Nobelpreisträger
Physik-Nobelpreisträger Ferenc Krausz: „Für mich rückt die medizinische Prävention in den Mittelpunkt meines Forscherlebens, ich werde alle meine Kräfte darauf konzentrieren, dieses Projekt zum Erfolg zu führen.“ Fotos: Mandiner/ Árpád Földházi

Interview mit dem Nobelpreisträger für Physik, Ferenc Krausz

Meine Stärke liegt in meiner Konzentration

„Es ist wunderbar, dass Ungarn die Geburtenrate anheben will. Aber ebenso müssen wir anstreben, die Zahl der in Gesundheit verbrachten Lebensjahre zu erhöhen“, meint Ferenc Krausz.

Im Gespräch erzählt der frischgebackene Nobelpreisträger von seiner Kindheit in Mór, seinem Ungarntum und einem bahnbrechenden ungarischen Projekt.

Ihr Gebiet ist die Attosekundenphysik, neun von zehn Menschen wissen ganz sicher nicht, was das ist. Womit genau beschäftigen Sie sich und wofür bekamen Sie den Nobelpreis?

Grundlegend untersuchen wir die schnellsten in der Natur vor sich gehenden Prozesse: Die Bewegung von Elektronen in Atomen, etwa in Molekülen auf der magischen Zeitskala von Attosekunden. Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde, wir sprechen also von Prozessen, die im Vergleich zur modernen Elektronik nahezu eine Milliarde Mal schneller sind. Der Nobelpreis wurde uns für Versuche zuerkannt, die wir in der Grundlagenforschung ausführen konnten. Konkret gelang es uns, diese Attosekunden-Lichtpulse zu erzeugen und zu messen. Daraufhin konnten wir die Bewegung von Elektronen in Atomen und Molekülen in Echtzeit verfolgen.

Welche Auswirkungen haben diese Forschungen auf unseren Alltag?

Im Ergebnis der Forschungsarbeit gelangten wir schon eingangs des 21. Jahrhunderts in die Pilotphase. In den letzten zwanzig Jahren versuchten wir gewissermaßen herauszufinden, wo wir unsere Erkenntnisse einsetzen können. Davon ging allein die Hälfte der Zeit dafür drauf, Gewissheit zu erlangen, dass unsere Methode auch wirklich so funktioniert, wie wir uns das erhofft hatten. Das mag für Laien enttäuschend viel Zeit sein, aber bei neuartigen Methoden benötigt man diese Geduld.

Aber wie erlangt man diese Gewissheit?

Indem wir mit der Untersuchung – relativ einfacher – Phänomene beginnen, deren zeitliche Abläufe wir bereits aus anderen Untersuchungen und/oder theoretischen Berechnungen kennen. Elektronenprozesse, die wir bereits bis ins Detail kannten, konnten wir nun mit Hilfe der Attosekunden-Messtechnik in Echtzeit abbilden. Dadurch konnten wir die Wissenschaftsgemeinschaft davon überzeugen, dass unsere Methode perfekt funktioniert. Wovon wir hier reden, ist so etwas wie eine Attosekunden-Stoppuhr. Bei einer klassischen Stoppuhr kommt niemand auf die Idee, deren Funktionsweise in Frage zu stellen – genau diesen Beweis mussten nun auch wir antreten. Und das brauchte ein Jahrzehnt.

Wie ging es dann weiter?

Das zweite Jahrzehnt handelte von dem, was Sie in Ihrer ersten Frage ansprachen: In welchen komplexen Systemen können wir die neue Methode zur Anwendung bringen? Da gibt es die Nanostrukturen, in denen Minitransistoren den Strom ein- und ausschalten, um auf diese Weise elektronische Geräte wie beispielsweise Telefone zu betreiben. Seit ungefähr zwanzig Jahren bewegt sich die Zeit, um den Strom in modernen integrierten Schaltkreisen ein- und auszuschalten, um eine Zehntel Nanosekunde. Dieses An- und Ausschalten verursacht jedoch Wärme, die den Schaltkreis in Mitleidenschaft ziehen kann. Es ist dieses Phänomen, das uns daran hindert, die Arbeitsweise von integrierten Schaltkreisen zu beschleunigen, um noch schnellere Rechner zu schaffen.

