieht ihre Tochter bis zur Einschulung nur an den Urlaubstagen. Ihre Kindheit beschreibt Nadin Arts als behütet, auch wenn sie unter der Trennung von ihrer Mutter leidet.

Die Großmutter ist eine große Stütze und ermutigt sie früh, selbstbewusst ihren Weg zu gehen. „Vermutlich habe ich ihr zu verdanken, dass ich gerne Dinge ausprobiere. Dabei macht es mir nichts aus, auch mal auf die Nase zu fallen. Ich habe früh gelernt, reflektiert genug zu sein, einen Tiefschlag nicht als unveränderliches Desaster zu begreifen, sondern immer wieder aufzustehen und weiter zu machen.“ – „Wo eine Tür zugeht, öffnet sich eine andere“, bemerkt sie verschmitzt schmunzelnd.

Nadin Arts ist Mitglied der Johanniter Schwesternschaft. Im Jahr 2023 erhielt sie eine Einladung nach Budapest zu den Feierlichkeiten anlässlich des 100-jährigen Bestehens des ungarischen Johanniter-Ritter Ordens. Das Bild zeigt sie in der traditionellen Schwesterntracht zusammen mit dem ungarischen Kommendator István Tomcsányi.

Umzug nach Deutschland

Mit der Einschulung zieht Nadin Arts nach Deutschland ins Rheinland. Ihre Mutter hat inzwischen wieder geheiratet, der neue Mann hat Nadin adoptiert. Nach der Schule macht sie eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau und beschließt im Anschluss, berufsbegleitend Betriebswirtschaft zu studieren.

In die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten und auch in der Pflege zu arbeiten, kam für sie nicht in Frage. „Ich sah, wie hart meine Mutter arbeiten musste und wie es auf ihre Gesundheit ging.“

Nadin Arts ist ehrgeizig, schließt Ausbildung und Studium mit Bravour ab und lebt – wie sie sagt – „ein rastloses Leben, immer auf der Überholspur: schneller, höher, weiter.“

Ein schwerer Verkehrsunfall mit 26 Jahren lässt sie umdenken. „Ich lag lange auf der Intensivstation, musste danach mühsam das Laufen wieder lernen, aber ich war unendlich dankbar, dass ich überlebt hatte. „Nach so einem einschneidenden Ereignis denkt man anders über das Leben. Die Prioritäten verschieben sich.“ Sie entscheidet sich für eine Ausbildung zur Pflegefachkraft, arbeitet in verschiedenen Krankenhäusern, bevor sie sich zunächst als Freiberuflerin mit Amica Curae 2017 selbstständig macht.

Mensch zweiter Klasse

Nadin Arts ist gerne ihre eigene Chefin mit allen Konsequenzen. Ihre Branche zählt nicht zu den Lieblingskindern der Wirtschaft. Hier einigermaßen profitabel zu arbeiten, war schon immer eine Herausforderung, aber in den letzten Jahren wurden die Daumenschrauben noch weiter angezogen. Wer sich in dieser Branche selbstständig macht, benötigt ein robustes Nervenkostüm und einen starken Charakter. Nadin Arts bringt beides mit.
Eine besonders herausfordernde Prüfung war die Zeit von Corona. „Mit vielen Maßnahmen war ich nicht einverstanden und es hat mich geschmerzt, dass viele Kolleginnen, die über genügend Fachwissen verfügen müssten, so leicht „auf Linie“ gebracht werden konnten.“ – „Es ist die Crux dieser Branche, dass hier zu viele zu devot sind und sich nicht trauen, den Mund aufzumachen.“

Es sollte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte und die Entscheidung, das Land zu verlassen, endgültig festigte. „Schon länger habe ich aufgrund der immer schwierigeren Rahmenbedingungen – sowohl politisch als auch geschäftlich – keine Perspektive mehr in Deutschland gesehen.“ „In einem Land, in dem man als Steuerzahler wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wird, wollten weder ich noch mein Mann, der übrigens Belgier ist, auf Dauer unseren Lebensmittelpunkt haben.“

Zurück zu den Wurzeln

Dank ihrer Wurzeln lag Ungarn als Zieladresse nahe. „Mein Mann und ich waren uns einig, dass wir nur in ein Land ziehen, dessen Sprache einer von uns gut bis fließend spricht.“ – „Wäre die Anerkennung meines Staatsexamens in den USA nicht ganz so umfangreich gewesen, hätte es uns vielleicht dorthin verschlagen.“ Erste Erfahrungen in den USA sammelte sie während eines früheren Praktikums in Boston und hatte bereits verschiedene Jobangebote.

