Ostern in Bozsok

Ein Ei für den Vatikan

„Kehre dich um, von diesen Höhen, nach der Stadt zurück zu sehen …“, nicht überall in Ungarn lässt sich diese Empfehlung aus dem berühmten „Osterspaziergang“ von Johann Wolfgang von Goethe tatsächlich umsetzen.

Das Mátra-Gebirge oder die Berge am Nordufer des Balatons bieten diese Möglichkeit, daneben sind harmonische Erhebungen mit Mittelgebirgsanmutung zu finden. Einer dieser Regionen, und dort ganz speziell einem malerischen Ort, widmet sich diese Ostergeschichte.

Eines der vielfältigsten Komitate des Landes

Das Komitat Vas im Westen von Ungarn gilt geografisch als eines der vielfältigsten des Landes. Abgesehen von der Komitatshauptstadt Szombathely fügen sich nur kleine bis mittelgroße Städte und Ortschaften in die schönen Landschaften mit Wäldern und Wiesen ein. Die Grenze zwischen Ungarn und Österreich verschwimmt geradezu vollständig im grenzüberschreitenden Naturpark Írottkő-Geschriebenstein im Kőszeger (oder Günser) Gebirge, der die nächstgelegenen Gemeinden im österreichischen Burgenland mit Kőszeg, Bozsok, Cák und Velem auf ungarischer Seite verknüpft. Sowohl für das Komitat Vas als auch für das Burgenland ist der Írottkő mit seinen (je nach Literaturquelle) 882 oder 884 m über dem Meeresspiegel die höchste Erhebung, beide teilen sich das Gipfelplateau.

Jeder der genannten Orte hat seine speziellen Reize, hier sollen aber die Besonderheiten von Bozsok im Mittelpunkt stehen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits sind ungarische Freunde und Bekannte aus anderen Ortschaften felsenfest davon überzeugt, dass im knapp 400 Einwohner zählenden Bo­zsok das Gemeinschaftsleben besonders vorbildlich funktioniert. Zum anderen sind auch aus der Innensicht kulturelle Angebote, Sportaktivitäten, Kulinarik, Unternehmer- und Nachbarschaftshilfe sowie Zusammenhalt hier am Fuße des Kőszeger Gebirgszuges beispielhaft.

Kleine Kunstwerke wie diese gibt es in jedem Haus des Ortes. Fotos: Facebook/ Márta Frank-Ziklai

Osterbräuche mit tiefer Bedeutung

Was in Ungarn rund um das Osterfest stattfindet, wird generell auch zugezogenen Neubürgern leicht klar. Die Bräuche sind landesweit ähnlich, werden im ländlichen Raum aber besonders emotional zelebriert. Schließlich geht es um das entscheidende Datum des Christentums. Enttäuschung und Trauer der Kreuzigung wandelt die Auferstehung Jesu in neue Hoffnung.

In Bozsok, einer überwiegend römisch-katholischen Gemeinde, wird dies mit einer Passionsfeier am Karfreitag nachspürbar. Die „Bozsok-Passion Christi“ ist einer der Höhepunkte der Osterfeierlichkeiten. Die Passionsmelodie, die vom Chor und den Gläubigen gesungen wird, ist individuell, nicht schriftlich fixiert, wird Jahr für Jahr mündlich überliefert und auswendig gelernt.

Dem Gottesdienst in der Karsamstag-Osternacht folgt die Weihe der Speisen nach der 40-tägigen Fastenzeit. Neben Brot und Eiern kommt jetzt auch wieder Schinken auf den Tisch. Nicht umsonst besteht das Wort „húsvét“ für Ostern im Ungarischen aus den Silben „hús“, also Fleisch und „vét“, im Sinne von verbrauchen, essen. Wenn sich die Familien zum Frühstück am Ostersonntag treffen, schwingt im gegenseitigen Wunsch „Boldog húsvéti ünnepeket!“ auch Zufriedenheit über das Fastenende mit.

Montag im Zeichen von Hoffnung und Freude

Am Morgen des Ostermontags gehen die Männer und Jungen zu den Mädchen und Frauen des Dorfes, um sie mit Wasser zu begießen. Vielerorts wird diese Tradition zwar nicht mehr in alter Manier durchgezogen oder aber mit Parfüm auf ein Minimum geschrumpft – doch nicht so in Bozsok: Hier wurden die Dorfmädchen in den letzten Jahren sogar von den Burschen mit einem Feuerwehrauto besucht. Wer dem Schwall entging, bekam eine Dusche aus einer Sodawasserflasche ab. Egal, welche Bewässerung auch immer stattfindet, die Mädchen bedanken sich dafür stets freundlich mit roten Eiern.

Über den Ursprung dieser Tradition wird immer wieder gerätselt – ist sie biblisch oder heidnisch? Letzteres könnte das Überbleibsel eines Fruchtbarkeitsrituals sein, begleitet vom Wunsch, dass die Mädchen erblühen und die Frauen frisch bleiben mögen. Zu gerne hätten wir an dieser Stelle natürlich ein Bild zum Feuerwehr­einsatz am Ostermontag vom vergangenen Jahr eingebaut – nur war trotz aller Suche keines zu beschaffen. Wer dieses ungewöhnliche Ritual sehen möchte, hat also keine andere Wahl, als am Ostermontag nach Bozsok zu kommen.

