Kindergarten Meséskert aus der Vogelperspektive. Foto: Tamás Bujnovszky

Nachhaltige Kindergartenarchitektur

Bauen für Kinder

Mit dem Start ins neue Schuljahr haben auch Kindergärten wieder ihren regulären Betrieb aufgenommen.

Doch in was für Bauten und Räumen werden die Kleinen eigentlich betreut? Wir stellen zwei architektonisch herausragende Gebäude vor.

Im 13. Budapester Stadtbezirk entstanden in den letzten Jahren zahlreiche innovative und nachhaltige Bauten, verwirklicht sowohl von privaten als auch von öffentlichen Bauherren. Der vor fünf Jahren eingeweihte Kindergarten „Meséskert“ (Märchenwald) in der Kassák Lajos utca zum Beispiel ist nicht nur eine neue architektonische Perle des Bezirks, sondern zugleich auch ein hoch anspruchsvolles Projekt des nachhaltigen Bauens, noch dazu eins der öffentlichen Hand.

Foto: Tamás Bujnovszky

Neuer, größer und nachhaltiger

Auf dem von mehrgeschossigen Büro- und Wohnbauten umgebenen Grundstück unweit der Markthalle am Lehel tér stand bereits in den 1980er Jahren ein in Plattenbauweise errichteter Kindergarten. Der schlechte Zustand des Fertigteilbaus, aber vor allem der steigende Bedarf an Kindergartenplätzen ermutigte den Stadtbezirk, an gleicher Stelle ein neues, größeres und nachhaltiges Haus für die Kleinsten zu errichten.

Die Architekten Csaba Nagy und Károly Pólus vom Büro ARCHIKON entwarfen einen kompakten weißen Baukörper, den sie dicht an die Straße stellten, von wo aus der Zugang zum Kindergarten erfolgt. Die Eingangshalle ist in hellen Weiß- und Gelbtönen gestaltet und lässt dank der räumlichen Großzügigkeit auch im allmorgendlichen Gewimmel nie das Gefühl von Enge und Gedränge entstehen. Auf dem Fußboden weisen farbige Schlängellinien den Weg zu den Gruppenräumen, kleine Geschichten werden entlang der Linien erzählt, die auch ins obere Geschoss führen.

Der große Garten auf der hinteren, ruhigen Grundstücksseite bleibt – so wie schon beim Vorgängerbau – zum Spielen komplett frei. Dies wurde aber nur dadurch erreicht, dass nicht alle Funktionen ebenerdig, sondern auch gestapelt organisiert wurden. Immerhin 16 Gruppenräume für jeweils 25 Kinder verteilen sich nun auf zwei Ebenen: die acht Gruppen im Erdgeschoss haben direkten Zugang zum Garten, den acht Gruppen im Obergeschoss steht dafür eine schattige Dachterrasse zur Verfügung, deren Einschnitte als Kreis, Quadrat und Dreieck ausgeführt sind und an Steckboxen erinnern sollen.

Gleichzeitig dienen die Öffnungen als Oberlichter und lassen viel Tageslicht in die Untergeschossebene. Bei der Nutzung der Terrasse und des Gartens wechseln sich die 16 Gruppen allerdings stets ab, erklärt die stellvertretende Leiterin im Meséskert. Das Gleiche gilt für den Salztherapie- und den hohen Kletterraum. Bei 400 Kindern erfordert dies, fast schon wie im Schulbetrieb, einige Organisation und Logistik.

Ein technisches Märchen wird wahr

Über die kinderfreundliche und anregende Architektursprache hinaus entschieden sich Bauherr und Architekten aber auch für ein Konzept der nachhaltigen Bauweise: die Außenwände erhielten eine 25 cm dicke, das Flachdach sogar eine 40 cm dicke Wärmedämmung, die somit massiver, als Wand und Decke selbst wurde.

Dreifachverglasung sowie moderne Haustechnik machen den Meséskert nicht nur zum umweltfreundlichsten Kindergarten Ungarns, sondern seine kleinen Nutzer auch früh damit vertraut, dass Architektur mehr sein kann, als ein Formen- und Farbenspiel. Wenn alles gut geht und sich die Nutzer ihr Haus in allen Facetten erobern, dann haben nach drei Jahren die Kinder nicht nur Malen, Singen und Toben, sondern auch viel über Verantwortung für ihre eigene Zukunft gelernt.

Das Haus gewann 2017 den Architekturniveaupreis der Budapester Architektenkammer, eine Auszeichnung, die äußerst selten an Bauten für Kinder vergeben wird. Umso erfreulicher, dass schon drei Jahre später ein weiterer Kindergartenbau mit dem Niveaupreis prämiert wurde.

Gelegen im selben Bezirk und entworfen vom selben Team entstand 2019 der Kindergarten „Vizafogó“ (Wasserfänger) im gleichnamigen Stadtteil des 13. Bezirks, welcher nicht mehr von fünfgeschossigen Häusern der Gründerzeit, sondern von elfgeschossigen Plattenbauten dominiert wird. Allerdings hat die Plattenbausiedlung an der Népfürdő utca – in deren Parallelstraße der Kindergarten liegt – nicht nur aufgrund der Nähe zur Donau einen äußerst guten Ruf, sondern auch dank ihrer relativ späten Errichtung in den 1980-er Jahren und eines damit durchdacht geplanten Stadtteils mit hohen Wohnzeilen an den befahrenen Straßen und einer inneren, geschützten Straße mit verschiedenen öffentlichen Einrichtungen.

