Vor etwa 20 Jahren haben sich Márton Győri und Nóra Soós kennengelernt. Seitdem arbeitet das Ehepaar zusammen, heute in ihrem gemeinsamen Zuhause in Budapest. (Foto: BZT / Andrea Ungvari)

Ungarisches Künstlerpaar: Nóra Soós und Márton Győri

Jeder braucht seine eigene Zeit und seine eigene Story

Seit etwa 20 Jahren kennen und lieben sich Nóra Soós und Márton Győri. Wir haben das Ehepaar in ihrem Atelier im Budapester Viertel Pasarét am Fuß des Rosenhügels besucht und über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Kunst, ihre gegenseitige Rückendeckung und die Unterschiede zwischen dem deutschen und ungarischen Kunstmarkt gesprochen.

Schon ehe man das lichtdurchflutete Atelier von Nóra Soós und ihrem Ehemann Márton Győri betritt, strömt einem der Duft der bunten Ölfarben in die Nase. Hier herrscht kein künstlerisches Chaos: Der Raum strahlt in sterilem Weiß, der erste Blick fällt unweigerlich auf die farbenfrohen Gemälde an den Wänden. Neben einem riesigen Holztisch, auf welchem ordentlich sortiert etliche Ölfarben stehen, steht Győri vor der Holzstaffelei und streift mit einem Pinsel konzentriert feine Linien über eine kleine Leinwand. Währenddessen verrät Soós: „Wir haben uns vor etwa 20 Jahren während der Aufnahmeprüfungen an der Ungarischen Akademie der bildenden Künste kennengelernt. Seitdem arbeiten wir nonstop zusammen, wir haben uns auch schon immer ein Atelier geteilt.“ Die Malerin wurde in Szombathely geboren, seit wenigen Jahren leben und arbeiten aber beide in ihrem gemeinsamen Haus in Budapest, in welchem sie einen großen und nebenan einen kleineren Raum als Ateliers nutzen, sodass jeder nach Bedarf in Ruhe arbeiten kann.

Bunt und kritisch

Zunächst zeigen die Werke des Künstlerpaares tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten: Beide Stile sind geprägt von ausdrucksstarken, kräftigen Farben.

Soós konzentriert sich als zeitgenössische Künstlerin jedoch thematisch vorrangig auf gesellschaftliche Vorgänge sowie persönliche Reflexionen über ihre Umgebung und ihr eigenes Leben – und auf Kinder. Begeistert erklärt sie: „Ich verbringe viel Zeit mit Kindern. Mir gefällt besonders deren eigene Welt und wie sie sich in ihr ausleben.“ Dabei spiele auch mit hinein, dass das Ehepaar mittlerweile zwei eigene Kinder hat.

„East European Gulliver“: Nóra Soós reflektiert oft ihre eigene Kindheit, wie hier im Sozialismus der 80er-Jahre in Ungarn, erkennbar an den russischen Matrjoschka-Puppen. (Foto: Nóra Soós)

Auch ihre eigene Kindheit reflektiert Nóra Soós seit Beginn ihrer Karriere kontinuierlich, oft im Hinblick auf den damals in Ungarn herrschenden Sozialismus. So beispielsweise bei ihrem Werk „East European Gulliver“, auf welchem sie als Kleinkind zu sehen sei, das Seifenblasen pustet, riesige Matrjoschka-Puppen umgeben sie. Diese stünden für „Gulliver“, den Riesen aus dem Weltklassiker-Roman „Gullivers Reisen“ von Jonathan Smith. Je mehr Matrjoschkas man ineinander verschachtele, desto größer würden die Puppen. Aus Kleinem, so die Künstlerin, werde Großes. „In den 80ern habe ich viel mit den Puppen gespielt und sammle sie heute noch. Sie sind sehr simpel gestaltet, strahlen aber auch etwas Groteskes aus. Insgesamt bezieht sich das Bild auf ganz Osteuropa und auf den damaligen russischen Einfluss. Dass die Puppen auf dem Bild wesentlich größer sind als ich, gibt ihnen einen furchteinflößenden Charakter“, beschreibt Soós.

