Architekturdarstellung & Visualisierung
Die Stimmungsmacher
Haben die Baumeister der Pyramiden von Gizeh ihren Bauherren perspektivische Zeichnungen vorgelegt, um sie von der Einmaligkeit dieser Bauwerke zu überzeugen? Wohl eher nicht, erst 4.000 Jahre später, während der Renaissance, sollte die Perspektive wichtiges Element der Stadt- und Architekturdarstellung werden. Und hat Gustave Eiffel versucht, mit Hilfe des gerade aufkommenden Mediums Film die Pariser für die Großartigkeit seines Stahlturms zu gewinnen? Hat er natürlich nicht, Ende des 19. Jahrhunderts waren per Hand gezeichnete Luftbilder und futuristische Zeichnungen das Mittel, mit dem ein Blick in die Zukunft möglich wurde.
Architekturdarstellung war schon immer Teil des interdisziplinären Berufsfeldes eines Architekten, nirgends werden Architekten ohne Zeichenlehre ausgebildet. Keine Diplomarbeit kommt ohne perspektivische Ansicht oder Entwurfsmodell aus. Wer Architekturwettbewerbe gewinnen oder Bauherren von der Qualität eines Projekts überzeugen will, investierte schon immer in eine möglichst realistische Darstellung der noch nicht gebauten Architektur.
Alles sieht momentan danach aus, dass die Digitalisierung hier ein komplett neues, eigenständiges Berufsfeld für Architekten und Designer hervorgebracht hat. Grundriss-, Gebäudeschnitt- und Fassadenzeichnungen bleiben natürlich zentrale Darstellungselemente der Architektur, und werden übrigens selbst längst mit computergestützten Zeichenprogrammen erstellt. Die dreidimensionale Visualisierung des Ungebauten jedoch hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten dank mehrerer Umstände rasant an Tempo gewonnen. Budapester Firmen spielen dabei europaweit eine herausragende Rolle.
Virtuelle Tour als Umzugshelfer
Erst vor Kurzem entschied die DVM Group (Video), komplexester Bau- und Architekturdienstleister Ungarns, eine eigene Abteilung für Architekturvisualisierung einzurichten. Tibor Massányi, geschäftsführender Partner der DVM Group und selbst Bauingenieur, hebt zwei Dinge hervor, die zu dieser Entscheidung führten: bei der Visualisierung von Innenarchitektur finde der Planer mit dem Auftraggeber sofort eine gemeinsame Sprache, im Hochbau hingegen bekomme der Investor ein wirksames Marketinginstrument in die Hand.
Schon seit Jahren sei erkennbar, dass auf Seiten der Auftraggeber die Nachfrage nach CGI-Angeboten, also computergenerierten Imageprodukten, immer größer wurde; sei dies ein gerendertes Bild, ein Film oder gar eine VR-Umgebung. Der neuen, momentan noch fünfköpfigen Abteilung kommen dabei nicht weniger als 20 Softwareprogramme zur Hilfe, so Abteilungsleiter Csanád Meszes.
Während die Kollegen der Abteilung Design & build im selben Haus mit drei Programmen alle Zeichenarbeiten abdecken können, brauchen die Mitarbeiter der Visualisierung nahezu das Siebenfache an Programmen. Nicht umsonst bezeichnet Meszes die Arbeit eines Visualisierers als Hybridtätigkeit: man sei nicht mehr nur Architekt, sondern auch Grafiker, Fotograf, Filmemacher und Regisseur.
Entscheidend sei aber nicht die Software selbst, sondern das, was sie am besten kann. Manche Produkte seien gut und schnell im Erstellen dreidimensionaler Objekte, andere im Hinzufügen von Materialität oder Lichtverhältnissen, und wieder andere Programme müssten zur Erstellung von Filmsequenzen genutzt werden.