Licht- und Schattenspiel zwischen den wunderbar ausgeführten Holzlamellen beim Kindergarten Vizafogó. Foto: Tamás Bujnovszky

Plattenkindergärten – besser als ihr Ruf

Der Kindergarten Vizafogó ist somit ein mittlerweile 40 Jahre alter Plattenbau, wurde in diesem Fall aber nicht ersetzt, sondern auf behutsame, kinderfreundliche Weise und dennoch spektakulär erweitert. Der Umbau des Kindergartens, der Platz für „nur“ acht Gruppen, das heißt etwa 200 Kinder bietet, begann vor vier Jahren und ist Teil eines zweifachen Prozesses: Teil des Sanierungsprogramms im Viertel selbst, aber auch der planerischen Weiterentwicklung des Architekturbüros ARCHIKON, da es sich bereits um ihren dritten Kindergartenentwurf handelt.

Für die Architekten lautet eine der aktuellen Lehren, radikale Umbauten oder gar Abrisse immer begründen zu müssen und im Falle des Vizafogó-Kindergartens eine nachhaltige Erweiterung des Plattenbaus dem Abriss-Neubau vorzuziehen. Schließlich funktionierte der Fertigteilbau aus den 1980-ern besser, als es sein Ruf hergeben mag: er ist kompakt und nach Osten orientiert, sodass die Vormittagssonne zu allen vier Jahreszeiten den Garten ideal beleuchten kann. Seitliche Fensteröffnungen garantieren ausreichend natürliche Innenbelichtung und entsprechen voll und ganz den Normen des 21. Jahrhunderts.

Wasser und Fische sind ein ständig wiederkehrendes Motiv im Inneren des Vizafogó (dt. Wasserfänger). Foto: Tamás Bujnovszky

Die Bestandsanalyse führte gleichzeitig zur Idee eines Anbaus: der Ursprungsbau hatte nur im Erdgeschoss eine überdachte, Schatten spendende Terrasse, die Räume im Obergeschoss waren Sonne und Hitze stets ausgesetzt. Der Anbau schafft nun auch für die vier oberen Gruppen – die hier übrigens alle nach verschiedenen Fischarten, wie Hecht, Barsch oder Forelle benannt sind – eine neue große Freifläche, die ganzjährig genutzt werden kann.

Im Innern wurden Nutzungsräume – ähnlich dem Neubau des Meséskert-Kindergartens – großzügiger und heller: das Treppenhaus wurde komplett neugebaut und um ein Atrium ergänzt. Umkleide- und Waschräume sind nun viel größer als noch im 1980-er Kindergartenbau und verdeutlichen, dass auch diese Räumlichkeiten wichtig für die Kleinen, ihre Eltern und Erzieherinnen sind und dafür ausreichend Raum vorhanden sein muss.

Beton, Holz und Wasser

Hauptattraktion bleibt aber die neue, zwischen Bestand und Garten errichtete Holzterrassenarchitektur. Welch großartiger Gedanke, den alten Plattenbau mit dem natürlichsten, flexibelsten und wahrscheinlich kinderfreundlichsten Baustoff, den es gibt, zu ergänzen.

Die Übergänge von jedem Gruppen- zum Außenraum sind jedes Mal anders gestaltet, die zweigeschossige Terrasse selbst ist ein Erlebnisraum mit den verschiedensten Spielangeboten. Natürlich gibt es die Rutsche und die Leiter zwischen der oberen und unteren Ebene. Was die Drei- bis Sechsjährigen aber nur unbewusst in ihr späteres Leben mitnehmen werden, ist das Licht- und Schattenspiel zwischen den wunderbar ausgeführten Holzlamellen, die diesen Ort offen und geschützt zugleich machen.

Foto: Tamás Bujnovszky

Man spürt das planerische Fortsetzen der Terrassenidee vom Meséskert, aber nicht nur das: Dank der Erweiterung ist nun im Innern genügend Platz für eine Kletterwand und ein Salztherapiezimmer. Beide Kindergärten sind nicht einfach mehr nur Häuser zur Aufsicht, sondern Orte mit einem großartigen Angebot zum Entdecken und Bewegen.

Räume zum Entdecken

Die Leiterin der Kindergärten im 13. Bezirk hob die Bedeutung einer inspirierenden Umgebung hervor, insbesondere für die Entwicklung von Kleinkindern und für die Integration von Kindern mit besonderen Ansprüchen. Die Nähe zur Natur, Räume zum Entdecken, aber auch Ruhezonen, kreative Orte der Gemeinschaft und der Begegnung sind Teil des pädagogischen Programms der neuen Kindergärten.

Erwähnt werden sollte noch das Wasser, das dem Kindergarten seinen Namen gab. Es ist ein zentrales Element des Hauses: als spielerisch gestalteter Teich im neuen Atrium, als Aquarium mit einer Vielzahl von Fischen im Eingangsbereich, aber auch als Erziehungsprogramm, das ökologisches Bauen und Nachhaltigkeit nicht vergisst.

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