István Radó, Vorsitzender des Jüdischen Kulturvereins Eger, öffnet die älteste Synagoge der Stadt. Fotos: DUJW

Gedenkstättenfahrt des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks

Brücke der Erinnerung

Das Deutsch-Ungarische Jugendwerk hat zum achtzigsten Jahrestag des Kriegsendes ein besonderes Zeichen gesetzt: Mit einer gemeinsamen Gedenkstättenfahrt von Schülern aus Deutschland und Ungarn wurde nicht nur der Holocaust-Opfer gedacht, sondern auch eine bereits bestehende Schulpartnerschaft zu neuem Leben erweckt.

Zwischen dem Bundesland Nordrhein-Westfalen und Ungarn bestehen derzeit 49 offizielle Schulpartnerschaften – eine beeindruckende Zahl, die das große Potenzial bilateraler Bildungszusammenarbeit widerspiegelt. Das Deutsch-Ungarische Jugendwerk hat die Wichtigkeit dieser Bildungszusammenarbeit erkannt und legt daher besonderen Wert auf die Förderung von Schulpartnerschaften. In diesem Rahmen konnte ein besonderes Projekt realisiert werden: eine fünftägige Gedenkstättenfahrt in Ungarn zum Thema Holocaust, die Begegnung, Bildung und Erinnerung miteinander verbindet.

Neues Leben für Schulpartnerschaft

Die Marienschule aus Lippstadt (Nordrhein-Westfalen) und das János-Neumann-Gymnasium aus Eger (Ungarn) gingen als Gewinner aus einer Ausschreibung hervor, die das Jugendwerk erstmals für ein solches Erinnerungsprojekt ins Leben gerufen hat. Die Fahrt ermöglichte es, eine bereits bestehende Schulpartnerschaft, die durch die Corona-Pandemie weitgehend beeinträchtigt wurde, wieder mit Leben zu füllen.

Das Jahr 2025 markiert den 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges – ein historischer Anlass, der gerade auch für junge Menschen ein Moment der Reflexion über die Folgen von Krieg, Diktatur und Völkermord bietet. Die Gedenkstättenfahrt wurde genau in diesem Geist konzipiert. Sie sollte sowohl historisches Wissen vermitteln als auch die persönliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Ungarn fördern.

Dreißig Schüler sowie vier Lehrkräfte nahmen an der Begegnung teil. Nach dem gegenseitigen Kennenlernen stand der Besuch des Budapester Holocaust-Gedenkzentrums auf dem Programm, bei dem die ungarische Dimension des Holocaust thematisiert wurde. Zentrales Anliegen des Jugendwerks mit diesem Besuch im Dokumentationszentrum war es, beide Schülergruppen auf denselben Wissensstand zu bringen, um die gemeinsame Projektarbeit im späteren zu ermöglichen.

Auseinandersetzung mit persönlichen Schicksalen

Ein besonderes Augenmerk während des Aufenthalts in Budapest lag zudem auf der künstlerischen Auseinandersetzung mit persönlichen Schicksalen und dem Thema Erinnerung. So sahen sich die Jugendlichen gemeinsam den Film „Heimkehr“ (2017) von Ferenc Török an, der das Gefühl der heimkehrenden Holocaust-Überlebenden und die Konfrontation mit dem Gewissen der Mehrheitsbevölkerung nach dem Krieg eindrucksvoll in Szene setzt. Zum Film wurde von der Budapester Zachor-Stiftung ein interaktives pädagogisches Konzept entwickelt, welches vom Jugendwerk auch ins Deutsche übersetzt worden war, um den Jugendlichen die kritische Auseinandersetzung mit den Themen des Films zu ermöglichen und eine eigene, reflektierte Haltung zu historischen und moralischen Fragen entwickeln zu können. Die Bearbeitung der Aufgaben erfolgte über die digitale Lernplattform „IWitness“, die vom USC Shoah Foundation Institute betrieben wird und sich auf interaktive Bildungsarbeit zu Zeitzeugnissen und zur Holocaust-Geschichte spezialisiert hat.

Das Konzept einer lebhaften Erinnerungskultur wurde im intensiven Austausch mit dem ungarischen Dichter, Drehbuchautor, Filmregisseur und Kulturmanager János Can Togay umrissen. Can Togay und der Bildhauer Gyula Pauer konzipierten und erschufen das Denkmal „Schuhe am Donauufer”, eines der bekanntesten Holocaust-Denkmäler Budapests. Mithilfe der IWalk-App der Zachor-Stiftung begaben sich die Schüler direkt nach dem Gespräch zum Denkmal. Vor Ort führten sie eine digitale, interaktive Spurensuche durch, bei der sie anhand historischer Quellen, Zeitzeugenvideos und Reflexionsfragen mehr über die Hintergründe der Deportationen ungarischer Jüdinnen und Juden im Jahr 1944 erfuhren. Für viele der Teilnehmer war dies ein bewegender Moment, der zeigte, wie Kunst helfen kann, Geschichte emotional nachvollziehen zu können.

