Ungarische Designer: African Tailoring
Eine Modemarke zwischen zwei Kontinenten
Wir besuchen Eszter Nagy in ihrer gemütlichen Schneiderstube nahe dem Stadtwäldchen. Hier arbeitet die Designerin nicht nur, sondern hier lebt sie auch. Dementsprechend wohnlich ist bereits das Vorzimmer eingerichtet. Doch während der eigentliche Wohnraum sich auf wenige Quadratmeter beschränkt, räumt Nagy dem Herzstück der Wohnung, ihrer Schneiderwerkstatt viel Platz ein. Hier arbeitet die gelernte Schneiderin tagtäglich an neuen bunten Kreationen. Dazu gehören etwa groß gemusterte Kleider, Blazer und Mäntel, aber auch Taschen, Schals, Wohnaccessoires und sogar Schuhe – kaum etwas, was Eszter Nagy nicht anfertigt.
Dabei mischt die Budapesterin mit großer Vorliebe heimische Schnitte und afrikanische Stoffe und Muster. So etwa bei einem kuschligen grauen Pulli, der im African-Tailoring-Atelier auf einer Schneiderpuppe hängt: Hier trifft moderner Sweatstoff, der an den Ärmeln im Zopfmuster gesteppt ist, auf traditionelle afrikanische Stoffe. „Dieser Stoff ist etwas ganz Besonderes, er kommt aus Ghana. Es handelt sich um einen traditionellen Wachsstoff. Die Motive darauf sind oft bereits Jahrhunderte alt“, erzählt Nagy. Der Pullover, dessen Kragen der Traditionsstoff ziert, ist jedenfalls genau das Richtige, um im Winter mollig warm zu bleiben und trotzdem ein bisschen Exotik und Wärme in das eigene Outfit zu bringen.
Außergewöhnliche Stücke
Mit ihrem Modelabel African Tailoring will Eszter Nagy vor allem Frauen, aber auch Männer erreichen, die offen und selbstbewusst sind, und ihre Garderobe um ein paar außergewöhnliche Stücke erweitern wollen. Darüber hinaus möchte sich die Designerin jedoch nicht auf eine bestimmte Zielgruppe festlegen – weder hinsichtlich Herkunft, Altersgruppe, Körperform noch Lebensstil –, denn bei African Tailoring gibt es nur wenig von der Stange, von den meisten Designs fertigt Nagy nur ein paar Stücke an, am liebsten ist es ihr, wenn sie für ihre Kundinnen und Kunden Maßanfertigungen kreieren darf. Dabei fließen sowohl die Wünsche und Ideen der Kunden als auch ihr eigener Stil in das Endergebnis ein.
„Oft kommen die Kunden mit einer Idee, die sie beispielsweise auf Pinterest gesehen haben und ich versuche sie dann mit meinen Mitteln und den Stoffen, die wir da haben, umzusetzen“, erklärt Nagy. Über die Jahre hat sie sich gute Beziehungen zu Mitgliedern der afrikanischen Community in Budapest aufgebaut, kennt auch viele Menschen bei den Botschaften und auch solche, die regelmäßig zwischen den beiden Kontinenten hin- und herreisen, über diese Kontakte kommt die Designerin an die authentischen Stoffe aus Ghana, Senegal und anderen Teilen Westafrikas. Oft reichen die einzelnen Stoffbahnen dann gerade einmal für ein oder zwei Kleider, ein weiterer Grund, warum die Designs von African Tailoring wahre Einzelstücke sind.
Natürlich müssen die Kunden und Kundinnen von Eszter Nagy aber auch verstehen, dass sie gerade deshalb ihre Mode nicht zum Preis von H&M-Ware anbieten kann – „das ist keine Fast Fashion, wir produzieren keine Millionen Kleidungsstücke im Jahr. Jetzt, wo ich sehr viele Aufträge habe, kann es schon drei bis vier Wochen dauern von der Bestellung bis zur Fertigstellung der Stücke. Allerdings hoffe ich auch, dass unsere Kunden lange etwas von den Kleidern haben.“
Unbezahlbar sind die Produkte von African Tailoring allerdings auch nicht, ein maßangefertigtes Kleid gibt es schon ab 25.000 Forint. Den Pullover, von denen Nagy bereits einige vorproduziert hat, zum Vor-Ort-kaufen und gleich Anziehen, gibt es sogar schon für 12.000 Forint.
