Nach Ungarn ausgewandert
Wie ein Nachbar aufgenommen
Was hat Sie bewogen, Österreich zu verlassen und nach Ungarn zu ziehen?
Erwin Brunnthaller (E.B.): Meine Beziehungen zu Ungarn waren ursprünglich rein geschäftlicher Natur. Bereits 1991, kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, habe ich begonnen, Niederlassungen meines Unternehmens in Tschechien, der Slowakei und Ungarn zu eröffnen. Unser Unternehmen, das seit 1888 besteht, hat eine lange Tradition – angefangen hatte alles mit einer kleinen Schmiede, die mein Urgroßvater gegründet hat. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Schmiede zu einem erfolgreichen Unternehmen, das heute in dritter Generation von meiner Familie geführt wird und hochmoderne Landmaschinen herstellt. Die Öffnung des Ostens war für uns eine einmalige Chance zur Expansion, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Ich erinnere mich noch gut an diese spannende Zeit: Die Märkte öffneten sich, es herrschte Aufbruchstimmung und wir hatten die Chance, neue Partnerschaften zu knüpfen.
Wie kam es dazu, dass Sie schließlich sogar Ihren Lebensmittelpunkt nach Ungarn verlegt haben?
E.B.: Nachdem ich die Firma in Österreich an meinen Sohn übergeben hatte und in Pension gegangen war, empfahl mir mein Arzt, in einem trockeneren Klima zu leben, um meine Gesundheit zu verbessern. Der Süden Ungarns schien mir dafür ideal, da das Klima dort wärmer und weniger feucht ist als in Österreich, was mir sehr gut getan hat. Mit Hilfe eines Freundes, der bereits in Südungarn im Komitat Bács-Kiskun lebte, fand ich schnell ein geeignetes Haus in Kiskunmajsa, direkt neben dem dortigen Thermalbad. Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Besuche hier, als ich das Haus zum ersten Mal sah. Es war ein einfacher, aber charmanter Ort mit viel Potenzial, der es mir auch ermöglichen sollte, meinem Hobby, der Gartenarbeit, nachzugehen.
Wie wurden Sie in Ungarn aufgenommen?
E.B.: Schon bei meinen geschäftlichen Unternehmungen wurde ich immer freundlich empfangen, und auch jetzt sind mir die Menschen in meiner Nachbarschaft sehr herzlich und offen begegnet. Das hat mir sehr geholfen, mich in Ungarn wohlzufühlen und einzuleben. Mit der Zeit fühlte ich mich in der ungarischen Gemeinschaft richtig zu Hause und genoss die Ruhe und Gelassenheit des Lebens. So blieb ich auch nach meiner Genesung hier.
Wie ging es dann weiter?
E.B.: Wenn man sein Leben lang gearbeitet und etwas aufgebaut hat, ist es schwer, einfach still zu sitzen. Nach einigen Jahren im Ruhestand habe ich gemerkt, dass mir das Geschäft fehlt. Ich wollte wieder etwas aufbauen. So beschloss ich, gemeinsam mit meiner Frau Klári ein Unternehmen in Ungarn zu gründen, das sich auf Lohnfertigung in der Metallverarbeitung spezialisierte und Produkte für den österreichischen Markt lieferte. Das Lohngefälle zwischen West und Ost machte ein solches Unternehmen sehr lukrativ und war die Basis für unser Geschäftsmodell. Aber nicht nur die geringeren Lohnkosten machen das Geschäft profitabel – vor allem der Fleiß und das Engagement der ungarischen Mitarbeiter tragen entscheidend zum Erfolg unseres Unternehmens bei. Auch meine Frau Klári unterstützt mich tatkräftig. Sie war mir von Anfang an eine große Hilfe. Zuerst hat sie als Dolmetscherin die Kommunikation mit unseren Geschäftspartnern erleichtert, später ist sie in die Geschäftsführung eingestiegen. Ich selbst verbringe immer noch etwa drei Stunden am Tag in der Firma. Diese Routine ermöglicht es mir, den Kontakt zu Mitarbeitern und Kunden zu pflegen und mich aktiv in das Unternehmensgeschehen einzubringen.
Was gefällt Ihnen hier besonders gut?
E.B.: Ich wurde nie als „Fremder“ behandelt, sondern wie ein Nachbar aufgenommen. Vor allem am Anfang, als ich die Sprache noch nicht beherrschte, haben mir die Ungarn geholfen, wo sie nur konnten, und mir das Leben sehr erleichtert. Auch das Gemeinschaftsleben ist hier intensiver als in Österreich. Man nimmt sich Zeit füreinander, hilft sich gegenseitig und feiert oft gemeinsam. Der Umgang mit der Zeit ist anders. Pünktlichkeit steht nicht an erster Stelle, sondern wie man die Zeit miteinander verbringt. Selbst im Geschäftsalltag sind kleine Verspätungen kein großes Problem, sondern werden mit einer Gelassenheit aufgenommen, die ich sehr schätze. Dieser entspannte Umgang prägt den Alltag und macht das Leben hier insgesamt weniger stressig.
