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Claudia und Roland Gurdics-Gonzlik: "Als unsere Tochter hier in Ungarn zum ersten Mal wieder lachend und fröhlich aus der Schule kam, stand unser Entschluss fest, Deutschland zu verlassen." Fotos: Privat

Nach Ungarn ausgewandert: Claudia und Roland Gurdics-Gonzlik

Nie wieder zurück!

Claudia und Roland sind ein deutsch-ungarisches Paar. 2020 sind sie mit ihren drei Kindern – heute sechs, acht und zehn Jahre alt – nach Ungarn übersiedelt. Davor lebte die Familie fast ein Jahrzehnt in Deutschland.

Sie hatten schon als Kind eine Beziehung zu Ungarn. Können Sie uns davon erzählen?

Claudia: Die donauschwäbische Familie meines Vaters hat im heutigen Serbien gelebt. Im Zweiten Weltkrieg wurden die dortigen Männer von Deutschland zwangsrekrutiert. Die zurückgebliebenen Frauen, Kinder und alten Menschen wurden daraufhin von der einheimischen Bevölkerung als Feinde angesehen und später in Lagern interniert.

Auch die Familie Ihres Vaters?

Claudia: Ja. Meine Oma ist dann mit ihrer Schwester und ihrer Mutter, mitten in der Nacht aus so einem Lager geflohen. Sie sind zu Fuß über die Grenze nach Jánoshalma in Ungarn gelangt. Dort haben sie zunächst in der Hoffnung gewohnt, irgendwann in ihre alte Heimat in Serbien zurückkehren zu können. Diese Hoffnung hatte sich aber recht bald zerschlagen.

Wie ging es für Ihre Familie weiter?

Claudia: Meine Oma ist schließlich zu Fuß zu meinem Opa aufgebrochen, der nach russischer Kriegsgefangenschaft in der Nähe von München in Deutschland gelandet war. Auf ihrem Weg dorthin musste sie noch für drei Wochen in Buda­pest ins Gefängnis, weil man sie für einen deutschen Spitzel hielt. Danach ist sie ohne größere Zwischenfälle bis nach Deutschland gelangt. Meine Oma lebte dann mit ihrem Mann in Starnberg, wo auch ich geboren und aufgewachsen bin. Meine Urgroßmutter und meine Großtante sind wiederum in Ungarn geblieben. Sie haben sich in der Nähe von Kiskunmajsa niedergelassen, wo meine Großcousins heute noch leben.

Und Sie haben dann ihre Urlaube oft in Ungarn verbracht?

Claudia: Ja, wir haben fast alle Ferien in Ungarn verbracht. Meine Eltern haben 1997 auch ein Ferienhaus auf dem Land gebaut. In Deutschland war ich eigentlich nur während der Schulzeit und später zum Studium. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit meinen Eltern in Ungarn, und letztendlich erfülle ich mir meinen Kindheitstraum, indem ich nun hier lebe.

Was war der Grund für diese Entscheidung?

Claudia: Die Corona-Maßnahmen der Regierung ab 2020 haben das Leben unserer Kinder massiv negativ betroffen. In der Schule wurde es Vorschrift, dauerhaft Masken zu tragen. Unsere ältere Tochter hat sehr darunter gelitten.

Besonders in Erinnerung ist mir, wie sie nach Hause kam und über starke Kopfschmerzen klagte. Wie sich herausstellte, mussten die Kinder auch während des Sportunterrichts Masken tragen, was natürlich die Atmung erschwerte. Die Kinder waren von 07:45 Uhr bis 15:30 Uhr durchgehend dazu verpflichtet, eine Maske zu tragen, und durften diese nicht einmal auf dem Schulhof abnehmen.

Wie ging es weiter?

Claudia: Ich habe versucht, mit der Schule einen Kompromiss zu finden, und habe ein Face-Shield gekauft, das eine ausreichende Sauerstoffversorgung gewährleisten sollte. Dies wurde jedoch von der Schulleitung abgelehnt, und es gab auch keinen Spielraum, sich auf vernünftige Regelungen zu einigen. Wir wollten unsere Kinder auch nicht impfen lassen und den regelmäßigen Tests unterziehen.

