Nach Ungarn ausgewandert: Ferienwohnungsanbieter Raquel und Philipp Wiech
„Wir fühlen uns sehr wohl in Ungarn“
Was hat Sie darüber nachdenken lassen, aus Deutschland auszuwandern?
Philipp Wiech: Wir waren im Schwarzwald auf der Suche nach einem neuen Zuhause auf dem Land mit viel Platz für unsere Familie und auch für Tiere. Wir suchten nach einem Ort, an dem wir uns frei und unabhängig entfalten können.
Raquel hat bis zu unserem Kennenlernen 13 Jahre lang als Steuerfachangestellte gearbeitet und ich war im Bereich Immobiliensanierung und -verkauf tätig. Für uns beide war klar, dass wir uns als Familie neu ausrichten wollen und dass insbesondere unsere Kinder in einem naturnahen und liebevollen Umfeld einer intakten Familie aufwachsen sollen.
Daher wollten wir eine Immobilie finden, bei der die Möglichkeit besteht, unser Einkommen durch selbstständige Arbeit als Familie zuhause auf dem Hof zu erwirtschaften.
Raquel Wiech: Unsere Idee war es, „Wohnen auf dem Bauernhof“ anzubieten, speziell für Senioren, die nach ihren Fähigkeiten auf dem Hof mitmachen und teilhaben können. Dazu wollten wir einige Tiere halten sowie Ferienwohnungen und Camping-Stellplätze anbieten. Es gibt mittlerweile einige solcher Höfe in Deutschland und die Idee finden wir sehr schön.
Viele Häuser und Höfe haben wir angeschaut bis hin zur Abstimmung im Gemeinderat über unser Vorhaben und Konzept. Aber letztendlich haben wir nichts gefunden, wo es ausreichend Potenzial für ein freies und selbstbestimmtes Leben gibt und wir daher mit gutem Gefühl hätten zusagen können.
Wie kamen Sie schließlich auf Ungarn?
P.W.: Nach über zwei Jahren Immobiliensuche waren wir ganz schön desillusioniert und hatten keine Lust mehr, in Deutschland weiterzusuchen. Es fühlte sich so an, als ob uns hier eine wirkliche Perspektive und die Freiheit, unsere Träume umzusetzen, fehlen würde.
Da bekamen wir bei der Fußball-Europameisterschaft 2021 mit, wie die Allianz-Arena in München beim Spiel Deutschland gegen Ungarn in Regenbogenfarben angeleuchtet werden sollte. Anscheinend auch als Provokation gegenüber Ungarn beziehungsweise Ministerpräsident Viktor Orbán, der als Zuschauer angekündigt war. Dieser hatte seinen Besuch letztlich abgesagt, wir wurden durch die Aktionen jedoch auf Ungarn aufmerksam und planten sogleich, dem Land so bald wie möglich einen Besuch abzustatten.
R.W.: Bereits im August 2021 waren wir das erste Mal in Ungarn. Wir versuchten dabei, so viel wie möglich über das Land zu erfahren, nahmen Kontakt mit Maklern und Bauunternehmern in Ungarn auf. Mit dabei war unsere Liste mit Immobilien in ganz Ungarn, die wir anschauen wollten. So sind wir eine gute Woche lang durch das Land gefahren.
Unsere erste „Basisstation“ war auf einem Ferienbauernhof, auf dem wir ein Appartement gemietet hatten. Beim Frühstück mit den Betreibern kamen wir dann mit ihnen ins Gespräch. Prompt boten sie uns dabei ihren Hof an, den sie aus Altersgründen sowieso verkaufen wollten.
P.W.: Das war zwar etwas anderes, als wir uns vorgestellt hatten, aber der Hof gefiel uns so gut, dass wir kurze Zeit später noch einmal herkamen. Bereits nach diesem zweiten Besuch stand unsere Entscheidung fest. Im Oktober 2021 unterzeichnet wir dann die Verträge und freuten uns auf unser neues Zuhause in Ungarn.
Wie nahm Ihr Umfeld Ihre Entscheidung auf?
R.W.: Wir waren schon ziemlich aufgeregt, als wir wieder in Deutschland waren und unseren Freunden und Angehörigen von unserer Entscheidung berichteten – davor hatten wir keinem etwas gesagt. Zunächst gab es viele Fragen und auch teilweise Unverständnis, aber letztendlich haben wir sehr viel Zuspruch und Unterstützung aus unserem Umfeld bekommen. Die meisten unserer Freunde haben uns mittlerweile bereits in der neuen Heimat besucht. Auch Familienmitglieder sind regelmäßig hier in Ungarn bei uns. Wir sind sehr dankbar für diesen Rückhalt und auch das Interesse an dem, was wir hier machen.
Was gefällt Ihnen an Ungarn?
