DUF-Tagung in Berlin
Brücken bauen, Zukunft gestalten
Ziel des Forums ist es, „unter Einbeziehung aller repräsentativen politischen und gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland und Ungarn Konzeptionen für die Weiterentwicklung der deutsch-ungarischen Beziehungen und entsprechende Initiativen zu entwerfen“. Wie jede Tradition konnte sich auch das Deutsch-Ungarische Forum der Notwendigkeit der konstruktiven Erneuerung nicht entziehen, um somit seiner Aufgabe im neuen deutsch-ungarischen Umfeld gerecht zu werden.
Verjüngungsstrategie ging auf
Der vor Jahren eingeschlagene Weg wurde bei der jüngsten Zusammenkunft Anfang Juni in Berlin von Erfolg gekrönt. Die Verjüngungsstrategie ging auf: knapp vierzig Teilnehmer der insgesamt etwa hundert Gäste, die sich mit imposanten Bewerbungen für die Teilnahme qualifiziert hatten, waren jünger als 35 Jahre. Ihre Aufgewecktheit, Erwartungshaltung, Dialogbereitschaft und Offenheit motivierte alle Panel-Teilnehmer zu konstruktiven und sachorientierten Debatten.
Auch wurde ein neuer Partner, die Europäische Akademie Berlin e.V., als neuer Ausrichter des Forums auf deutscher Seite einbezogen. Die Akademie – in einem prächtigen Gebäude in der Bismarckallee zu Hause – wurde 1963 in West-Berlin zu Zeiten des Kalten Krieges exakt mit dem Anspruch gegründet wie Jahre später das DUF, nämlich Brücken zu schlagen und länderübergreifende Diskurse auszufechten.
Dr. Christian Johann, Direktor der Akademie betonte nach diesem Hinweis die Notwendigkeit des Dialogs und die der Gesprächsbereitschaft. Mögen aktuell die deutsch-ungarischen Beziehungen auf höchster Ebene vielleicht nicht reibungslos sein, sei es wichtig, gemeinsam über Probleme diskutieren zu können und die Brücken der Zivilgesellschaft für den Zusammenhalt zu nutzen.
Im Namen des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks, dem Mitveranstalter des Forums, griff dessen Vorsitzende, Dr. Elisabeth Knab, diesen Gedanken auf. Gerade mit Blick auf die Verantwortung gegenüber den Jugendlichen, denen wir die Gestaltung der Zukunft in Europa bald übergeben müssen, sei es ein wichtiges, wenn auch nicht leichtes Unterfangen, mit gutem Beispiel voranzugehen und die diskursethischen Ansätze – die uns zu einem wahren Austausch verhelfen mögen – zu praktizieren.
Atmosphäre des Dialogs
Diese Grundeinstellung haben auch Staatsministerin Dr. Anna Lührmann und Staatssekretärin Dr. Boglárka Illés mit ihren Eröffnungsreden bestärkt und somit eine Atmosphäre des Dialogs für die nächsten anderthalb Tage geschaffen. Beide plädierten für mehr Kommunikation untereinander und betonten dabei die Rolle des Deutsch-Ungarischen Forums, sowie die der Vorsitzenden des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks, Dr. Elisabeth Knab, und des Direktors der Europäischen Akademie Berlin, Dr. Christian Johann, die diese Begegnung ermöglicht haben.
Staatsministerin Lührmann verwies dabei auf die Tatsache, dass seit 2019 kein Forum als Präsenzveranstaltung in Berlin stattgefunden habe. Umso mehr würdigte sie die aktuelle Veranstaltung. Ihrer Überzeugung nach sei Austausch wichtiger denn je, wenn man den Anschluss zueinander nicht verlieren möchte. Staatssekretärin Illés bekräftigte in ihrer Rede aus ungarischer Sicht, dass es sich lohnt, anderen Gedanken zuzuhören. Vor allem mit dem Hintergrundwissen über die gegenseitige Abhängigkeit.
Dr. Elisabeth Knab, Vorsitzende des Jugendwerks, freute sich besonders über das freundschaftliche Miteinander, das sie als langjährige Weggefährtin und Gestalterin der deutsch-ungarischen Beziehungen aus den „Goldenen Zeiten“ der bilateralen Zusammenarbeit gut kennt: „Wir haben unser Ziel erreicht. Die angeregten Diskussionen wurden nach jedem Panel in den Pausen fortgesetzt. Jung und alt, Deutsche und Ungarn, Politiker und zivile Teilnehmer suchten fortwährend das Gespräch miteinander. Für diese Stimmung haben sich die viele Arbeit und der Abstimmungsaufwand gelohnt“.