Haben Sie in dieser Hinsicht einen Durchbruch erzielen können?

So weit sind wir noch nicht. Wir haben aber mit Attosekunden-Messungen gezeigt, dass das elektrische Feld des Lichts im Labor den Strom in makroskopischen „Schaltkreisen“ einhunderttausend Mal schneller bewegen kann, als dies in modernen Nano-Schaltkreisen der Fall ist. Im Versuch funktioniert das also bereits. Es bedarf aber noch sehr, sehr vieler Forschungen, ehe wir diese Methode auf die Nanoskala heben können. Wenn das klappt, werden unsere Rechner in zehn oder fünfzehn Jahren zu hunderttausend Mal höheren Leistungen imstande sein.

Ein zweites Anwendungsgebiet, das unseren Alltag grundlegend beeinflussen kann, ist die präventive Medizin. Dieses Gebiet liegt mir persönlich näher, und dafür gibt es nun in Budapest ein eigenes Forschungszentrum. Für mich rückt die medizinische Prävention in den Mittelpunkt meines Forscherlebens, ich werde alle meine Kräfte darauf konzentrieren, dieses Projekt zum Erfolg zu führen.

Worum geht es hier konkret?

Informationen über die Moleküle in der Blutbahn, die wir dank Blutuntersuchungen mit Infrarotlicht gewinnen, können wir nutzen, um Veränderungen im Gesundheitszustand von Menschen wahrzunehmen, noch bevor sich Symptome einer Krankheit bemerkbar machen. Heute ist es leider zumeist noch umgekehrt der Fall. Bei zahlreichen chronischen Erkrankungen treten die Symptome erst in einem Stadium zum Vorschein, da sich der fortgeschrittene Prozess kaum noch umkehren lässt. Indem wir den Gesundheitszustand der Menschen einem systematischen Monitoring unterziehen, können wir Menschenleben retten. Selbstverständlich ist diese Idee an sich nichts Neues. Seit Jahrzehnten bewegt uns dieses Problem, doch stellt sich die Frage, warum das Gesundheitswesen dann nicht so funktioniert?

Was denken Sie?

Weil wir die notwendigen Bedingungen noch nicht sicherstellen können. Erstens muss es sich um einen sogenannten minimalinvasiven Eingriff handeln, um ein einfaches Verfahren, das mit keinen sonderlichen Belastungen und Schmerzen der Menschen einhergeht und kein ernsthaftes Gesundheitsrisiko in sich birgt. Andernfalls würde die Bevölkerung einer solchen Untersuchung sehr skeptisch gegenüberstehen, und zwar völlig zurecht.

Zweitens muss das Verfahren kostengünstig sein, um es breitenwirksam anwenden zu können. Drittens muss uns die Untersuchung ausreichende Informationen vermitteln. Primär sollten wir Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie metabolische Syndrome wie Zucker im frühestmöglichen Stadium erkennen können. Diese Erkrankungen sorgen für ungefähr drei Viertel der vorzeitigen Todesfälle in der Welt.

Sollten vernünftig finanzierbare Vorsorgeuntersuchungen der Bevölkerung auf die drei genannten Krankheitsgruppen hin möglich werden, dann retten wir damit nicht nur Leben, sondern helfen darüber hinaus auch der Volkswirtschaft. In Ungarn ist die durchschnittliche Lebenserwartung heute ungefähr fünf Jahre geringer, als im Westen Europas. Bei den in Gesundheit verlebten Jahren sieht es sogar noch schlechter aus. Das heißt konkret, dass in Ungarn viele tausend Menschen schon vor dem Erreichen des Rentenalters aus dem Arbeitsleben ausscheiden, weil ihre Gesundheit angeschlagen ist. Diese Menschen schaffen nicht länger Werte für die Gemeinschaft, sie kommen das Gesundheitswesen teuer zu stehen.

Es ist wunderbar, dass Ungarn der Anhebung der Geburtenrate strategischen Rang einräumt. Die Familienpolitik steht dermaßen im Fokus, dass man uns für die absolute Führungsrolle in Europa Anerkennung zollt. Wir müssen nun mit gleicher Intensität anstreben, dass nicht nur die Fruchtbarkeitsrate, sondern auch die Anzahl der gesunden Lebensjahre zunimmt. Am effektivsten lässt sich das erreichen, wenn wir die am weitesten verbreiteten chronischen Krankheiten mit Vorsorgeuntersuchungen wie beschrieben schon im Frühstadium aufdecken. Unser Projekt am Budapester Forschungszentrum „Molekularer Fingerabdruck“ (CMF) in Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching handelt genau von der Entwicklung eines solchen Präventionssystems.