Eine weitere Facette ihres Stils sind die verschiedenen Schichten, die sie auf ihre Leinwände verteilt. „Diese Transparenz ist für mich absolut wichtig. Das sind nicht nur visuelle Schichten, sondern auch Schichten in Raum und Zeit. Es stellt verschiedene Orte, verschiedene Dinge dar, die ich in einer Dimension zusammenfasse“, sagt die Künstlerin. Im Übrigen glaube sie nicht daran, dass man kritische Begebenheiten nur mit dunklen Farben malen könne: „Das steckt in jedem Künstler drin, wie er oder sie mit Farben arbeitet. Ich mag schlichtweg keine dreckigen Farben, da sträubt sich etwas in mir dagegen. Und durch meine Farbgebung löse ich ein Stück weit den Ernst des Motivs.“

Schönheit ist kein Kitsch

„Meine Werke stehen thematisch in starkem Kontrast zu Nóras“, konstatiert Márton Győri. „Sie ist eine echte zeitgenössische Künstlerin, die ihre Umgebung permanent reflektiert. Ich folge nicht diesem lauten, groben Weg, der von den Vorgängen in der heutigen Welt erzählt. Ich male gewissermaßen romantischer, wenn man so will. Farben sind für mich ausschlaggebend dafür, dass ich etwas als schön empfinde. Ich finde, Malereien können durchaus auch dieses Ziel verfolgen, auch wenn manche das sicher als Kitsch abstempeln“, erläutert er.

Das Werk „Arany felhő“, zu Deutsch „Goldene Wolke“ von Márton Győri bezieht sich auf das gleichnamige Gedicht von Árpád Tóth. (Foto: Nóra Soós)

Sich selbst bezeichnet Győri als Modernisten. Seine Werke, sagt er, handeln ausnahmslos vom Judentum. „Einerseits, weil meine Großeltern Holocaust-Überlebende waren und mich das meine gesamte Kindheit über begleitet hat. Andererseits, weil sich wenige heutige Künstler damit auseinandersetzen – wenn doch, dann meistens nur im Hinblick auf den Holocaust. Solche Werke sind natürlich meistens bedrückend. Ich male viel lieber die kulturellen Aspekte des Judentums, die philosophischen sowie literarischen und poetischen Bezüge“, so Győri. Dabei zeigt er auf seine Gemälde an der Wand, die von Synagogen und Landschaften geprägt sind. Die verschiedenen literarischen Vorlagen recherchiere Márton Győri häufig über Monate hinweg. Oft lese er diverse Biografien über Personen, die er dann in seinen Bildern verarbeite und erkunde darüber hinaus weitere Aspekte ihres Lebens.

Seine Malerei „Arany felhő”, zu Deutsch „Goldene Wolke”, beziehe sich beispielsweise auf ein Gedicht des Ungarn Árpád Tóth. Neben vielen Bäumen mit dünnen Stämmen und Ästen, die laut Győri auch oft als Laubblätter identifiziert werden, malte er viele kleine Häuser, die an Holzbausteine erinnern. „Diese symbolisieren frühere ungarische Dörfer, in denen es zwar keine Synagogen, aber eine große jüdische Gemeinschaft gab – bis die Juden deportiert und ermordet wurden. Weil die Gemeinden kein Geld hatten, gab es damals keine Synagogen. Manche einfache, kleine Häuser wurden mit einer kleinen Steintafel auf dem Dach gekennzeichnet“, erläutert Márton Győri. Auf dem Werk ist außerdem eine männliche Figur zu sehen, die mit einer Katze auf einem Hausdach sitzt. „Die Figur kann man verschieden interpretieren, es kann sich um einen Maler handeln, um mich selbst oder sogar um einen Schriftsteller. Gemeinsam mit der Katze bewundert die Person die goldene Wolke, die gleichzeitig das Licht Gottes darstellen kann.“

„Az üstökös“, zu Deutsch „Der Komet“, ist auffallend weniger bunt, als die gewöhnlichen Malereien von Márton Győri. Das Gemälde handelt vom ungarischen Dichter János Vajda, der sich stark für das Judentum interessierte. „Im Grunde sagt das Bild aus, dass neben uns sehr oft das liegt, worauf wir sehnsüchtig warten. Bloß bekommen wir das nicht mit“, so Győri. (Foto: Márton Győri)

Als seine größte Kritikerin bezeichnet Győri seine Frau. „Ähnlich wie John Lennon einmal sagte ‚I just believe in Yoko and me‘, so glaube ich nur an Nóra und mich“, sagt er mit überzeugtem Blick in Richtung seiner Frau.