In den Herbstferien sind wir dann nach Ungarn gefahren. Mit der örtlichen Schule hatte ich einen „Probe-Tag“ für meine Tochter vereinbart. In der Schule in unserem Nachbardorf galt keine Maskenpflicht für Kinder, weder im Schulgebäude noch während des Sportunterrichts. Als unsere Tochter an diesem Tag zum ersten Mal wieder lachend und fröhlich aus der Schule kam, stand unser Entschluss fest, Deutschland zu verlassen. Mit dieser Entscheidung haben wir auch unser „Stadtleben“ in der Nähe von München gegen ein Leben auf dem Land eingetauscht.

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Das Haus der Eltern, in dem Claudia und Roland jetzt wohnen.

Roland, jetzt zu Ihnen. Hatten Sie schon eine Beziehung zu Deutschland, bevor Sie Claudia kennenlernten?

Roland: Ja, ich habe eine Konditorlehre hier in Ungarn gemacht und bin dann 1999 nach Deutschland gegangen, um meine beruflichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Damals brauchte man noch ein Visum, um als Ungar in Deutschland leben und arbeiten zu können. Als ich in Deutschland ankam, konnte ich nur „Dankeschön“ und „Apfelsaft“ sagen, aber das hat sich schnell geändert. Ich habe dann noch weitere zehn Jahre in Deutschland gearbeitet, bevor wir zusammengekommen sind.

Wann haben Sie sich kennengelernt?

Roland: 2011 war ich in meinem Heimatort Kiskunmajsa auf Urlaub. Claudia machte zur selben Zeit dort Urlaub. Eines Tages sind wir uns auf dem örtlichen Wochenmarkt begegnet. Wir hatten uns schon als Kinder manchmal beim Reiten gesehen, aber auf dem Markt habe ich sie zum ersten Mal angesprochen. Später habe ich sie dann auf der Tanya, der Farm ihrer Eltern, besucht, auf der wir jetzt mit unseren drei Kindern leben. Zu dieser Zeit hatten wir beide jedoch unseren Lebensmittelpunkt in Deutschland.

Was schätzen Sie an der deutschen Mentalität?

Roland: Ich schätze die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sowie die Art und Weise, wie die Deutschen alles in Ordnung halten. Auch ist das Bewusstsein, sich an die Verkehrsordnung zu halten, in Deutschland stärker ausgeprägt als hier. Zudem bin ich beeindruckt von der Präzision und der Qualität der Maschinen, die in Deutschland hergestellt werden.

Was ist hier anders?

Roland: Wenn du in Deutschland einen Termin, zum Beispiel mit einem Handwerker, vereinbarst, dann erscheint dieser in der Regel pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt. Hier in Ungarn werden Verabredungen nicht ganz so genau eingehalten. (lacht)

Wie gehen Sie damit um?

Claudia: Man muss sich als Deutscher, der an Pünktlichkeit gewöhnt ist, ein bisschen zurücknehmen und akzeptieren, dass die Dinge in Ungarn anders laufen, besonders wenn man auf dem Land lebt. Für mich bietet das aber auch eine Möglichkeit zur Entschleunigung. Das sehe ich auch bei anderen Deutschen, die hierherkommen und sich auf die ungarische Mentalität einlassen.

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Blick in die ungarische Puszta.

Gibt es Unterschiede im Schulsystem?

Claudia: Ja, die Kinder essen in der Schule und sind auch am Nachmittag betreut. Wenn ein Kind am Vormittag den Lernstoff nicht vollständig verinnerlichen konnte, nehmen sich die ungarischen Lehrkräfte am Nachmittag Zeit, um Versäumtes nachzuholen. Die individuelle Förderung und Betreuung der Kinder ist intensiver, und die Lehrkräfte nehmen sich auch die Zeit, die Kinder mal in den Arm zu nehmen. Wir haben hier Schulklassen mit etwa 15 Kindern, was sicherlich auch daran liegt, dass wir auf dem Land leben.

Gibt es Unterschiede im Umgang mit Freunden und Bekannten?

