Philharmonisches Orchester Győr
Neues Publikum durch neue Formate
Nach langen Jahren als halbprofessionelle kulturelle Einrichtung erlangte das Ensemble 1968 den offiziellen Status eines Berufsorchesters und spielt seitdem eine tragende Rolle im kulturellen Leben der Stadt Győr.
Als Intendant Géza Fűke im Jahre 2008 die Leitung des Orchesters übernahm, begann eine neue Zeitrechnung im Leben der Győrer Philharmoniker. Mit den personellen Veränderungen ging eine Erneuerung des Orchesters einher, deren Arbeit von Professionalität, innovativen Lösungen und höchstem fachlichen Niveau geprägt ist.
GÉZA FŰKE
- geboren: 1971, verheiratet, drei Söhne
- Studierte an der Ferenc Liszt-Hochschule für Musik Klarinette
- Mitglied verschiedener Bläserensembles
- 1999-2003 Mitglied des Orchesters des Győrer Nationaltheaters, parallel Aushilfsklarinettist im Philharmonischen Orchester
- Mitwirkung bei zahlreichen CD-Aufnahmen
- Weltweite Konzertreisen
- Seit 2008 Intendant der Győrer Philharmoniker
- Träger zahlreicher Auszeichnungen
- 2021 ausgezeichnet mit dem Ritterkreuz des Ungarischen Verdienstordens
Seine weltweite Bekanntheit verdankt das Győrer Philharmonische Orchester zahlreichen Gastspielen nahezu im gesamten europäischen Ausland, aber auch in den wichtigsten Konzerthäusern Asiens.
Der Erfolg der jüngeren Geschichte basiert unter anderem auch auf der Zusammenarbeit mit weltberühmten Vertretern der klassischen Musik, wie zum Beispiel den Dirigenten Mariss Jansons, Kobayashi Ken-Ichiro, Zoltán Kocsis und Solisten von höchstem Rang, unter ihnen Plácido Domingo, Dezső Ránki, Sabine Meyer, José Cura, um nur einige zu nennen.
Wir treffen den Intendanten, Géza Fűke, an einem probenfreien Vormittag in seinem Büro im Hauptquartier des Orchesters in der Győrer Innenstadt.
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Seit nunmehr fast 15 Jahren geben Sie als Intendant des Győrer Philharmonischen Orchesters sozusagen den Ton an. Was hat sich in dieser Zeit maßgeblich verändert?
Zunächst einmal fand ein Generationswechsel statt, viele der noch aktiven Gründungsmitglieder wurden nach 40 Dienstjahren von jungen aufstrebenden Musikern abgelöst. Für mich als frischgebackenen Intendanten – selbst noch relativ jung und unerfahren in dem Metier – war dies eine spannende Zeit, eine Herausforderung. Natürlich hatte ich hochgesteckte Ziele: Dem Orchester zu Aufschwung zu verhelfen, die Philharmonie zu einem kulturellen Zentrum zu machen, das künstlerische Niveau zu heben und dadurch die gesellschaftliche Reputation zu festigen. Dafür war ein völlig neues innovatives Konzept notwendig, das Öffentlichkeitsarbeit, Programmplanung und Konzertorganisation umfasst. Mein Motto lautete von Anfang an: „Die Győrer sollen ihr eigenes Orchester wiederbekommen”, soll heißen, das Orchester durch Publikumsnähe ins Bewusstsein der Menschen rufen.
Das ist Ihnen offensichtlich gelungen, die Konzerte der Győrer Philharmoniker sind stets ausverkauft. Wer hat Sie auf diesem Weg begleitet, wen würden Sie als ikonische Persönlichkeit hervorheben?
Als Wegbegleiter möchte ich auf jeden Fall Kálmán Berkes nennen, der seit 2009 zunächst Chefdirigent war und bis heute als Künstlerischer Leiter des Orchesters tätig ist. Er war maßgeblich beteiligt an der fachlichen und künstlerischen Entwicklung der Philharmoniker.