Traumziel: Afrika
Für die Zukunft plant Nagy noch weitere Kollektionen in limitierter Anzahl vorzuproduzieren, das wäre die Voraussetzung, um mit ihren Designs auch in den Einzelhandel einzusteigen. Bisher gibt es die Kleider und Accessoires von African Tailoring nämlich nur an der Quelle zu kaufen.
Aber wie kommt man eigentlich auf die Idee, als Ungarin eine afrikanische Schneiderei zu eröffnen? „Alles hat vor vielen Jahren damit angefangen, dass mir eine Bekannte ein Kleid zur Reparatur gebracht hat, welches sie zuvor in Afrika gekauft hatte. Ich habe mich sofort in die Farben und die starken Muster verliebt. Dieselbe Bekannte hat mir dann später aus dem Kongo Stoffe mitgebracht, aus denen ich die Stücke meiner ersten Kollektion gefertigt habe. So hat das damals alles mit African Tailoring angefangen“, erzählt Nagy mit leuchtenden Augen.
Angesprochen auf den etwas sperrigen Markennamen African Tailoring, der auf ihrer Facebook-Seite noch durch die ungarische Übersetzung Afrikai Szabóság ergänzt wird, zuckt sie nur mit den Schultern. „Erst hatten wir gar keinen Namen, als sich langsam herumgesprochen hat, dass ich mit afrikanischen Stoffen arbeite, wurden wir schnell als die ‚Afrikanische Schneiderei‘ bekannt. Wir sind dann einfach dabei geblieben“, so Nagy. Sie möchte allerdings nicht ausschließen, dass man den Markennamen in Zukunft nicht noch einmal ändern werde.
Doch bereits jetzt war die Designerin mit ihren Designs schon bei zahlreichen Modeschauen vertreten, unter anderem bei den Afrika-Tagen in Budapest, aber auch zu besonderen Veranstaltungen, wie den Feierlichkeiten anlässlich des Tages der Unabhängigkeit Angolas in Ungarn.
Was viele jetzt vielleicht überraschen wird: Selbst war die Designerin noch nie in Afrika, dabei träumt sie schon lange von einer Reise auf den Schwarzen Kontinent. Doch diese sind sehr teuer und noch wirft das eigene Modelabel nicht genügend Geld ab, um sich diesen Wunsch zu erfüllen. Doch wenn es eines Tages so weit ist, dann will Eszter Nagy unbedingt einen echten afrikanischen Stoffmarkt und die traditionellen Schneidereien vor Ort besuchen, um noch mehr darüber zu lernen, wie ihre Pendants auf dem Kontinent arbeiten, der für die Europäerin Nagy wohl nie seine Exotik verlieren wird.
Workshops bei African Tailoring
Regelmäßig veranstaltet die gelernte Schneiderin in ihrem Atelier auch Workshops. Hier zeigt sie Interessierten, wie sie selbst mit afrikanischen Stoffen und europäischen Schnitten beispielsweise einen farbenfrohen Winterschal oder einen praktischen Turnbeutel nähen können. Die Stoffe, die Nähmaschinen und andere Werkzeuge werden von African Tailoring bereitgestellt und auch besonderes Vorwissen muss man nicht mitbringen. Die benötigten Techniken und Schnitte sind bewusst besonders simpel gehalten, sie sollen Lust aufs Selbergestalten machen und auch Anfänger ansprechen.
Die rund zweistündigen Nähworkshops seien zudem etwas zum Entspannen für die Freizeit, so würde Eszter Nagy in ihren Kursen auch viele Frauen und Männer begrüßen, die gerade aus dem Büro kommen. „Wenn man den ganzen Tag am PC arbeitet, dann ist es ein toller Gegensatz zur Abwechslung einmal etwas mit den Händen anzufertigen. Viele Besucher meiner Workshops verlieren sich dann regelrecht in der Arbeit“, berichtet Nagy. Gerade vor Weihnachten sind die Workshops ein toller Tipp, denn ein selbst gefertigter Schal oder Beutel ist ein viel persönlicheres Geschenk als etwa das x-te Duschbad aus der Drogerie. Auch auf englischsprachige Kunden und Kundinnen freut sich African Tailoring.
African Tailoring (Afrikai Szabóság)
Budapest, VII. Bezirk, Nefelejcs utca 50
Anfragen telefonisch unter +36-70-455-1015 oder per E-Mail unter afrikaiszabosag@gmail.com
Weitere Informationen finden Sie unter www.afrikaiszabosag.hu