Welche Möglichkeiten sich dank der neuen Technik für die DVM Group bieten, macht ein Beispiel deutlich, dass Tibor Massányi und Csanád Meszes erläutern: Ausgerechnet in die Zeit der Corona-Beschränkungen des letzten Jahres fiel der Büroumzug von BP Hungary, bei dessen Innenraumplanung alle 1.800 Mitarbeiter unbedingt miteinbezogen werden sollten. Die ArchViz-Truppe um Csanád Meszes erstellte ein 360°-Modell der 22.000 Quadratmeter großen Büroräume, mit denen sich die im Homeoffice sitzenden BP-Mitarbeiter Schritt für Schritt vertraut machen und Verbesserungsvorschläge einbringen konnten. Was früher als realer Rundgang durch die zukünftigen Büroräume stattfand, kann nun auf einer virtuellen Tour zum digitalen Event werden. Meszes betont aber auch: Der Aufwand zur Erstellung eines Filmes ist etwa dreimal so groß, wie der eines Bildes, für VR-Modelle sei er gar neunmal so groß.
Dennoch, so Meszes, liege in der Visualisierung der Innenarchitektur sowie der filmischen Präsentation der ungebauten Zukunft noch viel Potential. Massányi von der Geschäftsführung sieht im Vereinigten Königreich und Nahen Osten große Chancen, Komplettdienstleistungen für Architektur und Visualisierung von Ungarn aus anzubieten.
Der richtige Blick und das passende Licht
Dass Architekturvisualisierung als zunehmend eigenständiges Berufsfeld existiert, verdeutlichen zwei Beispiele von eigens darauf spezialisierten Büros. Die Architekten András Onodi und Máté Hámori gründeten mit zwei Kollegen vor bereits 16 Jahren die Firma ZOA Studio (Video), einen der großen Player in Budapest auf diesem Gebiet.
Während Máté Hámori schon damals erkannte, welches große Potential in den 3D-Zeichenprogrammen auch für den Architekturvisualisierer als autarken Fachplaner, ähnlich einem Statiker oder Landschaftsplaner, steckt, war András Onodi von den Filmanimationen eines Schulfreundes fasziniert und glaubt seitdem an die Kraft der Architekturanimation.
Nachdem es 2005 mit einem vierköpfigen Team losging und ZOA Studio mit Aufträgen dermaßen überrannt wurde, dass nicht einmal Zeit zur Erstellung einer eigenen Homepage blieb, wurden drei Jahre später auch sie von der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise getroffen. Die zwei Gründer hielten durch und nutzten die Zeit zur aktiven Akquise. Ihre perfekten Deutsch- und Englischkenntnisse waren dabei mehr als hilfreich, um mittels Architekturbüros und Investoren aus dem nordwesteuropäischen Raum Partner zu finden, die ihnen bis heute 90 bis 95 Prozent des Umsatzes garantieren. Aktuell beschäftigt ZOA Studio 24 Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern, Tendenz steigend.
Den außergewöhnlich hohen Anteil an Kunden aus dem Ausland begründet Hámori unter anderem mit dem „unverhältnismäßig hohen Preis“ für ein Bild. Die Zahlungsbereitschaft dafür sei in Holland oder Österreich einfach höher, als in Ungarn. Am Gesamtbudget eines Bauobjekts freilich haben die Kosten für die Visualisierung einen eher geringen Anteil. Bis aber überall bei Bauherren und Planern das Bewusstsein dafür vorhanden sein wird, dass Visualisierungsarbeiten gleichberechtigte Planungsleistungen sind, wird es noch einige Zeit brauchen.
Auch Onodi und Hámori verstehen ihr Berufsfeld als hybride Mischung und trainieren sich und ihr Team in allen Skills, die ein Visualisierer braucht. Um zum Beispiel den fotorealistischen Blick zu schärfen, gibt es bei ZOA Studio jeden Monat einen Fotowettbewerb. Um in der Architekturvisualisierung so nah wie möglich an die Fotorealität heranzukommen, zählt eben nicht nur die Software, sondern auch, ob man den Blick für die richtigen Lichtverhältnisse hat – darin sind sich alle in der Branche einig. Auch die Tatsache des schnellen Informationsaustausches über ein Bauprojekt, sowie die Bedeutung für das Marketing werden von Onodi und Hámori hervorgehoben.
