Nachruf auf András Oplatka (5. Februar 1941 – 27. Mai 2020)
Unvergängliche Werke
Ruhige, heitere Melancholie
Oplatkas ruhige, heitere Melancholie beruhte auf der Lebensweisheit eines Mannes, der in seinem Leben viel gesehen und erlebt hat. Sein Wissens- und Erfahrungsschatz sind heute rare Güter: Er wusste genau, dass man die Welt nicht allein durch schlaue Argumentation über Fakten auf einer rationalen Ebene verstehen kann. Vielmehr bedarf es auch der Kenntnisse über die künstlerische Interpretation der Welt, insbesondere durch Literatur und Musik.
Kürzlich erschien ein Buch, das die letzten Jahrzehnte der Geschichte der Neuen Zürcher Zeitung beleuchtet, und dabei insbesondere auf die Transformationen durch das Zeitalter der Digitalisierung eingeht. Das Buch enthält ein Zitat von András Oplatka aus seinem Werk von 2008, in welchem er die Zeitung, die einst sein Arbeitgeber und sein geistiges Zuhause war, als unverwechselbare „Schweizerische Institution“ bezeichnet.
Er beschreibt hierfür die Szene, als sein Chef Eric Mettler, der damals der außenpolitische Kolumnist der Zeitung war, 1969 den 27-jährigen Oplatka wenige Monate nach seinem Eintritt in die Redaktion zu sich rief und ihn fragte, ob er als politischer Korrespondent in Schweden arbeiten wolle. Oplatka antwortete, dass er noch nie in Schweden gewesen sei und auch kein Schwedisch spreche. Daraufhin erwiderte der erfahrene Kolumnist nur: „Umso besser, wir brauchen jemanden, der dort alles mit neuen Augen sieht.“ Und Schwedisch werde er auch schnell lernen. Mettler hatte damit unzweifelhaft ein gutes Gespür bewiesen: Während seiner Jahrzehnte bei der Zeitung berichtete Oplatka nicht nur, sondern ließ auch seine Leser an der aufrichtigen Neugier teilhaben, mit der er selbst versuchte, hinter die Fassaden des täglichen Weltgeschehens zu schauen.
Zum Denken anregen
Die Neue Zürcher Zeitung spielt eine besondere Rolle in der deutschsprachigen Auslandsberichterstattung. Die Tatsache, dass die politische Linie der Zeitung nicht den Mainstream-Medien in Deutschland folgt, die als politisch korrekt angesehen werden, hat sich heutzutage schon zu ihrem Geschäftsmodell entwickelt. Oplatkas Berichte zeichneten sich immer durch eine hohe Gründlichkeit und Qualität aus. Er bettete sie in die Darstellung eines größeren Gesamtzusammenhangs ein. So konnte er den Leser tiefgreifend informieren und zum Denken anregen, anstatt ihn nur oberflächlich über das aktuellste Tagesgeschehen ins Bild zu setzen.
Nach drei Jahren in Skandinavien berichtete er sieben Jahre aus Paris und weitere vier Jahre aus Moskau bis zum Fall der Mauer. So gewann er einen idealen Einblick in die politischen Schachzüge der Großmächte. Dabei konzentrierte er sich auch auf die historische Perspektive, was auch durch sein persönliches Schicksal motiviert war.
1956 musste er bereits als Jugendlicher in seinem empfänglichsten Lebensabschnitt seine Heimatstadt Budapest verlassen und integrierte sich aufgrund seines jungen Alters schnell in die fremde schweizerische Welt. Dabei hielt er den Kontakt zu seiner ungarischen Heimat jedoch stets aufrecht und versuchte auf nüchterne, patriotische Weise beständig, der Außenwelt einen Einblick in unsere kleine ungarische Welt zu geben.
Seine sechsjährige Tätigkeit als Korrespondent in Budapest ab 1996, während der er auch für die umliegenden Länder verantwortlich war, kam einer Belohnung für einen Journalisten gleich, der Mitteleuropa nicht nur durch die Brille von Geschichte und Politik betrachtete, sondern auch Wert auf Kultur und Literatur legte. Die Frage ist natürlich, wie vorteilhaft gründliche Sprach- und Ortskenntnisse für einen Journalisten sind, schließlich sind sie zugleich auch eine Quelle von emotionaler Nähe.
„Man darf gespannt sein, ob…“
Die Juwelen von András Oplatkas journalistischem Oeuvre sind die Artikel, in denen er dem Leser seine Meinung und sein Temperament in Form einer Frage in ein wenig altmodischem Deutsch formuliert: „Man darf gespannt sein, ob…“.