Eine wichtige Personalie war die Neubesetzung der Position des Chefdirigenten: Vor zwei Jahren konnten wir Martin Rajna, ein vielfach ausgezeichnetes Ausnahmetalent, für uns gewinnen. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Ausstrahlung und seines Fingerspitzengefühls versteht er es trotz seines jugendlichen Alters, die Mitglieder des Orchesters absolut professionell zu Höchstleistungen zu führen. Einfach Weltklasse!
Als ikonisch würde ich das Ensemble als Ganzes bezeichnen, die Musiker sind sowohl einzeln als auch als Team einfach wundervoll.
Eine Truppe von über 100 Künstlern der unterschiedlichsten Charaktere zusammenzuhalten, ist für Sie als Intendant bestimmt eine Herausforderung. Wie bewältigen Sie das?
Meine Musiker sind allesamt Profis und wir verfolgen dasselbe Ziel, nämlich hochklassige musikalische Produktionen auf die Bühne zu bringen. Trotzdem war es anfangs für mich nicht immer einfach, die drei bis vier Generationen von Musikern unter einen Hut zu bringen. Als Intendant muss ich selbstverständlich ein gesundes Maß an Autorität ausstrahlen, denn ein großes Orchester braucht eine Führungspersönlichkeit mit Ansehen. Die Stimmung unter den Orchestermitgliedern ist freundschaftlich kollegial, die zwischenmenschlichen Beziehungen fördern die Solidarität und den Zusammenhalt. Das schlägt sich in ihrem Engagement nieder und bringt das angestrebte Ergebnis sowie den gewünschten Erfolg.
Damit sich Künstler voll auf ihre Arbeit konzentrieren können, brauchen sie geordnete Verhältnisse, auch im finanziellen Bereich. Wie sieht die Finanzierung des Orchesters aus?
Der Träger unseres Orchesters ist die Stadt Győr, das heißt wir sind alle städtische Angestellte. Daneben haben wir eine Reihe von Sponsoren und Unterstützern, wie zum Beispiel das Ministerium für Humanressourcen. Unsere Medienpartner sind der Lokalsender Győr+ Média und M5, der Kultursender des ungarischen Fernsehens. Worauf wir aber besonders stolz sind, ist die Tatsache, dass die Audi Hungaria Zrt. als Premiumpartner unsere Arbeit unterstützt. So stellt uns das Unternehmen mit den vier Ringen zum Beispiel einen ganz ansehnlichen Fuhrpark zur Verfügung, wofür wir sehr-sehr dankbar sind.
Hinzu kommt noch der Erlös aus dem Ticket- und Abonnementverkauf.
Wenn wir schon beim Thema Karten und Abonnements sind: Wie stellen Sie das Programm einer Spielzeit zusammen, damit es möglichst attraktiv ist?
Bei der Auswahl der Werke sind wir immer darauf bedacht, dass sie eine möglichst breite Zuhörerschaft ansprechen. Zum Glück ist das Győrer Publikum außerordentlich vielseitig und auch für ausgefallenere Musikstücke zu haben. Grundsätzlich halten wir uns bei der Zusammenstellung eines Konzertangebotes an drei wesentliche Punkte: Programm, Dirigent, Solist. Wenn zwei davon das Publikum ansprechen, haben wir schon gewonnen. Dennoch wagen wir es zuweilen, von diesem Muster abzuweichen. So veranstalteten wir kürzlich ein Konzert, das weniger bekannte Werke im Angebot hatte, sowohl der Dirigent als auch der Solist waren hier eher unbekannt. Trotzdem wurde es ein voller Erfolg.
Die verschiedenen Abonnements bieten jeweils ein vielseitiges Musikangebot, so dass jedes Konzert eine entsprechende Anziehungskraft ausübt und dem jeweiligen Publikumsgeschmack entgegenkommt.
Győr ist mit etwa 130.000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt Ungarns. Bietet sie ausreichendes Publikumsinteresse?
