Géza Szőcs
Géza Szőcs hatte sich der Treue gegenüber einer in fast ganz Europa verfemten Politik verschrieben. Foto: Mandiner

Nachruf auf den Schriftsteller Géza Szőcs (1953-2020)

Zum Tod eines Untergrundfürsten

Nun ist er nicht mehr, der Menschenfreund und begnadete Dichter, mein Freund Géza Szőcs. Zumindest nicht in meiner physischen Nähe. Doch in meiner geistigen und seelischen Nähe wird er bleiben, wird mein Leben auch weiterhin begleiten. Ebenso wie László Rajk, György Konrád und einer meiner Brüder, die mit ihrem Tod im letzten Jahr innerhalb einer einzigen Woche irgendwie Verrat an mir, an uns, den Zurückgebliebenen, geübt haben. So jetzt auch Géza.

Das Telefon als Nabelschnur zur Welt

Im August zu seiner Geburtstagsparty sprachen wir nur wenige Worte miteinander. Es herrschte zu viel Trubel. Und natürlich klingelte sein Telefon ständig. Das Telefon war seine Schwäche. Nein, Stärke! Das Telefon war seine Nabelschnur zur Welt. Es verband ihn mit den Kontinenten, natürlich auch mit seiner siebenbürgischen Heimat.

Dort, in Szatmárnémeti (Satu Mare auf Rumänisch, Sathmar auf Deutsch) fand im Oktober letzten Jahres die fünf­einhalbstündige Uraufführung seines Dramas Rasputins Mission statt, eine bombastische und geniale Inszenierung des Regisseurs Sardar Tagirovsky.

Auch zwischen Budapest und Peking, wo seine Gedichte unlängst in einer Million Exemplaren aufgelegt worden waren, liefen die Satellitenleitungen gelegentlich heiß. Unlängst noch rief er mich aus Peking an, wollte wissen, wann genau die deutsche Übersetzung seines Erzählbandes Ha polip szuszog Kolozsvárott (auf Deutsch: Untergrundfürsten) erscheinen würde. Denn er wolle unbedingt einen Fahnenabzug sehen. Ja, natürlich.

Die Fahnenkorrektur für das vom Mitteldeutschen Verlag zur Leipziger Frühjahrsmesse geplante Buch werde ich jetzt leider allein vornehmen müssen. Auch zu den Lesungen wirst du nur als Schemen neben mir sitzen. Und ich werde achtgeben müssen, mich nicht von einer übermächtig werdenden Trauer auf dem Podium beherrschen zu lassen.

Ein warmherziger und selbstloser Freund

Wer war Géza Szőcs? Ein warmherziger und selbstloser Freund. Ich könnte wenigstens sechs Menschen aufzählen, die ihm zu großem Dank verpflichtet sind. Ich wüsste nicht, dass er dafür je irgendeine Dankesleistung eingefordert hätte. Auch habe ich nie erlebt, dass er sich über irgendjemanden abfällig geäußert hätte. Sich umgekehrt über ihn abfällig zu äußern, entsprach fast schon liberalem Mainstream.

Er hatte sich einer Treue gegenüber einer in fast ganz Europa verfemten Politik verschrieben. Dennoch glaube ich behaupten zu dürfen, dass er sich nie ganz vereinnahmen ließ. Er wollte dazugehören und dann auch wieder nicht. Der vielleicht größte Vorwurf, den ihm seine Feinde machen, rankt sich um die für Pfingsten 2012 geplante Wiederbeerdigung von József Nyirő in Siebenbürgen, wobei Géza Szőcs eine Schlüsselrolle spielte.

Géza Szőcs befand sich ständig auf Reisen, sei es wie immer schon im Reich der Fantasie oder später dann zwischen Klausenburg und Budapest, wo ihm die verschiedensten Aktivitäten – und stets auch die Literatur – keine Ruhe gönnten.    Foto: Wikipedia

Der Schriftsteller József Nyirő war ein ausgewiesener Nazi und Antisemit, dessen literarischen Arbeiten davon allerdings nichts anzumerken ist. Darin gleicht er dem französischen Autor Louis-Ferdinand Céline und sicher auch dem deutschen Dichter Gottfried Benn. Géza meinte offensichtlich, dass ein literarisches Werk von der öffentlichen Rolle eines Autors losgelöst zu betrachten sei. Darüber kann man sich endlos streiten. Auch darüber, inwiefern sich Géza vor den Karren einer neonationalistisch gefärbten Politik hat spannen lassen.