Für die nahe Zukunft erwartet Máté Hámori eine Belebung der Konkurrenz im Segment der Architekturvisualisierung. Wer aber so gut wie ZOA Studio aufgestellt ist und weiter in Technologie investiert, muss sich keine größeren Sorgen machen. András Onodi glaubt auch an das Wachstumspotential, das Videos für den Visualisierungsmarkt darstellen.
Architektur haben auch die AXION visual-Gründer Márton Varkoly und András Kozma studiert, nennen sich aber, wie ihre Kollegen von ZOA Studio und DVM Group, selbstbewusst CG Artist, also Künstler für Computergrafik. Das Büro ist mit momentan drei Mitarbeitern zwar klein, aber die Aufträge nehmen stark zu, sodass auch das Team von AXION visual wachsen wird.
Im Gespräch mit den Firmengründern fiel interessanterweise erneut die Zahl 95 Prozent, allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang. Márton Varkoly begründete seine persönliche Entscheidung für den Schritt ins neue Berufsfeld mit der Tatsache, dass die Phase der Euphorie im Architektenalltag gefühlte fünf Prozent beträgt. Die restlichen 95 Prozent verbringe ein Architekt in den Ebenen der Projektabwicklung. Ergäbe sich mehr Zeit für visuelle und künstlerische Aspekte, wäre auch die Zufriedenheit größer.
Aber nicht nur das Verhältnis von künstlerischer zu administrativer Tätigkeit ist für einen CG Artist angenehmer, die Projekte seien kreativer und nach einem Monat meist abgeschlossen: Zufriedenheit stelle sich so häufiger ein, berichtet Varkoly. Für ein klassisches Architekturbüro wiederum lohne sich die Auslagerung der Visualisierungsarbeit aus Zeit- und Belastungsgründen. Hier fehle es einfach an Arbeitsstunden, sich in die Details der Pixelwelt hinein zu vertiefen, die ein Foto oder einen Film zu dem machen, was sie heutzutage sein können.
Wie schon die Kollegen der zwei anderen Studios nannte auch AXION visual keine konkreten Lieblingsprojekte, als wären ihnen allen alle Kinder gleichlieb. Nur im Rückblick vielleicht, so Kozma, gefalle einem die eine oder andere frühere Arbeit nicht mehr so sehr. Spannender im Büroalltag gestaltet sich vielmehr die Erfahrung mit Termindruck. András Kozma berichtet, dass bei Projekten mit längeren Abgabezeiten detailreichere Visualisierungen möglich werden und daher genau diese Fotos oder Filme besonders realistisch wurden. Genauso aber gäbe es Beispiele, bei denen unter Zeitdruck erstaunliche Ergebnisse erzielt werden konnten, ein Umstand, den auch Csanád Meszes an einem staatlichen Projekt demonstrierte, für das nur zwei Wochen Zeit waren. Und: Nach Übergabe eines Baus sind die Macher oft selbst überrascht, wie real ihr virtuelles Zukunftsbild war.
Auch Varkoly und Kozma betonen Vor- und Nachteile verschiedener Softwareprogramme, was aber am Ende zählt, seien Atmosphäre und Stimmung der visualisierten Architektur. Im Gegensatz zur meist menschenleeren Architekturfotografie ginge es der Architekturvisualisierung auch um das Erzählen einer Geschichte, sei es zur Überzeugung der Jury für einen Städtebauwettbewerb oder des Käufers für eine Neubauwohnung. Den Spagat zwischen Architektur- oder Stimmungsvermittlung hinzubekommen, gehört somit auch zu den Anforderungen eines Visualisierers. Menschen im Architekturbild sind wichtig, können aber auch fehl am Platze sein, wenn es zum Beispiel um Wohnungsinnenansichten geht: wer will schon einen Fremden in den zukünftigen eigenen vier Wänden sehen, beschrieb Kozma eine Grenze des story telling.
Alle drei Budapester ArchViz-Teams schauen optimistisch in die Zukunft und sehen für ihre noch junge Dienstleistung einen wachsenden Markt.
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Kontakt: info@ga-budapest.net
Super Beitrag. Man vergesse aber bitte nicht, die budapester Firma Graphisoft zu erwähnen. Weltweit ist ihr ArchiCAD ein weltweit führendes Programm in Architektur-Planungssoftware.