Ein Künstler, viele Abenteuer: Kriegsfotograf László Kondor
„Auf ins große Nichts”
Heute nimmt László Kondor statt seiner Kamera lieber ein Glas trockenen, italienischen Weißwein in die Hand. Schon auf den ersten Blick merkt man ihm sein künstlerisches Wesen an. Wenn er erzählt, dann mit einer gewissen Routine. Er gestikuliert dabei ausschweifend mit seinen Händen, spricht begeistert über seine Leidenschaft. Der Fotograf wurde 1941 geboren und lebte lange Zeit in den USA. 1996 ist er nach Ungarn zurückgekehrt – in den Jahren dazwischen ist viel passiert.
Keine Zukunft nach dem Volksaufstand
Mit 15 Jahren musste László Kondor Ungarn wegen des Volksaufstandes verlassen. Als dieser 1956 ausbrach, war Kondors Bruder in die Kämpfe am Széna tér in Budapest – unweit vom Széll Kálmán tér – verwickelt. Ganze drei Tage lang kämpfte er, bis er von sowjetischen Truppen verwundet wurde. Das war der eine Grund für die spätere Flucht.
László Kondor hat aber auch selbst rebelliert: „Einen Tag nach Ausbruch des Volksaufstandes saß ich im Gymnasium. Durch die Lautsprecher hörte ich die Durchsage des Direktors, dass der Unterricht hiermit beendet sei und wir uns vor der Schule versammeln sollen, weil laut den Nachrichten ein Volksaufstand in Budapest ausgebrochen sei. Mit den älteren, mitunter waghalsigen Schülern hatte ich abgemacht, dass wir auf das Schuldach klettern. Damals waren an staatlichen Institutionen überall solche drei Meter großen, hässlichen, roten Sterne angebracht. Wir haben zu dritt oder viert den Stern vom Schuldach abgesägt“, erinnert sich Kondor und schmunzelt. Unglücklicherweise standen vor der Schule inzwischen nicht mehr nur die Gymnasiasten, sondern bis zu 2.000 Schaulustige.
Einige Tage später berief Kondors Vater eine Art Familienbesprechung ein. „Er sagte klipp und klar: ‚Hier gab es einen Volksaufstand, der niedergeschlagen wurde‘, dann hat er sich zu mir gedreht und sagte ziemlich harsch: ‚Und du kleiner Idiot, du bist auf das Schuldach geklettert, um den roten Stern abzusägen. Davon haben weiß Gott wie viele Menschen Fotos gemacht. Die Frage ist, was passieren wird. Dass ihr beide vom Gymnasium fliegt, ist absolut garantiert. Dass euch keine Universität aufnehmen wird, ebenso.‘“ Eine damals nicht unwahrscheinliche Option hätte auch das Gefängnis sein können. Noch heute erinnert sich László Kondor detailliert an die Worte seines Vaters: „Kinder, hier in Ungarn gibt es für euch im Augenblick überhaupt keine Zukunft. Ganz im Gegenteil: Ihr seid in großer Gefahr. Ihr müsst hier weg. Noch dazu sehr schnell, bevor sie die Grenzen schließen.”
Zwischen Österreich und den USA
Gleich am nächsten Tag flohen die Brüder nach Traiskirchen, Österreich. Dort befindet sich noch heute eine Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Lange Zeit stellte sich für die Kondor-Brüder die Frage, wohin es als Nächstes gehen soll. „Es ist sehr komisch, dass es so kleine Dinge gibt, die zu bedeutenden Wendepunkten im Leben werden”, sagt der Fotograf kopfschüttelnd. Denn als er damals auf dem Weg zum Konsulat von Neuseeland war, hätte ein Pfarrer den Raum betreten und gefragt, ob hier Gymnasiasten anwesend seien, die in Österreich die Schule beenden wollen. „In Innsbruck gibt es ein österreichisch-ungarisches Gymnasium, an dem mein Bruder und ich erst einmal die Schule beendeten”, so Kondor.
Sein Bruder reiste danach für sein Studium weiter nach Rom, bevor er später nach Amerika emigrierte. László Kondor hingegen studierte in Innsbruck Psychologie. Spätestens 1961, so sagt er, „da juckte es mich am Po – ich wollte weiterziehen, ich fand Österreich einfach zu klein.” Und so reiste er zu seinem Bruder nach Chicago, in die Stadt, die für die nächsten 35 Jahre seine Heimatstadt werden würde. Dort studierte Kondor an der University of Chicago weiter, diesmal Politikwissenschaften und internationale Beziehungen.
