Gespräch mit der neuen Leiterin des Goethe-Instituts Ungarn Dr. Evelin Hust
Neue Akzente bei Zukunftsthemen
Frau Hust, Sie sind jetzt seit einem halben Jahr vor Ort. Was sind Ihre ersten Eindrücke von Budapest?
Ich bin total begeistert von der Stadt. Vorher war ich für viereinhalb Jahre in Bukarest am dortigen Goethe-Institut. Ich muss sagen, dass ich mit meiner neuen Heimat Budapest sehr glücklich bin. Denn als Mainzerin fühle ich mich sehr wohl in einer Stadt mit einem großen Fluss, an dem man flanieren kann. Das ist einfach toll hier. Überraschend fand ich allerdings, wieviel Armut überall zu sehen ist, besonders wenn man die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt. Ich meine nicht nur Obdachlosigkeit, sondern Mittellosigkeit generell. Ich dachte vorher, Ungarn sei diesbezüglich wesentlich weiter als Rumänien. So wird es zumindest immer vermittelt. Dem scheint aber nicht so zu sein. Natürlich ist die Stadt selbst im Vergleich zu Bukarest viel besser renoviert.
Wie finden Sie die regelmäßigen Ortswechsel, die zur Arbeit als Goethe-Direktorin gehören?
Produktiv! Manchmal braucht es frischen Wind und in einer Institution muss auch Neues ausprobiert werden. Das passiert jedoch meist erst, wenn die Leitung wechselt. Hat man eine Weile an einem Ort verbracht, meint man, die Dinge zu kennen und schaut genau deswegen vielleicht gar nicht mehr so genau hin. Expertenwissen vor Ort ist natürlich wichtig, aber dafür gibt es die lokalen Experten. Prinzipiell mag ich diese Neuanfänge sehr. Ich habe gerade eine ganz andere Energie als in den letzten Monaten in Rumänien. Ich möchte als Leiterin frische Akzente setzen und dabei natürlich auch vieles von meinem Vorgänger fortsetzen. Den Wechselrhythmus von fünf bis sechs Jahren finde ich gut. Eine Zeit, die nicht zu kurz ist und ausreicht um gegenseitiges Vertrauen mit lokalen Partnern aufzubauen und Projekte zu realisieren.
Was waren bisher Ihre schönsten Erlebnisse in Budapest?
Aus beruflicher Sicht auf jeden Fall der Besuch des Dunapart-Festivals, das im Herbst 2019 Performances der ungarischen Offszene präsentierte. Ein sehr geballtes, intensives Erlebnis. In kurzer Zeit bekam ich dort viel über die Stimmung und die Themen der Künstler mit. Auch die Qualität der Stücke beeindruckte mich.
Und aus privater Sicht?
…genieße ich vor allem das Budapester Wetter, die Berge, die Donau und die schönen Ausflugziele. Neulich war ich das erste Mal am Sissi-Turm auf dem Jánosberg… Ich freue mich schon auf die Fahrradsaison, denn ich habe mir bereits ein ungarisches Csepel-Fahrrad angeschafft. Der Frühling kann kommen!
Was waren Ihre Schwerpunkte am Bukarester Goethe-Institut?
In Rumänien bestand eine meiner Hauptaufgaben in der Suche einer neuen Liegenschaft. So verbrachte ich einen Großteil meiner Zeit mit der Immobiliensuche anstatt mit dem Programm. Außerdem war ich gleichzeitig auch für die Republik Moldau zuständig, die als ehemaliger Sowjetstaat auch noch ganz anders funktioniert.
Wie sehen Sie Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen den Themen in Ihrer Budapester und Bukarester Arbeit?