Der Name und die Geschichte unseres Orchesters sind eng mit der Stadt Győr verknüpft, das hiesige Publikum ist überaus interessiert und kulturell anspruchsvoll, aber wir geben in der ganzen nordwestlichen Region Ungarns regelmäßig Konzerte. So konzertieren wir seit Jahren auch in Sopron, Veszprém, Tatabánya und sogar in der slowakischen Stadt Dunaszerdahely (Dunajska Streda), auch diese Abonnementkonzerte sind allesamt sehr gut besucht. Auf diese Weise hat sich das Győrer Philharmonische Orchester zu einem regionalen Orchester gemausert, was natürlich auch seiner Bekanntheit zu Gute kommt.
Des Weiteren spielen wir auch im Palast der Künste (MüPa) in Budapest sowie bei verschiedenen Musikfestivals des Landes.
Als nonverbale Kunstgattung hat die Musik einen riesigen Vorteil, sie ist nicht an Sprache gebunden. Wir sind unheimlich stolz, dass wir während der vergangenen Wochen zweimal im Konzertsaal des Wiener Musikvereins zu Gast sein durften. Das ist eine große fachliche Anerkennung, zumal wir bei dieser Gelegenheit die Ehre hatten, mit der berühmten Klarinettistin Sabine Meyer zusammen zu spielen. Das war nicht nur für mich als Klarinettisten, sondern auch für das ganze Ensemble ein phantastisches Erlebnis.
Die pandemiebedingten schwierigen Jahre waren für alle Kulturschaffenden belastend, wie haben Sie und das Orchester diese Zeit gemeistert?
In der Tat waren das schwierige Zeiten, aber mit großem Engagement und kreativen Lösungen ist es uns gelungen, relativ unbeschadet durch den ersten Lockdown zu kommen. Die Musiker probten fleißig zu Hause, so intensiv, wie es sonst vielleicht gar nicht möglich gewesen wäre. Unser treues Publikum versorgten wir via Streaming mit musikalischen Leckerbissen.
Als es hieß „Maradj otthon!” (Bleib zu Hause!) wagten wir ein Abenteuer: Wir setzten uns ins Auto, fuhren in die Wohngebiete und gaben kleine Straßenkonzerte für die Bewohner. Es war unbeschreiblich, wie dankbar die Menschen waren, sie lauschten uns an den Fenstern und Balkonen, belohnten uns mit endlosem begeisterten Applaus. Für dieses Erlebnis müssten wir fast dankbar sein, die Reaktion der Menschen gab uns Kraft und Motivation.
Als dann die ersten Lockerungen kamen, begannen wir mit sektionierten Proben und kehrten Schritt für Schritt in die Normalität zurück. Wir hatten das Gefühl, dass die Kultur während der Pandemiezeit an Bedeutung gewonnen hatte. Als wieder Konzerte veranstaltet werden durften, verbuchten wir außerordentlich hohe Publikumszahlen. Die Spielzeit 2021/22 war dann wieder ein ganz normales erfolgreiches Jahr.
Und jetzt haben Sie mit der Energiekrise zu kämpfen, wie geht das Orchester mit dieser Herausforderung um?
Natürlich müssen wir sparen, vor allem beim Heizen, nachts und am Wochenende wird die Heizung heruntergedreht, dadurch können wir 20 bis 30 Prozent der Heizkosten einsparen. Morgens ist es zwar etwas frisch, aber wir nehmen es gelassen. Manche Abonnements mussten zwar ausgesetzt bzw. zusammengelegt werden, aber wir arbeiten, proben, geben Konzerte und das vor ausverkauftem Haus, denn das Publikum hält uns die Treue. Der Ticketverkauf läuft sehr gut, so dass wir mit den Erlösen zufrieden sein können.
Da das Győrer Nationaltheater für die Wintermonate schließen musste, geben wir dem Theater übergangsweise ein zweites Zuhause. In unserem Haus werden hauptsächlich Musicals, Operetten und Opern aufgeführt. Für die Schauspieler, Sänger und unsere Musiker ist dies eine spannende Erfahrung. Die außergewöhnliche Zusammenarbeit ist inspirierend und setzt kreative Energien frei.
Auch ein Orchester darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen und muss sich ständig erneuern. Was gibt es Neues?