Dem Verbrennen seiner exorbitanten Begabung durch die Politik widerstanden

Eigentlich ist es mir ein Rätsel, wie es meinem Freund gelungen ist, dem Verbrennen seiner exorbitanten Begabung durch die Politik zu widerstehen. Er hat ihm widerstanden! Einzig dem Coronavirus hatte er nichts entgegenzusetzen. Ich dachte immer, er würde einmal einen tödlichen Autounfall haben. Denn sein Fahrstil war mehr als gewöhnungsbedürftig.

Die eine Hand am Steuer, die andere am elektronischen Notizbuch, dann am Telefon, um mit leiser Stimme die nächsten Termine zu besprechen. Diese eine Fahrt von Klausenburg nach Buda­pest hat sich mir eingebrannt. Wozu leugnen? Ich hatte Todesangst. Schwor mir, mich nie wieder in sein Auto zu setzen. Vor zwei Monaten brach ich meinen Schwur. Werde ihn nun nie wieder brechen können.

Und immer wieder dieselbe Frage: „Wer war Géza Szőcs?“ Eine massige Gestalt, ein Epikureer, kam Géza Szőcs „leichtfüßig“ im großen Marinetti-Auto daher. „Sieh hinaus, dort vor dem Tor, abgedeckt mit einer roten Plane, steht das Auto, die Motorhaube geschmückt mit schlangenförmigen dicken Rohren, der Atem eine Eruption, ein heulendes Auto, das saust wie eine Kartätsche und schöner ist als die Figur der Nike von Samothrake, die als Lenkrad gedachte Stange umspannt den Planeten, auf der irdischen Bahn in rasantem Galopp seine Kreise ziehend. In diesem Auto werde ich mit dir auf Reisen gehen.“

Und auf Reisen befand sich Géza ständig, sei es wie immer schon im Reich der Fantasie oder später dann zwischen Klausenburg und Budapest, wo ihm die verschiedensten Aktivitäten – und stets auch die Literatur – keine Ruhe gönnten.

Am deutlichsten tritt bei allem, was zu ihm zu sagen wäre, die Person von Géza Szőcs aus seinen Gedichten selbst hervor. Um die Konturen des Dichters noch deutlicher hervortreten zu lassen, sei an dieser Stelle György Petri zitiert: „Am ehesten mag er wohl Hans-Magnus Enzensberger ähneln. Geistig sensibel, jedoch ohne Kritikaster zu sein, elementar, wenn auch ohne der Naivität zu verfallen. Das freilich sage ich lediglich zur Orientierung für den deutschen Leser, denn schließlich ähnelt er, wie jeder echte Künstler, unverwechselbar sich selbst.“

Reflexionen von Tod und Vergänglichkeit

1986 begegnete ich Géza Szőcs zum ersten Mal, als er sich von seinem ihm aufgezwungenen Schweizer Exil aus in München aufhielt. Aus dieser Zeit stammen erste Übersetzungen vor allem seiner politischen Lyrik ins Deutsche. Oft sind es einzelne Zeilen, deren zeitgeschichtlicher Hintergrund erst ihren eminent politischen Gehalt hervortreten lässt.

Auf den Freitod des aus Rumänien stammenden deutschsprachigen Dichters Rolf Bossert reagierte er in „Von den verborgenen Mächten“ mit der einfachen Frage: „Wessen Hand mochte auf dem Papier deinen Tod entworfen haben?“ Oft vergingen dann Jahre, bis Themen wie Tod und Vergänglichkeit in allgemeingültigerer Form reflektiert wurden und etwa in folgender Form in einem Gedicht erscheinen:

Wenn der Mensch hinübergeht
In unterirdischen Raum,
liest Gott der Allmächtige
den ihm gereichten Traum.

Géza, ruhe sanft, mein guter und treuer Freund!

Auf Deutsch erschienen:

Lacht, wie ihr es versteht, Gedichte, aus dem Ungarischen übertragen von Hans-Henning Paetzke, Frankfurter Verlagsanstalt, 1999

Rasputins Mission, Drama, Aus dem Ungarischen von Hans-­Henning Paetzke, Szatmárnémeti Északi Színház Harag György Társulata és a Proscenium Alapítvány, 2019

In Vorbereitung Untergrundfürsten, Erzählungen, aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke, Mitteldeutscher Verlag, 2021

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