Insgesamt arbeite ich immer sehr länderspezifisch, mit einem Fokus auf relevante Fragen vor Ort. In Rumänien gibt es weniger Kulturinstitutionen. Es existiert zwar ein Museum für zeitgenössische Kunst, aber das arbeitet auf einem ganz anderen Niveau als das Budapester Ludwig-Museum, was natürlich vor allem daran liegt, dass die Gelder knapper sind. Als Goethe-Institut haben wir deswegen dort viel mit der Offszene kooperiert. Das planen wir auch hier, beispielsweise mit der dieses Jahr stattfindenden Off-Biennale in Budapest. Allerdings ist es hier etwas anderes, denn die Dichte an Institutionen ist viel größer, was die Form der Zusammenarbeit verändert. Ähnlich bleibt jedoch, dass wir versuchen über den Tellerrand der Hauptstadt hinauszuschauen und auch in anderen Regionen des Landes mit lokal verfassten Organisationen Projekte zu realisieren. In Rumänien geschah dies gemeinsam mit lokalen Kulturgesellschaften in Klausenburg, Temeswar oder Hermannstadt. In Ungarn gibt es hierfür Partnerschaften mit dem deutschen Kulturforum in Debrecen und dem Lenau-Haus in Pécs, die wir unterstützen. Auch mit Veszprém als zukünftiger Kulturhauptstadt 2023 stehen wir in Kontakt über die Bedürfnisse und Ideen vor Ort. Natürlich möchte ich auch Aktivitäten meines Vorgängers in diesem Bereich fortsetzen. Dazu gehört das Format der Ortsgespräche.
Was wollen Sie noch von Ihrem Vorgänger Michael Müller-Verweyen übernehmen?
Das Goethe-Institut verfügt über eine Linientätigkeit, das heisst die grundlegenden Funktionen des Goethe-Instituts bleiben unverändert. So wird beispielsweise die Zusammenarbeit und Förderung von Filmfestivals fortgesetzt. Konkret zählt hierzu das Internationale Menschenrechts-Dokumentarfilmfestival Verzió, das Budapester Internationale Dokumentarfilmfestival BIDF und selbstverständlich unser eigenes Filmfestival „Sehenswert“, das wir jährlich gemeinsam mit dem Österreichischen Kulturforum und der Schweizerischen Botschaft organisieren.
Was ist das Neue, das Sie ans Institut bringen?
Die neuen Akzente, die ich setzen will, beziehen sich auf Zukunftsthemen, insbesondere Digitalität. Natürlich befassen wir uns auch mit der Vergangenheit, aber ich finde es vor allem spannend, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Anfang März veranstalten wir deshalb einen Workshop zum Thema Künstliche Intelligenz. Mit einer heterogenen Gruppe von Teilnehmern, die wir zur Zeit über eine offene Ausschreibung suchen, soll hier erarbeitet werden, welche konkreten Bereiche wir innerhalb dieses riesigen Themenkomplexes der KI in den nächsten Jahren weiterverfolgen. Der Workshop steht im Rahmen eines größeren Projektes, das sich Generation A=Algorithmus nennt und gemeinsam mit der Goethe-Zentrale in München und dem Auswärtigen Amt stattfindet.
An wen richtet sich der Workshop?
Der Workshop ist insbesondere an die 18-bis 30jährigen adressiert. Denn vor allem diese Altersgruppe wird die neuen Richtungen und Technologien für die nächsten Generationen implementieren. So wird Künstliche Intelligenz für die jüngere Generation Z, also die von 1997 bis 2012 Geborenen, wahrscheinlich in ihrem Leben schon bestimmend sein. Wir wollen mit dem Projekt eine breitere Gesellschaftsschicht ansprechen. Im Moment gewinnt man oft den Eindruck, dass KI eine Art Geheimwissenschaft sei, die im Verborgenen entwickelt wird. Sie betrifft uns irgendwie, aber eigentlich wissen die meisten gar nicht so recht, wie genau. Hier wollen wir eine breitere Öffnung erreichen.
Wie geht es nach dem ersten Schritt weiter?
Natürlich werden wir uns nicht in ein Tech-Unternehmen verwandeln. Uns interessiert die sozialwissenschaftliche und künstlerische Bearbeitung der Frage: Was bedeutet KI gesellschaftspolitisch? Welche Utopien und populären Mythen bestehen zu dem Thema? Was können wir tun, damit die Zukunft so aussehen wird, wie wir sie uns vorstellen möchten? Dass diese Themen gerade auch kulturell und künstlerisch angegangen werden, ist wichtig, denn oft wird das noch vernachlässigt. Der Workshop ist der Auftakt zu dem Projekt. Sicher ist auch, dass wir dieses Jahr noch einen Roboter in Residence bekommen werden.
„Roboter in Residence“ – das klingt spannend, wie kann man sich das vorstellen?