Nobelpreisträger

FERENC KRAUSZ wurde 1962 in Mór geboren. 1985 machte er gleichzeitig seinen Abschluss in Elektrotechnik an der TU Budapest (BME) und in Theoretischer Physik an der ELTE. Er begann seine Forschungstätigkeit in Laserphysik unter Leitung von József Bakos am Physikinstitut der BME und wechselte dann als Doktorand an die TU Wien. Dort promovierte er 1991 in Laserphysik und habilitierte 1993. Später war er an der gleichen Universität als Dozent sowie als Professor tätig. Krausz erlangte in dieser Zeit die österreichische Staatsbürgerschaft. Seit 2003 lebt er in Deutschland, wo er als Direktor des Max Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching tätig ist. Seit 2004 hält er zudem eine Professur für Experimentalphysik an der Ludwig Maximilians-Universität München (LMU). Seit 2003 ist er Mitglied der Akademie der Wissenschaften Österreichs, 2005 wurde er zum Ehrendoktor der TU Budapest ernannt, 2007 wurde er Korrespondierendes Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA). Seine bahnbrechenden Forschungsergebnisse werden weltweit in zahlreichen Forschungsinstituten genutzt, darunter im Laserzentrum ELI-ALPS in Szeged. Ferenc Krausz gilt als Begründer der Wissenschaft der Attosekundenphysik. Im Jahre 2022 erhielt er gemeinsam mit seinem Forschungsteam den Wolf-Preis für Physik für – wie es in der Begründung hieß – „bahnbrechende Beiträge zur Ultrakurzlaserforschung und Attosekundenphysik“.

Kehren wir zurück zu den Anfängen! Warum haben Sie sich für dieses Wissenschaftsgebiet entschieden und wodurch wurde Ihr Interesse an der Physik erweckt?

Dafür gab es einen einzigen Grund: meinen Lehrer Herrn Kiss. Er war in der Grundschule mein Physiklehrer. Es waren andere Zeiten, die Lehrer waren noch sehr streng. Wenn Herr Kiss etwas erklärte, dann herrschte in der Klasse absolute Stille. Man konnte sogar noch das Summen von Fliegen hören. Aber wen das Thema interessierte, der konnte genau zuhören. So einer war ich.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Heimatstadt Mór?

Ich bewahre in meinem Geist die schönen Erinnerungen auf. Ich bin zwar kein Weißweintrinker, aber diese Hügellandschaft ist herrlich. Mór liegt im Schoße des Vértes-Gebirges, unsere Schule lag praktisch direkt am Wald, dort verbrachte ich die meiste Zeit meiner Kindheit. Wir hatten viele Dummheiten im Kopf…

Verraten Sie uns etwas davon?!

Einmal legten wir ein kleines Feuer. Beim Löschen wollte ich die Glut mit meinen Schuhen ausdrücken. Die waren so gut wie neu, mit einer Gummisohle, die sich durch die Hitze arg verformte. Daheim gab’s Ärger mit meinem Vater. Ein anderes Mal baute mein Vater das Fahrrad vom Dreirad zum Zweirad um. Ich meinte, es wäre eine gute Idee, das Zweirad auszuprobieren, indem wir uns zu dritt draufsetzen. Ich stand in der Mitte und trat die Pedale, ein anderer Junge aus meiner Klasse saß auf dem Lenker, der dritte auf dem Fahrradsitz. Das ging auch eine Weile gut, bis wir an eine Regenrinne gelangten, an der das Vorderrad wegen der zu großen Last schlappmachte. Zu Hause gab es auch dafür nicht eben Applaus. Es gab noch mehr solcher Fälle, aber letztlich wurde ich Physiker, also befand ich mich wohl auf dem richtigen Weg des Experimentierens.

Und die Jahre an der Universität? Waren Sie ein Bücherwurm oder eher ein Partygänger?

