Gespräch mit Maren Schoening, der Leiterin des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks
„Mehr Sachlichkeit wäre ratsam und zielführend“
Wie bewerten Sie die beiden Großveranstaltungen?
Es war ein toller Erfolg, dass wir beide Veranstaltungen gemeinsam mit starken Partnern organisieren und damit die enge und tiefe Verbundenheit von Deutschland und Ungarn deutlich machen konnten. Der 30. Jahrestag der Grenzöffnung war ein guter Anlass, um den vielen Ungarn zu danken, die an der Beendigung des kommunistischen Systems gearbeitet und die Öffnung des Eisernen Vorhangs möglich gemacht haben. Geschichte wird von Menschen gemacht und es war eine große Freude, dass so viele junge Teilnehmer während der beiden Veranstaltungen mit Zeitzeugen sprechen konnten. Doch so wichtig der Blick in die Vergangenheit ist, so sehr müssen wir auch die aktuellen und zukünftigen Fragen der deutsch-ungarischen Beziehungen diskutieren. Die neue Konzeption des Deutsch-Ungarischen Forums hat sich dabei als gute Plattform herausgestellt. Es war daher auch ein starkes Signal, dass seit 2014 erstmals wieder beide Außenminister das Forum eröffnet haben. In ihren Reden haben beide Minister auf das Gemeinsame und die europäischen Themen hingewiesen, auf die man zusammen reagieren müsse.
Auf beiden Veranstaltungen war deutlich zu spüren, dass es in Sachfragen immer wieder auch unterschiedliche Auffassungen geben kann und wird, der gemeinsame Dialog als gleichwertige Partner aber wichtig ist. Das Jugendwerk wird daher auch im nächsten Jahr zum weiteren Ausbau des Deutsch-Ungarischen Forums beitragen und weitere Dialogformate umsetzen.
Anders als beispielsweise das Deutsch-Französische Jugendwerk handelt es sich beim Deutsch-Ungarischen Jugendwerk um eine Gründung durch Privatpersonen. Was war deren Motivation?
Wir wollten zum einen ein Signal für den gemeinsamen Dialog setzen und zum anderen war uns auch klar, dass gerade bei jungen Leuten in beiden Ländern die Kenntnisse über das andere Land ausbaufähig waren und noch immer sind. Wir wollen das fördern und die Empathie junger Leute für das jeweils andere Land erhöhen. Dafür bieten wir Jugendaustausche, Dialogveranstaltungen, Sommercamps, Workshops und das Kennenlernen vor Ort an. Beide Länder sind so unterschiedlich: jedes Land hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Erfahrungen und sein politisches und gesellschaftliches System. Mir ist wichtig zu vermitteln, dass man sich auch in die Perspektive des Gegenübers hineinversetzen sollte. Nur so werden wir einander verstehen können. Und dann können wir auch voneinander lernen.
Wie haben sich die deutsch-ungarischen Beziehungen in den letzten Jahren entwickelt?
Mich ärgern die einseitige Berichterstattung in deutschen Medien über Ungarn und die Moralisierung von Sachthemen. Viele Leute in Deutschland neigen ja dazu, mit Hochmut auf die zu blicken, die nicht ihrer Meinung sind oder die andere Dinge und Themen für richtig halten. Deutsche und Ungarn müssen sich aber auf Augenhöhe begegnen.
Leider lese ich aber auch Stimmungsmache über Deutschland in ungarischen Medien. In dem Moment, wo die Moralkeule rausgeholt wird, stirbt jeder Dialog. Mehr Sachlichkeit wäre daher sicherlich ratsam und zielführend, ohne dabei wechselseitig auf offene Worte zu verzichten.
Ansonsten sind die deutsch-ungarischen Beziehungen viel besser, als einige Medien darstellen. Wir spüren das bei unseren Veranstaltungen, bei Austauschen im Rahmen von Städtepartnerschaften, der Wirtschaft, der Wissenschaft etc. Das Interesse ist auf beiden Seiten groß.
