In Ungarn werden keine neuen Statuen von Marx, Engels und Lenin errichtet. Die aus der alten Zeit noch vorhandenen können unter anderem im Freilichtmuseum Szoborpark (Skulpturen-Park) in Südbudapest besichtigt werden. Foto: mementopark.hu

Gastkommentar

Kampf um Köpfe

In Deutschland herrscht neuerdings ein merkwürdiger Hang zur Bilderstürmerei, den man nicht anders als verhängnisvoll bezeichnen kann.

Denn er läuft langfristig auf eine Planierung des ohnehin nicht sonderlich tief verankerten historischen Bewusstseins in der Berliner Republik hinaus. Und überantwortet ganze Geschichtslandschaften der Entsorgung zugunsten gegenwartspolitischer Trends.

Sträfliche Unkenntnis historischer Fakten

Die Symptome dieses deutschen Entsorgungswahns sind unübersehbar. Graf Stauffenberg, mutiger Hitler-Gegner, der den Tyrannen im Juli 1944 mit einer Bombe erledigen und Deutschland von der Naziherrschaft erlösen wollte, wird mittlerweile in seiner moralischen Inte­grität angezweifelt, weil er sich nicht als lupenreiner Demokrat vereinnahmen lässt.

Berliner Straßen, die den Namen preußischer Generale jenes gesamteuropäischen Kampfes tragen, der den Kontinent 1812 vom Joch des französischen Militärdiktators Napoleon befreite, sollen entmilitarisiert, also umbenannt werden. Im Sitzungssaal des Berliner Außenministeriums wurde unlängst das Bild seines Schöpfers, Otto von Bismarck, entfernt, mit der sonderbaren Begründung, der erste deutsche Reichskanzler habe drei Kriege geführt, sei bedauerlicherweise männlichen Geschlechts und firmiere als Promotor des Kolonialismus.

Foto: Facebook/ Szoborpark

Was für eine sträfliche Unkenntnis historischer Fakten! Bismarck war der Letzte, dem an einem kolonialen Ausgriff des neu geschaffenen Reiches gelegen war. Er hat den Kolonialerwerb in Übersee nur zögerlich mitgetragen und mehrfach erwogen, die afrikanischen Besitzungen wieder loszuwerden. Der Sitzungssaal heißt jetzt übrigens „Saal der deutschen Einheit“.

Tiefe historische Kenntnislosigkeit

Den bisher wohl unrühmlichsten Höhepunkt dieses deutschen Entsorgungswahns bildet der Entschluss der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, den Namen ihres Gründers und großzügigen Förderers aus ihrer offiziellen Bezeichnung zu eliminieren. Auch dieser Entschluss zeugt von einer tiefen historischen Kenntnislosigkeit. Denn kein einziges europäisches Staatsoberhaupt hat vor dem Ersten Weltkrieg mehr für die Universitäts- und Wissenschaftsförderung seines Landes geleistet, als der letzte preußische König und deutsche Kaiser Wilhelm II., der nun bald gelöschte Namensgeber der geschichtsvergessenen Hochschule im Münsterland.

Wozu solche sinnlosen Amputationen? Bei den geschichtspolitisch in Ungnade Gefallenen handelt es sich keineswegs um sinistre Gestalten aus dem Schreckenskabinett deutscher Unheilsgeschichte. Alle diskriminierten und degradierten Köpfe sind prägende Persönlichkeiten der deutschen Nationalgeschichte. Das gilt auch und gerade für Wilhelm II. mit all seinen Licht- und Schattenseiten.

Kein Franzose, kein Engländer und wohl selbst kein Spanier würde jemals auf den Gedanken kommen, historisch durchaus fragwürdige Figuren wie König Ludwig XIV., König Georg III. oder König Philip II. aus dem erinnerungspolitischen Gedächtnis ihrer Nation auszusondern. Deutschland begibt sich hier erneut auf einen unheilvollen Sonderweg – in eine geschichtspolitische Sackgasse, die im europäischen Ausland, namentlich in Ungarn und Polen, mit Kopfschütteln quittiert wird.