Absagen bei den Zeitungen – Zusage bei der Army
„Ich habe erst letztens mit meiner Frau bis in die Nacht hinein geredet. Sie fragte mich: ‘Wie zur Hölle ist aus dir eigentlich ausgerechnet ein Fotograf geworden?‘”, erinnert sich Kondor und erklärt: „Ich war in den naturwissenschaftlichen Fächern immer furchtbar schlecht, in Geschichte und Literatur dafür sehr gut. Musik und menschliche Beziehungen haben mich interessiert und ich hatte eine künstlerische Ader in mir entdeckt. Am liebsten wäre ich ein Mozart geworden, ein Schubert hätte auch gereicht. Ich war aber einfach wahnsinnig schlecht im Musizieren. Auch mit dem Schreiben steckte ich in einem Dilemma: Ich konnte Ungarisch, Deutsch und Englisch, aber keine Sprache auf einem ausreichenden Niveau, um schreiben zu können. Ich wollte innerlich aber schon immer etwas kreieren.”
Auch im Gespräch wechselt Kondor ab und an zwischen den drei Sprachen, mal sind es nur einzelne Wörter, mal ganze Sätze, die er wie selbstverständlich einfädelt.
Sein Professor an der Universität, Hans Morgenthau, riet ihm dazu, Lehrer zu werden. Er habe zu ihm gesagt: „Mit deiner Familie hinter dem Eisernen Vorhang wirst du nie eine Sicherheitsfreigabe für eine diplomatische Karriere bekommen.” Diese enttäuschende Feststellung über seine Zukunft motivierte Kondor schlussendlich dazu, die Kamera in die Hand zu nehmen – er begann in Chicago als freiberuflicher Pressefotograf zu arbeiten. „1968 gab es dort schon große Sauereien, die ich fotografiert habe. Ich schrieb schließlich allen möglichen ernst zu nehmenden Zeitungen, dass ich ein herausragender Fotograf bin und sie mich nach Vietnam schicken sollen”, sagt László Kondor und bekräftigt: „Der Krieg war die große Story, da wollte ich hin. Wenn ich die Geschichte schon nicht beeinflussen konnte, wollte ich sehen, wie sie funktioniert.”
Über ein halbes Jahr lang habe er bei Zeitungen gebettelt, dann sei es ihm zu blöd geworden – er habe immer nur zu hören bekommen, dass er nicht genügend Erfahrung habe. „Was natürlich stimmte”, gibt Kondor zu, „aber ich dachte mir, die Army würde mich bestimmt nehmen. Die brauchten jeden.” Und tatsächlich fing László Kondor im Jahr 1969 die Ausbildung zum Infanteristen bei der U.S. Army an. Das Ziel hieß Vietnam. Ab diesem Zeitpunkt hatte er seine Kamera immer und überall dabei.
Ein Traum wird wahr
In Vietnam traf Kondor eines Tages einen fremden Mann, der mit zwei Kameras fotografierte. Das war die zweite Begebenheit, die ihm in seinem Leben eine große Chance bot. Der Mann, Williams sei sein Name gewesen, war für das Informationsbüro der US-Armee unterwegs und obwohl er eigentlich für das Schreiben zuständig war, fotografierte er auch. „Er sei der Einzige, der das halbwegs auf die Reihe bekomme, meinte er zu mir.” Daraufhin habe Kondor ihm erklärt, dass er ein Fotograf sei und habe von seinen bisherigen vergeblichen Versuchen, als Kriegsfotograf engagiert zu werden, erzählt. Williams habe daraufhin gesagt: „So eine Unverschämtheit! Wir brauchen dringend Fotografen. Ich bringe dich zu unserem Major. Aber irgendetwas müssen wir ihm doch sagen. Wenn wir den Namen einer Zeitung nennen, für die du angeblich als Kriegsfotograf gearbeitet hast, wird er diese anrufen und die Sache fliegt auf.” Kondor habe ihm daraufhin entgegnet: „Wie wäre es, wenn ich sagen würde, ich sei der Fotograf des Bürgermeisters von Chicago, Richard Daley, gewesen?” – „Ja, so machen wir das. Die werden sich nicht trauen, beim Bürgermeister anzurufen!”, war sich Williams sicher.
„Ich habe mich ihm also angeschlossen und durfte fotografieren. Neun Monate lang habe ich einfach getan, was ich wollte, denn im Gegensatz zu Fotografen von Nachrichtenagenturen wie Associated Press oder Reuters hatte ich keinen Druck. Ich war ja in erster Linie Soldat. Zuweilen konnte ich deswegen auch keine Fotos machen, da ich mich natürlich nicht selber in Gefahr bringen wollte”, erinnert sich Kondor.
„Man muss im Leben auf Gelegenheiten achten”
Über diesen günstigen Umstand – der maßgeblich dazu beitrug, dass er seinen Traum verwirklichen konnte – sagt Kondor: „Man muss im Leben auf Gelegenheiten achten. Und wenn man auch nur eine winzig Kleine sieht, dann muss man sich darauf stürzen wie ein Tiger!” Das sei seine Lebensphilosophie. Er behauptet: „Viele Menschen sehen diese Gelegenheiten, haben aber Angst und gehen nicht auf sie ein. Man muss sich eben entscheiden. Meine größte Entscheidung war, mit 15 Jahren Ungarn gegen das große Nichts einzutauschen.” Und weil Kondor seine Chance nutzte, fotografierte er anschließend bis 1972 für das sogenannte „Department of Army Special Photographic Office”, also der fotografischen Abteilung der US-Armee.
