Kultige Turnschuhe: Im Auftrag von Hersteller Tisza hauchte Húnfalvi den Latschen aus dem Jahr 1985 neues Leben ein. (Foto: Flying Objects)

Budapester Designstudio Flying Objects

Brücke zwischen Technologie und Anwender

Ergonomie, Gebrauchstauglichkeit, Ökonomie, Marketing – es gibt viele Aspekte, die ein Produktdesigner bei seiner Arbeit berücksichtigen muss. Seine Aufgabe ist es, Produkte so zu gestalten, dass sie nicht nur anwenderfreundlich sind, sondern beim Kunden sogar Emotionen wecken. Auch das Budapester Designstudio Flying Objects sieht es als seine Aufgabe, eine Brücke zwischen Mensch und Technik zu schlagen. Doch wie sieht diese Arbeit im Detail aus? Wie kommt man von einer Idee zum fertigen Produkt? Wir haben uns von Flying-Objects-Gründer András Húnfalvi darauf Antworten geben lassen.

Von Bierlabels über Turnschuhe bis hin zu medizinischem Equipment, das Portfolio des Budapester Designstudios Flying Object enthält Aufträge aus ganz unterschiedlichen Branchen. Genau diese Vielfalt ist es, die András Húnfalvi, Mitbegründer des Studios, so viel Spaß an seinem Job haben lässt. Im Interview mit der Buda­pester Zeitung erzählt er: „Das Beste an meinem Job ist, dass ich als Produktdesigner immer wieder in ganz unterschiedliche Projekte eintauchen kann.“

Mit gerade einmal 32 Jahren unterrichtet Flying-Objects-Gründer András Húnfalvi bereits als Dozent an seiner ehemaligen Alma Mater. (Foto: Flying Objects)

Seit 2012 kreieren er und sein Team preisgekrönte Designs für Produkte und Marken. Auf die Frage, was denn gutes Produktdesign ausmache, antwortet Húnfalvi: „Der Produktdesigner macht Technik überhaupt erst für den Menschen nutzbar.“ Anders als etwa Ingenieure gehe ein Produktdesigner dabei immer aus der Nutzerperspektive an die Sache ran. In dieser Hinsicht versteht Húnfalvi seine Aufgabe darin, eine Brücke zwischen Technologie und Anwender zu schlagen: „Dabei versuchen wir die Objekte so nützlich und liebenswert zu gestalten, wie es nur geht, damit sie sich letztlich besser verkaufen. Dieser Tage arbeiten wir natürlich auch verstärkt daran, die Produkte möglichst nachhaltig zu konzipieren.”

So arbeiten Produktdesigner

Wenn Húnfalvi und sein Team sich das erste Mal mit einem neuen Kunden treffen, dann ist die erste Frage, die sie versuchen zu klären: Welche Zielgruppe soll das Endprodukt haben? Wer werden die Endnutzer sein? Basierend darauf beginnen sie mit Nachforschungen zu bereits existierenden Produkten, dem Produktmarkt und vorhandenen Technologien. So gewinnen sie etwas Orientierung, in welche Richtung das Projekt gehen wird. Wie Hunfálvi erklärt, komme es aber auch vor, das der Kunde bereits mit festen Vorstellungen zu ihnen käme, dann sei der Spielraum für die Designer nicht sehr groß – in anderen Fällen seien er und sein Team aber auch schon in einer sehr frühen Phase der Produktentwicklung hinzugezogen worden.

Ausgezeichnetes Produktdesign: Der Hand-in-Scan war eines der ersten Projekte der Flying-Objects-Designer. (Foto: Flying Objects)

So sei es beispielsweise im Falle des Hand-in-Scan gewesen. Bei diesem Vorzeigeprojekt des Designstudios handelt es sich um ein Gerät, welches mittels eines kurzen Scans ermittelt, ob der Anwender seine Hände ausreichend gründlich gewaschen hat oder nicht. Auch wenn dieses Projekt in Zeiten der Coronavirus-Krise große Aktualität besitzt, entwickelt wurde das Produkt eines ungarischen Medizingeräteherstellers bereits vor ein paar Jahren. Es begann als Studienprojekt an der Technischen Universität in Budapest. Die zuständigen Ingenieure beauftragten Húnfalvi und seinen Partner Ferenc Laufer mit der Entwicklung des späteren Produktdesigns. „Es gab diese Gruppe an Ingenieuren, die absolute Profis auf dem Gebiet der Robotik und Bildanalyse waren, aber ihr Projekt war noch derart in den Kinderschuhen, dass sie noch keinerlei Design- oder Ergonomievorstellungen hatten. Wir haben uns dann mit ihnen zusammengesetzt und angefangen, etwas mit all diesen elektronischen Kabeln, Kameras und verschiedenen Sensoren zu machen“, erinnert sich Húnfalvi.