Kritik als wertvolle Unterstützung

Nóra Soós schätzt die Unterstützung ihres Mannes: „In den letzten 20 Jahren haben wir gelernt, gut damit umzugehen, wenn unsere beiden sehr starken Sichtweisen auf die Welt aufeinanderprallen. Es gab auch Zeiten, in denen wir uns gegenseitig inspirieren konnten, aber in Wahrheit gehen wir verschiedene Wege. Ich sage immer, dass mich keiner so gut kennt, wie Marci – und das betrifft auch meine Kunst. Wenn ich also künstlerische Hilfe brauche, dann ist er der Erste, den ich diesbezüglich frage. Er gibt mir wichtige Ratschläge, weil wir ja so gut wie im selben Raum arbeiten und dann reden wir auch sehr viel über die Kunst.“

Natürlich sähen sie die Dinge oft verschieden, würden durch den Diskurs aber gegenseitig von wertvoller Kritik profitieren. Soós ergänzt: „Freilich streiten wir uns oft über unsere Ansichten. Das ist dann auch kein kitschiges, romantisches Ding, sondern es sind ernste Auseinandersetzungen, und zwar, damit wir uns nicht gegenseitig im Weg stehen und dem anderen auch mal Ruhe geben. Jeder braucht seine eigene Zeit und seine eigene Story.“

Neben dem großen Atelier versteckt sich ein kleinerer Raum, sodass jeder nach Bedarf auch allein malen kann. (Foto: BZT / Andrea Ungvari)

Zum eigenen Weg gehöre auch, wie sich die beiden Künstler jeweils vermarkten. Obwohl das Ehepaar keine festen Verträge mit Galerien habe, pflege zumindest Nóra Soós eine lockere, aber wichtige Verbindung mit der „Faur Zsófi“-Galerie. „Von Zeit zu Zeit organisiere ich dort größere Ausstellungen. Die Vorteile sind, dass ich Hilfe bei der Organisation bekomme, meine Werke werden auf Auktionen gebracht und die Galerie verhandelt mit Sammlern. Eine Galerie kümmert sich um eine Menge Dinge, die man selbst nicht unbedingt erledigen kann, sie können einem also schon Last und Arbeit von den Schultern abnehmen“, findet sie.

Keine Kompromisse bei der Kunst

Ihr Mann hingegen schließt die Zusammenarbeit mit Galerien kategorisch aus: „Ich hatte vor etwa acht Jahren meine letzte Ausstellung und kann sagen, dass ich meine Werke seitdem trotzdem alle verkauft habe. Für mich ist das Wichtigste das Bild, und wenn ich das nicht perfekt finde, dann kann ich mich auf nichts Anderes konzentrieren“, erklärt Márton Győri und blickt, während er spricht, tatsächlich immer wieder kritisch auf das Gemälde, an dem er aktuell arbeitet. Dann fährt er mit Nachdruck fort: „Als Selbstständiger liegt mein Vorteil darin, dass ich vollkommen frei bin und es keinem in irgendeiner Weise recht machen muss. Bei einer Zusammenarbeit mit einer Galerie gehen viele Kompromisse einher. Und ich mag Kompromisse in dieser Hinsicht nicht, denn ich weiß genau, was mich malerisch interessiert – und nur das möchte ich verwirklichen.“

Das Werk mit dem übersetzten Titel „Zertrete mich nicht“ zeigt einen Aspekt des Arabischen Frühlings. „Mir hat gefallen, wie viele Frauen an der Revolution teilgenommen haben“, so Soós. Als weitere Schichten fungieren die ägyptische Flagge und riesige Männerschuhe, die im Islam Verachtung symbolisieren. (Foto: Nóra Soós)

Nóra Soós nickt zustimmend und sagt: „Wenn man noch jung ist, frisch aus dem Studium kommt, dann nimmt man noch alles an und macht jede Ausstellung mit. Mit zunehmendem Alter wird man schon verschlossener. Ich glaube auch nicht, dass man immer überall sein muss.“ Márton Győri findet sogar, dass es nichts bringe, immer nur hoch hinaus zu wollen und dafür alle Wünsche von anderen in Kauf zu nehmen: „Das ist ein endloser Kreislauf. Der einzige Schlüssel zur Malerei ist das Malen. Ich glaube, dass gute Kunstwerke fehlen. Wenn dein Bild ausgesprochen schön ist und jemandem wirklich gefällt, dann musst du das nicht groß bewerben – der Kundenkreis kommt zu dir. Nóra und ich, wir haben beide nie etwas anderes gearbeitet und können ausschließlich vom Verkauf unserer Werke leben.“

Planloses Herumprobieren? In Ungarn unmöglich

Von der eigenen Kunst leben, das bleibt für viele Künstler nur ein Traum. Márton Győri glaubt, den Grund dafür gefunden zu haben: „Ich habe viele Maler in westlicheren, wirtschaftlich stärkeren Ländern kennengelernt, die leider absolut nicht malen konnten und sich dessen bewusst waren. Sie meinten, das sei kein Problem, denn sie könnten auf die Hilfe ihrer Eltern vertrauen und würden einfach weiter malen – vielleicht wird etwas daraus oder auch nicht.“ Diese Menschen hätten es laut Győri einfacher, sich auszuprobieren, weil der Beruf für sie kein lebenswichtiger Kampf voller Risiken sei.