Gegenströmige Aktivitäten

Das gilt vor allem dann, wenn man die neue deutsche Bilderstürmerei mit jenen gegenströmigen Aktivitäten vergleicht, deren vorläufiger Gipfelpunkt die Aufstellung einer überdimensionalen Lenin-Statue im Juni 2020 in Gelsenkirchen bildet. Diese infame Unternehmung wurde zwar nur von den Vertretern der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands veranlasst – einer stalinistischen Kleinstpartei mit offen verfassungsfeindlichen Zielen. Doch die zuständigen Verwaltungsgerichte in Gelsenkirchen und Münster verfügten ausdrücklich die Zulässigkeit einer solchen Denkmalssetzung. Sie legitimierten damit die Nobilitierung einer anerkannt säkularen Unheilsfigur, die im Oktober 1917 das gerade erst zaghafte Aufblühen einer parlamentarisch-demokratischen Lebensordnung in Russland gewaltsam zerstampfte und die Russen einer mehr als 70-jährigen Zwangsherrschaft unterwarf.

Foto: Facebook/ Szoborpark

Denkmalswürdig ist in der Berliner Republik indes auch wieder der zweite Namensgeber der genannten Partei: Karl Marx, für den die KP Chinas in dessen Geburtsstadt Trier ein künstlerisch vollkommen aus der Zeit gefallenes Monument im Stil des Sozialistischen Realismus der 1950er Jahre errichten ließ. Zu dieser Unternehmung applaudierten damals nicht nur die Stadtvertreter der Linkspartei, sondern auch jene der CDU und der SPD.

Auf ähnliche Weise hatte der chinesische Gewaltherrscher Xi Jinping bereits 2014 die Stadt Wuppertal mit einer riesigen Bronzestatue beglückt, die Friedrich Engels auf einem tonnenschweren Stahlpodest verewigt. Auch dort hatte der von einer Koalition aus CDU und SPD angeführte Stadtrat keinerlei Bedenken gegen die Annahme eines derart totalitär vergifteten Geschenks geäußert.

Wie naiv muss man sein, um diesen eindeutig kulturimperialistischen Akt chinesischer Außenpolitik widerspruchslos hinzunehmen? Und überdies einer fremdbestimmten Belobigung für den Mitschöpfer jenes wissenschaftlichen Sozialismus zuzustimmen, dessen krude Überwältigungsphantasien der Welt des 20. Jahrhunderts Leid und Unglück von geradezu apokalyptischen Ausmaßen eingetragen haben?

Besonnenes östliches Mitteleuropa

In den Ländern des östlichen Mitteleuropas, allen voran in Polen, den drei baltischen Staaten und, nicht zuletzt, in Ungarn zeigt man im Umgang mit den illustren und weniger illustren Köpfen der Vergangenheit weitaus mehr Besonnenheit. Hier scheut man vor einer ungerechtfertigten Denunziation historischer Persönlichkeiten ebenso zurück, wie man die restlos abgewirtschafteten Pseudo-Helden des Kommunismus dahin verpflanzt, wo sie hingehören und keinen Schaden mehr anrichten können: nicht auf den Müll zwar, wohl aber ins Museum – in den „Park der Monster“ in der estnischen Hauptstadt Tallin oder in den Szoborpark im Südwesten der ungarischen Hauptstadt Budapest.

Dort mahnen Lenin, Marx, Engels und Genossen an eine glücklich überwundene Vergangenheit, deren Rückkehr auch den marxhörigen Widergängern in Trier und Gelsenkirchen hoffentlich erspart bleiben wird.

Der Autor ist Professor für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der TU Chemnitz. Derzeit ist er als Gastprofessor am Deutsch-Ungarischen Institut (DUI) des MCC in Budapest tätig.

Foto: Facebook/ Szoborpark

2 Antworten auf “Kampf um Köpfe

  1. Wer in der ehrlich und fleißig gearbeitet hat – gleich in welcher Arbeit – kann auf diese Zeit stolz sein. Denn er hat an einem Stück der deutschen Geschichte mitgeschrieben! Einer Geschichte, die das künftige menschenfreundliche System zum Erhalt und der Weiterentwicklung der Menschheit – nicht nur in Deutschland – beinhaltete. Die Jahrhunderte andauernde Herrschaft der Minderheit – brutale, menschenverachtende, kriegstreibende, moralfreie, ehrlose und kriminelle – ist am Ende -endlich.
    Wir leben in einer Epoche des Umbruches, in der diese um ihren Machterhalt verzweifelt mit allen unmenschlichen Methoden ringende Minderheit leider noch viel Blut vergießen wird – aber ein Nürnberg II wird für sie nicht nur in Deutschland sondern weltweit kommen!

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