Ungarn betrachtet sie aber auch als gute Wahl. „Ich kenne Ungarn, seit ich auf der Welt bin. Es hat sich vieles verändert und weiterentwickelt.“ – „Wer sich hier anstrengt und arbeitet, der kann viel erreichen.“ – „Aus- und Weiterbildungen sind oftmals günstiger und oder gar unentgeltlich.“

Die Ungarn warten nicht auf einen Retter

Auch die politischen Verhältnisse beurteilt Nadin Arts weitestgehend positiv. „Die immense Verteidigung der Souveränität des Landes ist trotz des enormen Drucks und Einflusses des Westens durch die mächtigen Geldgeber, die ihre ideologischen Interessen verfolgen, beispiellos für Europa.“ – „Wer sich mit der Geschichte des Landes auseinandersetzt, weiß, dass das ungarische Volk lange genug fremdbestimmt war.“ – „Doch die Ungarn haben sich immer stets aus eigener Kraft aus der Fremdbestimmung befreit.“ – „Dies sehe ich bei Deutschland leider nicht. Die Deutschen neigen dazu, auf einen Retter zu warten, der sie aus der Misere führen soll.“ Diese passive Haltung betrachtet Nadin Arts als sehr kritisch. Da liegt ihr die ungarische Mentalität sehr viel näher. „Wir warten hier nicht auf fremde Heilsbringer, sondern nehmen unser Schicksal selbst in die Hand.“

Doch es gibt auch Momente der Irritation in ihrer neuen Heimat. Gerade, weil sie viele Jahre in Deutschland gelebt hat, ist Nadin Arts überrascht, dass gerade junge Ungarn und auch Menschen mittleren Alters nach wie vor eine große Sehnsucht nach dem „Westen“ haben. Gut qualifizierte Kräfte wandern ab, weil die Verdienstmöglichkeiten woanders deutlich besser sind. Doch die meisten haben in ihren Augen kaum oder gar keine Kenntnis von den aktuellen Bedingungen und geben sich falschen Hoffnungen hin.

Nadin Arts in der Fußgängerzone von Kaposvár: „Die Stadt ist in den letzten 25 Jahren sehr attraktiv und lebenswert geworden.“

„In Deutschland locken zwar höhere Gehälter, aber die meisten haben keine Ahnung, wie viel Abzüge sie dort hinnehmen müssen und wie hoch die Lebenshaltungskosten sind. Zudem wissen die meisten nicht, wie stark sich die Sicherheitslage in Deutschland aufgrund der Migrationspolitik verschlechtert hat.“ – „Man darf die Kriminalitätsrate auch in Ungarn nicht schönreden, auch hier passieren täglich schlimme Dinge, aber ich fühle mich als Frau hier sehr sicher und werde weder im Freibad noch am Balaton oder in der Stadt belästigt.“ – „Da ich regelmäßig noch in Deutschland unterwegs bin, springt mir der eklatante Unterschied zwischen beiden Ländern immer wieder ins Auge.“ – „In Deutschland fühle ich mich etwa an Bahnhöfen nicht mehr sicher, und sauberer ist es hier in Ungarn auch.“

Als wohltuend empfindet sie, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in Ungarn trotz der vielen kritischen Stimmen eindeutig größer ist. Vielleicht ist dieser Faktor auch der familienfreundlichen Politik zu verdanken, die Nadin Arts sehr begrüßt. „In Zeiten von Krisen hat sich stets das traditionelle Familienmodell bewährt, um die Existenz der Menschen zu sichern. Warum also nicht fördern, was gut und richtig ist?“

Kritik an Ungarns Gesundheitspolitik

Ein kritisches Auge hat sie jedoch auf Ungarns Gesundheitspolitik. „Auch hier war zu Zeiten der Corona-Krise nicht alles nur einfach.“ „Sicherlich einfacher, aber es gab regional doch große Unterschiede.“

Die für nächstes Jahr angekündigten obligatorischen Vorsorgeuntersuchungen, die bei Nichteinhaltung mit Bußgeldern von bis zu 5 Millionen Forint geahndet werden könnten, sieht sie allerdings mit äußerst gemischten Gefühlen. „Diese Entwicklungen sollte man auf jeden Fall im Auge behalten.“

Nadin Arts favorisiert die absolute Selbstbestimmung des Patienten. „Dies heißt für mich: keine medizinischen Zwangsuntersuchungen oder Medikationen, auch nicht mittels Impfungen, und die Möglichkeit auf Sterbehilfe, wenn dies von einem unheilbar kranken Menschen so gewünscht wird.“

Grundsätzlich beurteilt sie das Arbeiten in ihrer Branche in Ungarn vergleichbar mit dem in Deutschland. „Die Bürokratie ist ähnlich aufwändig, der Sektor ist auch hier chronisch unterfinanziert und die Löhne zu niedrig für die zu erbringende Leistung. Hier ist definitiv noch Optimierungsbedarf.“

Als besonders aufwändig betrachtet sie die Koordination zwischen den deutschen Krankenkassen und der ungarischen NEAK, den Ärzten und auch sonstigen Pflegeeinrichtungen.

Das 1911 eröffnete Gergely Csiky-Theater.