Mehrmals bedankte sie sich vor dem Publikum bei dem Direktor der Akademie und seinen Mitarbeitern für die sehr freundschaftliche, kooperative und professionelle Zusammenarbeit. Julia Gross, Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland in Ungarn sprach sogar in mancher Hinsicht von einem Neubeginn, mit dem gezeigt wurde, dass das Deutsch-Ungarische Forum für das gegenseitige Verstehen unerlässlich ist. Ihr ungarischer Kollege, Dr. Péter Györkös, Botschafter Ungarns in der Bundesrepublik Deutschland, freute sich auch über den Diskursgeist, den er erlebte, und unterstrich die Relevanz der behandelten Themen für die Weltpolitikfähigkeit der EU.
Das Europa der Zukunft
In der Podiumsdiskussion über „Europäische Resilienz – Europa als Akteur in der Weltpolitik“, suchten Dr. Christian Johann, EAB-Direktor, Dr. Gergely Prőhle, ehemaliger Botschafter in Berlin, der Direktor des John-Lukacs-Instituts und der Otto-von-Habsburg-Stiftung, Volkmar Klein, MdB (CDU/CSU), Dr. Kai-Olaf Lang, Politikwissenschaftler und EU-Integrationsforscher der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie Dr. Csaba Hende, Vizepräsident des ungarischen Parlaments, die Antwort unter anderem auf die Fragen, was Resilienz bedeutet, wie das Europa der Zukunft nach den EP-Wahlen aussehen und wie es friedlicher gestaltet werden könnte.
Dr. Prőhle führte die deutschen und ungarischen Standpunkte mit dem Hinweis zusammen, dass Deutsche und Ungarn vor denselben Dingen – Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, zu großer Einfluss Chinas, Krieg in der Nachbarschaft usw. – Angst hätten. Jedoch wollen beide Länder, aufgrund der geografischen Lage sowie der jeweiligen Größe unterschiedlich mit diesen Problemen umgehen. Die ungarische Position legt nahe, dass die europäischen Interessen durch mehr Realpolitik erreicht werden müssen und Subsidiarität ernster genommen werden sollte, um die strategischen Ziele der EU nicht aus den Augen zu verlieren.
Csaba Hende bekräftigte, dass es sich, trotz der unbestrittenen Verurteilung der russischen Aggression, die Frage zu stellen lohne, ob eine Atommacht im Krieg zu besiegen sei. Nach Meinung von Dr. Klein sollte man mehr über Gemeinsamkeiten sprechen, die bilateralen Beziehungen entlang dieser Verbundenheit pflegen und stärken, bzw. die Diskussion von schwierigen Fragen auf diese Grundlage aufbauen. Dr. Kai-Olaf Lang schlug den beiden Außenministerien einen deutsch-ungarischen „Runden Tisch mit Experten“ vor, um zu prüfen, welche Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Ungarn bestehen und in welchen Bereichen eine neue Zusammenarbeit initiiert werden könnte.
Vereinbarkeit von Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit
Im zweiten Panel diskutierten Dr. Felix Christian Matthes, Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut, Dr. Kirsten Scholl, Leiterin der Abteilung Europapolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), Prof. Dr. Diána Ürge-Vorsatz, Vizepräsidentin des IPCC und Professorin der CEU, mit Jens Böhlmann, dem Direktor des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft für Mittelstand und grüne Transformationen über die Vereinbarkeit von Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Panels war, dass die Welt trotz geringer Sichtbarkeit erhebliche Fortschritte bei der Senkung der CO2-Emission gemacht hat. Diese Tatsache wird jedoch von großen Teilen der Bevölkerung nicht wahrgenommen, da parallel zu dieser erfreulichen Entwicklung die Zahlen derjenigen, die glauben, dass keine nennenswerten Fortschritte gemacht wurden, zugenommen haben.
Entgegen den sonst eher pessimistisch verlaufenden öffentlichen Diskussionen über dieses Thema wurde als weiteres, weniger bekanntes, aber umso nennenswerteres Beispiel erwähnt, dass Ungarn inzwischen 18,4 % seines Stroms aus Solarenergie bezieht. Damit liegt das Land im globalen Vergleich auf dem 3. Platz hinter Chile (19,9 %) und Griechenland (19 %) und weist Solar-Supermächte wie Australien, Deutschland und Spanien hinter sich.
