Liszt-Festival
Faust mit Orgel: Wie Murnau in Budapest neu zu sprechen begann
Der Abend verwandelte das Kinoerlebnis in ein klangliches Abenteuer und ließ Murnaus apokalyptische Bilderwelten neu sprechen. Fassang, der seit Jahren eng mit dem Müpa Budapest verbunden ist, griff die Tradition der Kinoorganisten des frühen 20. Jahrhunderts auf und führte sie in die Gegenwart. Auf der monumentalen Saalorgel entfaltete er eine improvisierte Partitur, die zwischen gregorianischer Strenge, jazznaher Freiheit und romantischem Überschwang oszillierte. In seiner Deutung wurde die Orgel zum dramaturgischen Motor, der die Stummfilme Murnaus mit Klang durchdrang, Atmosphären modellierte und innere Monologe hörbar machte. Passend zum Festivalrahmen blitzten Motive aus Liszts Faust-Symphonie auf – als Hommage an die musikalische Inspirationsquelle des Abends.
Ästhet der Extreme
Murnau, der seine eigene Biografie wie ein Drehbuch gestaltete – er wurde als Friedrich Wilhelm Plumpe geboren und nach seinem Studienort in Oberbayern umbenannt –, war ein Ästhet der Extreme. Er las Shakespeare und Ibsen, später Schopenhauer und Nietzsche; Max Reinhardt förderte ihn. Im Ersten Weltkrieg diente er als Pilot, überlebte acht Abstürze, geriet in Schweizer Gefangenschaft und organisierte dort Theaterabende. Aus diesem Leben zwischen Himmel und Abgrund erwuchs jene Obsession für Licht, Raum und Bewegung, die seine Filme prägte. „Nosferatu” (1922) machte ihn berühmt, „Faust” (1926) beendete seine deutsche Schaffensphase, bevor er mit „Sunrise” (1927) Filmgeschichte in Hollywood schrieb.
„Faust” war Murnaus teuerstes Projekt: Mit zwei Millionen Mark war er die kostspieligste UFA-Produktion seiner Zeit – und spielte nur die Hälfte ein. Gedreht wurde mit zwei Kameras. Schlüsselszenen wie der Pakt mit Mephisto ließ Murnau unzählige Male wiederholen. Durch Lichtkegel, Nebel und Doppelbelichtungen entstand eine bis heute hypnotisch wirkende Bildsprache. Es kursierten mehrere Versionen des Films, von denen fünf erhalten sind. Das Originalmaterial wird im Dänischen Filminstitut aufbewahrt – ein brüchiges Monument filmischer Moderne.
Sprechender Stummfilm
Zur Uraufführung hatte Werner Richard Heymann eigens Musik komponiert, was damals eine visionäre Idee war. Seither wurde der Film immer wieder neu vertont, orchestriert und gedeutet. Fassbinder knüpfte an diese Tradition an, sein Ansatz war jedoch radikaler: Er komponierte im Moment, in direkter Resonanz zu den Bildern. Klang wurde zu Bewegung, Musik wurde zu Erzählung.
Der Abend im Müpa war mehr als nur Nostalgie. Er zeigte, wie beweglich ein Kanon sein kann. Zwischen Goethe und Volkssage, UFA-Apparat und Improvisationskunst, Heymanns Originalmusik und Fassbinders Gegenwartsklang fand „Faust” neue Stimmen und bewies, dass große Kunst keine Epoche hat. Es war ein Stummfilm, der nicht schweigt, sondern spricht, singt und lebt.