Sie leben jetzt seit über 20 Jahren in Ungarn. Wie war das am Anfang, als sich Ungarn dem Westen öffnete?
E.B.: Als ich 1998 nach Ungarn kam, spürte man überall die Freude der Menschen über die wiedergewonnene Freiheit. Diese Aufbruchstimmung war fast greifbar, und man konnte den Wunsch der Ungarn spüren, endlich ihren eigenen Weg zu gehen. Es war eine aufregende, aber auch anstrengende Zeit. Als Ungarn 2004 in die EU aufgenommen wurde, musste das Land den Anschluss an den Westen finden und gleichzeitig mit den Veränderungen Schritt halten. Vor allem die Infrastruktur hat sich spürbar verändert. Besonders deutlich wurde dies auf den Straßen. Anfangs waren sie noch voller Schlaglöcher, Pferdefuhrwerke und uralte Autos prägten das Bild. Doch bald wurden die Straßen ausgebaut, immer mehr Neuwagen waren unterwegs. In den Ballungszentren entstanden neue Betriebe und es herrschte eine allgemeine Aufbruchstimmung. Ich war begeistert, Teil dieser dynamischen Entwicklung zu sein, und fühlte mich motiviert, meinen Teil dazu beizutragen.
Wie hat sich das Land verändert?
E.B.: Ungarn, das traditionell ein Agrarland war, hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark industrialisiert. Das hat neue wirtschaftliche Möglichkeiten geschaffen, vor allem für Unternehmen, die den Markt hier erschließen wollen. Der Staat hat viel getan, um diesen Wandel zu fördern und Investitionen anzuziehen, sei es durch Steuervergünstigungen oder den Ausbau der Infrastruktur. Der Aufbau des Sozial- und Gesundheitssystems blieb jedoch auf der Strecke. Hier hätte man viel mehr tun müssen.
Wann haben Sie Ihre Frau kennengelernt?
E.B.: Klári und ich haben uns bereits 1998 kennen gelernt, gleich zu Beginn meiner Zeit in Ungarn. Ein guter Freund hatte mir meine zukünftige Frau als Dolmetscherin empfohlen. Sie beherrschte nicht nur die deutsche Sprache sehr gut, sondern hatte auch einen guten Geschäftssinn. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut, sowohl fachlich als auch menschlich. Dennoch dauerte es sechs Jahre, bis aus unserer Zusammenarbeit auch eine private Partnerschaft wurde. Zwei Jahre nach unserem näheren Kennenlernen haben wir dann geheiratet, das war 2006.
Frau Brunnthaller, wie haben Sie die deutsche Sprache gelernt?
Klára Brunnthaller (K.B.): In der Schule habe ich Deutsch abgewählt, weil ich damals keinen Zugang zur Sprache finden konnte. Aber unsere Familie betrieb eine Pension mit 35 Zimmern, in der wir schon vor der Wende vor allem ostdeutsche Touristen beherbergten. Durch den ständigen Kontakt mit unseren Gästen kam ich wieder mit der deutschen Sprache in Berührung. Mein Wortschatz war anfangs sehr begrenzt und reichte gerade aus, um die alltäglichen Bedürfnisse unserer Gäste zu befriedigen – sei es das Servieren des Frühstücks oder eine kurze Unterhaltung beim Mittag- oder Abendessen. Ich erinnere mich besonders an die vielen freundlichen Gespräche, bei denen unsere Gäste geduldig waren und mir halfen, die richtigen Worte zu finden. Diese Momente haben mir nicht nur geholfen, die deutsche Sprache besser zu lernen, sondern auch eine besondere Verbindung zu unseren Gästen aufgebaut. Es war eine wertvolle Lernzeit, in der ich durch alltägliche Situationen und viele praktische Anwendungen immer sicherer in der Sprache wurde. Als dann ein Professorenehepaar aus Deutschland für längere Zeit bei uns war, nutzte ich die Gelegenheit, meine Sprachkenntnisse zu vertiefen. Ich entdeckte meine Freude an der Sprache und merkte, dass ich immer sicherer wurde.
Wie kommen Sie mit der westlichen Mentalität zurecht?