Konsens herrschte in der Runde über das Thema der sozialen Verträglichkeit der grünen Transformation. Ein wichtiger Schlüssel des Erfolgs sei die Art und Weise und das Ausmaß, in dem die sozial schwächeren Teile der Gesellschaft in den Prozess miteinbezogen werden können. Bei diesem Thema wurde ebenfalls ein bilateraler Expertenaustausch über Ansätze und erfolgreiche Mittel angestoßen.
Suche nach konsensfähigen Ansätzen
Bei der letzten Paneldiskussion zum Thema „Die Zukunft der EU gemeinsam meistern” saßen Dr. Balázs Molnár, stellvertretender Staatssekretär für Europapolitik, Dr. Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit, Dr. Christoph Wolfrum, Beauftragter für Grundsatzfragen der Europapolitik im Auswärtigen Amt, und Dr. Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe Europa der SWP gemeinsam auf dem Podium.
Natürlich war das Thema der am 1. Juli beginnenden EU-Ratspräsidentschaft von Ungarn unausweichlich. Unterstaatssekretär Balázs Molnár erinnerte an die Tatsache, dass die ungarische EU-Ratspräsidentschaft wesentlich durch den Wechsel des institutionellen Zyklus bestimmt sein wird. Ungarn wird alles daransetzen, einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten und als „honest broker“ zu agieren – so wie auch zur Zeit der ersten ungarischen Ratspräsidentschaft im Jahr 2011.
Als inhaltlichen Schwerpunkt nannte er die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigung, Erweiterung, Migration, Kohäsionspolitik, Agrarpolitik, Demografie, bei denen die ungarische Ratspräsidentschaft konsensfähige Ansätze suchen werde. Mit Blick auf die politische Erklärung des Europäischen Parlaments verwies er zudem darauf, dass während der hundert vorbereitenden Verhandlungen kein anderer Akteur die Fähigkeiten Ungarns für die Präsidentschaft in Frage gestellt habe.
Christoph Wolfrum sprach über das geopolitische Umfeld, das die Zukunft der EU bestimmen wird: der Krieg in der Ukraine, die EU-Erweiterung, die von der EU im weitesten Sinne Handlungs- und Widerstandsfähigkeit verlangt. Aus dieser Analyse leitet er die deutsche Position ab, dass in weiteren Fragen die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit erforderlich sei und die Debatte darüber fortgesetzt werden sollte. Die EU-Erweiterung sei daher eine gute Gelegenheit für Reformen.
Balázs Molnár legte daraufhin die ungarische Auffassung dar, wonach die EU in ihrer jetzigen Form nach wie vor erweiterungsfähig sei. Er unterstrich zudem, dass mittelgroße Mitgliedstaaten, wie Ungarn, eher einen anderen Ansatz für die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit haben, als große Mitgliedstaaten mit starken Lobbykapazitäten. Zwischen den beiden Positionen schlug Christoph von Ondarza eine Brücke. Ihm zufolge sollten die Erweiterung und die EU-Reform parallel vorangetrieben werden. Die schwierigsten Fragen, die sich mit dem EU-Haushalt sowie institutionellen Fragen beschäftigten, sollten dann angegangen werden, wenn der Punkt erreicht sein wird, an dem sie unausweichlich gelöst werden müssen (z.B. im Zusammenhang mit dem Beitritt der Ukraine).
Weitere aktuelle Themen der europäischen Agenda – „Europäische China-Politik aus einem Guss“, „Die Zukunft des Westbalkans“, „KI – Potential, Risiken und ethische Fragen“ – wurden in interaktiven Workshops behandelt, die auf Anregung der jungen Teilnehmer seit Jahren fester Bestandteil des Deutsch-Ungarischen Forums sind. Der Abendempfang auf Einladung von Botschafter Péter Györkös in der Botschaft von Ungarn in Berlin rundete das diesjährige Forum in würdigem Rahmen ab.
Das Deutsch-Ungarische Forum 2024 wurde von der Europäischen Akademie Berlin und dem Deutsch-Ungarischen Jugendwerk ausgerichtet. Finanziell unterstützt wurde es vom deutschen Auswärtigen Amt und vom ungarischen Außenministerium. Ein weiterer Kooperationspartner war die Andrássy Universität Budapest.