Die Goethe-Zentrale in München hat bereits zwei Roboter gekauft. Beides humanoide Modelle, sogenannte Naos. Wir hoffen, dass einer von beiden im Herbst zu uns kommt. Er soll in der Bibliothek des Goethe-Instituts residieren, aber auch durchs Land reisen, Schulen und andere Institutionen besuchen, um eine Kontaktaufnahme zu ermöglichen. Wir sind auch auf der Suche nach einem Künstler, der mit ihm arbeitet. Der Roboter soll vor Ort mit lokalen Informationen gefüttert werden, anschließend zieht er zur nächsten Station weiter, wo er wieder neue Informationen bekommt. Für uns ist das ein sehr spannender, neuer Prozess. Was für Begegnungen werden stattfinden und wie wird sich der Roboter dadurch entwickeln? Auch für unsere Institution konkret ist KI ein spannendes Feld, denn neben den Veränderungen im Arbeitsleben besteht für uns auch die existenzielle Frage, wie sich das Lernen verändert. Als Institution, die Sprachkurse anbietet, ist es natürlich durchaus wichtig, sich zu fragen, ob die Menschen zukünftig überhaupt noch Sprachen lernen oder ob alles per Übersetzungsmaschinen geregelt werden wird.
Welche Partner hat das Projekt?
Da sind wir noch in der Auswahl. Generell befördern wir eine breite Aufstellung und sind sehr offen für mögliche Partner, sowohl aus dem Wirtschaftsbereich als auch aus dem Universitären. Momentan arbeiten wir bereits mit dem Unternehmen C hoch 3 zusammen.
Gibt es noch weitere Zukunftsthemen im Programm?
Am 18. April sind wir an einer Ausstellungseröffnung zum Thema „Das Cabinet des Dr. Caligari“ beteiligt. Anlass ist der 100. Geburtstag der Filmpremiere. Hier verbinden wir ein historisches Nachdenken über den Expressionismus und sein Weltgefühl der 20er Jahre, das heute ja zumindest in Deutschland oft als präsentes Lebensgefühl wieder heraufbeschworen wird, mit der zeitgenössischen Zukunftstechnologie der Virtual Reality, mit deren Hilfe man in der Ausstellung durch das Filmset von 1920 wandern kann. Daneben beschäftigt uns schon länger die Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit in welchem Bereich?
Wir hatten ja bereits zahlreiche Beiträge auf Filmfestivals oder Diskussionen zum Thema. Jetzt aber schauen wir uns an, wie wir selbst als Institution nachhaltig arbeiten können. Gemeinsam mit ähnlichen Institutionen erkunden wir, wie ein nachhaltiges Veranstaltungsmanagement aussieht, wie man Festivals nachhaltiger gestaltet und wie unsere Institution möglichst ressourcenschonend betrieben werden kann. Wie können wir unsere eigenen Sachen wiederverwenden, wie ein besseres Catering herrichten? Wir reisen auch alle sehr viel – wie kann man internationale Festivals in dieser Hinsicht nachhaltiger gestalten? Auch bei diesem Thema sind wir offen für Partner und fördern gerne Projekte, die sich mit solchen Inhalten befassen.
Wird auch das große Roma-Projekt fortgesetzt, das in den letzten Jahren sehr präsent war?
Ein beständiger Fokus des Goethe-Instituts liegt in der Sichtbarmachung von Minderheiten. Minderheiten im weitesten Sinne. Die Aktivitäten mit der Roma-Minderheit laufen weiter. Gerade haben sich Jugendliche aus unterschiedlichen Ländern getroffen, um sich über positive Rollenbilder auszutauschen. Außerdem fand ein Workshop statt, in dem es darum ging, wie Hochschullehrer Romakultur und -geschichte in ihren Lehrplan einbauen können. Anlässlich des Roma-Aktionstages am 21. März, sind Aktivitäten rund um den Rákóczi-Platz im 8. Bezirk geplant. Als Auftakt präsentieren wir im Goethe-Institut ab Anfang März hierzu eine Ausstellung mit Bildern des ungarischen Fotografen Miklós Déri.
Wie sehen Sie die Rolle des Goethe-Instituts als deutscher Kulturvertretung?