R.W.: Die entspannte Stimmung, die man in vielen Bereichen findet, ob am Balaton-Strand, auf den ungarischen Straßen oder auf belebten Märkten. Wir haben hier im Alltag noch nie aggressive Menschen erlebt.
Wir nehmen auch eine besondere Wertschätzung von Senioren, Kindern und generell von Familien wahr. Es gibt viele Vergünstigungen für ältere Menschen, und beim Einkaufen mit unserem Baby erleben wir jedesmal eine überwältigende Hilfsbereitschaft – die Einkäufe werden aufs Kassenband gelegt und sogar bis ins Auto getragen, wenn ich allein mit meiner Tochter im Supermarkt einkaufe.
Man wird mit kleinem Kind auch häufig freundlich angesprochen und kommt so ins Gespräch mit netten und ganz herzlichen Menschen.
P.W.: Die Familie aus Vater, Mutter und Kindern wird als natürlich und positiv angesehen. Diese Normalität wird zumindest teilweise auch geschützt vor äußeren Einflüssen. Als Vater finde ich die Erhaltung der klassischen Familie als optimale Struktur für das Zusammenleben in einer Gesellschaft und das Heranwachsen der Kinder wichtig und erstrebenswert.
Gleichzeitig steht es in Ungarn natürlich andersdenkenden Menschen frei, ihre Meinung kundzutun und Paraden oder Demos zu veranstalten, so wie letzten Sonnabend die alljährlich stattfindende Budapest Pride.
Wie geht es Ihnen jetzt in Ihrer neuen Heimat?
R.W.: Wir fühlen uns sehr wohl in Ungarn und genießen das Familienleben mit unseren Gästen – auf dem Hof, in der Natur und mit den Tieren.
Es gibt auch immer etwas zu tun. Wir sind ja erst vor Kurzem in unsere erste Gästesaison gestartet. Es gibt noch viele Dinge, die wir lernen müssen. Es ist aber jedesmal eine große Freude für uns, wenn sich die großen und kleinen Gäste bei uns auf dem Hof wohl fühlen.
P.W.: Das Lernen der ungarischen Sprache ist eine Herausforderung, aber wir möchten uns hier mit den Einheimischen gut verständigen und uns auch sprachlich eingliedern. Deshalb haben wir eine Lehrerin engagiert, bei der wir beide lernen. Sie bietet ihren Ungarischkurs für Anfänger und Fortgeschrittene bei uns übrigens auch für andere Interessenten an.
Was erwartet Ihre Gäste auf dem Naturhof-Ungarn?
P.W.: Wir bieten auf dem Hof Ferienhäuser, Appartements und Camping-Stellplätze in familiärer Atmosphäre an. Unsere Gäste haben die Möglichkeit, am Hofleben teilzuhaben, die Natur und Ruhe zu genießen und mit unseren Tieren in Kontakt zu kommen. Wir haben Ponys, Esel, Hunde, Katzen, Hühner und sogar zwei Minischweine. Vor allem für die Kinder ist der Umgang und das Mitmachen bei den Tieren eine tolle Gelegenheit, diese hautnah zu erleben.
Es ist immer wieder schön zu sehen, wie schnell die Kinder miteinander und mit den Tieren vertraut werden und zusammen die Hühner versorgen oder im Heu spielen.
Aber auch für Menschen, die einfach nur Entspannung und Ruhe suchen, gibt es zahlreiche Möglichkeiten auf dem Hof und in der Umgebung. Nur zehn Autominuten von uns entfernt befindet sich das große Thermalbad von Zalakaros.
Für Hundeurlauber haben wir ein Ferienhaus auf einem separaten Grundstück mit großem umzäunten Garten und viel Platz für die Tiere.
R.W.: Darüber hinaus bieten wir gemeinsame Aktivitäten für die ganze Familie an, unter anderem Bogenschießen, Pizzabacken im Holzofen, Pferdeprogamme für Kinder, Spaziergänge mit Ponys und Eseln, Badeausflüge und vieles mehr.
Es gibt bei uns selbstgebackenes Brot aus dem Holzofen, Marmelade und Likör zum Probieren und je nach Jahreszeit frisches Obst und Gemüse aus dem Garten. Im Gemeinschaftsbereich sitzen Gäste und Bewohner oft gemütlich zusammen und genießen bei einem leckeren Glas aus dem Weinkeller gemeinsam die entspannte Abendstimmung.
Was sind Ihre Pläne? Was wollen Sie noch anbieten?
R.W.: Ab nächstem Jahr bieten wir auch Kutschfahrten direkt vom Hof aus an. Ich bin in Deutschland Kutsche gefahren und möchte das auch hier wieder aufnehmen, besonders da wir direkt in die umliegenden Felder und Wiesen fahren können – das ist einfach herrlich.