Design und Innovation Hand in Hand

Der Hand-In-Scan war allerdings nicht nur für die Entwickler Neuland – auch für Húnfalvi und Laufer war es das erste große Projekt nach ihrem Studienabschluss 2012 an der Budapester Moholy-Nagy-­Universität für Kunsthandwerk und Gestaltung. Umso größer war die Freude, dass sie bereits mit diesem einen enormen Durchbruch in der Designwelt verbuchen durften. Der Hand-in-Scan brachte dem Designer-Duo nicht nur den Ungarischen Design-Award ein, sondern wurde 2015 auch mit dem international renommierten Red-Dot-Design-Award ausgezeichnet. Dieser prestigeträchtige Preis gilt als der Oscar der Designindustrie.

Im Anschluss an den Hand-in-Scan entwarfen Húnfalvi und Laufer noch zahlreiche Designs für ähnliche Projekte. So fanden sich die beiden Designer, die in ihren Studientagen noch davon träumten, in der Automobilindustrie zu arbeiten, also plötzlich im Bereich der Gesundheitsproduktehersteller wieder. Ein Glücksfall, wie Húnfalvi rückblickend feststellt. Denn seiner Meinung nach ist die Zahl der großen industriellen Unternehmen in Ungarn begrenzt, für die hiesigen Designer sei es daher ein Vorteil, sich auf die Gruppe der kleineren, dafür aber innovativen Hersteller zu konzentrieren. „Wir Designer müssen der Spur der Innovationen folgen, denn hier in Ungarn gibt es viele innovative Unternehmen, denen wir mit unseren Designs helfen können“, so Húnfalvi.

Eine große Auswahl unterschiedlicher Designs – nur das Beste für den Kunden

Im Arbeitsalltag des Designbüros spielt Zusammenarbeit eine große Rolle. So ist es für das Team von Flying Objects, zu dem neben den Gründern Laufer und Húnfalvi auch Grafikdesignerin Luca Patkós, Digitaldesignerin Anna Naszádi und Produktdesignerin Beáta Csortán gehören, unerlässlich, sich möglichst häufig zu treffen, gemeinsam zu brainstormen und sich gegenseitig Feedback zu ihren Arbeiten zu geben. „An vielen Punkten eines Projektes ist es extrem wichtig, dass wir einander unsere Arbeiten zeigen und Ideen diskutieren“, erklärt Húnfalvi. Dies geschieht meist im gemütlichen innerstädtischen Büro, seit der Krise aber natürlich auch in Online-Meetings am heimischen Bildschirm.

Zum typischen Arbeitsablauf der Designer gehört es, dass sie – nachdem die Zielgruppe und eine erste Richtung ermittelt wurden – im Team beginnen, ein Konzept zu entwicklen. „Wir fangen meist damit an, dass wir einige Skizzen machen und uns überlegen, wie das Produkt funktionieren und wie es aussehen sollte“, erzählt Húnfalvi. Am Ende dieses Konzeptualisierungsprozesses stehen meist drei verschiedene Entwürfe möglicher Designs. Diese werden dann dem Kunden präsentiert, der sich entscheiden kann, welcher ihm am meisten zusagt. Stets mehrere Optionen anzubieten, auch wenn hinterher nur eine zur Anwendung kommt, sei ein wichtiges Merkmal eines guten Designers.