Noch vor der Pandemie, in der Spielzeit 2017/18 führten wir ein neues Konzertformat ein. Dabei handelt es sich um ein „kurzes Konzert” von 70 Minuten Länge, das jeweils um 17:18 Uhr beginnt. Die Zielgruppe sind einerseits Musikliebhaber aus der Agglomeration, die nach der Arbeit nicht erst nach Hause fahren müssen, sondern ihren Arbeitstag mit einem musikalischen Erlebnis beenden können. Andererseits denken wir an Senioren, die spät abends ungern unterwegs sind. Und nicht zuletzt an Familien mit Kindern, die es nicht einrichten können, in ein abendfüllendes Konzert zu gehen. Zum 17:18-Konzert können sie ihre Kinder mitbringen, für die Kleinsten bieten wir während des Konzertes professionelle Kinderbetreuung. Diese Konzertreihe wurde sehr gut angenommen, so dass wir sie auf jeden Fall weiterführen werden.
Eine absolute Neuigkeit sind die „Musizierenden Wochenenden” für musikinteressierte Kinder, auch ohne musikalische Vorbildung. Im vergangenen Sommer organisierten wir ein Sommercamp, das ein durchschlagender Erfolg war. Wir sind der Meinung, dass die lange Zeit bis zum nächsten Sommer mit musikalischen Erlebnissen verkürzt werden sollte, so planten wir thematische Wochenenden für die jüngsten Musikfans ein – quasi eine Art interaktiven Musikunterrichts. Anfang Februar drehte sich zwei Tage lang alles um „Romeo und Julia“: Die Kinder erfuhren alles rund um die zeitgenössische Musik und auch über die Musikinstrumente. Mit Mannschaftsspielen stellten sie den Wettstreit zwischen den Familien der Capulet und Montague nach. Dabei spielte auch die rhythmische Begleitung eine große Rolle. Sowohl die Teilnehmer als auch die involvierten Orchestermitglieder hatten sichtlich eine Menge Spaß. Das musizierende Wochenende schloss mit der Aufführung von Prokofiews Romeo und Julia-Suite im 17:18-Konzertformat.
Das Repertoire Ihres Orchesters beinhaltet eine breite Palette von klassischen Werken aus den verschiedensten Epochen, für dieses Genre besteht eine stabile Publikumsbasis. Sehen Sie Möglichkeiten, auch weniger klassikbegeisterte Menschen für die Philharmoniker zu gewinnen?
Selbstverständlich! Wir haben auch schon einige Konzertabende organisiert, die mit sogenannter Unterhaltungsmusik in symphonischem Arrangement allesamt einen riesigen Publikumserfolg verbuchen konnten.
Im Oktober vergangenen Jahres führten wir in der Audi Arena „The Music of James Bond“ zusammen mit drei sensationellen Sängerinnen auf. Mit dieser Produktion waren wir vor einigen Wochen im Brucknerhaus Linz zu Gast und ernteten auch dort begeisterten Beifall.
Ende Februar drehte sich an zwei Abenden alles um ABBA. Wir begleiteten drei ebenso phantastische Sängerinnen und zwei tolle Sänger. Es herrschte eine unbeschreibliche Stimmung, am Ende tanzte fast der ganze Saal und es schallte „Thank you for the music“.
Für die Zukunft planen wir auf jeden Fall weitere Cross-over-Konzerte dieser Art, nicht zuletzt um eine zusätzliche Publikumsschicht anzusprechen. Frei nach unserem Motto „Alle spielen” sollte unser musikalisches Angebot möglichst viele Menschen zum Mitspielen und Mithören einladen.
In diese spielerische Kategorie gehört auch das Überraschungs(Schwimmbad)konzert, das am 1. April – das ist kein Scherz – im Aqua Sportzentrum stattfindet. Humor, Witz und Spaß sind garantiert!
PHILHARMONISCHES ORCHESTER GYŐR
János Richter-Konzert- und Konferenzsaal
H-9021 Győr, Aradi vértanúk u. 16
Kasse: (+36-80) 205-015
(geöffnet von Montag bis Freitag, 10-17 Uhr)
Telefon.: (+36-96) 312-452
gyfz.hu/de
Tickets: gyfz.hu/de/karten