Claudia: Naja, meine Erfahrung in Deutschland war, dass ich mich immer fest verabreden musste, wenn ich mich mit Freunden treffen wollte. Und wenn man mal spontan vorbeikommen wollte, sollte man zumindest anrufen. Hier kommen die Leute einfach so mal vorbei, und wenn du da bist und Zeit hast, ist das in Ordnung. Es interessiert auch niemanden, ob alles perfekt aufgeräumt und sauber ist. Landleben eben! (lacht)

Und wie ist das beim Thema Familie?

Claudia: Also, ich glaube, in Ungarn dreht sich für die Menschen alles in erster Linie um ihre Familie und darum, gute Zeit mit ihren Freunden und Angehörigen zu verbringen. Zu Weihnachten ist es in Ungarn nicht so wichtig, Geschenke mitzubringen. Es geht vielmehr darum, möglichst gut und reichlich zu essen. Da kann es schon mal vorkommen, dass drei oder vier verschiedene Gerichte aufgetischt werden, die dann gerne mit Freunden und Familie geteilt werden.

In Deutschland sind die Leute eher auf sich selbst fokussiert und damit beschäftigt, ihre „Work-Life-Balance“ zu finden.

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Einige ihrer zahlreichen Tiere, die sie inzwischen in Ungarn auf ihrer Farm haben.

Was mögen Ungarn nicht?

Claudia: Aus meiner Erfahrung mögen es Ungarn nicht, wenn man sich schnell aufregt, versucht, Druck zu machen oder gar laut wird. Dann machen sie zu, und man erreicht gar nichts. Man sollte ruhig und freundlich seinen Standpunkt vertreten, dann kommt man weiter.

Wie sieht es in Ungarn mit dem Gesundheitswesen aus?

Claudia: Die ärztliche Versorgung ist sehr gut. Die medizinische Ausbildung in Ungarn hat einen hohen Standard, und die Studenten sammeln während des Studiums sehr viel praktische Erfahrung. Viele ungarische Ärzte arbeiten zum Beispiel auch in Deutschland oder England. Die Nachsorge und der Standard in den Krankenhäusern sind allerdings nicht immer so, wie man es sich wünschen würde.

Wovon leben Sie hier in Ungarn?

Claudia: Ich bin Rechtsanwältin und betreue meine Mandanten in Deutschland von hier aus. Auch in Deutschland hatte ich, wegen der Kinder, schon viel von zu Hause aus gearbeitet. Für meine Klienten war das also keine große Umstellung. Für Gerichtstermine reise ich nach Deutschland. Außerdem arbeite ich hier mit ungarischen Rechtsanwälten zusammen, insbesondere bei Fällen, in denen deutschsprachige Mandanten beteiligt sind. Mein Mann hat ein Transportunternehmen und fährt auch noch selbst.

Was würden Sie Auswanderern raten oder mit auf den Weg geben?

Claudia: Man sollte sich beim Immobilienkauf, besonders wenn es um Landkauf geht, gut beraten lassen. Es reicht nicht, wenn man einen Vertrag nur so ungefähr übersetzt. Man sollte schon die rechtlichen Grundlagen verstehen und auch auf scheinbar nebensächliche Details achten.

Weitere Teile der BZ-Serie „Nach Ungarn ausgewandert“:

BZ Magazin 06/2021: Kabarettist Detlev Schönauer

BZ Magazin 18/2022: Ehemalige Kommunalpolitikerin Christiane Wichmann

BZ Magazin 19/2022: Webdesignerin und Biografin Emily Paersch

BZ Magazin 20/2022: Gesundheitsberaterin Dorothea Heinzel

BZ Magazin 21/2022: Zweifache Mutter Conny S.

BZ Magazin 22/2022: Ehemaliger Polizist Klaus Kauder

BZ Magazin 01/2023: Marketingexperte Viktor Végh

BZ Magazin 03/2023: Einwanderungsberaterin Diana Bednar

BZ Magazin 06/2023: Die Handwerkerfamilie Kittel

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BZ Magazin 11/2023:  Die Familie Scherer

BZ Magazin 12/2023: Die Pferdeliebhaber Petra und Wilfried Böske

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