Wieso er ausgerechnet einen grausamen Krieg fotografieren wollte, erklärt der Fotograf so: „Mich hat der menschliche Konflikt interessiert. Und in einem Krieg sind die menschliche Angst, der Mut und die Grausamkeit enorm hoch. Das wollte ich fotografieren. Ich halte mich für einen Künstler – und deshalb hielt ich die menschlichen Begebenheiten fest, das war mir wichtig.” Er habe diese Begebenheiten auch stets ehrlich gezeigt – aber Fotos, die zur Publikation hinausgingen, musste er teilweise zensieren, „nicht, dass ich versehentlich etwas verrate. Die Fotos wurden immer überprüft, bevor sie veröffentlicht wurden”, erklärt Kondor.
Nach dem Vietnamkrieg ging seine Karriere nicht weniger interessant weiter: Von 1972 bis 1976 wurde László Kondor tatsächlich noch persönlicher Fotograf des Bürgermeisters von Chicago, Richard J. Daley, und auch von dessen Nachfolger Michael Bilandic.
Ein Leben lang hinter der Linse
Nach fast 40 Jahren des Fotografierens legte László Kondor seine Kamera beiseite und lebt seither mit seiner amerikanischen Frau Linda Kondor in Kapolcs am Balaton. Wieso gibt ein Mensch seine große Leidenschaft komplett und für immer auf? Kondor erklärt: „Als ich später mein eigenes Studio in Chicago hatte, da begann die digitale Fotografie und ich stand vor der Entscheidung, umzusteigen. Ich konnte mich damit aber nicht wirklich anfreunden. Ich habe nichts gegen die digitale Fotografie, aber gegen die Fotografen der digitalen Fotografie. Die machen sich keine Gedanken mehr, schießen 1.000 Fotos und denken, da würde schon was dabei sein. Es muss aber beim vierten oder fünften Foto klappen, man muss wissen, was man fotografieren möchte und sich Gedanken machen, hoch konzentriert sein.“ Und noch einen weiteren, persönlicheren Grund verrät Kondor: „Ich habe mein Leben bisher durch eine schwarze Box hindurch erlebt. Wenn ich auf einer Feier bin, will ich aber nicht mehr fotografieren. Ich will singen, laut sein, flirten und feiern. Das Leben durch meine Augen sehen und nicht durch meine Kamera.“
Aus den Fotos des Vietnamkrieges ist eine Ausstellung entstanden, die gerade in Kecskemét zu sehen ist. Dieselben Fotos waren 1997 schon einmal für ein halbes Jahr in Ungarn, danach gab es noch einige weitere Ausstellungen der Bilder, auch in Budapest. „Ich würde auch gerne in Deutschland ausstellen, wenn ich eingeladen werde“, sagt der Fotograf und fügt hinzu: „Ich plane für die Zukunft die Organisation einer Lebenswerk-Ausstellung.“ Denn neben dem Vietnamkrieg hat László Kondor zwischen 1960 und 1980 auch architektonische Impressionen aus Chicago angefertigt und sich auch in der Aktfotografie ausprobiert.
Sehen und gesehen werden
Die aktuelle Ausstellung in Kecskemét kann noch bis zum 29. September besucht werden. Dort sind unter anderem 50 Abzüge der Vietnam-Fotos und originale Zeitungsausschnitte ausgestellt. Balázs Zoltán Tóth, Kurator des Museums, sagt über die Ausstellung: „Kondors Werke, insbesondere die aus Vietnam, sind die wahre Umsetzung des berühmten Zitats von Robert Capa: ‚Wenn deine Fotos nicht gut genug sind, dann bist du nicht nah genug dran.‘ Kondors Fotos könnten nicht besser sein, weil er nah dran war – als einer der Soldaten, die in diesem Krieg kämpften, in einem Konflikt, der die Welt verändert hat.“
Zum Schluss des Gesprächs gibt László Kondor einen, seiner Meinung nach, zwar sehr uneleganten, aber notwendigen Tipp. „Eine entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Künstlern und Huren ist: Wenn sie sich nicht zeigen, haben sie kein Publikum. Man muss als Künstler leider ein absoluter Exhibitionist sein, sich ‚ausziehen‘. Mir macht es keinen Spaß, weil ich eher ein privater Mensch bin. Aber ansonsten wird das halt nichts. Ich habe also meinen kurzen Rock und meine hohen Hacken angezogen und mich an den Straßenrand gestellt“, gibt Kondor mit einem Lachen zu und konkretisiert mit ernstem Blick: „Wenn keiner deine Werke sieht, kann keiner dein Potenzial sehen.“
Ausstellung: „László Kondor: Vietnam, 50 Jahre später; ein Kriegsfotograf erinnert sich”
Magyar Fotográfiai Múzeum
6001 Kecskemét, Katona József tér 12
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 12 bis 17 Uhr
Eintritt: 500 Forint / ermäßigt 300 Forint
Weitere Informationen finden Sie unter www.fotomuzeum.hu/de