Es gab schon große Feiern, doch weil ich kein besonderes Talent besaß, musste ich hart studieren. Kürzlich hatte ich einen Doktoranden aus einem anderen europäischen Land bei mir. Der war noch keine zwölf Jahre alt, als er seinen MBA in Physik machte. Er landete bei mir, weil er der Überzeugung war, als Physiker der Menschheit Nutzen zu bringen. Doch letztlich trennten sich unsere Wege, weil er nicht begreifen wollte, dass sich diese Tätigkeit vom Studieren an einer Hochschule unterscheidet. Es reicht nicht aus, immer noch mehr Wissen in sich aufzusaugen – darin war der junge Mann wirklich unglaublich. Wir sollten uns aber nicht nur bekanntes Wissen aneignen, sondern unbekannte Dinge erforschen. Dieses „Wunderkind“ wollte stattdessen parallel ein Medizinstudium absolvieren. Das geht aber nicht, wenn wir unserer Arbeit, die so viele Fragezeichen mit sich bringt, hundert Prozent unserer Aufmerksamkeit schenken müssen.

Ich erwähnte ja bereits, dass ich kein besonderes Talent habe. Meine Stärke liegt darin, dass ich mich außerordentlich konzentrieren kann. Und wenn ich mir ein Ziel setze, verfolge ich es entschlossen. Mit beharrlicher Arbeit habe ich gelernt, Fragen auszuklammern, die an sich spannend sein könnten, uns aber dem großen Ziel nicht näher bringen. Viele Forscher verlieren sich in Details. Auf unserem Weg begegnen wir so viel Neuem, dass eine eiserne Disziplin vonnöten ist. Das hat rein gar nichts mit Talent zu tun.

Nobelpreisträger
„Es reicht nicht aus, immer noch mehr Wissen in sich aufzusaugen. Wir sollten uns nicht nur bekanntes Wissen aneignen, sondern unbekannte Dinge erforschen. “

Sie begannen Ihre berufliche Laufbahn Mitte der 1980er Jahre noch in Ungarn, wechselten aber ziemlich früh nach Wien, und 2003 weiter nach Deutschland. Warum haben Sie Ungarn verlassen?

Das ging nicht anders, denn hierzulande waren die Bedingungen für Forschungen von Weltniveau nicht gegeben. Die Experimentalphysik verlangt den Einsatz der modernsten, empfindlichsten und genauesten Instrumente. Die aber kosten viel Geld, und das fehlte. Meine Diplomarbeit, die ich unter Anleitung von Prof. Tibor Juhász am Institut für Physik der TU Budapest schreiben konnte, war schon ein kleines Wunder. Konkret konnten wir einen wirklich guten Laser funktionstüchtig machen, um dann in Versuchen Impulsdauermessungen vorzunehmen. Es fehlte uns aber der Gerätepark, um mit diesem Laser wirklich bahnbrechende Forschungen anzustellen. Ich hatte die Wahl. Wenn ich in Ungarn geblieben wäre, dann hätte ich mich damit abfinden müssen, mittelmäßigen Forschungen nachzugehen.

Ich denke, das ist es nicht wert. Entweder erreicht man die Höhen seines Fachs, oder man sucht sich besser gleich eine andere Beschäftigung. Zum Glück sind heute andere Rahmenbedingungen vorhanden, so dass wir in Ungarn dafür wirken können, die Ziele des CMF zu verwirklichen.

Auf die Nobelpreise reagierten manche mit dem Verweis, die ungarischen Nobelpreisträger vereine der Umstand, dass sie fast alle aus Ungarn gescheucht wurden, dass die Heimat nicht einmal stolz auf sie war. Was halten Sie von solchem Gerede?

Diese Behauptung macht in dieser Form keinen Sinn. Ich weiß nichts damit anzufangen, dass „die Heimat nicht stolz auf ihre Nobelpreisträger“ ist. Oder dass sie „verscheucht“ wurden. Wie ich schon sagte, waren damals einfach die Bedingungen nicht gegeben. Das war der einzige Grund, und wahrscheinlich war das nicht nur bei mir so. Wenn wir wollen, dass Entdeckungen von Weltruf nicht nur mit Ungarn entstehen, sondern mit Ungarn, die diese hierzulande erreichen, dann müssen wir mehr Finanzmittel bereitstellen. Und da sehe ich spürbare Veränderungen.