Wie der Mitbegründer von Flying Objects erklärt, bedeute dies jedoch nicht, dass es sich bei den verschiedenen Vorschlägen um komplett unterschiedliche Designkonzepte handeln muss. Die Unterschiede können abhängig vom Projekt riesig oder nur minimal sein. Manchmal braucht es auch zahlreiche Konzeptrunden, bevor die Ideen des Kunden und des Designbüros harmonieren. Hunfálvi, der mit gerade einmal 32 Jahren bereits als Dozent an der Universität die nächste Generation von Designern unterrichtet, erzählt: „Es gibt natürlich auch Gelegenheiten, bei denen wir uns im Team nicht einig werden, welche Designidee die beste ist. In diesen Fällen erarbeiten und präsentieren wir einfach beide. Ich glaube, so garantieren wir, dass unsere Kunden am Ende das beste Ergebnis bekommen.“

Ein bisschen Retro-Charme und Balaton-Feeling

Eine enge Kooperation sowie eine gute und vertrauensvolle Arbeitsbeziehung zu den Kunden ist laut Hunfálvi eine der wichtigsten Geschäftsstrategien von Flying Objects. An dieser Stelle zitiert er den weltberühmten Designer Massimo Vignelli, der einst sagte: „Wenn du dir zu Anfang gleich einen guten Kunden suchst, dann wird das anschließend zu weiteren guten Kunden und Aufträgen führen.“ Húnfalvi, der fest an diesen Leitspruch glaubt, erzählt: „Wir haben uns immer in die Richtung derjenigen Kunden orientiert, mit denen wir gerne zusammenarbeiten. Und wir haben sehr von deren Netzwerk profitiert. Ich denke, unsere besten Aufträge sind alle durch die Zusammenarbeit mit diesen frühen Kunden zustande gekommen.“

So ähnlich lief das auch bei der Kooperation mit der Brauerei Hedon. Diese kontaktierte das Designstudio 2014 und beauftragte es damit, eine völlig neue Markenidentität für das Unternehmen sowie Labels für ihre Biersorten zu kreieren. Das Ziel der Brauerei war es, ihre Zielgruppe über den Kreis der 20- bis 30-jährigen, bärtigen Craftbier-Trinker hinaus zu erweitern. Die Marke sollte auch solche Konsumenten ansprechen, die sich nicht unbedingt als Connaisseur verstehen, sondern einfach gerne ein Bier genießen und nicht zu weit vom Klassiker abschweifen wollen. „Wir wollten daher eine Markenidentität entwickeln, die unter anderem beim Kunden ein bisschen Balaton-Nostalgie aufkommen lässt“, erklärt Húnfalvi. „Damit lassen sich viele Ungarn ansprechen. Unser Ziel war es, einige der ikonischen Charaktere der Balaton-Saison zum Leben zu erwecken.“

Mit dem Design für das Bier Helmut wollte Flying Objects auf das Bild des typischen deutschen Balatontouristen anspielen. (Foto: Flying Objects)

Einen dieser Charaktere hat das Designteam von Flying Objects „Helmut“ getauft. Er wird auf dem Bierlabel als blonder Mann mit Vokuhila und Schnauzbart dargestellt. Dazu trägt er Sandalen und eine Bauchtasche. Die Ähnlichkeit zum Klischee des „deutschen Touristen“ ist unverkennbar. „Diese Idee kam ursprünglich von einem Mitarbeiter bei Hedon, der damit der Marke ein gewisses Retrofeeling verleihen wollte. Solche Archetypen leben im kollektiven Gedächtnis der Ungarn. Leute wie Helmut kamen aus Deutschland, fuhren schicke Autos und tranken viel Bier. Es gibt ein typisches Aussehen, das wir mit ihnen verbinden. Wir wollten das nicht etwa kritisieren, sondern aufs Korn nehmen. In Deutschland gibt es so etwas ähnliches als Klischee über Mantafahrer – den kulturell nicht allzu gebildeten Arbeiterklasse-Macho, der einen Opel Manta, ein ikonisches westdeutsches Auto der 70er und 80er, fährt – und das war es, was uns visuell vorschwebte”, erzählt Húnfalvi.

Vom Konzept zum fertigen Produkt

Oft braucht es zahlreiche Kundenkonsultationen und Korrekturen, bevor es bei einem Projekt zu einem finalen Design­entwurf kommt. Erst dann geht es mit der Anfertigung von Modellen und Prototypen weiter. In einer nächsten Phase kommt es zum eigentlichen Produktdesign, denn erst dann wird vom Aussehen über die Haptik bis hin zum Klang jeder Aspekt des Produkts bestimmt.