„In Ungarn kann das die Mehrheit der Menschen nicht so durchziehen, weil normalerweise selbst die Eltern gerade so über die Runden kommen. Wenn man hier nicht malen und damit einhergehend verkaufen kann, verhungert man schlichtweg. Oder man wird eben Fahrkarten-Kontrolleur oder liest Gaszähler ab.

Hier sind die Perspektiven in dieser Hinsicht nicht so frei. Das ist ein enormer Druck, der auf einem lastet. Viele können nur so weit über ihren eigenen Schatten treten, wie es ihre wirtschaftliche Lage erlaubt“, erklärt der Künstler, der 2003 für ein Jahr an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studierte, während seine Frau im selben Jahr in München lernte. Sie erinnert sich: „Für mich hat sich das damals schon sehr deutlich herauskristallisiert, dass ein deutscher Künstler ganz woanders anfängt als ein Ungarischer. Damals gab es Jahresausstellungen und diese hatten so eine gewaltige Anziehungskraft in der Stadt. Für mich war das überraschend, dass es so etwas gibt und ehrlich gesagt eine Goldgrube: Ich konnte alle meine Werke verkaufen.“ Márton Győri ergänzt: „Das probieren sie hier an den Universitäten auch, das ist zwar gut gemeint, aber der Absatzmarkt ist eben kleiner.“

Insgesamt sei laut dem Ehepaar der Kunstmarkt in Deutschland ganz anders als in Ungarn, allen voran aufgrund der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands. Trotzdem findet Győri: „Der Kunstmarkt bedeutet nie das, worüber man zum Beispiel in Kunstmagazinen liest. Das ist nur der sichtbare Teil, mit Angaben dazu, welches Werk für wie viel versteigert wurde und ähnliche Dinge. Der Markt ist natürlich viel breiter und bunter, und ein großer Teil davon ist für viele Menschen nicht zugänglich. Insgesamt finde ich, läuft der ungarische Kunstmarkt gut, er floriert und wir sind dafür sehr dankbar.“

Persönlicher Kontakt statt Marketing

Trotz ihrer separaten Arbeit planen Nóra Soós und Márton Győri schon seit Langem eine gemeinsame Serie über ihre Kinder. „Gerade haben wir aber noch nicht mal genügend Zeit für unsere eigenen Projekte“, sagt Soós lachend und fügt hinzu: „Irgendwann wird es diese Zeit in unserem Leben geben, wir planen das definitiv noch weiter.“ Zunächst plant die Künstlerin aber erst einmal eine Ausstellung in der „Faur Zsófi“-Galerie, die nächsten Frühling eröffnet werden soll.

Doch auch wenn Győri gar keine und Soós nur wenige Ausstellungen macht, können Interessierte jederzeit den persönlichen Kontakt zum Künstlerpaar suchen. „Zum Beispiel über Facebook, das nutzen wir sehr gerne als Plattform. Und wenn jemand Interesse hat, laden wir ihn oder sie gerne in unsere Ateliers ein. Darüber hinaus veranstalten wir jedes Jahr einen Tag der offenen Tür, wo immer viele Menschen vorbeikommen. Dort diskutieren wir über die Gemälde und es herrscht eine schöne, lockere Atmosphäre“, so Nóra Soós abschließend.

Beide Künstler sind 1979 in Ungarn geboren und studierten von 1999 bis 2004 an der Ungarischen Akademie der Bildenden Künste in Budapest (MKE). Márton Győri hat unter anderem 1999 die „Domanovszky Endre“-Auszeichnung erhalten und war im Jahr 2006 für den „Gundel“-Künstlerpreis nominiert. In diesem Jahr erhielt er zudem den “Magyar Zsidó Kultúrárt”-Preis, eine bedeutende Anerkennung.

Nóra Soós erhielt unter anderem 2005 den „Strabag Festészeti Díj“ (Strabag Malereipreis) sowie die „Prima Primissima“-Auszeichnung im Jahr 2008.

Kontaktaufnahme und Portfolio

Nóra Soós:

www.soosnora.hu/eng

Facebook: www.facebook.com/SoosNoraofficial/

Instagram: @soosnono

Márton Győri:

http://gyorimarton.hu/

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