Privat vertrat er natürlich viel stärkere Positionen zu Politik und Politikern, und auch zu Ungarn. Sehr wenige konnten die Regierung so schlau kritisieren wie Oplatka und dann wieder so geschickt verteidigen, wenn er sie zu Unrecht von seinen ausländischen Kollegen angegriffen sah.
Das Schlüsselerlebnis seines Lebens war die friedliche Revolution von 1989, deren Verständnis, Entschlüsselung und Offenlegung für ihn sehr wichtig war. Dies motivierte ihn auch zu einem Buch über den Ministerpräsidenten Miklós Németh und einem Werk über den Tag der ungarischen Grenzöffnung am 11. September 1989.
Sein letztes Buch über den Dirigenten Ádám Fischer, das im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, versucht, die Tiefe der einfachen Behauptung auszuloten, dass sich große soziale Phänomene im Leben eines Musikers oder eines Orchesters widerspiegeln. Einige Bemerkungen des Autors zeigen uns dabei deutlich, dass Oplatka zutiefst davon überzeugt ist, dass die Welt der Musen und die Welt der harten Fakten nicht voneinander zu trennen sind.
Präzise Kritik
In seinen Artikeln, die ab 2005 für ein paar Jahre in der ungarischen Wochenzeitung Heti Válasz erschienen, versuchte er wiederholt, die Ursachen für die kontroversen Beziehungen des Westens zu Ungarn zu beleuchten. Dabei scheute er auch keine präzise Kritik, weder wenn er über die ungarischen Zustände schrieb, wo man nicht bereit zu Kompromissen ist, noch wenn er über die oft erwähnte „Doppelmoral“ seitens des Westens reflektierte.
„Der eine versteht, der andere versteht nicht“, zitiert er aus Sándor Márais 1956er Gedicht „Der Engel aus dem Himmel“, und meint damit, dass sich trotz all der modernen Kommunikationsmöglichkeiten in Bezug auf Ungarn nicht viel an der westlichen Bereitschaft zum gründlicheren Verständnis der ungarischen Verhältnisse geändert hat.
Es gibt kaum einen Autor, der so wie András Oplatka versucht hat, der deutschsprachigen Welt einen Einblick in das ungarische Universum zu ermöglichen. Dazu übersetzte er auch die Werke seiner Lieblingsautoren sowie der schärfsten Beobachter der ungarischen Welt in die Sprache seiner neuen Heimat.
Wir verdanken ihm die hervorragende Übersetzung von Kálmán Mikszáths „Der Fall des jungen Noszty“ und der „Siebenbürgen-Trilogie“ von Miklós Bánffy, die eine wahre Fundgrube der sich kaum ändernden Grundzüge des ungarischen öffentlichen Lebens ist.
Seine Monografie über István Széchenyi ist ein Werk, aus dem man von der Charakterisierung des Hauptheldens sehr viel über die heutige ungarische Mentalität lernen kann.
„Die Zeit ist“, wie András Oplatka es so oft wiederholte, „ein sonderbar Ding“. Hoffmannsthal setzte den Satz so fort: „Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie.“
In Momenten der Trauer wird dies besonders deutlich, doch wir können dankbar sein für das Unvergängliche seiner Werke. Seine menschliche Größe erfüllt uns mit Dankbarkeit. All das stärkt auch unseren Glauben an die Ewigkeit. Gott sei mit ihm!
Aus dem Ungarischen von Sarah Günther
Der Autor ist Botschafter a.D. und Leiter der Otto von Habsburg-Stiftung.
Vor gut 10 Jahren hatte ich einmal das Glück, neben ihm an einem Tisch bei einer kleinen Feier in der Andrássy Uni zu sitzen. Oplátka war mir damals noch unbekannt. Ein interessantes Gespräch entwickelte sich mit ihm – und mir blieb dieser sehr sanfte Intellektuelle in bester Erinnerung. Bitter, er ging viel zu früh!
“Sehr wenige konnten die Regierung so schlau kritisieren wie Oplatka und dann wieder so geschickt verteidigen, wenn er sie zu Unrecht von seinen ausländischen Kollegen angegriffen sah.”
Beeindruckend, wenn Journalisten das Niveau von Schriftstellern erreichen und Schriftsteller tagesaktuell sind wie Oplatka. Er war beides. Behauptungen, wie sie in den letzten Wochen in deutschsprachigen Medien über Ungarn fielen, sind nur vorstellbar, wenn man keine Ahnung hat und ideologisch borniert ist.
Ich empfehle sein Buch “Graf Stefan Széchényi, der Mann, der Ungarn schuf”.