Das Goethe-Institut versteht sich seit langer Zeit als Dialogpartner für „Kunst und Kultur aus Deutschland“. Das ist ein Unterschied zu „deutscher Kultur“. In der Vergangenheit entbrannten viele gesellschaftliche Debatten dazu: Wer definiert „deutsche Kultur“? Was ist deutsche Leitkultur? Inwieweit repräsentiert das Goethe-Institut deutsche Minderheiten vor Ort? Uns geht es ganz klar um das zeitgenössische Deutschland und seine aktuelle Kultur. Die Kulturszene ist natürlich sehr international geworden. Uns ist deshalb wichtig, dass die Wirkungsstätte in Deutschland liegt – auf den Pass schauen wir dabei nicht. Natürlich kann zeitgenössisch auch klassische Kultur sein, wie eine Neuaufführung von Goethes Faust. Diese Definition „Kultur aus Deutschland“ macht für uns mehr Sinn als der Begriff „deutsche Kultur“. Dabei ist für uns nicht eine Form der Repräsentationskultur entscheidend, die das Beste aus Deutschland überall zeigt, sondern wir befördern vielmehr einen Kulturaustausch und Dialog, der sich darauf konzentriert, was an einem Ort konkret aus Deutschland spannend und inspirierend sein könnte.
Dialog statt Repräsentation?
Ja, ich bin ein großer Freund von Residenzen und längerfristigen Koproduktionen, anstatt einfach nur schnelle Gastspiele einzuladen. So kann der jeweilige Künstler auch neue Erkenntnisse von hier wieder mit nach Deutschland nehmen.
A propos Dialog, haben Sie vor Ungarisch zu lernen?
Rumänisch war leichter, denn ich habe ein großes Latinum und verstand deswegen von Anfang an relativ viel. Im Ungarischen habe ich natürlich weniger Orientierung, auch wenn ich bereits vor meiner Ankunft mit dem Lernen angefangen habe. Es ist wirklich schwierig und der Aufwand ist sehr hoch. Gleichzeitig bin ich immer wieder begeistert, wieviele Kulturpartner in Ungarn der deutschen Sprache mächtig sind. Rumänien ist eher ein frankophoner Bereich, aber hier steht man der deutschen Sprache und auch Kultur viel näher. Aber ein bisschen mehr Ungarisch für den Alltag will ich schon lernen.
Welche Prioritäten haben Sie für Ihre Arbeit?
Mir ist die Zusammenarbeit im europäischen Kontext wichtig. Im Rahmen meiner Promotion und später durch meine Arbeit am Goethe-Institut war ich lange in Indien tätig. Dort stellte ich fest, dass es ein großer Unterschied ist, ob man in der EU arbeitet oder außerhalb. Ich finde es wichtig, dass wir hier das gleiche Parlament wählen und von ähnlichen Regeln betroffen sind. Insofern ist der Diskurs intensiver zwischen den Ländern und findet auf einer anderen Ebene statt, weil wir wissen, dass es auch um unsere gemeinsame Zukunft innerhalb einer politischen Entität geht. Das ist in Indien ganz anders. Grundsätzlich möchte ich möchte mich gesellschaftlichen Belangen widmen, die noch nicht politisch vereinnahmt sind, und die man ideologiefrei bearbeiten kann. Außerdem finde ich Prozesse spannend, in denen ein echter Dialog stattfindet. Viele beschäftigen sich mit diesen Zukunftsfragen und bis jetzt hat keiner ein Patentrezept gefunden. Es geht folglich um eine gemeinsame Suche nach Antworten und nicht die Vermittlung von bereits festen Inhalten.
Evelin Hust wurde in Mainz geboren. Sie studierte Politikwissenschaft, Indologie und Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg im Breisgau, an der University of Sussex, UK und an der Universität Heidelberg. Ihre Promotion erfolgte in Politikwissenschaft Südasiens. Ihre Dissertation schrieb sie zur 1991 in Indien eingeführten Frauenquote in Lokalparlamenten. Von 2001-2004 leitete sie die Zweigstelle des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg in New Dehli, Indien. Anschließend übernahm sie die Leitung des Goethe-Instituts in Bangalore, arbeitete danach als Referentin für Gesamtstrategie in der Goethe-Zentrale München und schließlich als Leiterin des Goethe-Instituts Bukarest. Seit September 2019 ist sie die neue Direktorin des Goethe-Instituts in Budapest.