P.W.: Wir veranstalten Anfang September ein großes Flohmarkt-Event hier auf dem Hof, mit Bewirtung, Musik und Übernachtungsmöglichkeiten. Diese Art von Veranstaltungen möchten wir für Einheimische und Besucher weiter ausbauen.
Unser ursprüngliches Konzept aus Deutschland „Wohnen auf dem Bauernhof“ werden wir jetzt hier in Ungarn umsetzen. Dafür haben wir ein Baugrundstück neben dem Hof erworben, auf dem sechs neue Wohnungen zur Langzeitmiete entstehen werden. Die Baugenehmigung dafür haben wir vor Kurzem erhalten.
Haben Sie einen Rat für zukünftige Auswanderer?
P.W.: Die Immobilienanzeigen im Internet zeigen oft nur einen Ausschnitt der Realität. Man sollte insbesondere auf Dinge wie Lage, Nachbarn, Ortsbild und Infrastruktur achten. Natürlich sollte man auch ganz genau den Zustand der Bausubstanz persönlich in Augenschein nehmen.
Es empfiehlt sich, genügend Zeit mitzubringen, um in Ruhe eine Entscheidung treffen zu können. In den Wintermonaten sind viele Unterkünfte günstiger zu mieten, und man kann für einige Wochen oder Monate im Land bleiben, um sein Traumimmobilie in Ruhe zu finden. Auch wir bieten außerhalb der Saison Wohnungen zu günstigen Konditionen an.
R.W.: Bevor man sich für ein Land entscheidet, in das man einwandern möchte, sollte man sich genau mit den dort gültigen Vorschriften befassen. Insbesondere, wenn man Kinder hat, sind Fragen nach Kindergarten, Schulsystem und medizinischer Versorgung unerlässlich, damit man keine bösen Überraschungen erlebt.
Zu guter Letzt möchten wir Menschen Mut machen, die eine Veränderung in ihrem Leben wünschen, weil sie vielleicht merken, dass es so wie bisher nicht optimal läuft. Traut euch, euren Wünschen nachzugehen, nicht planlos, aber beständig und entschieden! Es kommt nicht darauf an, wie groß der erste Schritt ist, sondern in welche Richtung man geht.
Naturhof-Ungarn
Familie Wiech
Kossuth utca 3 und 5
8756 Kisrécse
Weitere Teile der BZ-Serie „Nach Ungarn ausgewandert“:
BZ Magazin 06/2021: Kabarettist Detlev Schönauer
BZ Magazin 18/2022: Ehemalige Kommunalpolitikerin Christiane Wichmann
BZ Magazin 19/2022: Webdesignerin und Biografin Emily Paersch
BZ Magazin 20/2022: Gesundheitsberaterin Dorothea Heinzel
BZ Magazin 21/2022: Zweifache Mutter Conny S.
BZ Magazin 22/2022: Ehemaliger Polizist Klaus Kauder
BZ Magazin 01/2023: Marketingexperte Viktor Végh
BZ Magazin 03/2023: Einwanderungsberaterin Diana Bednar
BZ Magazin 06/2023: Die Handwerkerfamilie Kittel
BZ Magazin 09/2023: Ungarisch-Lehrerin und Übersetzerin Anna Berg
BZ Magazin 11/2023: Die Familie Scherer
BZ Magazin 12/2023: Die Pferdeliebhaber Petra und Wilfried Böske
BZ Magazin 13/2023: Finanzdienstleister Jürgen Schwarz
BZ Magazin 13/2023: Violinist Erwin Lindenbaum
Endlich mal eine Familie die nicht aus Frust nach Ungarn gekommen ist. Sehr schön, viel Erfolg und Freude in der neuen Heimat.
Die haben doch hier geschrieben, daß ihre Pläne in Deutschland gescheitert sind, aber in Ungarn nicht.
Wobei Frust auch ganz gut für andere, in der Öffentlichkeit nicht so angesehene und für die eigene Persönlichkeit als negativ empfundene Gründe, herhalten kann, wie z.B. Armut oder finanzielle Gründe. Man sagt zwar, dass Armut kein Grund zur Schande sei, das tatsächliche Verhalten vieler Mitmenschen ist in der Realität jedoch häufig anders, zum Teil sogar völlig entgegengesetzt.
Deshalb auch von mir viel Erfolg und alles Gute in Ungarn. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass Ihr Lebenskonzept beruflich wie privat aufgeht.
Dirk Hohensohn sagt:
22. Juli 2023 13:04 um 1:04 pm Uhr
Die haben doch hier geschrieben, daß ihre Pläne in Deutschland gescheitert sind, aber in Ungarn nicht.
Das sind sie, aber mangels Platz und geeigneter Objekte für ihr Vorhaben. Von “Deutschland aus Frust verlassen” habe ich nichts gelesen.