Interaktive Auseinandersetzung mit der Geschichte mit der IWalk-App der Zachor-Stiftung.
Austausch mit Can Togay.

„Sie sind unsere erste Besuchergruppe!“

Nach den Tagen in Budapest führte der Weg zu den ungarischen Gastgebern nach Eger: Die deutschen Schüler wurden bei ungarischen Gastfamilien untergebracht – eine Erfahrung, die über das Programm hinaus zum bilateralen Verständnis beitrug und viele Erlebnisse hinterlass.

Thematisch folgte in Eger die Weiterführung der Auseinandersetzung mit dem Holocaust, der verheerende Folgen im ländlichen Raum Ungarns hatte. Ein besonders bewegender Moment war das Öffnen der Tore der ältesten Synagoge der Stadt. István Radó, der engagierte Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins Eger, blickte dabei auf die Gruppe und sagte: „Sie sind unsere erste Besuchergruppe! Ich habe die Schlüssel seit gestern“. Das Gebäude, das einst Zentrum des religiösen Lebens der jüdischen Gemeinde war, hatte lange Zeit leer gestanden und war dem Verfall preisgegeben.

Umso bedeutsamer war es, dass die Stadt Eger das Bauwerk kürzlich der jüdischen Gemeinde beziehungsweise dem Kulturverein zurückübertragen hat. Die Spuren der Zeit – bröckelnder Putz, ein eingesackter Boden – erinnerten daran, wie fragil Erinnerung sein kann, wenn sie nicht gepflegt wird. Radó stellte nicht nur die Pläne zur Renovierung der Synagoge vor, sondern kam mit den Schülern in einen lebendigen Dialog.

Eine außergewöhnliche Geschichtsstunde

Ein weiterer wichtiger Programmpunkt war eine außergewöhnliche Geschichtsstunde, in der sich die Schüler in Kleingruppen mit den Biografien von Holocaust- Überlebenden wie Dr. Edith Eva Eger, Estelle Glaser Laughlin, Eva Fahidi, Władysław Szpilman und Elie Wiesel auseinandersetzten. Anschließend nutzten sie Smartphones und Tablets zur vertiefenden Recherche, analysierten historische Quellen und diskutierten über ihre Erkenntnisse gemeinsam im Plenum.

Arbeit in Kleingruppen.

Da in Ungarn auf die Befreiung von der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft bald die Besatzung und kommunistische Diktatur folgte, stand auch der Besuch der Gedenkstätte Recsk auf dem Programm. Der ehemalige Arbeits- und Straflagerkomplex aus den kommunistischen Jahren zählt zu den düstersten Kapiteln ungarischer Nachkriegsgeschichte. Während einer Führung erfuhren die Schüler, unter welch menschenverachtenden Bedingungen politische Gefangene dort leben mussten.

Besuch in Recsk.

Darauf folgte erneut die interaktive und persönliche Auseinandersetzung mit dem Erlebten. In einem interaktiven Theater-Workshop mit dem Titel „Schweres Gepäck“ – der von Katalin Lotz, der Intendantin der Deutschen Bühne Ungarn, geleitet wurde – schlüpften die Jugendlichen in die Rollen von verfolgten Menschen. Durch Rollenspiele wurde deutlich, wie stark die kollektive Schuldzuweisung die Ungarndeutschen traf und wie schnell Stigmatisierung und Verfolgung im 20. Jahrhundert einsetzen konnten.

Theater-Workshop.

Zum Abschluss der Fahrt präsentierten die Schüler ihre Erlebnisse in einer gemeinsamen Präsentation unter dem Titel „Spuren des Erinnerns: Holocaust und persönliche Schicksale“. Diese zeigte, dass die Teilnehmer nicht nur historische Erkenntnisse gewannen, sondern auch die Kultur des jeweils anderen Landes erlebten – beim gemeinsamen Kochen, Spielen, Essen und Lachen in den Gastfamilien. Neue Freundschaften entstanden, Sprachbarrieren wurden überwunden, und viele Jugendliche nahmen stolz neue ungarische oder deutsche Wörter mit nach Hause – vom „kürtőskalács“ bis zum „köszönöm“. So fiel der Abschied am Bahngleis entsprechend schwer. Umso schöner war es zu hören, dass bereits erste Pläne für einen Gegenbesuch im Sommer gemacht wurden.

Präsentation des Gelernten.

Abschied am Bahnhof in Eger.

Die Studienreise wurde über das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Amtes des Ministerpräsidenten über die Bethlen Gábor Alapkezelő Zrt. finanziert.

Verfolgen Sie die Arbeit des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks im Bereich der Erinnerungsarbeit weiter unter:
www.dujw.org/aktuelle-ausschreibungen

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