K.B.: In den 90er Jahren, als der Tourismus im ehemaligen Jugoslawien zum Erliegen kam, hatten wir plötzlich mehr Gäste aus Deutschland, Österreich, Belgien und den Niederlanden. Das war eine Chance für uns, den Tourismus anzukurbeln, aber wir hatten nicht genügend Kapazitäten. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir manchmal sogar im Garten gezeltet haben, um die letzten freien Zimmer an unsere Gäste vermieten zu können. Damals war der EU-Beitritt für Ungarn noch in weiter Ferne und wir lernten die westliche Mentalität vor allem durch unsere Gäste kennen. Sie brachten neue Ansichten und Gewohnheiten mit, zum Beispiel neue Erwartungen an den Komfort oder eine andere Vorstellung davon, wie Dienstleistungen erbracht werden sollten, und wir mussten uns erst darauf einstellen. Bis heute fällt mir auf, dass es hier in Osteuropa oft etwas ruhiger zugeht. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass die Menschen aus den westeuropäischen Ländern vieles sofort wollen und weniger Geduld haben, wenn es darum geht, auf etwas zu warten.
Was machen Sie heute?
K.B.: Unsere Firma läuft sehr gut und wir haben inzwischen einige Mitarbeiter eingestellt, die mich bei der Büroarbeit entlasten. Nach den vielen Jahren als Geschäftsführerin in der Firma meines Mannes hatte ich aber den Wunsch, noch einmal etwas Neues zu wagen. Da sind Erwin und ich uns sehr ähnlich. Ich war damals auf Kur, um mich vom stressigen Geschäftsalltag zu erholen, und lernte dort durch einen glücklichen Zufall Sijoy kennen – einen hervorragenden Ayurveda-Praktiker aus Indien, der ebenfalls offen für eine Veränderung war.
Mein Mann und ich waren schon lange von der ayurvedischen Heilkunst begeistert. Erwin hat vor rund 20 Jahren seine erste Ayurveda-Kur gemacht, und auch ich habe die positive Wirkung dieser Anwendungen schätzen gelernt. Die Begegnung mit Sijoy hat mich inspiriert und in mir den Wunsch geweckt, Ayurveda auch anderen Menschen zugänglich zu machen. Mit Sijoy als erfahrenem Ayurveda-Therapeuten, meiner organisatorischen Erfahrung und der Unterstützung von Erwin haben wir schließlich gemeinsam eine Ayurveda-Massagepraxis aufgebaut.
Und nun bieten Sie Ayurveda in Kiskunmajsa an?
K.B.: Ja, genau. Wir haben in unserem Garten ein separates Haus, das speziell für Ayurveda-Anwendungen eingerichtet ist. Es ist ein ruhiger Ort, der Entspannung und Heilung ermöglichen soll. Uns ist es wichtig, so nah wie möglich an den traditionellen Methoden zu bleiben. Deshalb verwenden wir nur Heilöle und Kräuter, die wir direkt aus Indien beziehen. Da die indische Heilkunst hier in Ungarn noch nicht so verbreitet ist, möchte ich Ayurveda nicht nur den Menschen anbieten, die wegen des Bades nach Kiskunmajsa kommen, sondern auch der einheimischen ungarischen Bevölkerung näher bringen. Tatsächlich haben wir inzwischen sehr viele ungarische Gäste, die unser Angebot schätzen und regelmäßig zu uns kommen. Unsere Lage ist auch ideal, um Menschen aus verschiedenen Teilen des Landes anzuziehen, vor allem aus den nahe gelegenen Städten Szeged und Kecskemét. Wir möchten einen ruhigen Ort bieten, an dem fernöstliche Heilkunst und ungarische Gastfreundschaft zusammenwirken.
Welche Hoffnungen und Pläne haben Sie für die Zukunft, sowohl für sich persönlich als auch für Ihr Ayurveda-Projekt?
K.B.: Mein Mann und ich wünschen uns vor allem, gesund zu bleiben und auch im Alter noch die Energie zu haben, aktiv zu sein. Unser Ayurveda-Projekt ist nicht nur für unsere Gäste, sondern auch für uns selbst eine Quelle der Gesundheit und Ausgeglichenheit. Diese Arbeit erfüllt uns und gibt uns Kraft, und diese Erfahrung möchten wir gerne weitergeben. In Zukunft möchten wir das Projekt weiter ausbauen. Wir möchten die Anzahl der Gäste, die wir empfangen können, erhöhen und planen, ayurvedische Spezialisten hinzuzuziehen, um die Behandlungen noch tiefer und individueller gestalten zu können. Unser Ziel ist es, unser Studio zu einem Ort zu machen, an dem die Menschen wirklich Kraft tanken können, und wir selbst wollen weiter lernen und wachsen.
Weitere Informationen zum Ayurveda-Studio: arnikaayurveda.hu