In den 1980er Jahren hatten normale Forschungsteams im Westen zehn bis zwanzig Mal mehr finanzielle Mittel, als vergleichbare Teams in Ungarn. Heute hat sich dieser Unterschied vielleicht auf das Zwei- oder Dreifache verringert. Das ist immer noch enorm viel, dennoch sind hier die Möglichkeiten für eine internationale Wettbewerbsfähigkeit gegeben, wenn man sich entsprechend auf sorgfältig ausgewählte Teilgebiete konzentriert. Wo die grundlegenden Bedingungen hinsichtlich Personal und Infrastruktur für anspruchsvolle Forschungen gegeben sind, dort können wir international mithalten. Das ELI-ALPS-Forschungsinstitut in Szeged ist dafür ein sehr gutes Beispiel, und ich hoffe doch sehr, das Gleiche trifft auch für das Forschungszentrum „Molekularer Fingerabdruck“ (CMF) zu.

Sie sagen, dass Sie Österreich und Deutschland viel zu verdanken haben, aber an erster Stelle doch Ungar bleiben. Was bedeutet es für Sie, Ungar zu sein?

Die ungarische Herkunft ist so tief in einem verankert, dass sich die Frage eigentlich gar nicht stellt. Selbst wenn man Jahrzehnte weit weg von Ungarn lebt, ändert sich nichts daran. Das dürfte genetische Ursachen haben, aber das ist schon wieder ein anderes Wissenschaftsgebiet. (Er lacht.) Das ungarische Herz schlägt immer ungarisch, da ist es vollkommen gleichgültig, wer wo welche Erfolge erzielt.

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„Wenn wir wollen, dass Entdeckungen von Weltruf nicht nur mit Ungarn entstehen, sondern mit Ungarn, die diese hierzulande erreichen, dann müssen wir mehr Finanzmittel bereitstellen. Und da sehe ich spürbare Veränderungen.“

Was hält man von uns Ungarn nach Ihren Erfahrungen etwa in Deutschland in Bezug auf die Wissenschaften?

Man redet mit größtem Respekt von den Ungarn, wir werden in der Welt der Wissenschaften hoch anerkannt. Persönlichkeiten wie Leó Szilárd, Ede Teller, János Neumann und viele weitere ungarische Wissenschaftler, die später Weltruhm erlangten, wechselten zunächst nach Deutschland als jenes nahe Land, das ihnen herausragende Bedingungen für ihre Tätigkeit bieten konnte. Die Machtergreifung der Nazis zwang diese großen Köpfe schließlich, in die USA auszuwandern. Während ihrer Schaffensjahre in Deutschland begründeten mehrere dieser ungarischen Forscher eigene Schulen, wie zum Beispiel das John von Neumann-Institut für Computing (NIC). Der gute Ruf, der ungarischen Forschern in Deutschland und ganz Europa vorauseilt, darf uns mit großem Stolz erfüllen.

Wie steht es um die Forschungen am Budapester Forschungszentrum „Molekularer Fingerabdruck“ (CMF), das auch Zuschüsse von Seiten der Regierung erhält?

Wir stehen noch ganz am Anfang. Diese Geschichte nahm ihren Anfang in Deutschland, wo wir eine Kooperation mit den Kliniken der Universität München und deren Professoren eingingen, die sich zunächst auf das Gebiet der Krebserkrankungen konzentrierte. Im Verlauf von sieben Jahren haben wir mehr als fünfzigtausend Bluttests von Patienten mit acht unterschiedlichen Krebserkrankungen gesammelt. Unsere Infrarot-Lasermethode zum Messen des molekularen Fingerabdrucks konnte bei allen untersuchten Krebserkrankungen jene Signale aus den Infrarot-Lichtwellen filtern, welche eindeutig der Krankheit zugeordnet werden können. Es handelt sich dabei um Blutmoleküle, die einwandfrei einen Tumor markieren. Hier in Budapest haben wir gemeinsam mit dem Team um Prof. Béla Merkely und Dozent Tamás Radovits an der Semmelweis-Universität angefangen, Proben zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sammeln. Die ersten Ergebnisse stimmen auch hier zuversichtlich. Ähnlich verhält es sich bei der Diagnose von Diabetes und Prädiabetes. Es sieht ganz danach aus, dass unsere Technologie bei all diesen Krankheitstypen funktionieren kann.