Dass sich junge Ungarn für Deutschland interessieren, kann man sich leicht vorstellen. Deutschland ist groß und bietet jungen Leuten viele Möglichkeiten. Aber wie sieht es umgekehrt aus: gibt es vergleichbares Interesse von jungen Deutschen an Ungarn?
Auf jeden Fall. Budapest ist eine moderne europäische Metropole und das hat sich auch bei jungen Deutschen herumgesprochen. Zunehmend stellen wir fest, dass sie sich nicht nur für die legendären Budapester Ruinenbars interessieren, sondern auch für die mittel- und osteuropäische Geschichte, die engen wirtschaftlichen Verflechtungen beider Volkswirtschaften und die Dynamik im Bereich von Start-up-Unternehmen. Über die Grenzöffnung durch Ungarn ist ja auch in deutschen Medien breit berichtet worden und eine neue Generation hat nun das erste Mal von den Ereignissen gehört und gelesen. Feiertage sind daher wichtig. Motivieren sie doch junge Menschen, auf die Spurensuche zu gehen.
Sie haben seit diesem Jahr ein Büro in Budapest, in dem sie auch Veranstaltungen durchführen wollen. Was ist geplant?
Wir werden in unserem Büro eine Vielzahl von Dialog-Veranstaltungen anbieten. Eine Veranstaltungsreihe wird die Diskussionen vom diesjährigen Deutsch-Ungarischen Forum mit kleineren Veranstaltungen fortsetzen und jungen Leuten die Möglichkeit geben, sich aus erster Hand zu informieren und Vorschläge für die Weiterentwicklung der deutsch-ungarischen Beziehungen zu erarbeiten. In diesem Jahr stehen noch die Themen „Ungarn und die EU“ und ein Seminar zum Thema „Klima, Energie, Nachhaltigkeit“ auf der Agenda.
Das nächste Jahr ist ein Jubiläumsjahr für das Deutsch-Ungarische Jugendwerk: Sie feiern das fünfjährige Bestehen. Gibt es dafür ein besonderes Programm?
Wir sind gerade bei der Programmentwicklung. Dafür haben wir eine Arbeitsgruppe mit jungen Leuten eingerichtet, die bei der Gestaltung des Programms mitwirken sollen und wollen. Klar ist schon, dass wir das Jubiläum nutzen und – neben einer offiziellen Feierstunde – auch Workshops und Diskussionsrunden zu aktuellen politischen Fragen der deutsch-ungarischen Beziehungen organisieren werden.
Was wünschen Sie sich für das nächste Jahr?
Ich wünsche mir erstens, dass wir weiterhin so viele tolle junge Leute bei unseren Veranstaltungen begrüßen und wir die Arbeit des Jugendwerks weiter ausbauen können.
Wir haben die Unterstützung der deutschen und der ungarischen Regierung und vieler hochrangiger Persönlichkeiten aus beiden Ländern. Ich würde mir daher sehr wünschen, dass noch mehr deutsche und ungarische Unternehmen unsere Arbeit inhaltlich und finanziell, zum Beispiel mit einer Firmenmitgliedschaft, unterstützen würden. So wie das jetzt schon Audi, Siemens, BTO und weitere tun. Das Prinzip des Jugendwerks ist, dass wir ältere Menschen unser Wissen und unsere finanziellen Möglichkeiten einbringen und damit für junge Leute eine Organisation und Plattform zum Austausch schaffen.
Mein dritter Wunsch ist schließlich der weitere Ausbau der deutsch-ungarischen Beziehungen und zu diesem Zweck auch die Neueinrichtung weiterer Austauschformate im Rahmen eines noch aufzulegenden Deutsch-Ungarischen Zukunftsfonds durch beide Länder. Das wäre eine Plattform, wo beide Länder einen festen Betrag einzahlen und wir damit noch viel mehr eigene Formate entwickeln und zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen könnten. Auch für Menschen, die schon über 35 Jahre sind und eigentlich nicht mehr zur Kernzielgruppe des Jugendwerks gehören.