Im Anschluss an diesen nassen Spaß und die Montagsmesse geht es „nach Emmaus“. Die Einwohner wandern dafür symbolisch auf den Berg, wo die Familien gemeinsam mit Freunden den Tag in ihren Weinkellern oder Häusern in hoffnungsfroher Stimmung bei gutem Essen und Wein verbringen. Sie tragen dabei Jesus Hoffnungsbotschaft an die Jünger mit sich: Der Auferstandene ist an Deiner Seite! Dieser Brauch ist hier sehr beliebt. Er erinnert an die biblische Geschichte von der Erscheinung des auferstandenen Jesus vor zweien seiner Jünger auf dem Weg nach Emmaus und stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gemeinschaft.

Besonderes Fest, besondere Vorbereitungen

Auf Initiative des 2008 gegründeten und rührigen Vereins für Kultur- und Traditionserbe, Bozsoki Kökörcsin, gab es seit 2012 jedes Jahr ein Programm zur Einstimmung und Vorbereitung auf Ostern. Merics brachte interessierten Dorfbewohnern aller Altersklassen ihre spezielle Ritztechnik bei, die gefärbte Eier zu wahren Osterkunstwerken verwandelt.

Alle beteuern, dass Katica mit ihrer eigens entwickelten Technik die weltbesten Schmuckeier gelangen. Ihr Können und ihre Freundlichkeit machten die Ostervorbereitungen einzigartig. Nach ihrem Tod setzen seit 2019 Tochter Katalin Horváth-Merics und Schwiegersohn Attila Horváth die schöne Tradition mit nicht minder beeindruckenden Ergebnissen fort.

Die Zusammenkünfte begeistern auch die Kinder. Haben sie genug vom Eierkratzen, ist mit ostertypischen Streicheltieren, Spielen und Bastelaktivitäten für Abwechslung gesorgt.

Wie entstehen diese kunstvollen Eier? Katica Merics (M.) entwickelte dafür ihre eigene Technik und gab dieses Wissen alljährlich weiter. Seit ihrem Tod führen Tochter und Schwiegersohn die Kurse fort. Für Kinder gibt es zusätzlich Streicheltiere und Spiele. Fotos: Facebook / Márta Frank-Ziklai

In diesem Jahr nun möchte die Gemeinde selbst die Ostervorbereitungen in die Hand nehmen. Der Bozsok Kökörcsin hat in diesem Fall einmal frei und kümmert sich um seine zahlreichen anderen Angebote rund ums Jahr. Wer keineswegs auf das Eierkratzen verzichten möchte, findet trotzdem eine Möglichkeit – und zwar am Ostersamstag bei einem privat von Márta Frank-Ziklai organisierten Termin im Borház des Ortes.

Am Ostersamstag dieses Jahres sind Weinverkostung und Eiergestaltung im 1839 errichteten Borház geplant. Es beherbergt Objekte der Weinkultur von Bozsok. Eine praktische Idee von Márta Frank-Sziklai, denn wer sich Mut antrinkt, traut sich auch ans Ei.

Die Kunst der individuellen Schmuck-Eier

Bei einem Besuch der Autorin im Haus von Katalin Horváth-Merics und Attila Horváth erschloss sich die raffinierte Technik zur Herstellung der kleinen Kunstwerke zumindest in der Theorie. Lernerfolg Nr. 1: Die historischen Muster haben alle eine konkrete Bezeichnung. Lernerfolg 2: Das Wichtigste zu Beginn ist die Symmetrie … und das richtige Werkzeug. Neben historischen Schabern sind Mini-Zahnarztfräsen die bevorzugten Instrumente von der Ei-Einfarbigkeit zum Kunstwerk.

Ungarische Ostereier haben traditionell vor allem eine rote Grundfarbe, es gibt aber auch blaue, grüne und gelbe. „Attila macht die meisten und die anspruchsvolleren Eier“, erklärt Katalin komplett uneitel auf die Frage nach dem familieninternen Wettbewerb der Eheleute. Ein Mann wie ein Baum kann derart zarte Kunstwerke herstellen? Natürlich kann er das – ein Ei pro Stunde, die komplizierteren Muster schlagen mit eineinhalb Stunden zu Buche. Ein begna­deter Akkordeonspieler ist Attila Horváth obendrein auch noch. Darauf gibt es erst einmal einen Pálinka. Also Prost!

Generell kommen die Schmuckeier der Familie weit herum. Eines aus Attilas Serie, Mustertyp Granatapfel, schaffte es sogar bis in den Vatikan. Bestellt wurde es vom Büro der ehemaligen Staatspräsidentin Katalin Novák, die es gemeinsam mit anderen typisch ungarischen Volkskunstartikeln anlässlich einer ihrer Audienzen an Papst Franziskus übergab. Tante Katicas Eier und weitere Produkte ihres künstlerischen Schaffens sind natürlich auch im berühmten Míves-Ei-Museum in Zengővárkony zu sehen.

Ein wirklich schöner Abschluss der Osterrecherche. Dieses Fest werden wir in diesem Jahr auf jeden Fall mit völlig neuen Augen sehen.

Katalin und Attila Horváth stellen neben Eiern auch Weihnachtsschmuck und andere Dekorationen her. Attila fertigte unter anderem das abgebildete einzelne Ei mit dem Mustertyp Granatapfel für den Papst. Fotos: Attila Horváth

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