Das hat uns ermutigt, die Latte höher zu legen und die Frage fortan so zu stellen: Kann unsere Methode diese schweren chronischen Krankheiten bereits in ihrem Frühstadium erkennen, wenn diese noch effizient behandelt und mitunter sogar geheilt werden können? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir eine große Zahl Probanden, die am Anfang garantiert gesund sind, über einen langen Zeitraum beobachten, mit häufigen Blut­entnahmen und von Zeit zu Zeit auch tiefergehenden Untersuchungen. Nur über einen Beobachtungszeitraum von fünf bis zehn Jahren mit einer entsprechend großen Anzahl an Probanden lässt sich ausreichend genau feststellen, in welchem Frühstadium unsere Methode imstande ist, die Krankheit zuverlässig vorauszusagen. Wir haben bereits mehr als 35.000 Blutproben gesammelt, für eine Antwort auf diese Frage bedarf es aber weiterer vier, fünf Jahre intensiver Forschungen. Dessen ungeachtet können wir schon heute als greifbares Ergebnis vorweisen, dass wir die Gesundheit unserer Probanden schützen.

Was haben Sie denn feststellen können?

Dass sich mehr als 3.000 unter 10.000 Probanden im Prädiabetes-Stadium befinden. Ohne unsere Untersuchungen wären diese Menschen in die Krankheit geschlittert, aus der es kein Zurück gibt. So aber wurde es diesen Personen möglich, nach Konsultationen mit dem Hausarzt oder einem Facharzt gezielte Änderungen an ihrer Lebensweise vorzunehmen. Befolgen diese Menschen den ärztlichen Rat, dann können sie die Zahl ihrer in Gesundheit verbrachten Lebensjahre drastisch erhöhen. Dass unser Programm „Health for Hungary – Hungary for Health“ zustande kommen konnte und sich vielversprechend entwickelt, ist unserem fantastischen CMF-Team und den zehntausend hilfsbereiten Landsleuten zu verdanken, die im wahrsten Sinne des Wortes ihr Blut geben für das Gesundheitswesen der Zukunft. Wir dürfen zurecht stolz sein auf diese auch im Weltmaßstab einzigartige Initiative ihrer Art.

„Dass unser Programm „Health for Hungary – Hungary for Health“ zustande kommen konnte und sich vielversprechend entwickelt, ist unserem fantastischen CMF-Team und den zehntausend hilfsbereiten Landsleuten zu verdanken, die im wahrsten Sinne des Wortes ihr Blut geben für das Gesundheitswesen der Zukunft. Wir dürfen zurecht stolz sein auf diese auch im Weltmaßstab einzigartige Initiative ihrer Art.“

Für eine langfristige Nachhaltigkeit müssen wir aber noch große Investitionen in die Infrastruktur vornehmen. Das CMF nimmt seine breitgefächerten Tätigkeiten von den klinischen Untersuchungen über die Biobank und den molekularen Fingerabdruck bis zur Technologieentwicklung derzeit an unterschiedlichen Betriebsstätten vor. Um ein qualitativ hochwertiges Monitoring der Probanden zu erreichen, die Qualität der Proben auf lange Sicht zu erhalten und diese so effizient wie möglich messen und analysieren zu können, wird es unabdingbar sein, all diese Tätigkeiten unter einem Dach zusammenzuführen. Eine nationale Biobank als Teil unserer Infrastrukturplanung würde zusammen mit den H4H-Proben und entsprechenden Gesetzesänderungen den ungarischen Hochschulen und Forschungsinstituten einen unermesslichen Wettbewerbsvorteil bei der künftigen medizinischen und biologischen Forschung verschaffen.

Aus dem Ungarischen übertragen von Rainer Ackermann.

Das hier nur leicht gekürzt wiedergegebene Interview erschien ursprünglich Mitte Oktober im konservativen Wochenmagazin Mandiner.

Lesen Sie hier ein Porträt der ungarischen Medizin-Nobelpreisträgerin Katalin Karikó.

Ein Gedanke zu “Meine Stärke liegt in meiner Konzentration

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