Kursierende Fehlinformationen

Ein Dorn im Auge sind ihr die vielen Fehlinformationen, die unter Einwanderern kursieren. So wissen viele zum Beispiel nicht, dass sie in Ungarn automatisch Organspender sind und wenn sie dies nicht wünschen, einen formellen Einspruch erheben müssen. Auch sind deutsche Patientenverfügungen in Ungarn nicht gültig und müssen hier erneut erstellt werden. Seniorenheime haben lange Wartezeiten und viele wissen nicht, dass sie ihren Platz dort einkaufen müssen.

„Viele dieser fehlinformierten Leute landen dann bei mir und müssen feststellen, dass manche ihrer Vorhaben in Ungarn so gar nicht umsetzbar sind.“

Positive Bilanz

Alles in allem zieht Nadin Arts nach dem ersten Jahr seit ihrer Auswanderung aber eine positive Bilanz und ist froh, den Schritt zurück in das Land ihrer Kindheit gewagt zu haben.

Vermisst sie in Ungarn etwas, was es hier im Gegensatz zu Deutschland nicht gibt? – „Nein, ich vermisse nichts außer meiner Mutter, die noch in Deutschland lebt.“ Diese hat sich inzwischen jedoch mit einer ebenfalls verwitweten Freundin zusammengetan, und beide erwägen, gemeinsam ebenfalls nach Ungarn zu ziehen. „Ich würde das sehr begrüßen, wenn ich sie in meinem näheren Umfeld wüsste, um mich entsprechend zu kümmern, wenn es nötig wird“, erklärt die Kämpferin mit Herz und vielleicht auch ein bisschen Ausdruck ungarischen Familiensinns.

18 Antworten auf “Keine Perspektive mehr in Deutschland gesehen

  1. Na so toll kann die Heimatliebe ja nicht gewesen sein wenn Ungarn nur die 2. Wahl war weil USA Steine in den Weg gelegt hat.

    Das ist ja nicht so schlimm, aber nun so zu tun als wäre Ungarn das Non plus Ultra ist schon erstaunlich.

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    1. Sehr geehrte Frau Werrmann, was hat das damit zu tun? Nach ihrer Argumentation besitzt kein/e Ausländer/in Vaterlandsliebe, wenn er/sie sich gegen sein/ihr Herkunftsland entscheiden hat.

      Und Frau Arts stellt Ungarn nicht als Nonplusultra dar, schließlich kritisiert sie ja auch. Aber vielleicht haben Sie auch einfach einen anderen Artikel gelesen als ich.

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      1. Nein, ich habe keinen anderen Artikel gelesen.

        Aber wenn man sich für die zweite Wahl entscheidet, was ja per se nichts Schlimmes ist, dann sollte man vielleicht eher nicht in einer Zeitung schreiben, sondern sich im Stillen freuen das die Übersiedlung so gut geklappt hat.
        Die Vaterlandsliebe hatte ja nur für die 2. Wahl gereicht. Das ist nicht gerade für Ungarn ein Grund zur Freude, wenn es nur die 2. Wahl ist. Aber ich kann mich ja irren.

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    2. Liebe Frau Werrmann,
      Danke für d. Kommentar.
      Da ich nach meines USA Aufenthaltes meinen jetzigen Mann kennenlernte, änderten sich die Prioritäten. Wenn Sie ein bisschen meines Lebenslauf kennen, werden Sie feststellen, dass ich bereits in mehreren Ländern gearbeitet habe & arbeite.
      Der sog. NCLEX ist recht zeitaufwändig & ich hatte trotz div. Jobangebote einfach keine Lust dazu. Mir hat niemand Steine in den Weg gelegt, im Gegenteil, man hat mir Tür & Tor geöffnet, nur hätte ich mind. zwei Jahre in den NCLEX investieren müssen.

      Ungarn ist nicht das Nonplus Ultra. Ich bin reflektiert genug um vieles zu kritisieren, als Muttersprachler fällt mir das auch nicht schwer. Es gibt hier eine Menge zu kritisieren, u. a. insb. das unterfinanzierte Gesundheitssystem. Das vorantreiben der Akkufabriken etc.

      Ich lese, sie kennen viele Ungarn. Das freut mich, gute Integration fängt mit guten Kontakten an, weiter so. Lernen Sie mich gern kennen, ich freue mich.

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  2. Kennt diese Werrmann Ungarn? Wie viel Zeit hatte sie in der letzten 15 Jahren dort verbracht? Welche Zeitungen liest sie? Woher sonst hat sie ihre Infos?
    Es scheint mir, ohne fundierte und nachprüfbare direkte Erfahrung zu haben.
    ARD-ZDF-Bild?
    Armmutzeugnis in einer Zeit, dass es (noch) vielfältige Infos und Reisemöglichkeit gibt.

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    1. Diese “Werrmann” kennt Ungarn und auch jede Menge Ungarn, zum Glück, die in der Lage sind etwas zu schreiben ohne jemanden abzuwerten.
      Kann man von Ihnen nicht erwarten.

      Kleine Frage; Wieso wird Ihr deutsch immer dann besser wenn sie es zum beleidigen nutzen? Sonst bauen Sie doch ab und zu kleine Fehler in Ihre “Texte”ein.

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