Dazu arbeiten die Designer eng mit den Produktingenieuren zusammen. „Einerseits können wir ihnen die Inspiration liefern, um bessere technische Lösungen zu finden. Andererseits inspirieren sie uns auch dazu, das beste aus der von ihnen entwickelten Technik herauszuholen“, erzählt Húnfalvi. „Ich denke, die technische Entwicklung und das Designen sollten bei der Verwirklichung eines Projektes stets Hand in Hand gehen. Wenn man eine der beiden Seiten vernachlässigt, führt das am Ende dazu, dass das Produkt entweder nicht funktioniert oder für den Nutzer nicht anwendbar ist.“
Húnfalvi glaubt, dass es oftmals nicht einmal klar abgrenzbar ist, wo das Aufgabenfeld des Ingenieurs aufhört und das des Designers beginnt. „Manchmal tüfteln wir auch gemeinsam daran, wie die verschiedenen Teile des Produkts aussehen sollen, wie sie miteinander verbunden sind, welche Materialien verwendet werden, wie sich Dinge öffnen und schließen lassen, welches Geräusch es dabei macht und vieles mehr“, erklärt der erfahrene Designer.

Auch wenn man in dieser Phase der Entwicklung versucht, mit dem Produkt dem ursprünglichen Konzept so nahe wie möglich zu kommen, gibt es laut Húnfalvi doch Situationen, in denen man das Design noch einmal überdenken muss: „Das Endprodukt weicht manchmal sehr von unseren Anfangsvorstellungen ab. Und manchmal muss man auch nochmal einen Schritt zurückgehen und bestimmte Teile völlig neu gestalten. Auch das gehört zum Prozess.“

Ungarns Kult-Turnschuh im neuen Look

Húnfalvi und sein Team haben schon Designs für ganz unterschiedliche Projekte in unterschiedlichsten Branchen entworfen. Wenn man ihn jedoch fragt, welcher Auftrag ihm besonders am Herzen lag, dann braucht er nicht lange, um zu antworten: „Mein absoluter Favorit war unsere Kooperation mit Tisza.“ Der ungarische Turnschuhhersteller produziert bereits seit Anfang der 70er und war für seine außergewöhnlich hohe Qualität sogar außerhalb des Ostblocks bekannt. Nach der Wende wurde es ruhig, doch um die 2000er herum erlebten Tisza und seine magyarischen Kult-Turnschuhe ihre Renaissance.

Als externes Designteam wurde Flying Objects damit beauftragt, für das Unternehmen einen neuen Turnschuh zu entwerfen. „Als wir gefragt wurden, begannen wir zunächst einmal die Archive von Tisza zu durchsuchen“, erzählt Húnfalvi. Dort fanden er und sein Team ein besonders markantes Modell aus den 80er Jahren. „Unsere Aufgabe war es jetzt, einen tragbaren und straßenkompatiblen Schuh zu entwerfen, der sich an Aussehen und Kultigkeit des 1985er Modells orientiert.“ Dieses Projekt lag dem Designer auch deshalb so sehr am Herzen, da er nicht nur persönlich ein Tisza-Fan ist, sondern auch schon immer einmal einen Schuh designen wollte: „Es geht dabei nicht nur um das Aussehen, es geht auch um die Ergonomie. Ein Schuh ist eine sehr komplexe Sache, in die man oft viele Emotionen steckt.“

Die Zusammenarbeit mit Tisza hatte für den Designer den zusätzlichen Vorteil, dass er sein fertiges Design bereits nach weniger als sechs Monaten im Laden bewundern durfte. Wie Húnfalvi erklärt, dauere es für gewöhnlich in seiner Branche drei bis vier Jahre, bevor ein fertig gestaltetes Produkt auf den Markt kommt. „Begeistert hat mich auch, dass ich durch diesen Auftrag einmal mehr in einen anderen Industriezweig eintauchen durfte und eine weitere Perspektive erhalten habe“, sagt Húnfalvi.

Abschließend bemerkt er: „Letztendlich geht es mir jedoch darum, durch gutes Design das Leben von Menschen einfacher zu machen. Dazu musst du ihre Lebenswirklichkeit oder auch ihren Arbeitsalltag kennenlernen. Nur so können wir die besten Designlösungen finden.”

Weitere Informationen zum Designbüro Flying Objects finden Sie auch in englischer Sprache auf flyingobjects.eu.

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